Faszinationskraft von Computer- und Videospielen aus medien- und spielpsychologischer Perspektive

Eine empirische Untersuchung am Beispiel von Tomb Raider und Lara Croft


Diplomarbeit, 2000

92 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

1. Problem
1.1. Nutzung und Verbreitung von Computer- und Videospielen
1.2. Was sind Computer- und Videospiele?

2. Stand der Forschung
2.1. Computerspiele als mediale Unterhaltung
2.2. Computerspiele als Spiele
2.3. Fazit zum Stand der Forschung

3. Theoretischer Zugang
3.1. Medienpsychologischer Zugang
3.1.1. Die Theorien Zillmanns
3.1.2. Der Zugang von Horton und Wohl: Parasoziale Interaktion
3.1.3. Zur Anwendbarkeit des Konzepts der Parasozialen Interaktion auf Computer- und Videospiele
3.2. Spielpsychologischer Zugang
3.2.1. Das Flow-Konzept von Csikszentmihalyi
3.2.2. Der Aktivierungszirkel nach Heckhausen
3.2.3. Aufforderungscharakter in der Feldtheorie Lewins
3.2.4. Zur Anwendbarkeit des Konzepts des Aufforderungscharakters auf Computer- und Videospiele

4. Integration der theoretischen Zugänge
4.1. Der spezifische Aufforderungscharakter von Computer- und Videospielen
4.2. Zur Kompatibilität der beiden theoretischen Zugänge
4.3. Ableitung der Hypothesen

5. Methode
5.1. „Tomb Raider“ und Lara Croft
5.2. Hypothesenprüfung
5.2.1. Unabhängige Variablen
5.2.2. Abhängige Variablen
5.2.2.1. Pretest zur Skalenentwicklung
5.2.2.2. Entwicklung einer Skala zum Aufforderungscharakter auf der Basis empirischer Daten
5.3. Durchführung

6. Ergebnisse
6.1. Beschreibung der Stichprobe
6.2. Zur Eignung der Stichprobe für die Hypothesenprüfung
6.3. Prüfung der Hypothesen

7. Diskussion

8. Literatur

9. Abbildungsverzeichnis

10.Tabellenverzeichnis

11. Abkürzungen und Zeichen

Anhang

1. Problem

„In 1962, the first computer game was invented by some hackers at MIT. It was called Spacewar.... Why was Spacewar the „natural“ thing to build with this new technology? Why not a pie chart or an automated kaleidoscope or a desktop? Its designers identified action as the key ingredient and conceived Spacewar as a game that could provide a good balance between thinking and doing for its players. They regarded the computer as a machine naturally suited for representing things that you could see, control and play with. Its interesting potential lay not in its ability to perform calculations but its capacity to represenct action in which humans could participate“ (Laurel, 1991, S. 1).

Wer sich durch Medien unterhalten will, nimmt typischerweise die Rolle eines Beobachters ein. Die Handlung eines Romans läuft im Kopf der Leser ab, die Geschichte eines Films ‚passiert‘ auf der Leinwand, die Ereignisse der Fernsehshow finden auf dem Bildschirm statt. Traditionelle mediale Unterhaltung ist Unterhaltung durch Medien. Computer- und Videospiele sind ebenfalls mediale Unterhaltungsangebote, doch sie sind ganz anders: Sie sind die bislang einzigen wirklich erfolgreichen Vertreter interaktiver Unterhaltung. Auf viele Menschen üben sie eine geradezu unwiderstehliche Anziehungskraft aus. Diesen Menschen bereitet es offenbar großes Vergnügen, sich nicht nur durch, sondern mit Medien zu unterhalten. Zum Beobachten tritt das Handeln, aus ‚Zeugen‘ werden ‚Täter‘.

Warum faszinieren Computer- und Videospiele ihre Nutzer? Worin besteht die außergewöhnliche Fähigkeit dieser Spiele, so viele Jugendliche und Erwachsene lange Zeit und immer wieder zu fesseln?

Die vorliegende Arbeit liefert einen Versuch, diese Fragestellung zu beantworten. Sie basiert auf der Grundannahme, dass Computer- und Videospiele (im Folgenden auch zusammen­fassend als ‚Computerspiele‘ bezeichnet) Merkmale von klassischer medialer Unterhaltung – nämlich das ‚Zusehen‘ - und von Spielzeugen – nämlich die spielerischen Handlungs­mög­lich­keiten - miteinander verbinden. Deswegen wird der theoretische Zugang sowohl medien- als auch spielpsychologische Überlegungen umfassen. Auf der Basis von Rezeptions- und Spieltheorie wird eine Erklärung für die Faszinationskraft von Computer- und Videospielen entwickelt, die dann in einer empirischen Studie geprüft wird.

Die Relevanz dieser Fragestellung wird deutlich, wenn man sich die Verbreitung von Computer- und Videospielen gerade unter Jugendlichen vor Augen führt: Fast alle jungen Menschen haben bereits Erfahrungen mit diesen Spielen gesammelt (Abschnitt 1.1.). Anschließend wird der Forschungsgegenstand beschrieben: Was sind Computer- und Videospiele (Abschnitt 1.2.)? Ausgehend von diesen Grundlagen werden Forschungsrichtungen in Bezug auf den Gegenstand kurz dargestellt und das vorhandene Wissen über die Anziehungskraft der Computerspiele referiert (Kapitel 2). Vor dem Hintergrund dieser Erkenntnisse wird der theoretische Zugang zum Problem ausgewählt, erläutert und begründet. Auf den medienwissenschaftlichen Aspekt des Problems wird das Konzept der Parasozialen Interaktion angewendet; die spielpsycho­logische Komponente stellt das Konstrukt des Aufforderungscharakters dar (Kapitel 3). Zum Abschluss der theoretischen Überlegungen werden die beiden Konzepte miteinander verbunden, um die Fragestellung zu beantworten. Aus der theoretisch hergeleiteten Erklärung der Faszinationswirkung von Computer- und Video­spielen werden drei Hypothesen entwickelt (Kapitel 4). Es folgt die Darstellung der Methode, mit der sie empirisch geprüft werden (Kapitel 5). Zum Abschluss der Arbeit werden die Ergebnisse der Untersuchung referiert (Kapitel 6) und in Bezug auf die Fragestellung und die theoretischen Vorarbeiten diskutiert (Kapitel 7).

