Kritische Analyse der Fußballfan- und Hooliganszene. Präventions- und Interventionsmaßnahmen


Examensarbeit, 2007

127 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Aufbau der Arbeit

Teil I: Theoretischer Hintergrund
1 Definitionen verschiedener Fantypen
1.1 Erläuterung des Begriffs „Fußballfan“
1.2 Der „Kuttenfan“
1.3 Der „unauffällige Zuschauer“
1.4 Die „Supporter“
1.5 Die „Ultras“
1.6 Der „Hooligan“
1.7 Die „Hooltras“
2 Erklärungsansätze zur Zuschauergewalt
2.1 Vorstellung der Aggressionstheorien
2.1.1 Trieb- und instinkttheoretische Ansätze
2.1.2 Erklärungswert triebtheoretischer Ansätze
2.1.3 Die Frustrations-Aggressions-Theorie
2.1.4 Erklärungswert der Frustrations-Aggressions-Theorie
2.1.5 Lerntheoretische Konzepte.
2.1.6 Erklärungswert Lerntheoretischer Konzepte
2.1.7 Multikausales Aggressionsmodell
2.1.8 Erklärungswert multikausaler Erklärungsmodelle
2.2 Die Bedeutung des Alkohols
3 Ursache der Hooligangewalt
3.1 Hooligans als Verlierer der Modernisierungsphase
3.2 Der „Kick“
4 Zwischenfazit

Teil II: Die Entwicklung der gewalttätigen Fußballfanszene und polizeitaktische Veränderungen
1 Die Ultraszene in Deutschland
1.1 Die Ausdifferenzierung der Ultraszene
1.2 Das Selbstverständnis der Ultras
1.3 Abkehr von der Gewaltlosigkeit
1.4 Rassismus in der Ultraszene
2 Hooliganismus in Deutschland
2.1 Die Entwicklung in den siebziger Jahren
2.2 Erste Polizeitaktische Veränderungen
2.3 Hooliganismus in den achtziger Jahren
2.3.1 Rechtsradikalismus in den achtziger Jahren
2.3.2 Das Bekenntnis zur Gewalt in den achtziger Jahren
2.3.3 Fallbeispiel: Europameisterschaft in Frankreich 1984
2.3.4 Fallbeispiel: Weltmeisterschaft in Italien
2.4 Hooliganismus in der DDR
2.4.1 Veränderung des Hooliganismus seit der Wende
2.4.2 Veränderungen der Polizeitaktik in den neunziger Jahren
2.4.2.1 Zentrale Informationsstelle Sporteinsätze
2.4.2.2 Einsatz Szenekundiger Beamter
2.4.2.3 Stadionverbote und Hooligandatei
2.5 Veränderungen der Szene seit Mitte der neunziger Jahre
3 Rassismus innerhalb der Hooligangruppierungen
4 Gewalt durch Frauen im Fußball
5 Aktuelle Statistik zum Gewaltpotenzial
5.1 Störerlage
5.2 Sicherheitslage
5.3 12-Jahres-Übersicht
5.4 Spiele der deutschen Mannschaften im Ausland
6 Auseinandersetzungen während der Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland
7 Hooligans im europäischen Vergleich
7.1 Hooliganismus in England
7.2 Hooliganismus in Italien und Frankreich
7.3 Hooliganismus in den Niederlanden
7.4 Hooliganismus in der Schweiz
7.5 Hooliganismus in Osteuropa
8 Zwischenfazit

Teil III: Aktuelle Präventions- und Interventionsmaßnahmen zur Bekämpfung der Gewalt durch Fußballfans
1 FARE – Football Against Racism in Europe
2 Nationales Konzept Sport und Sicherheit
2.1 Einrichtung von Fanprojekten auf örtlicher Ebene
2.2 Koordinationsstelle Fanprojekte
2.3 Maßnahmenkatalog gegen Gewalt in Fußballstadien
2.3.1 Stadionverbote.
2.3.2 Zweck von Stadionverboten
2.3.3 Ordnerdienste
2.3.4 Musterstadionordnung
2.3.5 Stadionsicherheit
2.3.5.1 Umfriedung
2.3.5.2 Verkehr
2.3.5.3 Zuschauerbereiche
2.4 Zusammenarbeit auf (über-) örtlicher Ebene
2.5 Bewertung der vorgestellten Maßnahmen
2.5.1 Kritische Bewertung der Maßnahmen des NKSS.81
2.5.2 Beurteilung des Stadionverbots durch die KOS
3 Fanprojekte.
3.1 Einführung der Fanprojekte
3.2 Die Selbstbegründung der Fanprojekte
3.2.1 Zielsetzung der Fanprojekte
3.2.2 Erfolge der Fanprojekte
4 Interviews mit den Fanprojekten
4.1 Fanbeauftragter des VfL Osnabrück
4.2 Präventionsmaßnahmen des VfL Osnabrück
4.3 Interview mit dem Fanprojekt in Hannover
4.4 Fanprojektarbeit in Hannover
4.5 Interview mit dem Fanprojekt des DSC Arminia Bielefeld
4.6 Angebote des Fanprojekts in Bielefeld
4.7 Interview mit dem Fanprojekt in Dresden
4.8 Angebote des Fanprojekts in Dresden
4.9 Bewertung der Maßnahmen der Fanprojekte
5 Fazit

Literaturverzeichnis

Anhang

Einleitung

1998 erschütterte der „Fall Nivel“ die ganze Welt, Deutschland im Besonderen. Am Rande des Fußballspiels Deutschland – Jugoslawien während der Fußball-Weltmeister-schaft in Frankreich wurde der französische Gendarm Daniel Nivel von deutschen Hooligans misshandelt. Die Bilder des am Boden liegenden und blutüberströmten, leblosen Familienvaters waren tagelang in den Zeitungen und Nachrichten zu sehen. Nivel lag nach dem Übergriff sechs Wochen lang im Koma und leidet bis heute an dessen Folgen. Er kann nur mühsam sprechen und wird nie wieder einen Beruf ausüben können.

Dieser Fall von aggressiven Verhaltensweisen ist jedoch eher aus jüngerer Zeit bekannt, während zuvor vielmehr die Heysel-Tragödie mit dem Thema Hooligans in Verbindung gebracht wurde, bei der im Mai 1985 während des Spiels FC Liverpool – Juventus Turin durch Hooliganausschreitungen 39 Menschen getötet und 454 Menschen verletzt worden sind.

Seit der Heysel-Tragödie werden Gewaltprobleme durch Fußballanhänger in der Öffentlichkeit behandelt, doch schon lange zuvor gab es in Großbritannien am Rande von Fußballspielen gewalttätige Auseinandersetzungen von Fußballfans; zu Beginn der siebziger Jahre häuften sich diese Fälle auch in deutschen Stadien.

Problematisch sind jedoch nicht nur Extremfälle wie die Heysel-Tragödie oder der Fall Nivel, die weltweit in den Medien Beachtung finden, sondern auch die „alltäglichen“ Auseinandersetzungen in Deutschlands Amateurligen. Am 28.10.2007 mussten 1.300 Polizisten für das Landesligaspiel zwischen Dynamo Dresden II und dem 1.FC Lok Leipzig abgestellt werden. Dennoch kam es in Stadionnähe zu großen Konflikten der gegnerischen Hooligangruppen – 240 Randalierer mussten festgenommen werden; 10 Menschen wurden verletzt. In Folge dessen muss man sich fragen, ob es weiterhin sinnvoll ist, Fanprojekte mit Steuergeldern zu unterstützen oder aber polizeiliche Maßnahmen verstärkt angewendet werden sollten.

Abgesehen von der Frage auf die Art und Weise der Bekämpfung dieser Auseinandersetzungen skizziert dieser jüngste Fall einen Trend im deutschen Fußball: Randale findet nicht mehr am Rande von stark überwachten Bundesligaspielen statt, da sich diese Auseinandersetzungen im vergangenen Jahrzehnt auf die deutschen Amateurligen verschoben haben, in denen Überwachung durch Kameras und Polizisten stark eingeschränkt ist.

