DADA Zürich im Theater

Zur Anwendung des Begriffes "Anti-Theater" und seiner historischen Bedeutung für die theatralen Aktionen im DADA Zürich


Seminararbeit, 1998

23 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Theater und Anti-Theater – alles nur Theater? oder: Rahmenprogramm des Zeitgeistes
2.1 „Theater“ und „Theatralität“ zu Beginn des 20. Jahrhunderts
2.2 Die „Anti-Kunst“-Bestrebungen der historischen Avantgarde

3. Die Entwicklung in Richtung Anti-Theater im DADA Zürich
3.1 Theatraler Hintergrund einzelner Gruppenmitglieder
3.2 Manifest(iert)e: Forderungen zum Theater
3.3 „Aufführungscharakter“ und Charakter von Aufführungen im DADA Zürich
3.4 In Zürich gelegte Grundlagen für die Aktionskunst von DADA Berlin und DADA Paris

4. Schluß

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Die Frage nach DADA Zürichs Ausprägung als „Anti-Theater“ ist Thema dieser Untersuchung. Es handelt sich nicht um einen Versuch, diese Frage endgültig zu klären, eine Einstufung als Kunst oder eben Anti-Kunst vorzunehmen, denn diese Begriffe sollten in ihrer historischen Abhängigkeit betrachtet werden, und eine klare Abgrenzung ist selbst für einen geringen Zeitraum schwierig.

Aus heutiger Sicht hat die Entwicklung von DADA Zürich sowieso eine theaterhistorische Bedeutung, und viele Errungenschaften sind, wenn nicht vollständig übernommen, so doch als Einfluß in die Theatergeschichte und damit in das Theater eingegangen und nicht nur Negation eines Theaterbegriffes.

In der Gliederung wurde versucht, den Schwierigkeiten einer Eingrenzung Rechnung zu tragen. So soll die Untersuchung sich sozusagen in „konzentrischen Kreisen“ zunächst mit der Problematik des Theaterbegriffes beschäftigen und ihn für den betreffenden Zeitraum zu bestimmen versuchen, bevor dieser Begriff Anwendung auf die theatralen Aktionen im DADA Zürich findet.

Im Abschnitt 2., der das Untersuchungsfeld absteckt und die Begriffe und ihre Voraussetzungen klärt, wird zuerst die schon zur Gründungszeit von DADA Zürich, also 1916, historische Theaterauffassung des 19 Jahrhunderts in den Aussagen behandelt, die für die Einschätzung von DADA Bedeutung haben. Darauf folgt ein kurzer Überblick über die Anfang des 20. Jahrhunderts aktuellen Entwicklungen im Theater der sogenannten europäischen Avantgarde.

Es wird dadurch versucht, eine Situierung DADAs, besonders natürlich der Züricher Anfangsjahre, innerhalb der theaterreformatorischen Entwicklungen dieser Zeit zu ermöglichen.

Der Abschnitt 3. enthält die spezifische Untersuchung der Aktionen im DADA Zürich, die im weitesten Sinne als Theater aufgefaßt werden können. Dieser zweite der „konzentrischen Kreise“ versucht die Annäherung an die Frage „Anti-Theater oder nicht?“ aus verschiedenen Perspektiven: aus Sicht der persönlichen Voraussetzungen, die durch die unterschiedlichen Beteiligten am DADA in Zürich gegeben war, aus theoretischer Sicht über die Auswertung einiger Manifest-Passagen und ähnlicher reflektierender Äußerungen der Beteiligten – so unsicher eine Verallgemeinerung hier sein mag, aus der Anschauung der verschiedenen Arten theatraler Ereignisse, die DADA Zürich zu bieten hat, und schließlich aus Sicht der nachfolgenden Ereignisse, die bestimmte Entwicklungen und Tendenzen im DADA Zürich zum Teil erst sichtbar machen.

Bei der Auswahl von Quellen und Forschungsliteratur ist zunächst hervorzuheben, daß der Schwerpunkt dieser Untersuchung, also der theatrale Charakter von DADA Zürich, eine Einschränkung bewirken sollte. Hilfreiche Anregungen und durchaus bedenkenswerte Aussagen lieferte die vergleichende Untersuchung der Theaterformen der historischen Avantgarde von Sylvia Brandt.[1] Für Definitionen und Einordnungen in bestimmte Modelle wurde an solchen Stellen auf angemessene Überblickswerke zurückgegriffen. Hauptsächlich wurde aber versucht, aus den Quellen, also Originalmaterial, das von den einzelnen Beteiligten am DADA Zürich vorhanden ist, direkte Ableitungen zu machen.

Aufgrund der Nähe zum Thema wurde auf die Thesen von Sylvia Brandt Bezug genommen, der Schwerpunkt aber, unter Hinnahme einer Einschränkung dieser Thesen, auf die im DADA Zürich vorgefundende Situation gelegt.