1.1. Nutzung und Verbreitung von Computer- und Videospielen

Im Jahr 1999 waren nach Erkenntnissen des Verbandes Unterhaltungssoftware Deutschland (VUD) rund 11.2 Millionen Videospielkonsolen und tragbare Videospielgeräte in deutschen Haushalten vorhanden. Rund ein Viertel der Bundesbürger ab 10 Jahren hat Zugriff auf ein Videospielsystem (vgl. VUD, 1999). In 44 Prozent der deutschen Haushalte mit Kindern ist eine Konsole installiert (vgl. Feierabend & Klingler, 1999). Die PC-Ausstattung der deutschen Privathaushalte ist seit Jahren kontinuierlich gestiegen und betrug 1999 etwa 16.1 Millionen Rechner (vgl. VUD, 1999). Im Jahr 1998 wurden in Deutschland rund 12.2 Millionen Videospiele (Software) und 30.4 Millionen Computerspiele verkauft (ebd.). Der Absatz hat sich zwischen 1995 und 1998 vervierfacht.

Die Beschäftigung mit Computer- und Videospielen ist mittlerweile ein weit verbreitetes Hobby. Rund 8.2 Millionen Bundesbürger ab 14 Jahren (13 Prozent der Bevölkerung) spielen nach Erkenntnissen der Media-Studie ‚Typologie der Wünsche 99/00‘ zumindest gelegentlich Computer- und/oder Videospiele (vgl. Burda-Verlag, 2000). Besonders unter Jugendlichen sind sie beliebt. Laut AWA 1999 (vgl. Institut für Demoskopie Allensbach, 1999) zählen mehr als 80 Prozent der 14- bis 15jährigen Computerspiele zu ihren Freizeitbeschäftigungen. Bei den 16-17jährigen sind es 76 Prozent, bei den 18-19jährigen 71 Prozent. Mit zunehmendem Alter sinkt zwar die Verbreitung von Computerspielen als Freizeitbeschäftigung, aber auch knapp die Hälfte (49.2 Prozent) der 30-34jähringen gibt an, zumindest „ab und zu“ Computerspiele zu nutzen (vgl. Tabelle 1).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 1. Nutzungshäufigkeit von Computerspielen. Angaben in Prozent der jeweiligen Altersgruppe.

Quelle: Allensbacher Werbeträger Analyse 1999.

Ein ähnliches Bild zeigt sich in den USA. Rund 60 Prozent aller US-Amerikaner – 145 Millionen Menschen - spielen regelmäßig Computer- oder Videospiele. Noch vor Fernsehen, Kino und Büchern sind Computer- und Videospiele das beliebteste Unterhaltungsmedium der Amerikaner (vgl. Interactive Digital Software Association, 2000).

Zu der Frage, wieviel Zeit im Durchschnitt für Computer- und Videospiele aufgewendet wird, ist bisher wenig bekannt. Nach einer Studie des Egmont-Ehapa-Verlages (1999) verbringen bereits 8- und 9jährige im Durchschnitt mehr als eine Stunde pro Tag am Computer, bei den 14- und 15jährigen sind es mehr als zwei Stunden, wobei diese Zeit nicht ausschließlich auf Spiele entfällt (vgl. Tabelle 2). Allerdings ergaben mehrere Studien, dass Spiele unter Kindern und Jugendlichen die beliebteste Art sind, Computer zu nutzen (vgl. Weiler, 1997; Feierabend & Klingler, 1999).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 2. Nutzungsdauer von Computern unter Jugendlichen. Quelle: Egmont Ehapa Verlag (1999).

Jungen nutzen tendenziell ihre Rechner länger als Mädchen (109 Minuten gegenüber 80 Minuten). Die durchschnittliche Nutzungsdauer liegt in den Ferien deutlich höher als zu Schulzeiten (124 Minuten gegenüber 91 Minuten), was die Bedeutung des Computers für die Freizeitgestaltung unterstreicht (vgl. Egmont Ehapa Verlag, 1999).

Computer- und Videospiele haben unter den Unterhaltungsmedien zweifelsohne eine heraus­ragende Stellung erreicht. Ein Großteil der Jugendlichen, aber auch viele junge Erwachsene gehören zu den aktiven Spielern und verbringen viel Zeit mit diesem Medium. Technische Neuerungen wie das Spiel im Netzwerk oder über das Internet erweitern das Angebot und werden vermutlich die Beliebtheit dieses Mediums noch steigern (vgl. Gründel, 2000). Insofern kommt der wissenschaftlichen Untersuchung dieser Spiele eine große Bedeutung zu.

1.2. Was sind Computer- und Videospiele?

Computer- und Videospiele sind Softwareprodukte, die für ihre Benutzung eine Hardware-Plattform benötigen. Computerspiele werden auf Personal Computern (früher DOS-, heute Windows-PC sowie Apple-Macintosh-Rechnern) betrieben, Videospiele laufen auf eigens für ihre Nutzung konzipierten sogenannten Konsolen und nutzen statt eines PC-Monitors ein Fernsehgerät zur Wiedergabe. Dies ist der zentrale Unterschied zwischen Computerspielen und Videospielen.

Das Angebot an Computer- und Videospielen ist extrem heterogen und entwickelt sich rasant weiter. Es zu beschreiben und zu kategorisieren ist ein schwieriges Unterfangen, denn alle „bislang unternommenen Ordnungsversuche haben sich nach kurzer Zeit als „überholt“ erwiesen“ (Fritz, 1997a, S. 87). Die aktuellen Bemühungen, den Gegenstand zu systematisieren, sollen hier nicht expliziert werden (vgl. dazu ausführlich: Fritz & Fehr, 1999; Griffiths, 1999). Auch die Geschichte dieses Mediums soll nicht ausgebreitet werden (vgl. dazu: Hengst, 1997). Statt dessen werden die drei zentralen Dimensionen, anhand derer sich Computer- und Videospiele charakterisieren und voneinander unterscheiden lassen, vorgestellt. Dies sind die Merkmale Szenario, Aufgabe und Mediale Repräsentation.

