Von Kirchturmstürzen und Mäusemusikern - Die wirklich wahren Musikanekdoten


Studienarbeit, 2008

47 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Gedanken vor dem Schmunzeln

Beeindruckende Konzerterlebnisse
Konzert-Rundschau oder Das Stampfen mit dem Fuß
Die Walpurgisnacht fällt aus
Förderung des Chorgesangwesens oder Wie man billig zu Noten kommt
Öffentlicher Protest oder Wann kommt das Fortissimo
Freikonzerte im Freien
Einiges über Rechts- und Steuerfragen oder Wie vergnüglich ist ein Konzert
Im Dienste des Rundfunks
Ruhestörender Lärm durch Chorgesang
Einiges über Konzertprogramme oder Dreifacher Durst ist dem Sänger beschert
Konzert in der Strafanstalt
Das heutige Berliner Musikleben oder Die Vermeidung aller unnötigen Aufregungen
Erste Radio-Konzerte
Über die Notwendigkeit des Blatt-Singens
Wie die Jazz-Band entstand oder Der Höllenlärm
Er lebt noch
Ein Anfang oder Tausche Konzerte gegen Fördermittel
Wie lang ist die Matthäuspassion
Der Sänger, der schweigt

Von der Erlernbarkeit der Musik
Wie man zweistimmig pfeifen kann
Zur Reform der musikalischen Erziehung
Wird man künftig Klavier im Stehen spielen
Über das Taschenklavier
Ursachen der Konzertkrise
Welche Speisen und Getränke wirken nachteilig auf die Stimmorgane
Neuartiges Klavier
Singe dich gesund oder Die Bekämpfung von Lungenkrankheiten
Wer ist musikalisch
Noten für jedermann
Vom musikalischen Hören oder Die Reinheit des Klanges

Musik ist nicht billig
Bußgeld für Sänger
Finanz- und Geldnot überall
Instrumentensteuer oder Wie kommt der Staat ans Geld
Kassierer-Leid und –Freud
Wo ein Wille ist ist auch ein Weg
Die zeitlosen Erkenntnisse
Vom Reisen oder Die Rührigkeit des Kassierers
Warnung – nicht nur vor Spendensammlern
Sind Dirigenten Angestellte des Chores oder Vor Gericht sind alle gleich

Immer hinein in den Verein
Der Chormeister – die Seele des Gesangvereines
Die Ehrennadel im Krankenhaus
Vereinsfeste oder Die Vergeistigung der Konzerte
Die Geburtsstätte unserer Männerchöre
10 Gebote für Sänger
Die Aufgaben der Vorstände oder Gegen die Unzuträglichkeit im Vereinsleben
Billiges Notenmaterial und Gratischöre
Über Schwächen und Stärken
Aus einer vergilbten Vereinssatzung
Staatliche Förderung des Chorgesanges oder Wider das Wettsingen
Geteiltes Leid
Lied vom Vorstand des Vereins „Ewige Liebe“
An unsere Funktionäre
Sängers Dankgebet

Der Humor der Promis
Wie komisch war Brahms
Nicht drei Tenöre
Wer hat Recht
Werbung oder Wie kommt der Tenor zum hohen C

Von Kritikern und Kritisierten
Die Kritik unserer Konzerte oder Die Herzensbildung eines Kritikers
Wider die Kritik der Kritik
Wesen und Zweck der Kritik oder Die verschiedenen Typen der Kritiker

Musik bei allen Gelegenheiten
Gute Zeiten – schlechte Zeiten
Kopfwäsche für Sangesfreunde
Verzweifelte Nachbarschaft
Schlagerernte 1929 – wieder aktuell
Lokal-Boykott
Musikalischer Rekordfimmel
Was ist paradox
Kindermund
Musikalische Kulturarbeit der Frauen
Heilkräftige Musik
Gibt’s so etwas auch oder Hoch den Krug
Dürfen Lehrer Dirigenten sein?
Durch einen Triller getötet
Fenster zu beim Musizieren
Musikalische Kuriositäten oder Von der Quiek-Sinfonie zur Katzenorgel, vom Ochsenbraten und Hasardspiele, von Musiksklaven, Kastraten, rauschenden Instrumenten und singenden Generälen

Personen- und Sachregister

Quellen

Gedanken vor dem Schmunzeln:

Singen und Musizieren macht Freude. Im Chor oder einem Orchester dies zu tun bringt noch zusätzlich die Freude und Erlebnisse an und in der Gemeinschaft. In diesem Zusammenwirken entstehen oft - gewollt oder ungewollt - Situationen, Meinungen und Gedanken, die dann im Nachhinein für den interessierten Leser nicht der verständnisvollen Komik entbehren. Wenn sie dann noch einige Jahrzehnte zurückliegen, kann man sich in dem Gefühl baden, das doch heute alles ganz anders sei! Hat sich wirklich etwas geändert?

