Die sozialistische Stadt


Seminararbeit, 2000

29 Seiten, Note: 1.3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1.Die sozialistische Stadt
1.1 Einleitung
1.2 Definition
1.3 Die Geschichte der sozialistischen Stadt
1.3.1 Die Stadt Magnitogorsk
1.4 Wohnkomplexe
1.5 Schema der russischen Stadt: Komplexe, Quartale, Ra yons
1.6 Stalins städtebaulichen Grundsätze
1.7 Die sechzehn Grundsätze des Städtebaus in der DDR

2. Das Fallbeispiel Stalinstadt
2.1 Ein Eisenhüttenkombinat Ost (EKO) und die Standortwahl
2.2 Die Wohnstadt
2.3 Eisenhüttenstadt

3. Literatur

4. Anhang
4.1 Abbildungsverzeichnis
4.1.1 Abbildungen
4.2 „Eisenhüttenstadt im neuen Glanz“- Artikel von Marianne Baum (Berliner Morgenpost)
4.3 Synopse: Stalins städtebauliche Grundsätze und die sechzehn Grundsätze für den Städtebau in der DDR

1. Die sozialistische Stadt

1.1. Einleitung

Bei der sozialistischen Stadt handelt es sich um einen Stadttypen, der aus den Gegeben- heiten der Gesellschaftsformen und politischen Systemen des zwanzigsten Jahrhunderts heraus entstanden ist.

Seit der russischen Revolution im Jahre 1918 dient sie als Modell einer idealtypischen Stadt im Sozialismus und Kommunismus.

Die vorliegende Arbeit will diesen Stadttyp als Gesamtes darstellen. Auf die ausführli- chere Darstellung muss teilweise verzichtet werden, da sie den Umfang dieser Arbeit sprengen würde. So musste bespielsweise bewusst auf die weiteren Diskussionen über Wohnkomplexe verzichtet werden, die einer eigenen Arbeit gerecht würden.

1.2. Definition

Die sozialistische Stadt ist ein nicht genau zu fassender Stadttyp. Sie kommt aus- schließlich in sozialistischen/ kommunistischen (bzw. ehemals sozialistischen/ kommu- nistischen) Ländern vor. Die sozialistische Stadt wurde von Partei und Staat mehrfach zu verwirklichen versucht. Allerdings scheint es keine Stadt zu geben, die vollkommen dem Modell oder den ursprünglichen Vorstellungen entspricht.[1] Letztendlich ist es nicht geklärt, woher das Modell stammt. Vielmehr ist der Begriff der sozialistischen Stadt,

ein Begriff, der sich mit der Zeit formte und nach und nach ein wenig präzisiert wurde. Den Ausführungen vorgreifend lässt sich jedoch als charakteristisch für eine sozialisti- sche Stadt ausmachen, dass ein privates Bodeneigentum fehlt, wodurch Behörden eine nahezu uneingeschränkte Planungsfreiheit haben, kollektive Lebensformen betont wer- den, was sich auch in den großen Demonstrationsplätzen und Aufmarschalleen, sog. Magistralen widerspiegelt, die sich im Zentrum neben den, die Stadt dominierenden,

Partei- und Verwaltungsgebäuden befinden. [2] Dieses Stadtzentrum hat eine quasi propa-

gandistische Funktion. [3] Die Bewohner dieser Städte leben größtenteils in einfachen, standardisierten Wohneinrichtung der industriellen Wohnungsbauweise[4] („Plattenbau- ten“). Hofmeister gibt zu bedenken, „ob es in der nachindustriellen Stadtentwicklungs- periode wirklich einen Typ der sozialistischen Stadt gibt“[5], da die sozialistischen Länder bereits nach kurzer Zeit von diesem Konzept der Stadtplanung wieder abrückten. Un- streitbar sind jedoch die Folgen zu erkennen, im Vorhandensein dieser zu jener Zeit geplanten Städte.

1.3. Die Geschichte der sozialistischen Stadt

Die Entwicklung der sozialistischen Stadt beginnt in den frühen dreißiger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts. Mit Gründung der CIAM 1928 wurden neue Konzepte zum Städtebau geschaffen. Dabei kritisierte man die damaligen sozialen Verhältnisse, die sich in Wohnungsnot und der „Schwierigkeit, die einfachen Bedürfnisse in der Stadt zu befriedigen“ [6] niederschlugen. Man begann, die Rolle des Städtebaus neu zu definieren.