Computer- und Videospiele konstruieren ähnlich wie Filme einen narrativen Kontext. Zu diesem Szenario gehören meistens geographische und historisch/zeitliche Gegebenheiten, physikalische und technische Grundlagen (z. B. die Beschaffenheit der Umwelt, die Intensität der Schwerkraft, die Wirksamkeit von paranormalen Kräften) sowie Informationen über die auftretenden Medienfiguren. Eine schier unendliche Vielfalt von Szenarien kennzeichnet das bestehende Angebot von Computer- und Videospielen. Einige Beispiele sind in Abbildung 1 aufgeführt.

Innerhalb des Szenarios wird den Spielern ein Platz zugewiesen. Sie übernehmen eine bestimmte Rolle und müssen eine entsprechende Aufgabe bewältigen. Durch die ‚Bearbeitung‘ dieser Aufgabe kommt das Spielgeschehen voran; die Handlungen der Spieler produzieren Ergebnisse und beeinflussen die Spielwelt. So vielfältig wie die Szenarien von Computer- und Videospielen sind die Aufgaben, die es zu bewältigen gilt. Je nach Spiel müssen z. B. die Funktionen von Detektiven, Feldherren, Fußballern, Händlern, Landschaftsplanern, Magiern, Managern, Piloten, Rennfahrern oder Scharfschützen ausgeübt werden.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Szenario und Aufgaben des Computerspiels fließen zusammen in der Medialen Repräsentation. Es gibt zahlreiche unterschiedliche Wege, die Spielwelt, die Nutzerhandlungen darin und ihre Wechselwirkungen darzustellen. Zentral sind dabei die Dimensionen ‚Raum‘ und ‚Zeit‘. Auch hier gibt es zahlreiche Varianten (vgl. Wolf, 1995). Aus den verschiedensten Perspektiven wird die Spielwelt dargestellt, etwa aus der Vogelperspektive oder aus einem Blickwinkel ‚mitten drin‘ (vgl. Abbildung. 2). Die Spiel-Zeit läuft zum Beispiel in „Runden“ ab – ähnlich wie ein Schachspiel – oder in einem kontinuierlichen Strom der Ereignisse („Echtzeit“).

Abbildung 2. Beispiele für unterschiedliche Formen der Raumrepräsentation in Computer- und Videospielen. Links oben: „Perfect Dark“ [3D-Ego-Perspektive], rechts oben: „Age of Empires II“ [Übersichtsperspektive], links unten: „Soul Calibur“ [Seitliche Perspektive], rechts unten: „Star Wars Episode I – The Phantom Menace“ [Mischform: 3D- Übersicht mit Spielfigur am unteren Bildrand].

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Angesichts der zahlreichen Möglichkeiten, die unterschiedlichen Ausprägungen auf den drei vorgestellten Dimensionen miteinander zu kombinieren, erklärt sich die Schwierigkeit, Computer- und Videospiele zu systematisieren. So können die Spiele nur auf einer allgemeinen Ebene beschrieben werden, ansonsten würde man sich unweigerlich in der Vielfalt und Kom­plexität der Merkmale verlieren. Die zentralen Eigenschaften von Computer- und Videospielen sind also das Szenario, die Aufgabe, mit der die Spieler konfrontiert werden und die Mediale Repräsentation von Ereignissen und Spielerhandlungen. Mit klassischen Medien haben Computer- und Videospiele das Szenario gemeinsam; Romane und Filme sind ebenfalls in einer bestimmten ‚Fantasiewelt‘ angesiedelt (z. B. Science-Fiction-Filme und sog. Fantasy-Romane). Gleichzeitig weisen Computer- und Videospiele auch Merkmale von elektronischem Spielzeug auf. Mogel (1994, S. 161) beschreibt diese Gemeinsamkeit in Anlehnung an die beliebte Modell­eisenbahn als „aktive Weiche“: Das Spielzeug bietet den Spielern eine Entscheidungs- und Eingriffsmöglichkeit an und liefert ein direktes Feedback (z. B. durch Umleiten des Zuges). So lassen sich bei Computer- und Videospielen sowohl Eigenschaften von Unterhaltungs­medien als auch von elektronischem Spielzeug erkennen. Deshalb bezeichnen Charlton und Neumann (1990, S. 72) Computerspiele als „Mischform aus Roman und Planspiel“.

2. Stand der Forschung

Das Feld der Computer- und Videospiele ist bisher vergleichsweise selten wissenschaftlich untersucht worden. Insbesondere die Medienwissenschaft hat sich noch nicht ausführlich mit diesem Gegenstand beschäftigt; die meisten Arbeiten stammen aus dem Bereich der Pädagogik (vgl. Fritz & Fehr, 1997; Laudowicz, 1998).

Zahlreiche Computer- und Videospiele weisen gewalttätige Inhalte auf (vgl. Provenzo, 1991; Dietz, 1998). Daher wird intensiv über die Frage diskutiert, ob die Beschäftigung mit solchen Spielen aggressives Verhalten fördert (vgl. Griffiths, 1999). Während die öffentliche Meinung dazu neigt, hier eine Ursache für gewalttätiges Verhalten in der Realität zu sehen (vgl. Lott & Steinlechner, 2000), ließen die empirischen Befunde bislang keinen eindeutigen Zusammen­hang erkennen (vgl. z. B. Scott, 1994; Funk & Buchman, 1996; Ballard & Lineberger, 1999). Die theoretisch fundierten Untersuchungen von Anderson und Dill (2000) führten allerdings zu dem Ergebnis, dass gewalttätige Computerspiele sowohl kurz- als auch langfristig aggressive Verhaltensweisen fördern.

Neben den gewalttätigen Inhalten beschäftigt sich die Forschung mit dem Phänomen, dass männliche Personen sehr viel häufiger und intensiver Computerspiele nutzen als weibliche Personen (vgl. Cassel & Jenkins, 1999; Feierabend & Klingler, 1999). Ein Grund dafür wird in der Darstellung der Geschlechter in den Spielen gesehen. Häufig stehen den fast durchweg männlichen Helden schwache, hilfsbedürftige weibliche Opfer gegenüber (vgl. Sherman, 1997; Dietz, 1998). Daraus wird der Vorwurf abgeleitet, dass Computer- und Videospiele dazu beitragen, überkommene Rollenmuster an Jugendliche zu vermitteln. Aus diesem Grund und wegen der gewalttätigen Inhalte wird befürchtet, dass Computerspiele Mädchen vom Umgang mit Computertechnologie fernhalten (vgl. Yates & Littleton, 1999).