Die Gewalt geht jedoch nicht immer von Hooligangruppierungen aus – auch die Fans im Fanblock verhalten sich zunehmend aggressiv.

Heutzutage besteht kein einheitliches Bild des „Fans“; vielmehr gibt es eine Vielzahl unterschiedlicher Fantypen wie den Kuttenfan, Ultras, Supporter oder Hooltras. Besonders die Ultras und Hooltras machen den Ordnern und Polizisten innerhalb und außerhalb des Stadions vermehrt Probleme, obgleich die Aggressionsmotive deutlich von denen der Hooligans unterscheidbar sind.

Zunächst kümmerte sich der Deutsche Fußballbund (kurz: DFB) nicht um das Problem des gewalttätigen Fußballfans, da randalierende Menschen als Problem der Gesellschaft und nicht als Problem des Fußballs angesehen worden sind. Aufgrund vermehrter Auseinandersetzungen nahmen sich der DFB und der Deutsche Sportbund jedoch dieser Problematik an, so dass diverse Maßnahmen gegen Gewalt im Fußball erarbeitet wurden.

Ob jedoch allein fußballspezifische Angebote für Fans gewalttätige Auseinander-setzungen am Rande von Fußballspielen verhindern können oder diese aber nur einen kleinen Beitrag zur Beruhigung einer gesamtgesellschaftlichen Misslage leisten wird im Laufe dieser Arbeit beantwortet. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob sich gewalttätiges Handeln einzig aus Frustrationen während des Betrachtens eines Fußballspiels ergibt oder ob Gewalttätigkeiten die Antwort auf die Perspektivlosigkeit und Vereinsamung vieler Jugendlicher sind.

Aufbau der Arbeit

Im ersten Teil der Arbeit sollen die verschiedenen Fantypen näher beschrieben und in die Kategorien A,B,C eingeordnet werden. Nach diesem Muster unterscheidet die Polizei die Fans bezüglich ihres Gewaltpotenzials. Im Anschluss werden einige Erklärungsansätze aus der Psychologie für das Entstehen von Aggressionen vorgestellt und überprüft, inwiefern diese sich auf Aggressionen und Auseinandersetzungen von Fußballfans übertragen lassen. Auch die möglichen Motive für Auseinandersetzungen von Hooligans werden erläutert.

Der zweite Teil der Arbeit behandelt die Entwicklung der Fangruppen, die den größten Teil der „auffälligen Zuschauer“ ausmachen. Vordergründig sind daher die Ultras und Hooligans. Gleichzeitig wird auf die Entwicklung der Maßnahmen gegen Gewalt durch Fans eingegangen. Um die Entwicklung der Auseinandersetzungen bis heute darzustellen schließt der zweite Teil mit der Darstellung einiger aktueller Fallbeispiele und einer Statistik zum Ausmaß der Gewalt am Rande von Fußballspielen in den vergangenen Bundesliga-Spielzeiten.

Zuvor jedoch werden zwei Trends aus der Fanszene skizziert. Zum einen treten seit einigen Jahren vermehrt Frauen und Mädchen als gewaltbereite Fußballfans in Erscheinung, so dass eine Erläuterung der Rolle von Frauen in gewaltbereiten Fußballfankreisen sinnvoll erscheint.

Zum anderen überträgt sich der in der Gesellschaft in einigen Kreisen verbreitete Rassismus in die Fankurve. Inwieweit diese Trends für die gesamte Fangruppe verallgemeinert werden können, wird im Verlauf des zweiten Teils ebenfalls vorgestellt.

Die Arbeit schließt mit dem dritten Teil, in dem aktuelle Präventions- und Interventionsmaßnahmen gegen Zuschauerausschreitungen im Fußballspiel dargestellt werden. Im Vordergrund steht dabei vor allem die Schilderung des „Nationalen Konzeptes Sport und Sicherheit“ (kurz: NKSS), welches die Grundlage für viele Fanprojekte in Deutschland bildet.

Vor allem die im Vorfeld dieser Arbeit geführten Interviews mit den Fanprojekten in Hannover, Dresden und Bielefeld sowie dem Fanbeauftragten in Osnabrück dienten der Informationsgewinnung über die tägliche Fanarbeit. Diese Interviews werden am Ende der Arbeit vorgestellt.

Teil I: Theoretischer Hintergrund

Aufgrund der Heterogenität innerhalb der Fanszene erscheint eine kurze Beschreibung der unterschiedlichen Fantypen sinnvoll. Als Grundlage für Teil II der Arbeit werden außerdem verschiedene psychologische Aggressionstheorien und ihre Auswirkungen auf den Fußballzuschauer geschildert.

1 Definition verschiedener Fantypen

Außenstehende verallgemeinern die Masse in einem Fußballstadion gerne als „Fans“, jedoch ist dies nur ein Überbegriff für eine Vielzahl verschiedener Erscheinungsformen, die sich in Art der Unterstützung, Leidenschaft für den Verein, Gewaltbereitschaft, Häufigkeit der Spielbesuche etc. unterscheiden. Die heute allgemein gültige Unterteilung in verschiedene Fantypen wird wie folgt dargestellt.

1.1 Erläuterung des Begriffs „Fußballfan“

Ein Fußballfan ist ein leidenschaftlicher Anhänger des Fußballs oder einer Fußballmannschaft (vgl. www.duden.de). Der Begriff (Fußball-) Fan ist abgeleitet vom englischen Begriff „fanatical“ (vgl. ebd.). Diese Langform – auf deutsch „Fanatiker“ – ist jedoch stark negativ belegt.

Einige Fans sind in Fanclubs organisiert, um „ihre Mannschaft“ noch besser unterstützen zu können. Der Großteil der Fans unterstützt die Mannschaft mit Fangesängen und trägt die Fahnen, Transparente, Trikots und Schals mit dem Schriftzug oder Emblem des Vereins, um so ihre Zugehörigkeit auszudrücken.

Einer Studie des Bundesinnenministeriums über die Biographie der Mitglieder in Fanclubs zufolge beträgt das Durchschnittsalter der Fans 20,2 Jahre – darunter etwa 19% weiblichen Geschlechts. 5% verfügen über keinen Schulabschluss, 37,5% über einen Hauptschulabschluss, 47,5% über einen Realschulabschluss und 10% verfügen über die allgemeine Hochschulreife. Demnach finden sie zumeist einen Platz in der Mittelschicht, so dass die öffentliche Meinung – Fußballfans sind der sozialen Unter-schicht zuzuordnen – widerlegt wird (vgl. KRAFT 2001, 59).

„Immer weitere Ausdifferenzierungen führen mittlerweile zu einer äußerst komplexen Zusammensetzung derer, die Woche für Woche ins Stadion pilgern“ (PILZ 2005, 1). Man kann unterscheiden zwischen konsumorientierten, fußballzentrierten und erlebnisorientierten Fans bzw. dem „normalen“ Zuschauer, Kuttenfans, Ultras, Hooligans und Hooltras, auf die in später in diesem Kapitel noch eingegangen wird.

Außerdem teilt die Polizei die Fans – je nach Gewaltbereitschaft – in drei Kategorien ein.

Der friedliche Fußballfan, der ein Spiel aus Interesse besucht, wird in die Kategorie A eingeordnet. Ein gutes Spiel, sowie der Sieg der eigenen Mannschaft sind die Haupt-interessen des Fans in dieser Kategorie.

Fans, die nicht direkt Auseinandersetzungen provozieren, jedoch an entstandenen Auseinandersetzungen – oftmals unter Alkoholeinfluss – teilnehmen, werden „gewaltbereite Fußballfans“ genannt und der Kategorie B zugeordnet.

Gewaltsuchende Fans, also Fans der Kategorie C, „treten überwiegend in Gruppen auf und nehmen die Veranstaltung als Gelegenheit wahr, aus Spaß an der Gewalt Auseinandersetzungen zu suchen oder provozieren“ (vgl. ZIS 2007, 5). Diese Fans werden als „Hooligans“ bezeichnet.

