Das Armutsideal des Franziskus von Assisi. Eine neue Idee?


Seminararbeit, 2001

18 Seiten, Note: 2+


Leseprobe


Inhalt

Einleitung

1 Armut und Armutsintentionen im 12. Jahrhundert
1.1 Wirtschaftliche Verhältnisse zur Zeit des Franziskus
1.2 Situation der Kirche um 1200
1.3 Die Armutsbewegung
1.3.1 Die Dominikaner
1.3.2 Die Waldenser

2 Das Armutsverständnis des Franziskus
2.1 Biographie des Franziskus
2.2 Entwicklung des Armutsideals im Zuge der Ordensgründung
2.3 Armut im Spiegel der franziskanischen Ordensregel

3 Die Armutsforderungen der drei Orden im Vergleich

Fazit

Literatur

Einleitung

Worin unterscheiden sich die vielen Orden und religiösen Gemeinschaften des Mittelalters? Diese Frage ist von zentraler Bedeutung für die Erforschung mittelalterlichen Klosterlebens. Vor allem bei den zahlreichen im Zuge der Bettelordensbewegung neu gegründeten Gemeinschaften mit ihren zum Teil sehr ähnlichen Zielsetzungen ist es überaus schwierig, Zielsetzungen und Forderungen nicht zu verwechseln. Diese Arbeit möchte einige Aspekte der obigen Fragestellung beleuchten.

In Reaktion auf tiefgreifende gesellschaftliche Umbrüche beginnen Stadtbürger im 12. Jahrhundert, ihre Lebensführung nach den Forderungen der Evangelien auszurichten. Besonders das urchristliche Ideal freiwilliger Armut inspiriert viele. Es entsteht eine Vielzahl von Gemeinschaften, die ihre materiellen Ansprüche auf das Notwendigste beschränken. Eine davon ist der Franziskanerorden, dem mein besonderes Interesse gilt. Franziskus von Assisi gründet den Orden um 1209, bemüht um die Schaffung einer neuen Lebensform in apostolischer Armut. Doch wie soll diese konkret aussehen? Und verfolgt er damit tatsächlich eine neue Idee? Antwort sollen die Analyse des Armutsideals des Franziskus und ein exemplarischer Vergleich seines Ordens mit anderen zeitgenössischen Armutsbewegungen geben. Bei den Dominikanern und den Waldensern, die ich dafür hinzuziehe, handelt es sich um zwei der einflussreichsten Bewegungen ihrer Zeit. In vielen Arbeiten werden die Franziskaner als „Nachfolger“ dieser Gruppen behandelt.

Meine Arbeit behandelt die Gründungszeit der drei Bewegungen, da sie alle später ständig Veränderungen unterworfen waren, durch die die radikalen Ideen ihrer Gründer an Gewicht verloren und die strengen Vorschriften gelockert wurden.

Aus Platzgründen minimiere ich die Ordensgeschichten der Dominikaner und Waldenser und widme mich hauptsächlich ihrem Armutsverständnis.

Die Biographie des Franziskus beende ich mit der Bestätigung der Regula Bullata im Jahre 1223, da die nachfolgenden Ereignisse für die Beantwortung meiner Fragestellung irrelevant, fast kontraproduktiv sind. Zu diesem Zeitpunkt verliert der Ordensgründer zunehmend an Einfluss auf seine Bewegung, sein Ideal ist in der Regula Bullata kaum mehr erkennbar. Daher ziehe ich zur Erläuterung seiner Forderungen hauptsächlich die vorläufige Regel, die Regula non Bullata, heran.

Zu den Waldensern liegen mir leider keine Quellen vor. Daher basiert meine Analyse bezüglich dieser Bewegung auf wissenschaftlichen Abhandlungen.

1 Armut und Armutsintentionen im 12. Jahrhundert

1.1 Wirtschaftliche Verhältnisse zur Zeit des Franziskus.

Um die Armutsbewegungen um 1200 zu verstehen, ist es notwendig, sich zunächst kurz mit den wirtschaftlichen Verhältnissen der Zeit zu befassen.