Was wir zu lesen vor uns haben, ist sehr unterhaltsam und, wie bei jeder guten Unterhaltung, verbunden mit einer kleinen Portion wissender Realität. Und es zeigt sich: Musikwissenschaftliche Arbeit ist nicht nur genaue Analyse und tiefgründige Recherche, sondern beschert auch hin und wieder heitere Aspekte zutage. Und so konnte ich im Rahmen einiger kulturhistorischer Untersuchungen insbesondere zur Geschichte des Berliner Sängerbundes auch einige Begebenheiten erschließen, die alle eines gemeinsam haben, dass sie schon einmal vor Jahrzehnten das Licht der Öffentlichkeit erblickt hatten, zum Teil in jenen Tagen sehr ernst gemeint waren und nun im Abstand der Geschichte heute vielleicht erheiternd wirken. Nicht nur für diejenigen, die selbst als Musikant, Sängerin oder Sänger regelmäßig im musikalischen Ensemble oder Chor mitwirken, auch für den, der gern einmal bei musikalischen Veranstaltungen, im Fernsehen oder auf Kassetten und CDs der Musik lauscht, werden die nachfolgenden Geschichten, Anekdoten, mehr oder weniger wahren Begebenheiten ein verständnisvolles, erhellendes Schmunzeln entlocken. Aber auch für die musikwissenschaftliche Forschung und die kultursoziologische Bewertung ergeben sich aus diesen Alltagsbegebenheiten erhellende Aspekte, die zu tieferem Nach- und Weiterdenken anregen können. Dieses Buch zeichnet sich dadurch aus, dass es ein reines Quellenwerk ist. Alle Texte sind mit genauen Herkunftsangaben versehen, ein Namens- und Sachregister erschließt auch die heute weniger bekannten Fakten und Persönlichkeiten. Insofern dient es nicht nur der Erheiterung und Unterhaltung sondern auch der Untersetzung der musikkulturellen Zeitgeschichte. Freuen wir uns daran - und nehmen auch das Heutige nicht zu ernst.

Peter Spahn

Beeindruckende Konzerterlebnisse

Konzert-Rundschau oder das Stampfen mit dem Fuß

...daß der Chor seine Aufgabe tadellos löste, ist selbstverständlich. Was ich auszusetzen habe, geht auf Rechnung des zu temperamentvollen Dirigenten...Warum müssen Sie denn, verehrter Herr H..., die an und für sich schon zu stark gegebenen Akzente noch mit dem Stampfen Ihres Fußes unterstützen und unterstreichen? Ihre Sänger singen mit so großer Hingabe und Begeisterung, daß Sie das nicht nötig haben. Ja, nicht Konzertsaal und Übungssaal verwechseln! Schließlich ist es doch nicht Aufgabe des Dirigenten, sich selbst zu produzieren, vielmehr, als ein in seiner Kunst ganz aufgehender, besonnener Führer die Zuhörer zu innerem Erleben zu führen; da stören zu starke Akzente ebenso, wie Fußstampfen und zu temperamentvolle Bewegungen. Weniger bedeutet hier mehr! Ich halte es auch für stilwidrig, die innigen Herzensergüsse eines Liebenden, in den beiden Liedern aus dem Lochheimer Liederbuch "All' mein' Gedanken" und "Ich fahr' dahin" in breitestem Fortissimo zu beginnen. Vergessen wir doch nicht, daß es sich hierbei um Aeußerungen eines einzelnen handelt, und das damals - kurz nach dem Jahre 1400 - selbst mehrstimmige Lieder nicht für Massenchor bestimmt waren. Im übrigen aber: "Mein Kompliment!" .(1923)