Ein dritter Forschungsbereich sind die Folgen der intensiven Nutzung von Computer- und Videospielen. Die Faszinationskraft banne – so der Vorwurf – viele Spieler stundenlang vor dem Bildschirm, so dass hier bereits eine Suchtgefahr vermutet wird (vgl. May, 1994; Griffiths & Hunt, 1998). Zudem wird die Frage diskutiert, ob der hohe Zeitaufwand für diese Spiele negative Konsequenzen im Leben von Vielspielern nach sich zieht, etwa für das Sozialverhalten (vgl. Fritz, Hönemann, Misek-Schneider & Ohnemüller, 1997) oder die schulischen Leistungen (vgl. Roe & Muijs, 1998). Da Videospiele oftmals in Gesellschaft von Freunden oder Geschwistern gespielt werden, kann der ebenfalls geäußerte Vorwurf der Vereinsamung durch intensives Spielen als entkräftet gelten (vgl. Durkin & Aisbett, 1999; Petzold, 2000).

Die Forschung über Computer- und Videospiele befasst sich jedoch nicht nur mit möglichen Problemen. Gerade im Bereich der Pädagogik gibt es zahlreiche Untersuchungen darüber, inwiefern die Spiele den Unterricht bereichern und Jugendliche dabei unterstützen können, sich neue und spezifische Fertigkeiten anzueignen (vgl. z. B. Greenfield, DeWinstanley, Kilpatrick & Kaye, 1994; Lukesch, 1995; Amory, Naicker, Vincent & Adams, 1999).

Doch welche Vorstellungen existieren zur eigentlichen Nutzung von Computerspielen und der Faszinationskraft, die von ihnen ausgeht? Nach Griffiths (1997) spielen Jugendliche haupt­sächlich, weil es Spaß macht, weil es eine Herausforderung ist, weil sie nichts anderes zu tun haben und weil ihre Freunde ebenfalls spielen. Zu ähnlichen Erkenntnissen gelangt eine repräsentative Befragungsstudie des Australischen Office of Film and Literature Classification (Durkin & Aisbett, 1999). Angesichts der häufigen thematischen Orientierung von Computer­spielen an Kampf und Konflikt vermuten andere Autoren den Antrieb zur Nutzung im Erleben von Machtgefühlen (vgl. Fritz, 1995; 1997b; Wegge, Quäck & Kleinbeck, 1995; Krambrock, 1998). Am Nutzungsvorgang selbst orientieren sich nur wenige Versuche, die Faszinations­wirkung von Computer- und Videospielen zu erklären. Vorgestellt werden die medienpsychologischen Ausführungen Grodals (2000) sowie die spielpsychologischen Überlegungen Mogels (1994) und Oerters (1999).

2.1. Computerspiele als mediale Unterhaltung

Grodal (2000) vergleicht die intensive Wirkung von Computer- und Videospielen mit den Unterhaltungs­effekten des Films und sieht in dem Angebot an die Spieler, aktiv einzugreifen, den entscheidenden Unterschied zwischen den beiden Medien (vgl. auch Knobloch, 2000; Vorderer, 2000). Bei der Filmrezeption beurteilen die Zuschauer die aktuelle Situation daran, ob die betroffenen Medienfiguren in der Lage sind, sie zu bewältigen. Der Bezugspunkt für die Situationsbewertung ist also die Medienfigur. Immer wenn es fraglich ist, ob die Figur die Situation bewältigen kann, entsteht Spannung bzw. Neugier. Daraus folgt die Motivation, den Film weiter zu verfolgen. Bei Computer- und Videospielen dagegen sind die Bezugspunkte der dargestellten Situation nicht die Medienfiguren, sondern die Spieler selbst. Ihre Fähigkeiten sind nun Grundlage der Bewer­tung, denn sie müssen die Situation selbst durch aktives Eingreifen meistern. „Video games therefore stimulate emotions in a form that is closer to typical real-life experience than film: Emotions are motivators for actions and are labeled according to the player´s active coping potentials“ (Grodal, 2000, S. 201). Während die Emotionen bei der Filmrezeption in aller Regel auf die Medienpersonen bezogen sind (sog. Sozio-Emotionen, vgl. Bente & Vorderer, 1997), überwiegen bei hoch interaktiven Medien die selbstbezogenen Gefühle (sog. Ego-Emotionen, vgl. Vorderer, 1998). Denn „in video games, ..., the game character and the player are fused“ (Grodal, 2000, S. 206). Erfolge und Misserfolge im Spiel müssen die Spieler selbst verantworten. Im Gegensatz zum Film freut man sich also nicht mit den Protagonisten über deren Leistungen, sondern ist glücklich über seine eigenen Leistungen. Deswegen – so die Annahme – fallen die emotionalen Wirkungen von Computer- und Videospielen besonders intensiv aus und führen zu einer starken Spielmotivation.

Ein weiterer Unterschied zwischen Film und Videospiel besteht in der Spannung verursach­enden Unsicherheit über den Ausgang einer Situation. Beim Film besteht diese Unsicherheit nur während des ersten Rezeptionsvorgangs. Beim zweiten Mal wissen die Zuschauer bereits, wie eine Situation ausgehen wird (vgl. Carroll, 1996) und müssen dieses Vorwissen ausblenden, um erneut Spannung zu empfinden. Beim Computerspiel dagegen hängt bei jeder Wiederholung einer Spiel-Situation das ‚Outcome‘ von der jeweiligen Leistung der Spieler ab. Der Ausgang ist also bei jeder Wiederholung völlig offen (vgl. Grodal, 2000). Demnach besitzt auch die wieder­holte Spiel-Nutzung einen besonderen Reiz.

Die medienpsychologischen Überlegungen zur Faszinationskraft von Computer- und Videospielen orientieren sich an den vorhandenen Theorien zum Erleben nicht-interaktiver Unterhaltung. Es ist außerordentlich schwierig, auf diese Weise hoch interaktive Unterhaltung zu erklären, „weil alle vorhandenen Theorien [der Unterhaltungsforschung] eine ... Möglichkeit der Einflußnahme durch die Rezipienten schlicht nicht vorsehen“ (Vorderer, 1999, S. 45). Während sich die Medienpsychologie bislang nur selten mit dem Phänomen der Unterhaltung durch aktives Handeln beschäftigt hat, ist dies schon seit langem Gegenstand spielpsychologischer Forschung.