Es ist eine Periode des Aufschwungs, sie bringt „tiefgreifende Umwälzungen geistiger, religiöser, gesellschaftlicher, kultureller, demographischer und wirtschaftlicher Art“[1]. Die Wirtschaft boomt, vor allem in den Städten, wo die Einführung der Manufaktur eine schnellere und ökonomische Produktion gestattet. In der Landwirtschaft steigern Verbesserungen der Produktionsweise die Erträge. Der Tauschhandel wird weitgehend durch die Geldwirtschaft ersetzt. Allerdings existiert noch keine einheitliche Währung. Beim interstädtischen Handel entsteht durch den Geldmittelaustausch ein eigener Wirtschaftszweig: das Bankwesen. Die Städte erfahren einen enormen Bedeutungszuwachs, „denn Manufaktur, Fernhandel und Geldwirtschaft sind städtische Entwicklungen“[2]. Der wirtschaftliche Aufschwung ermuntert die Städte, sich nicht nur wirtschaftlich, sondern auch rechtlich von der Feudalherrschaft des Adels zu befreien, denn „wer reich ist, will einflussreich werden“[3]. Nach kriegerischen Auseinandersetzungen mit den Städten muss der Adel ihren Forderungen nachgeben.

Weiterhin ist die Zeit gekennzeichnet durch einen starken Bevölkerungsanstieg. Es ist jedoch in der Wissenschaft umstritten, ob die Bevölkerungsexplosion den wirtschaftlichen Aufschwung verursacht oder umgekehrt.

Der Aufschwung bringt neue soziale Probleme. Besonders im Bereich der Tuchherstellung können die kleinen Produzierenden der Unterschicht der Konkurrenz der Großkaufleute und -handwerker nicht Stand halten und verarmen. In gleichem Maße, in dem das Bürgertum an Reichtum gewinnt, weitet sich die Armut unter den Massen in stärkerem Ausmaß aus als je zuvor[4].

In der Not solidarisieren sich die verarmten Unterschichten, fordern mehr Rechte und Beteiligung am Gewinn der Reichen.

1.2 Situation der Kirche um 1200

Die wachsende Unzufriedenheit bekommt in zunehmendem Maße auch die Kirche zu spüren. In den Evangelien findet sich wiederholt die Aufforderung Christi, allem Besitz zu entsagen und ihm in Armut nachzufolgen. Bei Matthäus etwa heißt es: „Ihr dürft kein Geld annehmen; [...] Beschafft euch auch kein zweites Hemd, keine Schuhe und keinen Wanderstock für die Reise.“[5] Die Kleriker verstehen sich als Nachfolger der Apostel. Dennoch ist die Armutsforderung Christi dem hohen Klerus relativ gleichgültig. Fast ausschließlich Angehörige des Adels nehmen klerikale Führungspositionen ein. Diese führen ein feudalherrschaftliches Leben, das sich von dem weltlicher Herren kaum unterscheidet. „Die Prachtentfaltung im hohen Klerus erreichte unvorstellbare Ausmaße. Drei Jahre vor der Geburt des Franziskus beschloß das 3. Laterankonzil im Jahr 1179, daß ‚Erzbischöfe [...] auf ihren Reisen nicht mehr als 40 bis 50 Pferde bei sich haben und darauf verzichten [sollen], mit Jagdhunden und Vögeln auszufahren.’“[6] Das 4. Laterankonzil von 1215 kritisiert: „ ‚Sie [die Bischöfe, Anm. d. Verf.] verbringen fast die halbe Nacht mit überflüssigen Schmausereien und ungeziemendem Geschwätz, von anderen Dingen ganz zu schweigen [...].’“[7] Zusätzlich stehen Kirche und Welt oft in direktem Konkurrenzkampf um Einfluss und Ländereien.

Das Ideal von Armut und Gütergemeinschaft der frühen christlichen Gemeinden wird nur noch von geistlichen Orden beherzigt, allerdings beschränkt auf das einzelne Mitglied. Die Klöster als Ganzes häufen oft großen Reichtum an.

Da dieser Lebensstil in krassem Gegensatz zu den Lehren des Evangeliums und der rasch um sich greifenden Ausbreitung der strukturellen Armut Land- und Stadtbevölkerung steht, führt er zu wachsender Kritik an der Kirche. Diese wird in den Augen vieler Christen unglaubwürdig, zumal sie kein großes Interesse zeigt, die allgemeine Not zu bekämpfen.

1.3 Die Armutsbewegung

Seit Ende des 11. Jahrhunderts wenden sich Kritiker verschiendenster Couleur gegen den Lebensstil des höheren Klerus. Etwa vom Kloster Cluny aus verbreiten sich Reformbestrebungen von Frankreich und Italien aus über ganz Europa. Gefordert wird die Trennung kirchlicher Aufgaben und weltlicher Gewalt und eine Anpassung des klerikalen Lebens an die biblischen Vorschriften.