1.2 Der „Kuttenfan“

Traditionell verkörpert der Begriff „Kutte“ die Weste eines Fußballfans, die in der Regel mit Aufnähern des eigenen Vereins oder aber Verunglimpfungen gegnerischer Vereine bestickt ist. Jedoch wird auch der Träger dieser Weste als „Kutte“ oder „Kuttenfan“ bezeichnet.

Kutten unterstützen ihren Verein in jeder Lage und sorgen mit Gesängen und Sprechchören für eine gute Stimmung. Dennoch werden sie von den sogenannten Ultras – die in 1.5 beschrieben werden – abgelehnt, da diese sich als die „Fanelite“ sehen und sich ihr Leben ausschließlich um den Fußball dreht.

Im Gegensatz zum konsumorientierten Fan, welcher hin und wieder ein Spiel besucht und vor allem ein schönes Spiel sehen will, steht dieser Fantypus mit Leib und Seele hinter seinem Verein und wäre bereit, für die Ehre des Vereins zu kämpfen, da gegnerische Mannschaften und ihre Fans automatisch zu Gegnern werden (vgl. PILZ 2005, 1). Im Laufe der Jahre ging die Rolle der Gewaltausübenden an die neue Gruppe der Hooligans. Die Rolle des fanatischen Unterstützers ging an die Gruppe der Ultras.

1.3 Der „unauffällige Zuschauer“

Die Gruppe dieser Anhänger setzt sich zusammen aus Familienvätern mit ihren Söhnen, Arbeitskollegen, Freundeskreisen und ältere Fußballfans, welche „kein relevantes Sicherheitsproblem bei Fußballspielen [darstellen]“ (EK 1996, 29) und daher in die Kategorie A einzuordnen sind. Ihr Verhalten im Stadion sowie ihre Erwartungshaltung können als „teils distanziert-passiv, teils engagiert-kontrolliert“ (ebd.) umschrieben werden. Sie machen in etwa 90% der Stadionbesucher aus und sind somit die größte Gruppierung innerhalb des Stadions (vgl. ebd.).

1.4 Die „Supporter“

Die Supporter sind eine durch die Vereine und den DFB geförderte Gruppe. Sie gelten als eine angepasste Art der Ultras (vgl. 20 Jahre Fanprojekt Hannover), da sie sich unter Verzicht auf jede verbotene Aktion der Verbesserung der Stimmung im Stadion und Unterstützung der Mannschaft verschrieben haben. Im Gegensatz zu den Ultras werden Supporter von den Vereinen als offizielle Supporterclubs finanziell unterstützt.

1.5 Die „Ultras“

Ultras tragen meist nicht die herkömmlichen Fanutensilien des Vereins, da sie die Kommerzialisierung des Fußballs ablehnen. Dennoch haben sie eine bestimmte Kleiderordnung. „Die meisten Gruppen besitzen sogar ihre eigene Kollektion, d.h. Polohemden, [...] Sweatshirts, T-Shirts, Caps und Schals tragen das Logo oder den Schriftzug der Gruppe (PILZ 2006, 105).

Zumeist handelt es sich um Jugendliche, die sich in diversen Fanclubs organisieren. Über die Anzahl der existierenden Fanclubs lässt sich keine verlässliche Aussage treffen, da sowohl organisierte Clubs als auch Kneipenfreundschaften vorhanden sind, die in stetiger Auflösung und Neugründung begriffen sind (vgl. KRAFT 2001, 56f.). Dennoch wird die Zahl der Ultras auf etwa 7.000 Personen geschätzt. Die Personenzahl der sich ultratypisch verhaltenden Fans liegt deutlich darüber. Im Stadion machen sie ein bis sieben Prozent der Gesamtzuschauermenge aus.

Im Gegensatz zu anderen Fantypen ist „Ultra“ für diese Fans eine Lebenseinstellung. In einer Studie von Pilz geben über 80 % der befragten Ultras an, dass “Ultra sein“ der Lebensmittelpunkt sei und nicht lediglich am Wochenende ausgeübt werde (vgl. PILZ 2006, 74). Anders als Kuttenfans oder Hooligans besitzen sie nur eine Identität – ihre Ultra-Identität.

Während eines Spiels machen besonders die Ultras auf sich aufmerksam, vor allem durch Anfeuerungsrufe, das Schwenken riesiger Fahnen, Konfettiregen oder gar mit Bengalischen Feuern[1]. Die akustische Unterstützung ist meist von einem „Vorsänger“ bzw. „Trommler“ – dem sogenannten „Capo“ – organisiert.

Doch in den letzten zwei bis drei Jahren ist eine „Abkehr der Ultras von ihrem selbst gesetzten Anspruch der Gewaltlosigkeit hin zu einem offenen Bekenntnis zur Gewalt zu erkennen“ (PILZ 2005, 1). „Die Ultras haben den sportlichen Wettkampf der Fußballmannschaften vom Platz aufgenommen und tragen ihn in den Kurven [...] mit gegnerischen Ultras weiter aus (PILZ 2006, 13).

Ultras werden größtenteils der Kategorie A zugeordnet, doch ein nicht unerheblicher Teil neigt bei negativem Spielverlauf und unter Alkoholeinfluss zu Gewalt, so dass diese Personen den Hauptteil der Kategorie B ausmachen.

Da die Polizei nur schwer zwischen den Einzelpersonen unterscheiden kann und oftmals auch friedliche Ultras bestraft, bemängeln diese häufig das Vorgehen der Polizei als unverhältnismäßig. Dies hat zur Folge, dass ursprünglich gewaltfreie Fußballfans inzwischen aggressiv auf die Sicherheitskräfte einwirken, wodurch sie die Situation gegenseitig hochschaukeln (vgl. PILZ 2005, 1).

Ultras sind der Vereinsführung gegenüber kritischer eingestellt als andere Fans. „Für sie stehen Themen wie der Erhalt der Fankultur und der Identität oft im Konflikt zu den häufig wirtschaftlich motivierten Entscheidungen der Entscheidungsträger der Vereine“ (ebd.). Sie sehen sich im Zeitalter der „Eventisierung“ als kritischen Gegenpol und kämpfen für den Erhalt traditioneller Fankulturen (vgl. PILZ 2006, 13). Daher sind – neben der Polizei und gegnerischen Fans – vor allem die Medien und Fußballverbände als Feindbilder aufzuzählen (vgl. PILZ 2006, 14).

Die Entwicklung der Fanszene und der Ultrabewegung wird im Verlauf der Arbeit weiter beleuchtet, da von ihnen und den Hooligans der Großteil der gewalttätigen Auseinandersetzungen ausgeht.

1.6 Der „Hooligan“

Die Hooliganbewegung stammt aus England und breitete sich schnell in Europa aus.

Der Begriff „Hooligan“ geht auf die irische Familie „Houlihan“ zurück. Besonders die männlichen Mitglieder dieser Arbeiterfamilie waren für gewalttätige Auseinander-setzungen bekannt (vgl. EK 1996, 31).

Eine andere Ursprungstheorie handelt von dem Iren Patrick Hooligan, der 1898 in London in diversen Polizeiberichten als Anführer einer Jugendbande auftaucht.

Das irische Wort „hooley“ bedeutet „wild“.

„Da seit spätestens 1900 die Bezeichnung Hooligan auf slawische Sprachwurzeln zurückgehend parallel auch in Russland gebraucht wird“ (ebd.), ist die Etymologie des Begriffs nicht eindeutig. Das russische Wort „chuligany“ bedeutet „Halbstarker“ bzw. „Raufbold“.

Die Hooliganproblematik wurde der Öffentlichkeit im Mai 1985 bekannt, als im Brüsseler Heysel Stadion 39 Menschen der Hooliganrandale im Stadion zum Opfer gefallen sind.

Hooligans treten häufig in größeren Gruppen auf und zeigen eine erhöhte Gewaltbereitschaft. Dies muss jedoch nicht auf ihren Lebensalltag zutreffen. Für viele beschränkt sich die Gruppengeselligkeit auf die Treffen zu Fußballrandalen, „während sie unter der Woche kaum miteinander zu tun haben“ (GEHRMANN 1990, 99).