12.2. Computer- und Videospiele als Spiele

Computer- und Videospiele lassen sich nicht nur als mediale Unterhaltung, sondern auch als Spiel auffassen. Die drei zentralen Merkmale von Spielhandlungen sind nach Oerter (1999a) die verkürzte Handlungsstruktur, der Wechsel des Realitätsbezugs und die Wiederholung. Im Folgenden werden diese drei Merkmale kurz erläutert und gezeigt, dass sie auch auf Computer- und Videospiele zutreffen.

Verkürzte Handlungsstruktur

In Anlehnung an das Handlungsmodell von Heckhausen (1977) charakterisiert Oerter (1999a, S. 5-6) Spiel als eine Handlung, deren Struktur gegenüber Alltagshandlungen verkürzt ist (vgl. Abbildung 3). Während eine Handlung üblicherweise aus den Komponenten Ziel – Handlung – Ergebnis – Folge besteht, modelliert Oerter eine Spielhandlung als Abfolge der Komponenten Ziel – Handlung – Ergebnis. Im Gegensatz zu anderen Handlungen sind die Folgen nicht zentraler Bestandteil der Handlungskette; Folgen sind nicht vom Spieler intendiert. Spiel konzentriert sich also nicht auf die Folgen, sondern „die Tätigkeit selbst rückt in den Vorder­grund“ (Oerter, 1999a, S. 6). „Jeder außerhalb des Spielens liegende Zweck entfällt“ (Mogel, 1994, S. 9). Das offenkundige Vergnügen entsteht aus der Tätigkeit: „Fun as the Essence“ (Sutton-Smith, 1997, S. 187). Darin liegt der Hauptunterschied zwischen Spiel- und Ernsthandlungen, denn letzte werden üblicherweise ausgeführt, um ein Ziel außerhalb der Tätigkeit zu erreichen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Es ist offensichtlich, dass der Reiz von Computer- und Videospielen innerhalb der Tätigkeit liegt. Kein Spieler beschäftigt sich mit Videospielen, um etwa Geld zu verdienen oder ein anderes Ziel außerhalb des Spielens zu erreichen. Computerspiele bieten „eine Grundkom­ponente für Spiel an, nämlich die fortlaufende Verstärkung einer Reaktion bzw. deren kontingente Rückmeldung. ... Durch dieses Prinzip wird auf basaler Ebene gewährleistet, dass die Handlung innerhalb des Systems Selbstzweck bleibt, auch wenn bestimmte fernliegende Ziele wie Gewinnen mit ihr verfolgt werden. Die Handlung wird gewissermaßen durch die kontingente Bildschirminformation getriggert“ (Oerter, 1999a, S.202-203). Die Teilnahme an einem fortlaufenden Zyklus aus Eingabe und Effekt bindet die Aufmerksamkeit der Spieler und führt so zu dem oft beobachtbaren hohen Involvement. Das erste Merkmal von Spielhandlungen trifft also offenkundig auf Computer- und Videospiele zu.

Wechsel des Realitätsbezugs

Spielende setzen sich über diese verbindliche Realität [des Alltags, Anm. d. Verf.] hinweg und konstituieren eine neue Realität, die ihren momentanen Bedürfnissen und Zielsetzungen entspricht und deren Erfüllung zuläßt“ (Oerter, 1999a, S. 9).

Spielhandlungen erschaffen einen imaginierten Rahmen, in dem andere Maßstäbe, Regeln und Gesetze gelten können als in der Alltagswelt. Deutlich wird diese Realitätskonstruktion am Rollenspiel. Kinder eignen sich für die Dauer der Spielhandlung Kompetenzen an, die sie sonst nicht besitzen, z. B. die Autorität einer Lehrerin, den Reichtum einer Kaufladen-Kundin, den Heldenmut eines Cowboys. Spielen mehrere Personen gemeinsam, dient ihnen ein „vereinbarter Rahmen“ (Oerter, 1999a, S. 11) als inhaltliche Grundlage. Bei einem Gesellschaftsspiel oder bei Sportspielen wird ein bestimmtes Regelwerk zugrunde gelegt. Es definiert die Abläufe innerhalb der Spielwelt und grenzt das Spiel gegen die Alltagswelt ab.

Auch bei Computer- und Videospielen findet ein solcher Wechsel des Realitätsbezugs statt. Die meisten Spiele bieten sogar besonders umfassend und detailliert dargestellte Fantasiewelten an (vgl. Abschnitt 1.2.). Aufgrund der medialen und handlungsbezogenen Präsentation vermitteln Computerspiele einen besonders intensiven Eindruck dieser zweiten Realität und erleichtern es den Spielern, sich in die Spiel-Welt hineinzuversetzen. Das zweite Merkmal von Spielh­and­lungen trifft also ebenfalls auf Computer- und Videospiele zu. Auch in dieser Hinsicht sind Computer- und Videospiele eine besonders vereinnahmende Spielform.

Wiederholung

Motiviert durch das Vergnügen, das beim Ausführen spielerischer Handlungen erlebt wird, wiederholen Kinder oftmals ihre Spielhandlungen. Bei kleinen Kindern lässt sich die Freude daran beobachten, den Effekt einer bestimmten Handlung immer wieder herbeiführen zu können. Die Wiederholung verlängert die Spieltätigkeit und ermöglicht es den Spielern, ihren angestrebten Zustand für eine größere Zeitspanne beizubehalten. Wiederholungen können auch zu „intensiveren Emotionen und manchmal auch zu intensiveren Handlungen“ (Oerter, 1999a, S. 16) führen. So steigert die Repetition das Spielerleben. Bei komplexeren Spielen sind Wiederholungen nötig, damit sich die Spieler mit ihren Handlungsmöglichkeiten vertraut machen und sie einüben können. So entsteht das Vergnügen der Handlung auch durch die schrittweise Verbesserung der eigenen Spiel-Leistungen.