Die Walpurgisnacht fällt aus

Das Konzert...verkündete ein ungemein reiches Programm: klassische Ouvertüren mit dem Blüthner-Orchester, eine Reihe von a-capella-Chören, einen großen Zyklus russischer Volkslieder mit verbindender Dichtung, das bekannte Erntelied von Fried-Dehmel, und endlich "Die erste Walpurgisnacht" von Mendelssohn. Man sieht: der Vorstand hat alle erdenklichen Anstrengungen gemacht, um seine Hörerschaft zu bilden und zu begeistern. Leider aber konnte die Hauptnummer, "Die Walpurgisnacht", nicht gebracht werden, weil das Orchester sich offenbar nur für zwei Stunden verpflichtet hatte und das ganze Programm drei Stunden gedauert hätte. Wie sind solche Dinge möglich? Wie ist es möglich, daß man sich hinsichtlich der Ausdehnung des Programms um eine ganze Stunde irrt? (1923)

Förderung des Chorgesangwesens oder Wie man billig zu Noten kommt

Unter der Überschrift "Wege zur Förderung des Chorgesangwesens durch die Behörden" unterbreitet ein Herr Fritz Haseclever einen Vorschlag: "Die Stadt- oder Kreisbehörden setzen allmählich einen bestimmten Betrag...zur Beschaffung wertvoller Chorliteratur aus. Neben bedeutenden älteren vor allem Kompositionen namhafter moderner Tonsetzer, um die fortschrittliche Entwicklung zu fördern. Die Auswahl wäre von einem aus sachverständigen Persönlichkeiten zusammengesetzten Ausschuß, dem natürlich in erster Linie Vertreter der Chorvereine angehören, zu treffen. Das Notenmaterial wäre den einzelnen Vereinen je nach Maßgabe ihrer Leistungsfähigkeit geschenkweise zu überlassen. Allerdings hätten die Vereine die Verpflichtung einzugehen, die geschenkten Werke innerhalb einer Frist einzustudieren und aufzuführen...Eine derartige Hilfsaktion bietet Vorteile zweierlei Art. Erstens wird den Vereinen die kostspielige Notenbeschaffung wesentlich erleichtert, zum anderen verpflichtet die Annahme des geschenkten Notenmaterials zu einem gesanglichen Wirken in aufsteigender Linie. Wo dies nichts mehr zu wünschen übrig läßt, drängt die geschenkte moderne Literatur dazu, sich mit ihr zu befassen und damit der fortschreitenden Entwicklung zu folgen." (1929)

Öffentlicher Protest oder Wann kommt das Fortissimo

Einen öffentlichen Protest gegen Vortragsvorschriften, die Simon Breu in einer neuen Komposition gibt und die nicht geeignet sind, das Ansehen der Chorvereine zu heben, erläßt Adolf Prümers. Der erstgenannte Komponist, der durch seine Kompositionen "Sonntag ist's" und "Frühling am Rhein" weit bekannt geworden ist, gibt folgende "Winke für den Vortrag" eines volkstümlichen Liedchens: "Im allgemeinen gemütliches (?) Tempo. Strophe 3 wird anfangs pp gesungen ("da müßte es ganz stille sein"). Strophe 4 (der Hauptmann!) ff polternd und etwas rascher bis Juju, dann Spöttisch (?) und etwas langsamer. Im vorletzten Takt der 4. Strophe soll nach "miese mause" je eine kleine Pause (!) eingeschoben werden; "tot" kräftig! Bei "Jaja" und "haha" verständnisinnige Gesten (!!)." Das schlägt tatsächlich dem Faß den Boden aus und trägt nicht zur Ruhmesmehrung des bald 70-jährigen geschätzten Komponisten bei. Prümers findet mit Recht, daß solche Chöre in dieser effektgierigen Aufmachung die Totengräber der deutschen Sängerschaft sind und sein Mahnruf: Singt so etwas nicht in dieser Aufmachung! kann hier nachdrücklichst unterstrichen werden. (1926)