„Städtebau ist die Organisation sämtlicher Funktionen des kollektiven Lebens in der

Stadt und auf dem Lande.“[7] Diese Definition, in die Gründungserklärung der CIAM mit übernommen, wurde ergänzt durch die Forderungen nach dem Ordnen der Funktionen nach wohnen, arbeiten und erholen. [8]

Le Corbusier führte das in der Charta von Athen zu den Forderungen nach geringer Baudichte, großzügigeren Abständen, Durchgrünung des Wohnumfeldes und Anlage von Wohnwegen aus.[9] Letztendlich schien es eine Lösung zu sein, dass man die Funk- tionen der Städte aufteilte in Wohnfunktion, Arbeitsfunktion und Erholungsbereich, dabei eine räumliche Trennung herbeiführte und diese Funktionen durch Verkehr wie- der verknüpfte.[10] Dies kann nur erfolgreich sein, wenn ein Verkehr möglich ist. Den Bewohnern der Stadt muss die Möglichkeit gegeben sein, sich entweder mit öffentli- chen oder privaten Verkehrsmitteln am Verkehr zu beteiligen.

Tony Garnier stellte seine Vision einer neuen Stadt vor: DieCitéindustriellesollte der Prototyp der Arbeiterstadt des zwanzigsten Jahrhunderts sein. „Der Städtebau als eine neue Verbindung der Arbeit mit den natürlichen Ressourcen, radikale Dezentralisie- reung des Urbanisierungsprozesses und die Abkehr von den traditionellen Zentren des

Handels, der Regierung und des Finanzkapitals.“[11] Garniers industrielle Stadt orientiert sich an der Organisation von industriellen Prozessen. Der Entwurf sollte „einen von den sozialen Beziehungen entwickelten idealen produktiven Arbeitsprozess zur gesell- schaftlichen Grundlage von Architektur und Stadtplanung [...] machen.“[12] Ferner ent- sprach es seinen Vorstellungen, dass sich das Leben der Bevölkerung eben dieser Stadt auf einer genossenschaftlicher Basis selbst organisieren. [13]

Der russische Stadtplaner Nikolai A. Miliutin dachte über Standortwahlen nach. Dabei kommt er zu dem Schluss, das die Zeit für die Städte vorbei sei, die „sich entlang von Handelsstraßen ausbreiten“ und „auf der Basis des [...] Kapitals aus der Erde schie- ßen“.[14] Neue Städte, so Miliutin, seien als „industriell- agrarische Zentren“ zu sehen, und müssten daher mit Lebensmittelerzeugern kombiniert werden. [15] Die Folge dieses Ansatzes wäre jedoch, dass letztendlich die Städte nicht mehr als solche existieren wür- den, sondern sich vielmehr kooperative Zentren bilden, die sich am besten möglichst gleichmäßig über Land verteilen sollen. So sah es auch Lenins Staatsplan zur Elektrifi- zierung Russlands vor, der durch ein ideales Netz von Stromversorgung ermöglichen sollte, Russlands Bodenschätze zu erschließen und dabei zu einer Besiedlungsform zu kommen, die dadurch geprägt ist, dass Produktions- und Kulturzentren gleichmäßiger verteilt sind. [16] (Nur kurze Zeit später stellte sich heraus, dass der Plan zur Elektrifizie- rung so nicht durchführbar war und man relativierte die Erwartungen). Die Vorstellun- gen, die man sich seinerzeit gemacht hatte, kann man kurz wie folgt zusammenfassen:

„Kommunismus = Sowjetmacht + Elektrifizierung“ [17].

1.3.1 Die Stadt Magintogorsk

GarniersCité industrielleist eine Eisen- und Stahlstadt, eine Stadt, deren Existenz auf der Schwerindustrie fußt. Bereits 1928 stellte die Sowjetunion ihren ersten Fünfjahres- plan auf, der unter anderem die Errichtung der Stadt Magnitogorsk vorsah. Auch Ma- gnitogorsk, am Ural gelegen, ist eine Industriestadt mit vorwiegend eisen- und stahlver-

arbeitenden Betrieben. Magnitogosk sei die „radikale Formulierung der funktionellen Stadt- als sozialistische Stadt“, schreibt May[18]. Miliutin adaptiert dabei in seinen Pla- nungen rationell- industrielle Produktionsprozesse, die, damit sie ökonomisch ablaufen, in einer bestimmten kontinuierlichen Reihenfolge angeordnet werden, ähnlich dem Fließbandschema. Materialien oder Vorprodukte und Arbeitskräfte würden diesem Band quasi parallel zugeordnet und punktuell zugeführt.[19] Übertragen auf die Stadt be- deutet dies, dass sich durch Transportwege, Wohngebiete, Arbeitsbereich/ Fabrikzone und Grüngürtel ein System paralleler Bänder bildet (Abb.1).