Die Zeit ist geprägt von einer Hochschätzung des Alten. Das Ideal der ecclesia primitiva, der freiwillig armen Urkirche, wie sie in der Bibel und in römischen Schriften überliefert ist, wird zum allgemeinen Leitbild. Bis Anfang des 13. Jahrhunderts gründen sich eine Vielzahl von Gemeinschaften, die ihr Leben am Evangelium orientieren. Sie verstehen es wörtlich und als alleingültigen Verfassungsgeber. Die kirchliche Bibelinterpretation wird vehement in Frage gestellt. Bei den radikalsten Reformern wird die Kritik an der feudalen Struktur der Kirche so zur Opposition gegen die Institution Kirche an sich. Einige Gruppen spalten sich vollständig ab und werden zu selbständigen Glaubensgruppen.

Es sind jedoch weniger die real Armen oder arm Gewordenen, die sich für ein Leben in Armut aussprechen. Ein Großteil der Bekehrten entstammt dem neureichen Bürgertum. Viele von ihnen finden im Reichtum keine Erfüllung. Sie wenden sich vom Luxus ab und karitativen Tätigkeiten zu. Auch mancher, dem der soziale Aufstieg nicht gelingt, findet sein Heil in geistlichen Organisationen.

Derartige Tendenzen müssen auf das Missfallen der Kirchenoberen stoßen, die nicht nur um ihren Reichtum, sondern auch um ihren Einfluss auf das einfache Volk fürchten. Die Wenigsten verzichten auf ihre Privilegien. Statt dessen bekämpfen sie separatistische und häretische Bestrebungen durch Exkommunikation und Krieg. Da sich das Missfallen gegenüber der Kirche dadurch jedoch weiter ausweitet, erfahren die pauperistischen Gruppen immer stärkeren Zulauf. Erst Papst Innozenz III. strebt ab 1200 eine neue Politik gegenüber den „Pauperes“ an. Er bemüht sich, sie in die Kirche zu reintegrieren.

1.3.1 Die Dominikaner

Der von Dominikus von Guzman gegründete Orden setzt sich ein für die Verkündigung des Evangeliums in Wort und Tat. Die Angehörigen leben wie die ersten apostolischen Christen in Gütergemeinschaft und sind als Wanderprediger tätig.

Dominikus wird 1170 geboren und tritt 1196 in das Kathedralkapitel von Osma ein. Wegen seiner Passion für die Predigt des Evangeliums leidet er „daran, dass es Menschen gibt, die das Evangelium nicht kennen und deshalb in ihrer Unmenschlichkeit gefangen sind“[8]. So schließt er sich 1215 während Missionsarbeiten im Gebiet der Katharer mit zwei Gefährten zusammen. Es entsteht der Predigerorden, der am 22. Dezember 1216 von Papst Honorius III. bestätigt wird.

Der Orden lebt nach der „Augustinusregel“, der ältesten abendländischen Mönchsregel. In ihr orientiert sich die Umsetzung der apostolischen Armut an der in der Apostelgeschichte beschriebenen Lebens- und Gütergemeinschaft: „Wenn einer Vermögen hatte, betrachtete er es nicht als persönliches, sondern als gemeinsames Eigentum. [...] Niemand aus der Gemeinschaft brauchte Not zu leiden. [...] Jeder bekam [...] soviel, wie er nötig hatte.“[9] Dementsprechend fordert die erste Regel des Augustinus: „Niemand soll etwas als sein Eigentum in Anspruch nehmen, sei es ein Kleid oder irgendeine Sache“[10]. Die zweite Regel spezifiziert: „Das erste Ziel eures gemeinschaftlichen Lebens ist, in Eintracht zusammenzuwohnen und ein Herz und eine Seele [Hervorhebung im Original] in Gott zu haben. Deshalb nennt nichts euer eigen, sondern alles gehöre euch gemeinsam, und durch euren Obern werde jedem von euch Nahrung und Kleidung zugeteilt, nicht allen in gleicher Weise, weil ihr nicht alle die gleiche Gesundheit habt, sondern vielmehr jedem so, wie er es nötig hat.“[11]

Bei Eintritt ins Kloster wird das Eigentum des Eintretenden zum Eigentum der Gemeinschaft, also des Ordens: „Die in der Welt Vermögen besaßen, sollen nach ihrem Eintritt ins Kloster gerne sehen, daß es Gemeingut wird.“[12]

Zusätzlich sollen die Mönche ihren Tag neben dem Gebet der Arbeit widmen, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, und ihren Lohn der Gemeinschaft zuführen. Die persönliche Armut „soll ihn [den Mönch, Anm. d. Verf.] loslösen von der Anhänglichkeit an irdisches Gut zu ungeschmälerter Hingabe an Gott.“[13]

Das klösterliche Leben ist also einfach, doch nicht von Not geprägt. Schließlich wird dem Wohlbefinden des Einzelnen besondere Aufmerksamkeit gezollt.