2. Theater und Anti-Theater – alles nur Theater? oder: Rahmenprogramm des Zeitgeistes

2.1 „Theater“ und „Theatralität“ zu Beginn des 20. Jahrhunderts

Um eine Folie oder einen Hintergrund für die Untersuchung der Avantgarde-Kunst zu haben, vor dem sich diese Kunst dann in ihrer Besonderheit abheben und entfalten kann, sollte man zunächst die Kunstauffassungen betrachten, die beim Auftreten der Avantgarde Gültigkeit besaßen – vielleicht in Teilen heute noch besitzen – und zu denen sich die „neue“ Kunstauffassung distanzierte.

Etwas vereinfachend kann man so die verschiedenen avantgardistischen Kunstauffassungen in Kontrast setzen zum Kunstverständnis des 19. Jahrhunderts. Und hier sind gerade zwei prägnante Strömungen zu nennen, die von den Dadaisten in Frage gestellt wurden: der Geniekult und – speziell auf das Theater bezogen – die Illusionserschaffung, die Realitätsnachahmung, die Mimesis.

Die Kunstauffassung des 19. Jahrhunderts war geprägt von der Weiterführung des Geniebegriffes aus dem 18. Jahrhundert. Reinhart Meyer bringt das Genie in Zusammenhang mit der Zunahme des Einflusses der Bürger auf gesellschaftliche und wirtschafliche Prozesse, die bereits im 18. Jahrhundert beginnt. Er bereitet so den Weg für eine Erklärung von Geniekult als Produkt sozialer Entwicklungen, die durch die speziellen ökonomischen Entwicklungen – Industrialisierung, Vermögensanhäufung in der Hand privater Unternehmer aus dem Bürgertum – und die Neustrukturierung der gesellschaftlichen Schichten mit der Herausbildung eines erstarkten Bürgertums bedingt wurden.[2] Das Genie verkörpert dabei „die ideale Personifikation des erfolgreichen Bürgers“[3]. Das Genie als vollendete Form des Menschen findet Eingang bei der Beurteilung des Künstlers und beeinflußt damit die Originalitäts- und Produktivitätsansprüche, die an die Kunstschaffenden gestellt werden. Der Vorteil des Genies im – nach Meyer – „kapitalistischen“[4] Wettstreit mit anderen Künstlern liegt dabei in der Perfektion, mit der es die Gesetze der Kunst beherrscht und neue Maßstäbe setzt.

Eine solche Auffassung kann nur unter der Voraussetzung aufrechterhalten werden, daß bestimmte Gesetzmäßigkeiten existieren, die Vergleiche zwischen verschiedenen „Kunstwerken“ ermöglichen und so die Möglichkeit bieten, das Genie auf einer Skala an oberster Stelle einzuordnen.

Einen solchen Maßstab bietet das Mimesis-Prinzip einer Kunst, die die Realität möglichst genau nachahmt, denn an der Ähnlichkeit des Kunstwerkes mit dem abgebildeten Gegenstand läßt sich so die „Größe“ des Werkes messen. Bei diesem „Prinzip der Illusionserschaffung (...) galt [es], die Kunst durch die Kunst zu verbergen.“[5] Laut Sylvia Brandt arbeiteten diesem Illusionstheater die „beherrschenden Kunstformen des Realismus und Naturalismus“[6] zu. Sie bedienten mit illusionistischen Bühnenbildern einen „historisierenden Realismus“[7].

Daß eine solche Kunstauffassung bis in die heutige Zeit präsent ist und im Theater beispielsweise in Boulevard-Inszenierungen und im Film in den Werken des Mainstream-Kinos immer noch, wenn nicht ausschließlich, so doch tonangebend Spuren hinterlassen hat, läßt Rückschlüsse auf den starken Einfluß zu, den diese Kunstauffassung hatte. Dabei darf jedoch nicht vernachlässigt werden, daß schon ab Mitte des 19. Jahrhunderts unterschiedlichste Reformbewegungen der o.g. Praxis entgegentraten, deren verschiedene Strömungen allgemein unter den Begriff der Avantgarde fallen, so unterschiedlich ihre Ausprägung auch ist.[8]

Der hier verwendete Begriff der historischen Avantgarde bezeichnet jedoch im wesentlichen die Kunstströmungen der ersten drei Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts, und hier besonders Futurismus, DADA und Surrealismus.

2.2 Die „Anti-Kunst“-Bestrebungen der historischen Avantgarde

Der zeitgeschichtliche Aspekt, also der Einfluß von tagespolitischem Geschehen und umwälzenden technischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Veränderungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts, sollte in einer Untersuchnug der Geschichte der Avantgarde-Kunst berücksichtigt werden. Besonders ins Gewicht fällt der Erste Weltkrieg, dessen Ausmaß und Härte bisher unbekannte Formen annahm, und der aufgrund seiner Ausdehnung die gesamte europäische Gesellschaft des einsetzenden 20. Jahrhunderts nachhaltig erschütterte. Die nahezu zeitgleich einsetzende Technisierung prägte Wirtschaft und Gesellschaft ebenso stark, und beide Veränderungen bereiteten den Boden für veränderte gesellschaftliche Formen, zu denen nicht zuletzt die Kunst gehörte.