Freikonzerte im Freien

"...ist es Aufgabe des Deutschen Sängerbundes, der großen Vereinigung der Männergesangvereinealles zu tun, was geeignet ist, den weiteren Rückgang des Volksliedes aufzuhalten. Konzertmäßige Aufführungen bringen uns diesem Ziele nicht näher. Die Vereine müssen ihr Tätigkeitsfeld erweitern, sie müssen hinausziehen auf die Plätze der Städte und dort, ohne durch den Konzertsaal gehemmt zu sein, ihr Lied anzustimmen. 'Freikonzerte im Freien', so lautet die Parole zu einer neuen Form der Liedpflege, die der Deutsche Sängerbund plant." (1929)

Einiges über Rechts- und Steuerfragen oder Wie vergnüglich ist ein Konzert

"...Die Finanznot des Reiches, der Staaten und Gemeinden gibt diesen Veranlassung, alle möglichen Steuerquellen in Fluß zu bringen. Dabei spielt eine große Rolle die Besteuerung der Vergnügen. Im allgemein üblichen Sinne werden zu den Vergnügen auch die Konzertveranstaltungen der Chorvereinigungen gerechnet. Man könnte dieser Auffassung rein ideell die Meinung entgegensetzen, daß bei der Tätigkeit der Gesangvereine der Begriff Vergnügen nicht anzuwenden sei. Dieser rein gefühlsmäßigen Meinung wird durch Gesetze eine starke Einschränkung zuteil. Für die Beurteilung der Rechtsfragen können daher nicht Gefühle, Auffassungen, Meinungen ausschlaggebend sein, sondern die Frage: 'Was sagt das Gesetz? '...Neben der Heranziehung zur Vergnügungssteuer können unsere Vereine auch 'beglückt' werden durch Veranlagungen zur Umsatz-, Körperschafts-, Einkommen- und Lohnsteuer. Dazu kommen die Belastungen die durch Aufführungsgebühren durch die Tonsetzergenossenschaften den Vereinen aufgebürdet wirdEs kommt also bei unseren Chören nicht darauf an, welche Absicht (ob Vergnügen oder nicht) bei der Veranstaltung besteht, sondern welchen Charakter die Veranstaltung nach ihrer ganzen Aufmachung trägt...Bei allen...Ermäßigungen, Erlassen oder Erstattungen spielt die Auffassung der unteren Steuerbehörden eine einflußreiche Rolle. Nicht immer findet man allzu freundliche Würdigung des Chorgesanges! Vielfach werden unsere Chöre auch weniger Erfolg haben, weil die Finanznot der öffentlichen Kassen diesen eine günstige Entscheidung sehr erschwert...Es ist um so erfreulicher, feststellen zu können, daß trotz mancherlei Schwierigkeiten der Kreis jener Chöre immer größer wird, die sich auf Grund ihrer gesanglichen Tätigkeit und öffentlichen Wirksamkeit die Gemeinnützigkeit errungen haben. Nicht immer liegt es an den Vereinen allein, daß die Bedingungen zur Gemeinnützigkeit nicht erfüllt werden können. Vielfach ist es das Profitstreben der Saalinhaber, die bei der Nichtrestauration ihre Säle entweder überhaupt verweigern oder die Saalmiete so hoch ansetzen, daß von vornherein jedes Konzert zu einem Defizit verurteilt ist. Sollte hier nicht ein Eingreifen der Behörden im öffentlichen Interesse möglich, ja sogar notwendig sein? Andererseits steht den Chorvereinigungen auch die Mentalität der Besucher gegenüber, die zum Teil auf ihr Glas Bier und die berühmte gute Zigarre nicht verzichten wollen.(1929)

Im Dienste des Rundfunks

Als erster Berliner Männergesangverein singt am Donnerstag, dem 3. Juli, zum Abendprogramm der Funkstunde Aktiengesellschaft Berlin der "Meineckesche Männerchor Berlin 1900", Mitglied des Deutschen Arbeiter-Sängerbundes. Chormeister: Musikdirektor P. A. Joseph. (1924)