Die Gruppe der Hooligans ist nicht eindeutig einem bestimmten Bildungs- oder Berufsstatus zuzuordnen. „In Hooliganmobs finden sich Arbeitslose, Lehrlinge, Angestellte oder Studenten, sowie Jugendliche von 14 Jahren und Familienväter mit 30 Jahren“ (MEIER 2001, 60.).

Im Gegensatz zum typischen Fan tragen sie nicht die Fanartikel des Vereins. Es herrscht ein großes Modebewusstsein (vgl. EK 1996, 141), dessen Stil sich bis heute kaum verändert hat. Häufig treten Hooligans in bauschigen Blousons und Jeans auf, deren Marken in Form von großen Logos auf den Kleidungsstücken zur Schau gestellt werden. „Pitbull“, „Lonsdale“, „Umbro“, „Fred Perry“ oder „Best Company“ sind in Folge dessen zu typischen Marken der Hooliganbewegung geworden.

Die Hooligankultur basiert nicht auf einer bestimmten übergeordneten politischen Ideologie, „so dass sie sich aus verschiedenen Subkulturen wie Punks, Skinheads oder Personen, die keiner anderen Subkultur angehören, zusammensetzt“ (MEIER 2001, 59).

Häufig sind sie begeisterte Anhänger des Vereins und treffen auf ebenso aggressive Hooligans des gegnerischen Vereins.

Der Ehrenkodex der Hooligans besagt, dass bei Auseinadersetzungen niemals Waffen gebraucht werden. Außerdem werden nur andere Hooligangruppen angegriffen und unbeteiligte Zuschauer werden nicht verletzt. Auf am Boden liegende Gegner wird nicht weiter eingeschlagen und die gegnerischen Gruppierungen sollten im Kampf zahlenmäßig ebenbürtig sein. Dieser Kodex sollte die „Ausschreitungen normativ in einem geregelten Rahmen halten“ (MEIER 2001, 63), doch heute ist der Ehrenkodex zum Teil weggebrochen, so dass Waffeneinsatz oder Angriffe auf Unbeteiligte häufiger geworden sind.

Aufgrund der erhöhten Videoüberwachung an den Stadien der Bundesliga weichen Hooligans auf untere Ligen oder gar auf Plätze fernab der Stadien aus.

Auf diese und weitere Entwicklungen der Hooliganszene, vor allem im Zusammenhang mit der Veränderung der Polizeitaktik, wird später Bezug genommen.

1.7 Die „Hooltras“

Hooltras sind Ultras, die häufig zu Gewalt neigen, aber noch nicht dem Begriff „Hooligan“ zuzuordnen sind. Sie suchen zwar Auseinandersetzungen mit gegnerischen Fans, doch die Unterstützung des eigenen Vereins ist vordergründig. Der Begriff „Hooltra“ verdeutlicht allerdings die Mixtur aus Ultra und Hooligan, so dass der von den Ultras selbst gesetzte Anspruch der Gewaltlosigkeit durch ein offenes Bekenntnis zur Gewalt ersetzt wurde. Der Studie von Pilz zufolge gibt fast die Hälfte der Ultras an, dass sich einige Ultraszenen mit Hooliganszenen überschneiden (vgl. PILZ 2006, 128).

Ein Beispiel der Ultra-Gruppierung „Schickeria München“ verdeutlicht dies: Mitglieder dieser Gruppe haben während der vergangenen Saison Fans des 1. FC Nürnberg, welche auf dem Weg zum Auswärtsspiel in Gelsenkirchen waren, auf einer Autobahnraststätte attackiert und die Fanbusse geplündert. Eine Frau wurde von einem Flaschenstoß derart heftig verletzt, dass sie mehrere Stunden in Lebensgefahr schwebte und ein Auge verloren hat.

Der Hooltra ist eine neuere Erscheinungsform und ist vermutlich aus dem in 1.5 skizzierten rigorosen, polizeilichen Einschreiten gegen Fußballfans aus der Gruppe der Ultras entwachsen.

2 Erklärungsansätze zur Zuschauergewalt

Die Ursachen für die Entstehung der Gewalt durch Fans sind sehr vielfältig wie die nachfolgenden Zitate verdeutlichen:

„Sonst haben wir ja nicht viel.“ – „Hierbei erlebst du wenigstens Gemeinschaft – wo findet man die denn noch?“ – „In der Woche muß ich mich immer am Riemen reißen (...), muss eigentlich immer die Schnauze halten. Beim Fußball ist das anders – da darf die Sau raus.“ – „Wir haben eine Welt für uns – und in der geht es wild zu – aber frei“ (PRAMANN 1980, 44).

„Samstag sauf ich, bis ich besoffen bin...Sonst penn ich leicht ein, wenn ich besoffen bin. Aber am Samstag is dat anders. Für Schalke gilt wat anderes als sonst. Alkohol un Ärger – dann gehtet los. Wenne an den Ärger denkst auf Schalke, den ganzen Mist inne Woche, zu Hause dat Rumgemecker, inne Schule dat Rumgemecker, dann kriegste ne ganz schön Wut. Und die muss raus. Ich krieg dir nur raus mit Randale“ (PRAMANN 1980, 116)

Ein erlebnisarmer Alltag, fehlende Gemeinschaften, gesellschaftliche Zwänge und daraus resultierende Frustrationen sind Teil verschiedenster Aggressionstheorien der Psychologie, die – neben der Schilderung der Entwicklung der Fan- und Hooliganszene und der Darstellung von Präventions- und Interventionsmöglichkeiten bei Zuschauer-gewalt – im Mittelpunkt des Hauptteils der Arbeit stehen.

2.1 Vorstellung der Aggressionstheorien

Zur Erklärung der Ursachen von Gewalt liegen zahlreiche Theorien vor, die sich mit Aggression bzw. aggressivem Verhalten beschäftigen. Ralf Ek bezieht sich auf psycho-logische und sozialpsychologische Erklärungsansätze, die von der Grundüberlegung ausgehen, „dass für die Ausschreitungen bei Fußballspielen die Aggressionen der Zuschauer verantwortlich sind“ (EK 1996, 152).

Ziel der aggressiven menschlichen Verhaltensweisen können Verletzung oder Schädigung sein. Diese menschlichen Aggressionen treten in verschiedenen Erscheinungsformen auf (vgl. ebd.). Nach außen nicht erkennbare Aggressionen (z.B. Wut) stehen dabei auf unterster Stufe. Verbale Aggressionen (wie beleidigendes Rufen) werden gefolgt von Aggressionen gegen Sachen und Tiere (z.B. Vandalismus). Die „schwerwiegendste Stufe wird bei aggressiven Handlungen gegen Menschen erreicht“ (ebd.).

Im Folgenden werden einige Aggressionstheorien vorgestellt.

2.1.1 Trieb- und instinkttheoretische Ansätze

Ek greift Freud’s psychoanalytische Trieblehre auf und leitet ein, dass durch „Teilnahme an aggressivem Verhalten eine Aggressionsverminderung eintritt“ (EK 1996, 153).

Nach Freud sind dem Menschen von seiner Geburt an zwei Instinkte gegeben. Zum einen der Sexualtrieb mit dem Wunsch der Selbsterhaltung, zum anderen der Destruktionstrieb mit dem Wunsch der Selbstzerstörung.

Um eine Selbstzerstörung zu vermeiden, muss „die dem Destruktionstrieb inne-wohnende Energie auf andere Personen umgeleitet werden [...] und es entsteht ein kathartischer Effekt“ (ebd.).

Auch nach Lorenz besitzt der Mensch einen angeborenen Aggressionstrieb, dessen Potenzial sich auflädt und durch aggressive Handlungen nach Entladung drängt (vgl. ebd.). Unterbleibt diese Entladung über einen längeren Zeitraum aufgrund eines fehlenden Schlüsselreizes, kann es – wie bei einem Dampfkessel – zum Aggressionsstau mit spontaner Entladung ohne vorherigem Schlüsselreiz kommen (vgl. ebd.).