Dominikus verschärft die Armutsforderung. „[...] Der Lebensstil der Prediger [soll] der von Jesus für seine Boten geforderten Armut [Hervorhebung im Original] entsprechen.“[14] Die Ordensbrüder sollen das, was sie verkünden, selbst leben, um ihren Zuhörern ein Beispiel zu sein. Konkret bedeutet dies, dass die Gemeinschaft gemäß den Forderungen Christi (s. 1.2), an denen sich auch Franziskus orientiert, nichts weiter besitzt als einen Wohnsitz und die Geräte, die sie für die tägliche Arbeit benötigt. Da ohne intensives Studium der heiligen Schrift keine seriöse Verkündigung des Evangeliums möglich ist, darf man annehmen, dass Bücher, vor allem die Bibel, im Besitz der Gemeinschaft waren. Ansonsten leben die Brüder von Almosen, die man ihnen für ihre Predigertätigkeit zukommen lässt.

[...]


[1] Ravinius, Karl J., Zwischen Häresie und Orthodoxie. Die Armutsbewegungen des Mittelalters am Beispiel der Waldenser und der Franziskaner, Schwerte 1990, S. 9.

[2] Dieterich, Veit-Jakobus, Franz von Assisi, Reinbek bei Hamburg ³ 1998, S. 22.

[3] Dieterich, Veit-Jakobus, Franz von Assisi (wie Anm. 2), S. 23.

[4] Zu diesem Überblick vgl. Le Goff, Jacques, Das Hochmittelalter, Frankfurt am Main 1998 (= Weltbild Weltgeschichte, Bd. 11.), S. 37-54.

[5] Matthäus 10,9/10, in: Die Bibel in heutigem Deutsch. Die Gute Nachricht des Alten und Neuen Testaments, Stuttgart 1982, S. NT 13.

[6] Dieterich, Veit-Jakobus, Franz von Assisi (wie Anm. 2), S. 29.

[7] Dieterich, Veit-Jakobus, Franz von Assisi (wie Anm. 2), S. 30.

[8] Müller, Franz, Dominikanerinnen und Dominikaner, Freiburg 1988, S. 13.

[9] Apostelgeschichte 4. 32 – 35, in: Die Bibel in heutigem Deutsch. (wie Anm. 5), S. NT 134.

[10] Die erste Regel des Heiligen Augustinus, in: Die grossen Ordensregeln, hg. v. Hans Urs von Balthasar, 2., durchgesehene Auflage, Einsiedeln, Zürich, Köln 1961 (= Menschen der Kirche in Zeugnis und Urkunde, Bd. 8.), S. 158 – 160, hier: S. 159.

[11] Die Regel des Heiligen Augustinus, in: Die grossen Ordensregeln, hg. v. Hans Urs von Balthasar, 2., durchgesehene Auflage, Einsiedeln, Zürich, Köln 1961 (= Menschen der Kirche in Zeugnis und Urkunde, Bd. 8.), S. 161 – 171, hier: S. 161.

[12] Ebenda.

[13] Hümpfner, P. Winfried, Zumkeller, P. Adolar O.S.A., Die Regel des Heiligen Augustinus, in: Die grossen Ordensregeln (wie Anm. 11), S. 153.

[14] Müller, Franz, Dominikanerinnen und Dominikaner, Freiburg 1988, S. 20.

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Das Armutsideal des Franziskus von Assisi. Eine neue Idee?
Hochschule
Universität Potsdam  (Historisches Institut)
Veranstaltung
PS: Mittelalterliches Klosterleben: Arbeiten hinter Mauern?
Note
2+
Autor
Jahr
2001
Seiten
18
Katalognummer
V1790
ISBN (eBook)
9783638111010
ISBN (Buch)
9783656448228
Dateigröße
489 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Armutsideal, Franziskus, Assisi, Eine, Idee, Mittelalterliches, Klosterleben, Arbeiten, Mauern
Arbeit zitieren
Katharina Strohmeier (Autor:in), 2001, Das Armutsideal des Franziskus von Assisi. Eine neue Idee?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1790

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