Ruhestörender Lärm durch Chorgesang

An vier Abenden in der Woche wird die Ruhe der Bewohner des Augusta-Ufers durch die Übungsstunden von Chören in der Aula der Mädchenmittelschule in der Moritzstraße gestört, da die Proben stets bei sperrangelweit geöffneten Fenstern stattfinden. Es ist beinahe unmöglich, abends auf den Balkons oder in den Vorderzimmern bei offenem Fenster zu sitzen und nach des Tages Unrast Erholung und Ruhe zu finden. Ganz besonders schlimm war es am Donnerstag der vorigen Woche. Es probte ein gemischter Chor mit vollem Orchester, im wahrsten Sinne des Wortes mit Pauken und Trompeten. Auf die Beschwerde beim zuständigen Polizeirevier in der Moritzstraße, in dem man auch diesen Höllenlärm hörte, erklärte der Wachthabende: "Es ist ja tatsächlich heute besonders laut; aber schließlich empfindet es der eine nun gerade als störend, während der andere es vielleicht gern hört. Man müßte vor allem wissen, ob es sich um eine Veranstaltung der Schule oder eine private irgendeines Vereins handelt. Ein Verein müßte natürlich die Fenster schließen. Wir werden das Nötige unternehmen." Unternommen wurde von der Polizei aber nichts. Der Lärm ging weiter bis kurz vor 22 Uhr, während die Beschwerde um 20.15 Uhr erfolgt war. (1932)

Einiges über Konzertprogramme oder Dreifacher Durst ist dem Sänger beschert

Es ist ganz angebracht, einmal einige Worte über die notwendige künstlerische Zusammensetzung von Chorkonzertprogrammen an die Sangesschwestern und -brüder zu richten. Betrachtet man nämlich all die vielen Vortragsfolgen der stattgefundenen Konzerte, so muß man tatsächlich erkennen, daß ihre Aufstellung, mit verschwindenden Ausnahmen, von ganz falschen Gesichtspunkten ausgehend erfolgt sein muß...Nicht nur, daß sich oftmals der schauderhafteste Kitsch der gesamten Männerchor- oder auch Gemischten-Chor-Literatur auf solchen Vortragsfolgen im trauten Reigen mit Couplets und anderen "humoristischen Nummern" zusammenfand, nein, auch die Anordnung der Reihenfolge, selbst von guten Chören, schlug oftmals jedem Empfinden ins Gesicht. Ist es doch keine Seltenheit, nach dem berühmten (?) "Rheinischen Mädchen! Cord Foleson hören zu müssen! Hat man denn noch immer nicht erkannt, was uns so dringend nottut? Geschmacksbildung! Erziehung zur Aufnahmefähigkeit für nur Wertvolles und Gutes !...Jeder Chorleiter sollte mit unnachsichtlicher Härte durchgreifen und all die furchtbaren Machwerke unbedingt verschwinden lassen. Man biete immer nur Gutes und wieder Gutes, und es wird sich zeigen, wie erst die Sänger und dann auch das Publikum sich nach und nach daran gewöhnen, und die Freude am Wahren und Echten immer mehr wächst...Ebenso wie das wahre Kunstwerk seine Entstehung einer heftigen Gemütsbewegung des Künstlers verdankt, muß es auch bei richtiger Wiedergabe bei den Zuhörern ähnliche Bewegungen des Gefühls hervorrufen. Wenn z.B. Schubert in seinem herrlichen Männerchor "Die Nacht" gleich in die Melodie der ersten Textworte "Wie schön bist du" den ganzen Adel seiner tiefen Empfindung legt, so wird umgekehrt auch der Zuhörer tief ergriffen werden, und sein Gefühl wird in ähnliche Schwingungen versetzt, wie sie Schubert bei der Komposition bewegt haben müssen. Die Stimmung des Liedes erfaßt somit die gesamte Zuhörerschaft. Und hier stoßen wir auf einen zweiten außerordentlichen Mangel fast aller Konzertprogramme...Man glaubt sich da meistens auf einer Luftschaukel zu befinden, denn aus einer Stimmung stürzt man in die andere. Folgende Programmzusammenstellung von an sich ganz guten Chören ist gar keine Seltenheit: 1. In den Alpen von Hegar; 2. Liebe, von Schubert; 3. Empor zum Licht, von Uthmann. Also erst: "Dreifacher Durst ist dem Sänger bescheret", dann "Liebe rauscht der Silberbach", eine Komposition von größter Intimität, die auf das erste Lied wie die Faust aufs Auge paßt, und dann: "Erwache, Volk, erwache." Ja, erwache und empfinde die tief entwürdigende Geschmacklosigkeit, die in einer solchen Zusammenstellung zum Ausdruck kommt. Die Zuhörer sollen herangebildet werden, jedes Lied nachzuempfinden, und werden gleich in einen Strudel der verschiedensten Stimmungen gestürzt. Das Resultat davon ist, daß jeder kühl bis ans Herz bleibt und nur Interesse hat für reine Äußerlichkeiten...(1925)