Im Sinne des Katharsis-Effekts schreibt Lorenz dem Sport sozusagen die Funktion der reinigenden Kraft vor, so dass die Aggression nicht gegen die eigene Person gerichtet wird. Dies zeigt sich in den „gelegentlichen Gewaltausbrüchen der Zuschauer“ (EK 1996, 154).

Fußballzuschauer müssten bei „der Annahme einer solchen Sicherheitsventilfunktion des Sports für den unvermeidlichen menschlichen Triebdruck [...] nach dem Miterleben von Fußballspielen eine geringere Bereitschaft zu aggressiven Handlungen zeigen als vorher“ (SCHULZ 1986, 71).

2.1.2 Erklärungswert triebtheoretischer Ansätze

Dieses Modell kann nicht für das Hooliganphänomen gelten, da mögliche Schlägereien lange vor dem Spiel geplant sind und schon weit vor oder nach dem Spiel stattfinden (vgl. EK 1996, 164). Würden die kathartischen Effekte nur durch die Sportveranstaltung ausgelöst werden, müssten die Verhaltensweisen der Hooligans und den anderen gewalttätigen Fans während der An- und Abreise durch andere Ursachen erklärt werden (vgl. KRAFT 2001, 14).

Im Bezug auf das Dampfkesselmodell muss festgehalten werden, dass nach längeren Zeitspannen ohne Fußballspiele – wie zum Beispiel nach Sommerpausen – das „Potenzial verhaltensspezifischer Energie“ (EK 1996, 164) besonders groß sein müsste. Folglich müsste es besonders viele Auseinandersetzungen an den ersten Spieltagen nach diesen Pausen geben. Dies ist nicht der Fall; vielmehr bieten bestimmte Spielpaarungen – wie Derbies – eine erhöhte Wahrscheinlichkeit von Auseinandersetzungen.

Gewalttaten – besonders die der Hooligans – werden gemäß Analysen der Polizei nach dem Spiel begangen. Daher kann der Katharsis-Effekt durch das „Dampfablassen“ während des Spiels nicht gelten.

Nach Ek müssten Hooligans zudem einen Ersatzgegner finden, sobald es der Polizei gelinge, Gewalttätigkeiten an einem Spieltag zu verhindern. Auch das ist nicht der Fall und „Konfrontationen mit anderen Gruppen Jugendlicher sind seltene Ausnahmefälle“ (EK 1996, 165).

2.1.3 Die Frustrations-Aggressions-Theorie

Nach Dollard führen Frustrationen im wahrscheinlichsten Fall zu Aggressionen.

Nach Berkowitz erhöhen Frustrationen zumindest die „innere Bereitschaft zu aggressiven Handlungen, die aber nur dann auftreten, wenn Hinweisreize, d.h. Reize, die mit ärgerauslösenden Bedingungen oder mit Aggression ganz allgemein assoziiert sind, in der jeweiligen Situation vorhanden sind“ (EK 1996, 155).

Eine vom Zuschauer erlebte Niederlage des eigenen Teams kann als konkrete frustrierende Umweltbedingung für Zuschaueraggression gelten (Vgl. SCHULZ 1986, 75). Entsprechend der Frustrations-Aggressions-Theorie müssten diese Fans aggressiver sein, als die Fans des siegreichen Teams und das Frustrationserlebnis müsste zudem noch größer bei Niederlagen in bedeutenden Spielen sein (vgl. EK 1996, 166).

2.1.4 Erklärungswert der Frustrations-Aggressions-Theorie

Ek bestätigt, dass diese Theorie durch Alltagserfahrungen gut nachvollzogen werden kann (vgl. EK 1996, 165). Häufig ist zu beobachten, dass Fans Gegenstände auf das Spielfeld werfen, nachdem der Schiedsrichter einen „eigenen“ Spieler mit einer roten Karten bestraft hat. Hier ist die Beziehung Frustration à Aggression offensichtlich.

„Für die Erklärung des modernen Hooliganismus ist die Frustrations-Aggressions-Hypothese trotzdem nur bedingt geeignet, da Gewalttätigkeiten vor dem Spiel und gerade von den Hooligans der siegreichen Mannschaft nicht überzeugend erläutert werden können. [...] Das Ausleben von Aggressionen dient zudem in der Regel nicht dem Abreagieren von erlebten Frustrationen, sondern hat einen Selbstzweck, da es die Bedürfnisse der Handelnden nach Machtgefühl, Status und Abenteuer befriedigt“ (EK 1996, 166).

Da bei Ultras aggressive Handlungen vor Spielbeginn auf den Anmarschwegen auftreten und einige auch nach Siegen gewalttätiges Verhalten zeigen, muss festgehalten werden, dass die Frustrations-Aggressions-Theorie alleine nicht als universales Modell für alle Auseinandersetzungen im Fußball gelten kann (vgl. KRAFT 2001, 13).

Schulz stellt dem Frustrations-Aggressions-Modell zudem die Feldstudien zur Aggressivität von Sportzuschauern entgegen, in denen Goldstein und Arms keine „signifikante[n] Unterschiede zwischen Aggressivitätsmesswerten von frustrierten und nicht-frustrierten Zuschauern feststellen [konnten]“ (SCHULZ 1986, 75).

2.1.5 Lerntheoretische Konzepte

Lernpsychologen gehen davon aus, dass aggressive Handlungen gelernt werden, ohne dass sie auf einem Trieb basieren oder besondere Frustrationen als Auslöser vorhanden sein müssen (Vgl. SCHULZ 1986, 76). Für diesen Ansatz sind im Besonderen das operante Konditionieren, das Lernen am Erfolg und das Modelllernen ausschlaggebend.

„Skinner versuchte bereits 1938 nachzuweisen, dass ein Verhalten in Zukunft wieder ausgeführt wird, wenn es für den Handelnden positive Konsequenzen hat“ (ebd.). Die Verstärkung kann materieller oder psychischer Art sein.

Bezogen auf das Verhalten von Fußballfans kann das Anfeuern der eigenen Mannschaft im Zusammenhang mit der „Behinderung der gegnerischen Mannschaft in Form von Pfiffen, aggressiven Sprechchören usw.“ (SCHULZ 1986, 77) mit Erfolgsrückmel-dungen verbunden werden. Bei eintretendem Erfolg werden die verbalen, aggressiven Verhaltensweisen wiederholt und gefestigt. Bei intermittierender Verstärkung, (in diesem Fall: kein stetiger Erfolg des Teams) wird das Verhalten zwar weniger schnell aufgebaut, aber auch weniger schnell verlernt (vgl. ebd.).

Weiterhin bekräftigen sich die Fans untereinander für ihre Verhaltensweisen in Form von Aufmerksamkeit und sozialer Anerkennung (vgl. ebd.).

Das operante Konditionieren ist stets in Verbindung mit dem Modelllernen zu sehen, „denn das Übernehmen abgeschauter [...] Aggressionen scheint besonders in einer wachsenden Fankultur von Bedeutung zu sein“ (ebd.).

Im übertragenen Sinne des Modelllernens nach Bandura stehen vor allem ältere Fans als Vorbild für die jüngeren Stadionbesucher. Außerdem haben sie eine enthemmende Wirkung auf die Jüngeren, wenn diese erkennen, dass (verbale) Aggressionen nicht bestraft werden.

Außer von anderen Zuschauern lernen die Jüngeren auch noch aus den Verhaltens-weisen der Spieler – wie etwa dem Begehen unfairer Fouls oder aus obszönen Gesten und Worten (vgl. ebd.)

Schulz fasst folgendermaßen zusammen, dass

„von aggressiven sportlichen Wettkämpfen Modelliereffekte ausgehen, die die aggressiven Tendenzen der Zuschauer ansteigen lassen. Dies gilt insbesondere für Mitglieder solcher Zuschauergruppen, in denen aggressive Handlungen innerhalb des eigenen subkulturellen Normensystems positiv bewertet und verstärkt werden“ (SCHULZ 1986, 79).