Wiederholte Spielhandlungen bestehen nicht immer darin, einen Bewegungsablauf immer wieder zu reproduzieren. Sie liegen auch dann vor, wenn die Spieler die gleiche Handlung auf verschiedene Gegenstände anwenden (z. B. verschiedene Puppen kämmen) oder am gleichen Gegenstand unterschiedliche Handlungen verrichten (z. B. eine Puppe waschen, füttern, anziehen und kämmen) (vgl. Oerter, 1999a).

Wiederholungen sind also für Spielhandlungen deshalb kennzeichnend, weil sie das Vergnügen des Spiels steigern, indem sie positiv erlebte Effekte immer wieder hervorbringen, durch Varia­tion von Handlung oder Gegenstand ein mittleres Maß an Abwechslung bieten und gleich­zeitig die Fähigkeiten der Spieler verbessern. So erschließen sich den Spielern durch Wiederholung mehr und bei Bedarf neuartige Spielvergnügen.

Auch das Merkmal der Wiederholungen trifft auf Computer- und Videospiele zu. Viele Nutzer wenden sich täglich dieser Beschäftigung zu, und bestimmte Spiele-Titel werden mehr als einmal „durchgespielt“, z. B. um neue Lösungswege für bestimmte Probleme auszuprobieren, mehr Punkte zu erhalten oder die Leistung eines Mitspielers zu übertreffen (vgl. Mogel, 1994).

Da die drei Charakteristika von Spielhandlungen auf das Computerspielen zutreffen, lässt sich die Beschäftigung mit ihnen als Spielhandlung auffassen. Deshalb ist es angemessen und sinn­voll, die Erkenntnisse der Spielpsychologie auf die Frage nach der Faszinationskraft dieser Spiele anzuwenden. Aus spielpsychologischer Sicht besteht die Attraktivität des Computer­spielens in der „nahezu perfekten Nachgestaltbarkeit eines realen Aktionszusammenhangs ... [in einem] symbolisch-figurativen Realitätsbereich“ (Mogel, 1994, S. 171). Die Spiele bilden die Realität nicht nur wie andere Spielzeuge ab, sondern erlauben ihren Nutzern, in hohem Maße wirklichkeitsgetreue Erfahrungen in ansonsten nicht verfügbaren Lebensbereichen zu machen. Gerade kindliche und jugendliche Spieler können sich durch Computerspiele Handlungs-Spiel-Räume eröffnen, die ihnen in der Wirklichkeit verschlossen sind (vgl. Abschnitt: 1.2.). Spiele helfen ihren Nutzern dabei, die Spannung zwischen der momentanen Unerreichbarkeit gewünschter Zustände (z. B. den Kompetenzen eines erwachsenen Polizisten) und dem Bedürfnis nach schneller Wunscherfüllung zu überwinden (vgl. Wygotski, 1980[1933]). Durch ihre realistische und handlungsbezogene Darstellung eignen sich Computerspiele für diesen Zweck besonders gut, denn sie vermitteln den Eindruck von ‚wirklichen‘ Handlungen. Die Spieler „erleben sich als wirkungsvoll, effektiv, selbstbestimmt, mächtig, als Chef des Spielgeschehens“ (Mogel, 1994, S. 174) – eine Erfahrung, die gerade junge Menschen außerhalb des Spielens eher selten machen und die deswegen besonderes Vergnügen bereitet. So leistet die Beschäftigung mit Computerspielen einen Beitrag zur „Lebensbewältigung“ (Oerter, 1999b, S. 47) der Spieler, denn durch Spielen entziehen sie sich für eine Weile dem starken Sozialisationsdruck, den das Umfeld mit seinen Regeln, Einschränkungen und Erwartungen auf sie ausübt.

2.3. Fazit zum Stand der Forschung

Während über die möglicherweise problematischen Folgen der Nutzung von Computerspielen heftig debattiert wird, steht die Forschung zur Faszinationskraft dieser Spiele noch am Anfang.

Der hybride Charakter von Computer- und Videospielen – als Mischform aus Medium und Spielzeug – führt dazu, dass sowohl in der Medien- als auch in der Spielpsychologie Über­le­gungen zu ihrer Attraktivität angestellt werden. Während die medienpsychologischen Theorien eine aktive Einflussnahme durch die Rezipienten nicht berücksichtigen (vgl. Vorderer, 1999) und deswegen nur mit Schwierigkeiten auf Computerspiele angewendet werden können, greift die Spielpsychologie auf ihre handlungstheoretisch fundierten Erkenntnisse zurück und betrachtet Computerspiele als besondere Form des elektronischen Spielzeugs (vgl. Mogel, 1994). Versteht man Computerspiele jedoch als Mischform aus Medium und Spielzeug, so erscheint es angemessen, medien- und spielpsychologische Erklärungen für ihre Faszina­tions­kraft miteinander zu verbinden. Denn „Users of interactive media seem to be captivated by two roles at the same time: the role of a witness and the role of a participant or player“ (Vorderer, 2000, S. 31). Die erste Rolle, die des ‚Zeugen‘, lässt sich mit medienpsycho­lo­gi­schen Erkenntnissen über die Rezeption nicht interaktiver Medien erfassen. Für die zweite Rolle, die des ‚Täters‘ – Vorderer weist bereits darauf hin – bietet sich ein spielpsychologischer Zugang an. Denn dass Computerspiele die grundsätzlichen Merkmale von Spielen besitzen, wurde bereits gezeigt (vgl. Abschnitt 2.2.). Die Spielpsychologie beschäftigt sich mit spielerischem Handeln, also dem Aspekt, um den die bisherigen medien­psycho­logischen Theorien ergänzt werden müssen, wenn sie auf interaktive Medien angewen­det werden sollen (vgl. auch Knobloch, 2000).

3. Theoretischer Zugang

Die Verbindung einer medien- und einer spielpsychologischen Theorie kann – so scheint es - die Faszinationskraft von Computer- und Videospielen besser erklären als eine der beiden Perspektiven für sich allein. Um eine solche Verbindung herzustellen, werden zunächst je ein medien- und ein spielpsychologischer Zugang ausgewählt und vorgestellt. Anschließend werden die selektierten Konzepte miteinander verbunden (Kapitel 4).