„Das tayloristische Prinzip wird aus der Fabrik heraus verlängert [...]“[20], was dadurch in Erscheinung tritt, dass beispielsweise eine Politik der kurzen Wege betrieben wird. Der Weg zwischen dem Arbeitsplatz und der Wohnung soll maximal zehn bis zwanzig Mi- nuten Fußweg betragen, „der Umgang mit Zeit soll ökonomisiert werden“ [21].

Die Siedlung wird von Miliutin gemäß seinen anfangs geschilderten Vorstellungen ent- worfen. Dabei integriert er eisenverarbeitende Betriebe und landwirtschaftliche Betrie- be. Diese zusammen bilden anfangs erwähnte „industriell- agrarische Zentren“. Die Gleichheit aller Bewohner spiegelt sich unter anderem darin wider, dass die Landarbei- ter und Industriearbeiter gemeinsam in einer Siedlung leben. Diese ist die Wohnsied- lung, wodurch er die Funktionstrennung unter anderem vollzieht. Aus der Abbildung (Abb.1) wird besonders deutlich, dass die Funktionen getrennt werden, es keine Durch- mischung gibt. Die medizinische Versorgung würde durch Polikliniken am Stadtrand sichergestellt, Bildungseinrichtungen sollen über die Arbeitsplätze eng mit der Arbeit verknüpft werden. Dabei herrscht die Vorstellung von der „Intellektualisierung der Ar- beiter“ vor. Schulen jedoch würden in einer eigenen Zone gebaut werden, ebenso Kin- derkrippen, die nach und nach die Erziehung der Kinder in der Familie durch die „kol- lektive Kindererziehung“ ersetzt werden. Ebenso sollte sich Familie über kurz oder lang gänzlich der Kommune hingeben, was sich in der Schaffung von Freizeiträumen, Ver- sammlungsräumen, etc widerspiegelt, nicht zuletzt aber in der Wohnzelle (Abb.2). Im Zuge der Rationalisierung des familiären Lebens kann die auch die Wohnung auf die

„minimalen Restfunktionen“ reduziert werden. [22] Miliutin schränkt seine Utopie jedoch selbst ein, in dem er teilweise betont, derartige Veränderungen ließen sich nicht her- beizwingen.

In dieser Stadt als eine Art „Bandstadt“ sollen die Bänder idealerweise wie folgt ange- ordnet werden:

„Eisenbahnline – Produktionszone (samt Forschung und Lehre)- Grünzone mit Fern- straße, mindestens 500 Meter breit- Wohngebiet mit je einem Band für gesellschaftliche Einrichtungen, Wohngebäude und Kindereinrichtungen- Parkzone mit Erholungsein- richtungen, etc- Gärten und Landwirtschaft.“[23]

Die Bauten der Stadt sollten im Design der „funktionalistischen Moderne seiner Zeit (z.B. OSA, Bauhaus, Le Corbusier)“[24] mit neuen Methoden errichtet werden, und gleichzeitiger Konzentration auf „Standardisierung von Bauteilen bei variantenreicher Kombination“[25].

Abschließend bleibt zu erwähnen, dass Miliutins Konzept von den Sowjets nicht reali- siert wurde. Man setzte auf ausländische Experten und „versuchte, [...] praktikable Ide- en ins Land zu holen“ [26].

Miliutin ist nicht der geistige Vater aller seiner Planungsvorschläge. Vielmehr hat er aus den seinerzeit aktuellen Ansätzen der Städteplanung Entwürfe aufgegriffen und teilwei- se in seine Planungen mit übernommen und sie mit eigenen Vorstellungen verschnitten. Die Ideen Miliutins von der Gestaltung Magintogorsks sind grundlegend für die Idee der sozialistischen Stadt (russ: Sotsgorod)[27]. Zwar wurden seine Pläne nicht verwirk- licht, aber in vielen Folgeplanungen neuer Städte treten seine Vorschläge wieder in Er- scheinung.