2.1.6 Erklärungswert Lerntheoretischer Konzepte

Das Auftreten der Trainer, Spieler oder Manager kann während, aber durch die verstärkte Medienpräsenz vor und noch weit nach dem Spiel für hitzige Diskussionen und Aggressionen sorgen. Als Beispiel ist das Derby zwischen Borussia Dortmund und Schalke 04 am vorletzten Spieltag der vergangenen Saison der Fußballbundesliga zu nennen.

Im Vorfeld traten besonders die beiden Manager in Interviews hervor, in denen sie den jeweiligen Gegner den Kampf ankündigten und mit demütigenden Aktionen im Falle eines Sieges drohten.

Der Ausgang des Spiels war relativ eindeutig, doch das Verhalten der Zuschauer war massiv auf Beleidigung des Gegners statt auf Unterstützung des eigenen Teams ausgerichtet. So kam es nach dem Spiel auch zu Schlägereien unter den gegnerischen Fans.

„Im Unterschied zu triebtheoretischen Postulaten und frustrations-aggressions-theoretischen Annahmen können lerntheoretische Deutungen aggressiver Handlungen von Sportzuschauern als empirisch weitgehend gesichert angesehen werden“ (SCHULZ 1986, 80).

In Experimenten konnte beispielsweise Turner ein Ansteigen aggressiver Bereitschaften bei Zuschauern von aggressiven Mannschaftssportarten feststellen, welches dem Konditionierungs- und Modellierungsparadigma zuzuschreiben ist (vgl. ebd.).

Gleiches gilt in den Hooligangruppierungen. Einstige Mitläufer orientieren sich am „harten Kern“, um den Status innerhalb der Gruppe zu steigern. Dies gleicht wiederum einer positiven Verstärkung, da „ihre Bedürfnisse nach Machtausübung, Spaß, Aufmerksamkeit und nach Verdrängung eines erlebnisarmen Alltags“ (EK 1996, 171) gestillt werden.

Die Lerntheoretiker konnten bisher jedoch nicht erklären, „aufgrund welcher Rahmen-bedingungen sich die Jugendlichen den Hooligangruppen [zunächst erst] anschließen“ (EK 1996, 172).

Der lerntheoretische Ansatz kann nicht für alle Formen der Aggression gelten, da er spontan auftretende Aggressionen nicht erklärt. Vielmehr erscheint ein übergreifendes, multikausales Modell geeignet, welches die vorgestellten Theorien vereinigt. Wie in 2.1.7 vorgestellt wirken eine Vielzahl von Bedingungen, die aggressives Verhalten begünstigen aufeinander ein.

2.1.7 Multikausales Aggressionsmodell

Laut Pilz haben monokausale Erklärungsansätze nur einen begrenzten Erklärungswert (vgl. PILZ 1982, 154), da sie Ergebnisse verallgemeinernd auf alle Formen des aggressiven Verhaltens übertragen. Das Bundesinstitut für Sportwissenschaft in Köln gab eine Studie in Auftrag, in der Polizisten und Ordner nach der Ursache von Fan-Aggressionen befragt worden sind. Überwiegend wurde die Frustrations-Aggressions-Theorie kombiniert mit dem Lorenz’schen Dampfkesselmodell als Grund für aggressive Handlungen der Fans genannt. Demnach bräuchten die Fans ein Ventil für die aversiven Reize der Arbeitswelt und das Vorhandensein von Mangelzuständen wie Langeweile. Lerntheoretische Vorstellungen wurden kaum als Ursache genannt (vgl. PILZ 1982, 57).

In einer Analyse der gewalttätigen Auseinandersetzungen wird deutlich, dass es nicht die eine Bedingung als Ursache der Aggressionen gibt (vgl. PILZ, 1982, 59). Eine Reihe unterschiedlicher Bedingungen, die einerseits in der handelnden Person liegen, andererseits der Umwelt zugeordnet werden müssen, beeinflussen sich gegenseitig (vgl. ebd.).

Genetische Einflussgrößen, die z.B. die triebtheoretischen Modelle ausmachen, bieten laut Pilz lediglich Dispositionen zu aggressivem Handeln, welche jedoch durch andere Einflussgrößen weiter bestimmt werden. Bedeutender hingegen sind Sozialisations-erfahrungen in einem bestimmten Wertesystem, da diese einen größeren Einfluss auf Art und Weise aggressiven Verhaltens haben (vgl. ebd.).

Weiter von Bedeutung sind politisch-ökonomische Bedingungen. So konnte Allardt in seiner Arbeit einen Zusammenhang zwischen den politischen und ökonomischen Zwängen der Gesellschaft und dem Ausüben einer aggressiven Sportart aufzeigen.

Die Ökologie der Stadien, besetzte Parkplätze, verstopfte Zufahrtsstraßen wirken ebenso aggressionsfördernd (vgl. PILZ 1982, 157).

Delinquentes Verhalten ist außerdem bestimmt durch seine Konsequenzen. Besonders die Gruppensituation in den Stadien bietet eine Vielzahl von Verstärkern wie Aufmerksamkeit der Medien oder Unbeteiligter, Kampferfolge gegen gegnerische Fans, Aufsteigen in der Gruppenhierarchie, Reduktion von emotionalen Spannungen, das Vermeiden von Langeweile oder aber die Selbstbestätigung eigener Macht und Wirksamkeit (vgl. PILZ 1982, 70).

Aggressives Verhalten ist weiter abhängig vom Schiedsrichterverhalten oder von der Bedeutung des Wettkamps. „Der Bedeutungsanstieg der Spiele dürfte zu einem erhöhten allgemeinen Erregungsniveau [führen], was [...] vermehrt aggressive Reaktionen hervorrufen kann“ (PILZ 1982, 66).

„In mehreren Untersuchungen zur Zuschaueraggressivität [...] konnte nachgewiesen werden, dass [...] die Bereitschaft der Fans, aggressiv zu handeln, nach dem Erleben des Fußballspiels im Mittel höher ist als vorher“ (PILZ 1982, 63). Demnach ist die Katharsis-Hypothese, die besagt, dass das Betrachten der Spiele und aggressive Handlungen – im Sinne verbaler Aggressionen – aggressive Energien abbauen, nicht haltbar (vgl. ebd.). Die Untersuchungen ergeben, dass bei besonders „harten“ Spielen – geprägt von vielen Fouls, Elfmetern und roten Karten – ein eindeutiger Aggressivitätsanstieg zu verzeichnen ist.

Weniger einflussreich ist das Spielergebnis. Denn sofern die Erwartungen vor dem Spiel gegen einen überlegenen Gegner nicht zu hoch gesetzt waren, kann auch eine knappe Niederlage als befriedigend empfunden werden (vgl. PILZ 1982, 64). Vergleichbar zu Trauer, Wut oder Freude ist Aggression während eines Stadionbesuchs oder einer Saison Schwankungen unterworfen. Sogar Erfolge können aggressive Tendenzen der Fans erhöhen, da der Erfolg der Mannschaft die Erwartungshaltung der Fans bei zukünftigen Spielen erhöht und so mögliche Enttäuschungen häufiger eintreten können.

Aggressive Handlungen sind außerdem die Folge der Gruppenidentität. Um eben diese nebst dem sogenannten „Wir-Gefühl“ aufbauen zu können, brauchen die Fans Feinde (Polizei, gegnerische Fans etc.), von denen sie sich positiv absetzen können. Provozierte Widerstände gegen die Polizei dienen daher der Identitätsfindung (vgl . PILZ 1982, 68).

Eine weitere Ursache aggressiven Verhaltens ist das „Sensation-Seeking-Motiv“, welches das Aufsuchen von reizreichen Situationen, Spannung, Abenteuer und Gefahr ausmacht, um Erlebnisse des Alltags auszugleichen und eigene Wirksamkeit zu erfahren (vgl. ebd.). Demnach beziehen multikausale Erklärungsansätze auch das durch die moderne Industriegesellschaft geschwächte „Ich“ und die Einschränkung der individuellen Entfaltung in die Ursachenkette gewalttätigen Verhaltens ein (vgl. KRAFT 2001, 14).