3.1. Medienpsychologischer Zugang

3.1.1. Die Theorien von Zillmann

Die wichtigsten theoretischen Grundlagen der medienpsychologischen Unterhaltungs­forschung hat Dolf Zillmann gelegt. Er erklärt die Zuwendung zu medialer Unterhaltung damit, dass die Rezipienten auf diese Weise ihr Bedürfnis, eine angenehme, positive Stimmung zu erlangen oder beizubehalten, erfüllen können (sog. Mood Management; vgl. Zillmann, 1988). Mit dem Erleben von Unterhaltungsangeboten sind also Gefühle und Stimmungen verbunden. Wie diese Emotionen entstehen, erklären zwei weitere Theorien Zillmanns, nämlich die Affective Disposition Theory (Zillmann; 1994; 1996) und die Exitation Transfer Theory (Zillmann, 1983).

Die Affective Disposition Theory betrachtet den Prozess der Unterhaltungsrezeption. Sie geht davon aus, dass die Rezipienten moralische Werturteile über die Medienfiguren fällen und ihnen entsprechende positive oder negative Gefühle entgegenbringen. Die Zuschauer sind empathisch mit den Figuren, die sie mögen (also den „good guys“). Sie wünschen ihnen ein gutes ‚Outcome‘ und hoffen gleichzeitig, dass den „bad guys“ etwas Schlechtes widerfährt. Diese Sorgen und Hoffnungen führen zu Spannung, sobald das Wohl der ‚Guten‘ bedroht ist und/oder ein Erfolg der ‚Bösen‘ einzutreten scheint – was typischerweise bei „Spannungs­filmen“ ständig der Fall ist. Ursache für das Unterhaltungserleben sind also Sozio-Emotionen (vgl. Bente & Vorderer, 1997).

Am Ende eines typischen medialen Unterhaltungsangebots steht das „Happy End“: Die über den Film oder Roman hinweg aufgebaute Spannung löst sich auf, das von den Rezipienten erhoffte gute ‚Outcome‘ für die „good guys“ tritt ein, während die „bad guys“ ihre gerechte Strafe erhalten. Die Exitation Transfer Theory (Zillmann, 1983) argumentiert, dass die während des Rezeptionsverlaufs angesammelte Spannung nicht mit dem Happy End schlagartig verschwindet, sondern langsam abklingt. Die emotionale Erregung der Rezipienten bleibt also erhalten. Sie wird jedoch durch das Happy End positiv umgedeutet und verwandelt sich in euphorische Freude, die wiederum zentraler Bestandteil des Unterhaltungserlebens ist.

Zillmanns Theorien orientieren sich am klassischen medialen Unterhaltungsangebot (z. B. einem Krimi oder einem Thriller) und haben sich in zahlreichen Studien empirisch bewährt. Ihrem Gegenstand entsprechend konzeptualisieren sie die Nutzer von Unterhaltungsangeboten als passive Beobachter. Die Medieninhalte, vor allem die Charaktere, ‚erzeugen‘ durch ihr Handeln Bewertungen und Emotionen und sind gewissermaßen von sich aus, ohne das Zutun der Rezipienten, unterhaltsam. Doch eben dieses Mitwirken der Rezipienten ist für Computer- und Videospiele zentral (vgl. Abschnitt 2.1.). Aus diesem Grund erscheint wie bereits dargelegt (vgl. Abschnitt 2.3.) die Verbindung von Medienpsychologie und Spieltheorie sinnvoll. Es ist darüber hinaus jedoch notwendig, ein medienpsychologisches Konzept heranzuziehen, das die Rezipienten im Vergleich zu Zillmanns Theorien als aktiver und unabhängiger versteht. Denn die passiv-beobachtende Rolle, welche die Zuschauer nach Zillmann einnehmen, steht in zu deutlichem Widerspruch zu den teilweise sehr energischen Aktivitäten, die Computerspieler während der Rezeption oder besser: während des Spielens entfalten und ohne die das Unterhaltungserleben beim Spielen ausbleibt (vgl. Grodal, 2000).

3.1.2. Der Zugang von Horton und Wohl: Parasoziale Interaktion

Eine solche Vorstellung vom „aktiven Rezipienten“ (Gleich, 1997) entwickelt das Konzept der Parasozialen Interaktion von Horton und Wohl (1956; vgl. auch Horton & Strauss, 1957). Sie beschreibt die Fernsehrezeption als „interpersonales Geschehen zwischen abgebildeten Personen und Rezipienten“ (Wulff, 1996, S. 163). Im Unterschied zu Zillmann gehen Horton und Wohl also davon aus, dass die Medienfiguren („personae“) die Rezipienten direkt ansprechen und in das Geschehen auf dem Bildschirm einbeziehen. ‚Unterhalten‘ werden die Zuschauer durch die „illusion of [a] face-to-face relationship with the performer“ (Horton & Wohl, 1986, S. 185). Sie empfangen von den Medienfiguren „Interaktionsangebote“ und können zumindest in Gedanken auf diese eingehen (z. B. durch Einnehmen einer imaginierten Rolle innerhalb der Interaktion).

Inspiriert zu der Idee, Fernsehrezeption als Parasoziale Interaktion aufzufassen, wurden Horton und Wohl (1956) von der Betrachtung nicht-fiktionaler Medienpersonen wie Quiz-Master, Ansager oder Moderatoren. An ihnen ließ sich die direkte Ansprache des Publikums besonders gut beobachten. Durch Äußerungen, Bewegungen und Gesten bemühen sie sich, ihre Zuschauer mit einzubeziehen. Typische Beispiele sind neben der direkten Ansprache der Zuschauer der Blick in die Kamera, einladende Handbewegungen, sprachliche Wendungen („wir gehen jetzt mal zu unseren Kandidaten“), Aufforderungen zum Mitraten und antizipierte Zuschauerreaktionen („Jetzt fragen Sie sich sicherlich ...“). Medienpersonen versuchen also, ihren Zuschauern als Mensch möglichst nahe zu kommen, indem sie die Barriere des Bildschirms scheinbar überwinden. Horton und Wohl (1956) nennen dieses Phänomen „Intimacy at a Distance“. Neben direkt auf das Publikum gerichtete Handlungen können auch soziale Interaktionen innerhalb der Sendung diese Grenze zu überqueren helfen: „The most usual way of achieving this ambiguity is for the persona to treat his supporting cast as group of close intimates“ (Horton & Wohl, 1986, S. 189). Die Präsentation des Medienangebots als soziale Situation trägt also ebenfalls dazu bei, dass die Zuschauer sich selbst als Teilnehmer eben dieser Situation auffassen. Aus diesem Grund wird das Konzept der Parasozialen Interaktion auch auf die Rezeption von fiktionalen Medienangeboten (z. B. TV-Serien) angewendet, in denen sich die Personae in der Regel nicht direkt oder explizit zum Publikum hin orientieren (vgl. z. B. Vorderer, 1996).