Konzert in der Strafanstalt

...Schon die Begrüßung der erschienenen Sänger durch den Direktor ließ erkennen, daß man nicht nur einen Beamten, sondern einen Menschen mit menschlich fühlendem Herzen vor sich hatte. Besonders hob er hervor, daß ein großer Teil der Insassen weniger selbst als die Verhältnisse, in denen sie groß wurden, für ihren jetzigen Aufenthalt verantwortlich zu machen sind. Viele hatten ja kaum ein Elternhaus. Das Konzert fand in der Anstaltskirche statt und wurden auf Wunsch weltliche Lieder gesungen. Die Einleitung gab in sinniger Weise der Direktor selbst, indem er Schillers Gedicht "Die Macht des Gesanges" vortrug. Dann klangen die 10 Gesänge des Chores durch den hohen Raum, Frühlings-, Heimat- und Abendlieder. Als Anfang: Kauns "Hab' Sonne im Herzen" und als Schlußchor: Kämpfs "Vesperhymne". Zwischendurch spendete auch das Soloquartett einige Gaben. Alles wurde mit gespanntester Aufmerksamkeit und geradezu musterhafter Ruhe von den die Kirche bis zum letzten Plätzchen füllenden Zuhörern entgegengenommen. Noch einmal nahm der Direktor das Wort, um im Namen der ihm Anvertrauten den Sängern in herzlichster Weise zu danken für den erhebenden Gesang und daß sie sich in so uneigennütziger Weise in den Dienst echter Menschenliebe stellten...Als die Sänger sich zum Verlassen des Raumes anschickten, brach ganz spontan ein Beifallsklatschen los, wie man es selten erlebt. Hoffentlich ist der Pfarrer, welcher auch anwesend war, so viel Mensch, daß er die gewiß ungewollte Profanierung des Raumes den Insassen nicht verübelt. (1924)

Das heutige Berliner Musikleben oder Die Vermeidung unnötiger Aufregungen

Es läßt sich nicht mehr leugnen, daß das großstädtische Musikleben ein völlig neues Gesicht zeigt. Wer die Programme unserer Kunststätten und Künstler genauer durchstudiert, wird bald den Kernpunkt der Umwälzung ergründet haben, selbst wenn er nur geschäftlicher Art sein sollte. Der Krieg hat abgesehen von der Inflation noch ganz andere interne Schäden im Gefolge. Zu ihnen zählt auch die nicht mehr zu übersehende Interesselosigkeit des großen Publikums für Konzerte, höchstens einige gewisse Veranstaltungen ausgenommen, in denen sogenannte "Größen" anlocken und auf diese Weise den Saal "füllen". Abgesehen hiervon ist die Tatsache unbestreitbar, daß selbst die interessantesten klassischen Programme den Raum nur mäßig , oft nur bis zur Hälfte mit gläubigen Zuhörern besetzen und bei den vielfach nicht geringen Unkosten zu einem ungefähren Defizit führen müssen. Das muß verhindert werden und da ist man auf zwei Ideen gekommen, die Hilfe bringen sollen. Einmal rechnet man mit dem Umstand, daß das sog. Durchschnittspublikum noch nicht genügend mit der modernen und gar modernsten Musikentwicklung, z.B. der "Atonalität", vertraut ist und sie sozusagen noch ablehnt. Alle Musikunternehmer, die dies beachten, geben daher der sogen. klassischen oder romantischen Richtung den Vorzug und gestalten ihre Vorträge in dieser offenherzigen Art; denn sie rechnen damit, daß nach wie vor für einen großen Teil der Menge das melodiöse Empfinden und das leichte geistige Eingehen auf den Tonzauber die Hauptsache bleibt. So sind Bach, Haydn, Mozart, Beethoven, Weber, Mendelssohn, Wagner und die vielen Verwandten ihre Hauptgötter und man sieht mit einer gewissen Beruhigung ihren Wirkungen auf Herz und Gemüt entgegen, wobei möglichst alle unnötigen "Aufregungen" vermieden werden. Je heiterer das Thema und Motiv, desto sicherer die beabsichtigte Aufheiterung, die ja in gewissen trüben Zeiten vonnöten ist. Das ist ja auch an sich gut gedacht, aber mit der Fortentwicklung der Zeit wiederum nicht in Einklang zu bringen. Indem man dies erfaßte, setzte eine Idee ein und für diese kämpft man zur Zeit. Unsere ausübenden Künstler, vom Virtuosen bis zum erstrangigen Orchesterdirigenten haben sie erfaßt und gehen hiernach ihren Weg. Das erste war die Tatsache, daß man mit den "klassischen", ja selbst "romantischen" Programmen brach oder sie nur "andeutete". So kam man auf die Idee, unsere heutigen Musikhörer und -Genießer für die sogen. neue Zeit zu interessieren, indem man die Vortragsfolgen so konstruierte, daß auch die zu ihrem Recht kommen sollen, die auf die "Modernität" schwören. Zugleich rechnete man auch mit einem geschäftlichen Umstand, daß durch das Verzieren (?) der Programme die Schaar der Hörer in doch größerem Maße als bisher herangelockt wurde; denn schließlich gibt es ja einen Kreis von Interessenten, die ihren Mann und seine Geistesemanation hören wollen und den Saal - jedes Konzert bucht ein nicht geringes Unkostenkonto - allmählich füllt. Nichts weiter als eine Lebensfrage.