Die Pläne der Sowjets waren utopisch. Hatte man mit dem ersten Fünfjahresplan vorge- sehen, die Weiten Rußlands zu industrialisieren, so war kurz vor Ende der ersten Pla- nungsperiode, 1931, die Wohnungsnot groß und man sah es als notwendig an, eher in die Wohnungsbau zu investieren. Diese Investitionen waren im ersten Plan äußerst ge- ring bemessen und bedurften einer Aufstockung. So beschloss die KPdSU 1931 auch ein Programm für den Städtebau und das Siedlungswesen, das die Städte

1.4.Wohnkomplexe

Der Wohnkomplex ist eine Ansammlung mehrerer vielgeschossiger Bauten, die in meh- reren Trakten sich beispielsweise um einen Innenhof gruppierten. [28] Merkmale, die spä- ter auch in den sozialistischen Städten wie Stalinstadt auftauchen, sind bereits im Ent- wurf der Kommunehauses (Abb.3) in Moskau zu finden: Der offene Innenhof, die un- tereinander verbundenen Trakte und die symmetrische Anlage von Gemein- schaftseinrichtungen im Zentrum des Komplexes. In diesem 1928 entstandenen Kom- munehaus wird auch im sozialen Bereich versucht, eine Kommune zu schaffen: Eine Hausordnung stellt klar, was die Pflichten der Bewohner sind. Die Lebensbedingungen der Arbeiter sollten verbessert werden, indem sie im Bereich Kindererziehung, Speise- versorgung und Wäschereibetrieb sowie im kulturellen Bereich „vergesellschaftet“ wurden. Diese Dinge oblagen dem Kollektiv, der Kommune. Die Bewohner hätten die Verpflichtung zur Teilnahme an gesellschaftlicher und kultureller Arbeit, ferner sollte das Analphabetentum innerhalb eines Jahres beseitigt sein, „Relikte aus dem alten Le- ben, wie ‚Trunkenbolde‘ und Ikonen, hatten keine Berechtigung, 80 Prozent des Geha l- tes sollten abgeliefert werden.“[29] „Arbeit und Leben werden, wie bei Miliutin, gewis- sermaßen nach einem Prinzip konstruiert: Die (analytische) Zerlegung des Produktions- und Lebensprozesses erlaubt Neuzusammensetzungen, mit denen das Leben im Kollek- tiv erst organisiert werden kann.“[30]

[...]


[1] Vgl. Leser, H. (Hrsg.): Wörterbuch Allgemeine Geographie. München, Braunschweig 1997, S.796

[2] ebenda

[3] Burkhard Hofmeister: Stadtgeographie. Braunschweig 19977, S.222

[4] Burkhard Hofmeister: Stadtgeographie. a.a.O., S.222- 224

[5] Burkhard Hofmeister: Stadtgeographie. a.a.O., S.222- 224

[6] Ruth May: Planstadt Stalinstadt, a.a.O. , S.91

[7] ebenda

[8] ebenda

[9] Ruth May: Planstadt Stalinstadt, a.a.O. , S. 93

[10] Ruth May: Planstadt Stalinstadt, a.a.O. , S. 93- 94

[11] Jörn Janssen: Architektur der Arbeiterbewegung. S. 19 in: Ruth May: Planstadt Stalinstadt, a.a.O. , S. 107

[12] ebenda

[13] ebenda

[14] Ruth May: Planstadt Stalinstadt, a.a.O. , S. 107

[15] ebenda

[16] Vgl. Ruth May: Planstadt Stalinstadt, a.a.O. , S. 107/108

[17] Ruth May: Planstadt Stalinstadt, a.a.O. , S.107

[18] Ruth May: Planstadt Stalinstadt, a.a.O. , S.108

[19] Ruth May: Planstadt Stalinstadt, a.a.O. , S.108

[20] ebenda

[21] ebenda

[22] Ruth May: Planstadt Stalinstadt. a.a.O. , S. 108/109

[23] Ruth May: Planstadt Stalinstadt. a.a.O. , S. 109/110

[24] ebenda

[25] ebenda

[26] Ruth May: Planstadt Stalinstadt. a.a.O. , S. 110

[27] Nikolai A. Milutin soll hier nicht als der „Erfinder oder Entwickler“ des Modells der sozialistischen Stadt dargestellt sein ! (Anm. des Verf.)

[28] Ruth May: Planstadt Stalinstadt. a.a.O. , S. 113

[29] Ruth May: Planstadt Stalinstadt. a.a.O. , S. 113

[30] Ruth May: Planstadt Stalinstadt. a.a.O. , S. 114

Ende der Leseprobe aus 29 Seiten

Details

Titel
Die sozialistische Stadt
Hochschule
Georg-August-Universität Göttingen  (Geografisches Institut)
Veranstaltung
Angewandte Geografie: Stadtgeografie
Note
1.3
Autor
Jahr
2000
Seiten
29
Katalognummer
V1053
ISBN (eBook)
9783638106481
Dateigröße
3778 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Mit zahlreichen Abbildungen.
Schlagworte
Stadtgeografie
Arbeit zitieren
Alexander Gehmlich (Autor:in), 2000, Die sozialistische Stadt, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1053

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