Im Mittelpunkt des Konzepts stehen jedoch nicht die Personae, sondern die Rezipienten. Denn die Medienpersonen unterbreiten ihre Interaktions-‚Angebote‘ einem Publikum, über das sie wenig wissen und das sie nicht sehen können. Ihr Verhalten ist zu den Zuschauern hin geöffnet und verlangt nach einer „rather specific answering role to give it closure“ (Horton & Wohl, 1986, S. 191). Ob und ‚wie viel‘ Interaktion zustande kommt, hängt also von den Zuschauern ab. Sie entscheiden, ob sie die ihnen angediente Rolle einnehmen, sich also auf ein „conversational give and take“ (Horton & Wohl, 1986, S. 186) mit den Medienpersonen einlassen. Grundlage für diese Entscheidung ist, dass die Rezipienten die Personae als soziale Entitäten auffassen, die überhaupt als Partner für eine Art von sozialer Interaktion in Frage kommen. Fernsehen ist im Vergleich zu anderen Medien besonders gut dazu geeignet, diese „ordinary social perception“ (Horton & Wohl, 1986, S. 185) zu ermöglichen: Es erzeugt sehr ‚realistische‘ Eindrücke und stellt Menschen so dar, wie sie auch ‚in der Wirklichkeit‘ wahrgenommen werden (vgl. Weidenmann, 1989). Nur wenn die Zuschauer das Interaktions­angebot in der von den Personae angedachten Weise annehmen, entsteht das ‚typische‘ Rezeptionserleben. Es besteht in aktivem „sozialen Handeln“ (Gleich & Burst, 1996, S. 183) der Zuschauer gegenüber den Medienpersonen, das in vielerlei Hinsicht dem Handeln in sozialen Situationen des Alltags gleicht. Elemente dieses sozialen Handelns sind „Prozesse der Personenwahrnehmung und –beurteilung, Attributionen, soziale Vergleiche und Validierungen, Verhaltensantizipationen und personenbezogene innere Verbalisierungen“ (Gleich, 1997, S. 41).

Die meisten Medienpersonen erscheinen regelmäßig im Fernsehen. Nachrichtensprecher, Politiker, Moderatoren, Talkmaster, Serienfiguren, Filmschauspieler und –figuren, Komödianten, Models aus Musik- und Werbesendungen und nicht zuletzt Spitzensportler kehren häufig, oftmals täglich, auf den Bildschirm zurück und werden ebenso regelmäßig von ‚ihrem‘ Publikum gesehen. Entsprechend besteht das Verhältnis zwischen Zuschauern und Medienpersonen nicht aus einer einmaligen Parasozialen Interaktion, sondern aus vielen solchen Begegnungen. So wie man in der Wirklichkeit regelmäßig seinen Freunden und Nachbarn begegnet, ‚trifft‘ man bestimmte Medienpersonen immer wieder im Fernsehen. Aus einer Vielzahl von Para­sozialen Interaktionen entsteht eine Parasoziale Beziehung (vgl. Gleich, 1997).

Da Horton und Wohl (1956) nicht explizit zwischen Parasozialen Interaktionen und Beziehungen unterschieden hatten, gab es in der nachfolgenden Forschung immer wieder Unklarheiten über das Verhältnis dieser beiden Konzepte. Mittlerweile wird „ausschließlich die unmittelbare, während der Rezeption stattfindende ‚Begegnung‘ zwischen Rezipient und Medienakteur als parasoziale Interaktion bezeichnet und die über die einzelne ‚Begegnung‘ hinausgehende Bindung des Zuschauers an eine Persona als parasoziale Beziehung“ (Vorderer, 1998, S. 698).

Als Parasoziale Beziehung lässt sich also das in zahlreichen medial vermittelten ‚Begegnungen‘ gewachsene Verhältnis zwischen Rezipienten und Medienpersonen beschreiben. Aus Serienhelden, Nachrichtensprechern und Showmoderatoren werden „Freunde der Zuschauer“ (Vorderer, 1996, S. 153). Es liegt nahe, in diesen Freundschaften eine Motivation für regelmäßige Mediennutzung zu vermuten (vgl. z. B. Rubin, Perse & Powell, 1985; Vorderer & Knobloch, 1996). Problematisch oder gar pathologisch ist die Entstehung von Parasozialen Beziehungen indes nicht: „there is no discontinuity between everyday and para-social experience“ (Horton & Wohl, 1986, S. 202). Es gibt zwar Ausnahmen (etwa extremes Fan-Verhalten), doch verstehen Horton und Wohl die Parasoziale Interaktion als übliche Art und Weise, wie Rezipienten Medienfiguren wahrnehmen und sich ihnen gegenüber verhalten.

[...]

Ende der Leseprobe aus 92 Seiten

Details

Titel
Faszinationskraft von Computer- und Videospielen aus medien- und spielpsychologischer Perspektive
Untertitel
Eine empirische Untersuchung am Beispiel von Tomb Raider und Lara Croft
Hochschule
Hochschule für Musik und Theater Hannover  (Institut für Journalistik und Kommunikationsforschung)
Note
1,0
Autor
Jahr
2000
Seiten
92
Katalognummer
V165
ISBN (eBook)
9783638101219
ISBN (Buch)
9783656766599
Dateigröße
1238 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Computerspiel, Videospiel, Unterhaltung, Medienpsychologie, Spielpsychologie, Faszination, Spielprozess, Tomb Raider, Lara Croft
Arbeit zitieren
Christoph Klimmt (Autor:in), 2000, Faszinationskraft von Computer- und Videospielen aus medien- und spielpsychologischer Perspektive, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/165

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