Multikausale Erklärungsansätze beinhalten sogar die Auswirkungen der Bericht-erstattung in den Medien. Durch häufige Darstellung der Gewalt in den Medien werden viele Jugendliche zu ähnlichen Handlungen angestiftet (vgl. KRAFT 2001, 95). Die erhöhte Präsenz der Auseinandersetzungen von Fußballfans in den Medien hat zudem eine hohe Sogkraft für andere gewaltbereite Gruppen, die ursprünglich nicht fußballinteressiert waren – nun aber diese Plattform für die Inszenierung ihrer Kämpfe nutzen (vgl. KRAFT 2001, 96).

Die Ablehnung in der Öffentlichkeit und die größere Distanzierung zu den Fans kann die Eskalation der Gewalt weiter fördern. Einer der wichtigsten Faktoren, der die Aggressionen durch Fans beeinflusst ist das repressive Einwirken der Polizei und des Ordnerpersonals. Die repressiven Maßnahmen gegen Fußballfans könnten sogar einen eigenen Ansatz zur Entstehung der Gewalt durch Fußballfans bilden, so dass die Art und der Umfang dieses Einwirkens im Verlauf des zweiten Teils der Arbeit geschildert werden.

2.1.8 Erklärungswert multikausaler Aggressionsmodelle

Wie an den Ausführungen zu erkennen ist spielen eine Vielzahl verschiedenster Bedingungen eine Rolle für das Auftreten von Aggressionen. Die zuvor dargestellten psychologischen Ansätze liefern allesamt Erklärungsansätze für einzelne Fälle von Aggressionen, können aber nicht verallgemeinert auf alle Situationen übertragen werden.

Ursache und Wirkung von Aggressionen im Zuschauerbereich sind wenig erforscht, da das Zuschauerverhalten experimentell schwer zugänglich ist (vgl. KRAFT 2001, 11). Ebenso wenig kann festgestellt werden, welche Theorie oder welche Bedingung am schwerwiegendsten ist, da diese sich wechselseitig beeinflussen. Jedoch ergibt das multikausale Aggressionsmodell einen guten Überblick über die möglichen Ursachen aggressiven Verhaltens durch Fußballfans.

2.2 Die Bedeutung des Alkohols

Ungeachtet dessen, welches Aggressionsmodell zur Erklärung von Zuschauergewalt herangezogen wird, spielt der Alkoholgenuss eine große Rolle hinsichtlich des Auftretens gewalttätiger Auseinandersetzungen.

Alkoholkonsum erhöht die Spannung und führt zu Erregungssteigerung, die wiederum zu erhöhter Aggression und Gewaltbereitschaft führen kann (vgl. KRAFT 2001, 141). Jeder dritte Fall von Gewaltkriminalität in Deutschland wird von alkoholisierten Tätern begangen. Zwar führt Alkoholkonsum in manchen Fällen zu einer Gemütsberuhigung und die o.g. Feststellung bildet keine Gesetzmäßigkeit, jedoch sind die „Gewalttaten bei Fußballveranstaltungen, die unter Alkoholeinfluss festgestellt werden, enorm“ (KRAFT 2001, 143).

Außerdem wird Alkohol gezielt konsumiert, um „sich der eigenen Stärke zu vergewis-sern und im Falle von Gewalttätigkeiten eine Rechtfertigung [...] für die begangene Tat zur Hand zu haben“ (ebd.).

Ein Alkoholverbot im Stadion und das Verwehren des Eintritts stark alkoholisierter Personen könnte nicht nur die Anzahl der Gewalttaten reduzieren, sondern besonders Jugendlichen die Erfahrung ermöglichen, ohne Alkohol Spaß während dieser o.ä. Veranstaltungen zu haben.

Abschließend muss jedoch festgehalten werden, dass diese Maßnahme die Hooligangewalt kaum beeinflussen wird, da Hooligans zumeist auf den Alkoholkonsum verzichten, um bei möglichen Auseinandersetzungen kampfbereit zusein.

3 Ursache der Hooligangewalt

Die vorgestellten Aggressionsmodelle liefern mögliche Erklärungen für Auseinander-setzungen im Rahmen von Fußballspielen. Jedoch finden sie keine Gültigkeit für Ausschreitungen, die durch Hooligans verursacht werden, da diese oftmals langfristig geplant und fern der Spiele stattfinden. Im Folgenden werden mögliche Gründe für die Hooligangewalt dargestellt.

3.1 Hooligans als Verlierer der Modernisierungsphase

„Der Fußballfanbereich ist in sozialstrukturelle gesellschaftliche Entwicklungs-tendenzen integriert“ (KRAFT 2001, 65). Innerhalb des Gesellschaftswandels werden die Menschen aus den Sozialformen (Klasse, Schicht, Familie etc.) entlassen, so dass eine Verlagerung von Gemeinschaft in Richtung Individuum stattgefunden hat (vgl. ebd.). Der Erfolg dieser Individuen ist jedoch stark arbeitsmarkt- und bildungsabhängig. Schlechte Zukunftsperspektiven belasten die Jugendlichen sehr. Daher werden Befriedigungsmöglichkeiten in Form von Vandalismus, Provokation, Überschreitung von Regeln usw. gesucht (vgl. KRAFT 2001, 68).

Besonders das Jugendalter gilt als Phase, in der Heranwachsende eine psychosoziale Identität aufbauen müssen, doch genau diese Entwicklung ist heute erschwert, da Menschen nicht nur passiv Lernende sein wollen, sondern Bestätigung, Engagement und sinnvolle Aufgaben benötigen (vgl. PILZ 2005a, 2). Dementsprechend benötigen sie Antworten auf die Fragen „Wer bin ich?“, „Was kann ich?“, „Wozu bin ich da?“, „Wohin gehöre ich?“ und „Was wird aus mir?“. Doch in der Schule wird den Jugendlichen zumeist aufgeführt, was sie nicht können (vgl. ebd.).

Durch die Loslösung von der Familie und den Verlust natürlicher Lebenswelten besteht eine Orientierungslosigkeit im gesellschaftlichen Platzierungsprozess (vgl. KRAFT 2001, 67).

Bietet sich keine Möglichkeit, sich hervorzutun, „bleibt ihnen oft nur noch der Körper als Kapital, den sie entsprechend ausbilden und Anerkennung und Aufmerksamkeit suchend einsetzen“ (PILZ 2005a, 2). Dies ist die Wurzel der Gewalt. Dieses Konzept der Selbstbehauptung führt dazu, dass sich Jugendliche in Gruppen zusammenschließen, um sich dort stark zu fühlen indem sie den körperlichen Vergleich mit anderen Gruppen suchen.

Da es sich also um gesellschaftliche Struktureffekte, den Ausdruck einer Sinnkrise, den Beweis für die Perspektivlosigkeit, Identitätssuche und die Verarmung sozialer Bindungen handelt, greifen einzig pädagogische Maßnahmen, um diese Problematik zu beheben. Handelt es sich um vereinzelte, persönlichkeitsabhängige Kriminalität, so erscheinen repressive Maßnahmen notwendig (vgl. PILZ 2005a, 4). Dementsprechend setzt die tägliche Fanarbeit auf repressive und präventive Maßnahmen. Die jeweiligen Angebote bzw. Maßnahmen werden im zweiten Teil der Arbeit fokussiert.

3.2 Der „Kick“

Der Grund für die Lust an der Gewalt ist nicht vollkommen geklärt. Vor allem die unter 2 aufgeführten Aggressionsmodelle können nicht für die Hooligangewalt dienen. In einem Interview mit einem Hooligan erfährt Gehrmann:

„Der Kitzel, der Nervenkitzel dabei, wenn du auf die anderen draufrennst – das gibt dir ´nen irren Kick! Zusammensein, das Machtgefühl, wenn du ‚ne Gruppe bist. Da kann mir einer sonst was erzählen: wenn ich Macht ausüben kann, dann ist das irgendwie ein tolles Gefühl. Das steckt, glaube ich, in jedem drin. Wenn du über irgendjemand oder irgendetwas Macht hast, wenn du bestimmen kannst: So ist es! Das ist „der kleine Nazi“ oder „der kleine Diktator“ in jedem. Es gibt wohl kaum einen Menschen, der nicht mal Lust hätte, Macht auszuüben. Und wenn du auf einen Mob draufrennst und boxt die weg, dann warst du besser als die, dann hast du die Macht ausgeübt“ (GEHRMANN 1990, 17).