Wer nun die Vorträge unserer Künstler genauer durchsieht oder wer gar einem Konzert im Saale beiwohnt, dem fällt sofort die Tatsache auf, daß fast in jeder Veranstaltung der sonst ungewohnte oder mindestens seltene Ausdruck "Erstaufführung", ja selbst gar nicht selten "Uraufführung" prangt. Durch die Darbietung ganz neuer Werke glaubt man das große Publikum oder doch mindestens die Fachgenossen interessieren zu können und auf diese Weise Hörer en masse heranzulocken. Ob das in Wirklichkeit zutrifft, ist eine andere Frage...Wir wünschen nur, daß ein guter Stern über dieser Entwicklung leuchten möge. (1927)

Erste Radio-Konzerte

Die bekannte Musikfirma Breitkopf & Härtel, Berlin W., Potsdamerstr. 21, hat in ihrem Geschäftslokal eine Vorführungsraum für Rundfunk eingerichtet, in welchem sie in Nachmittagskonzerten (4 1/2 bis 6 Uhr) einen neuen Rundfunkapparat "Owin" jedem Interessenten fachmännisch vorführt. (1924)

Über die Notwendigkeit des Blatt-Singens

Der Chor „Harmonia“ ist durch die Erkrankung einiger Mitglieder in arge Besetzungsschwierigkeiten für das nächste Konzert gekommen. Auf dem Programm steht Beethovens „Ode an die Freude“, ein öffentliches Ereignis und ein Werk, dass auch stets ein dankbares Publikum erhält. Insofern melden sich auch einige ambitionierte Sänger aus befreundeten Chören der umliegenden Ortschaften, die gern mitsingen möchten. Natürlich werden nur die besten ausgewählt. In der Generalprobe geht nicht nur das schief, was immer schief geht, sondern einer der Gastsänger singt so daneben, dass der Chorleiter ihn nach mehrmaligem, aber nichts bewirkenden strengen Blick anfährt: „Sagten Sie mir nicht, Sie könnten vom Blatt singen?!“ – Ja, Herr Chorleiter, das kann ich auch, aber nicht gleich beim ersten Mal.“

[...]

Ende der Leseprobe aus 47 Seiten

Details

Titel
Von Kirchturmstürzen und Mäusemusikern - Die wirklich wahren Musikanekdoten
Autor
Jahr
2008
Seiten
47
Katalognummer
V93299
ISBN (eBook)
9783638073141
ISBN (Buch)
9783638957397
Dateigröße
571 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Kirchturmstürzen, Mäusemusikern, Musikanekdoten
Arbeit zitieren
Dr. sc. phil. Peter Spahn (Autor:in), 2008, Von Kirchturmstürzen und Mäusemusikern - Die wirklich wahren Musikanekdoten, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/93299

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