Die künstlerischen Bestrebungen nach einem angemessenen Ausdruck führen damit zu einer gewandelten Kunstauffassung der historischen Avantgarde in der „Überzeugung, durch die Kunst bewußtseins- und damit gesellschaftsverändernd wirken zu können.“[9]

Die prägnantesten Merkmale dieser gewandelten Kunstauffassung sind zum einen der gewandelte Theaterbegriff, der nicht mehr das Theater als „Mimesis, das heißt nachgeahmte Wirklichkeit“[10] begreift mit möglichst unauffälligen, lediglich beobachtenden Zuschauern, sondern sich wandelt „in einen auf Interaktion zwischen Zuschauer und Darsteller basierenden Performancebegriff“[11], wenn auch die Bezeichnung Performance erst später in Gebrauch kommt. Mit der Interaktion zwischen Darsteller und Zuschauer wird die Trennung zwischen Kunst und Leben aufgehoben. Dadurch findet eine Veränderung der Theaterstrukturen statt, die dem schon erwähnten Illusionstheater eine eindeutige Absage erteilen.

Für eine Rückbesinnung auf schon länger existente Tendenzen zum „Gesamtkunstwerk“ erscheint das Theater als passendes Medium.[12] Im Theater werden ohnehin schon darstellende und bildende Künste miteinander verbunden, allerdings noch in verschiedene Kategorien (Schauspiel, Bühnenbild, Kostüm, usw.) getrennt. Die Avantgarde sucht nach Lösungen, sie alle zu vereinen.

Von den unterschiedlichen „radikale[n] künstlerische[n] Bewegungen“[13], die nach der Jahrhundertwende in ganz Europa existieren, seien an dieser Stelle nur der italienische Futurismus, DADA und Surrealismus erwähnt.

Einige Forderungen des Futurismus können als bekannt für die Dadaisten vorausgesetzt werden. So z.B. der Versuch des Futurismus, einen neuen Kunststil im theatralen Gesamtkunstwerk zu etablieren mit dem es möglich werden soll, die dynamisierte, technisierte Welt darzustellen. Zu diesem Stil gehören bruitistische Gedichte, das Varietè als angemessene Lokalität, die Provokation als Maß der Qualität eines Kunstwerkes – um nur einige zu nennen. Der Zuschauer sollte im futuristischen Geschehen mit diesen Ausdrucksmitteln vertraut gemacht werden.[14]

Zum Problem der Nachfolgerschaft der einzelnen Avantgarde-Bewegungen untereinander, sei es nun personeller oder konzeptioneller Art, kann auf die Bemerkungen von Sylvia Brandt zu diesem Thema verwiesen werden.[15]

[...]


[1] für die vollständigen Titel: vgl. Literaturverzeichnis

[2] Vgl.: Meyer, 1973, S. 139 ff.

[3] Meyer, 1973,

[4] ebd.

[5] Brandt, 1995,

[6] ebd.

[7] Kesting, Marianne in: Mennemeier/Fischer-Lichte (Hg.), 1994,

[8] vgl. ebd., S. 369 f., und Brandt, 1995,

[9] Brandt, 1995,

[10] Brauneck, 1998,

[11] Brandt, 1995,

[12] vgl. Brandt, 1995, S. 15 f.

[13] Kesting, Marianne in: Mennemeier/Fischer-Lichte, 1994,

[14] vgl. Brandt, 1995,

[15] vgl. ebd., S. 12 ff.

Ende der Leseprobe aus 23 Seiten

Details

Titel
DADA Zürich im Theater
Untertitel
Zur Anwendung des Begriffes "Anti-Theater" und seiner historischen Bedeutung für die theatralen Aktionen im DADA Zürich
Hochschule
Freie Universität Berlin  (Institut für Theaterwissenschaft)
Veranstaltung
Die Anfänge des Anti-Theaters
Note
1,3
Autor
Jahr
1998
Seiten
23
Katalognummer
V4153
ISBN (eBook)
9783638125772
ISBN (Buch)
9783638638463
Dateigröße
535 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Untertitel der Arbeit: Zur Anwendung des Begriffes 'Anti-Theater' und seiner historischen Bedeutung für die theatralen Aktionen im DADA Zürich 160 KB
Schlagworte
Avantgarde, Anti-Theater, DADA, Hugo Ball, Tristan Tzara, Cabaret Voltaire in Zürich
Arbeit zitieren
M.A. Sibylle Meder Kindler (Autor:in), 1998, DADA Zürich im Theater, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/4153

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