„Der Reiz liegt in dem Moment, wenn du um die Ecke biegst und 40 Mann auf dich zurennen. Das ist der Kick für den Augenblick. Das ist wie Bungee–Springen – nur ohne Seil. [...] Was mich anzieht, sind die Momente, wo das Bewusstsein aufhört: Momente, in denen es ums Überleben geht, Momente von animalische Intensität, Gewalttätigkeit, Momente, wenn keine Vielzahl, keine Möglichkeit verschiedener Denkebenen besteht, sondern nur eine einzige – die Gegenwart in ihrer absoluten Form“ (BUFORD 1992, 234).

Dies spiegelt die unter 3.1 aufgeführten Ursachen für die Entstehung der Hooliganrandale wider. Häufige Antworten der Hooligans sind der „Kick“, „Spaß“ oder das „Erlebnis“ bei gewalttätigen Auseinandersetzungen, doch dies ist für Außenstehende so nicht zu verstehen.

Gehrmann sieht

„Spaß nicht als treffenden Ausdruck, sondern summiert viele Elemente zur Fußballrandale dazu, wie z.B. „Die Kumpels viele Stunden vor dem Spiel treffen, rumstehen und trinken und schwätzen, die Gegner erwarten, durch die Stadt ziehen und den Gegner suchen, die Gegner finden dann werden plötzlich die Sekunden lang, aufeinander zugehen, zurennen, zuschlagen, treten, Steine fliegen und Leuchtkugeln, die Polizei kommt angestürmt, abhauen, es noch mal versuchen. [...] So viele Elemente, so viele Gefühle – Spaß ist eines davon“ (GEHRMANN 1990, 11).

Das passive Dasein im Stadion reicht nicht aus, um den grauen und monotonen Alltag vieler Menschen zu durchbrechen, daher sind Hooligans auf der Suche nach einer Sensation, einem Erleben (vgl. MEIER 2001, 70).

Schneider unterstellt den Hooligans

„auch ein hohes Sensation-Seeking-Motiv und wahrscheinlich sogar ein Leistungsmotiv. Gerade das Erleben bzw. Nichterleben eigener Wirksamkeit – und damit zum Teil Befriedigung oder Nichtbefriedigung leistungsmotivierten Handelns – spielt bei den Fans eine große Rolle“ (MEIER 2001, 70).

Vor allem die Selbstbestätigung durch das Erfahren der physischen Überlegenheit verstärkt diesen „Spaß“. Macht, Körperlichkeit, Mut und Kameradschaft werden in den Auseinandersetzungen erprobt und stellen sogleich das traditionelle Männlichkeitsbild dar. Ein Ausweichen wird demnach als „unmännlich“ und feige angesehen (vgl. MEIER 2001, 75). „Die Selbstbestimmung über Gewalt entspricht auch einem Bedürfnis nach Eindeutigkeit, Gewissheit und Klarheit[...], >>entweder wir sind die besseren oder nicht<<“ (GEHRMANN 1990, 99).

Diese Gründe sind aus Hooligansicht eine ausreichende Rechtfertigung für körperliche Auseinandersetzungen, da Moral oder Gewissen diese Handlungen nicht beein-trächtigen. Sie sehen ihre Handlungen als legitimiert an, da in typischen Hooligan-auseinandersetzungen keine Außenstehenden involviert werden und ein beidseitiges Einverständnis für einen „sportlichen Wettkampf“ vorhanden ist (vgl. ebd.). Daher verstehen die Hooligangruppen nicht, dass man sie nicht einfach gewähren und ihre Auseinandersetzungen auf der grünen Wiese stattfinden lässt.

„Hooligans verkörpern in exakter Spiegelung die einseitigen Werte und Verhaltensmodelle des verbreiteten Zeitgeistes: Elitäre Abgrenzung, Wettbewerbs-, Risiko- und Statusorientierung, Kampfdisziplin, Coolness, Flexibilitäts- und Mobilitätsbereitschaft, Aktionismus, Aggressionslust, Aufputschung und atmosphärischer Rausch“ (vgl. PILZ 2005a, 4).

4 Zwischenfazit

Die Gründe für Gewalt durch Fans sind sehr vielfältig, so dass auch eine Vielzahl von Maßnahmen ergriffen werden muss, um diese Gewalttätigkeiten einzuschränken. Da die Ursachenbeschreibung bisher ungenau ist, müssen neue Studien das Problemfeld „Gewalttätige Fußballanhänger“ weiter erforschen. In Anbetracht dessen, dass die Ursachen zu einem Großteil gesellschaftliche Umstände sind, bedarf es vermutlich eines Abbaus gesellschaftlicher Missstände bevor es zu einer endgültigen Lösung des Problems kommen kann. Inwieweit bisherige Maßnahmen gegen Fußballrandalierer erfolgreich sind wird im weiteren Verlauf der Arbeit verdeutlicht.

Teil II: Die Entwicklung der gewalttätigen Fußballfanszene und polizeitaktische Veränderungen

Im zweiten Teil der Arbeit wird die Entwicklung der Fangruppierungen geschildert, die maßgeblich an den gewalttätigen Auseinandersetzungen beteiligt sind. Im Mittelpunkt stehen daher die Ultras und ihre Abkehr von der Gewaltlosigkeit sowie die schon seit den siebziger Jahren auffälligen Hooligans. Zeitgleich werden die auf die veränderte Szene folgenden, polizeitaktischen Veränderungen thematisiert, welche die Vorläufer aktueller Präventions- und Interventionsmaßnahmen sind[2].

Außerdem werden beide Gruppierungen auf rassistische Einstellungen überprüft, bevor zum Schluss dieses Teils Hooliganismus in Europa, die Rolle der Frauen unter den gewaltbereiten Fans sowie aktuelle Gewaltstatistiken über die drei höchsten deutschen Spielklassen und einzelne aktuelle Fallbeispiele zur Gewalt durch Fußballfans dargestellt werden.

1 Die Ultraszene in Deutschland

Innerhalb des letzten Jahrzehnts hat sich um jeden Profiverein eine Ultraszene herauskristallisiert. Diese Arbeit thematisiert in erster Linie die Ultras bzw. die Hooligans, da sie das problematische Klientel unter der Gesamtzuschauermenge bilden und eigens für diese Gruppen Präventions- bzw. Interventionsmaßnahmen erarbeitet worden sind. Von den „normalen“, „konsumorientierten“ oder „stillen“ Zuschauern auf den Sitzplätzen, die in erster Linie ein „gutes Spiel sehen wollen“, geht vor, während und nach dem Spiel aus keinerlei Gefahr aus.

1.1 Die Ausdifferenzierung der Ultraszene

Seit Mitte der neunziger Jahre bildeten sich bundesweit Ultraszenen, die sich strikt von den sehr vereinsbezogenen Kuttenfans distanzieren, obwohl sie zu großen Teilen aus diesen Kreisen entstanden sind (vgl. PILZ 2005a, 5). Doch Ultras wehren sich gegen die zunehmende Kommerzialisierung im Fußball und der Fanszene, die unter anderem durch die Kutten mitgetragen wird.

In erster Linie prägen männliche Jugendliche diese Gruppen, doch werden zunehmend mehr Mädchen und junge Frauen Mitglieder dieser Fanclubs. Die Studie von Pilz ergibt, dass jedoch nur knapp 15 % der befragten Ultras angeben, dass “eine Frau Ultra sein kann“. 62 % geben an, dass eine Frau nicht die Rolle des Capo übernehmen kann (vgl. PILZ 2006, 88ff.). Frauen werden nur dann akzeptiert, wenn sie sich traditionell männlich verhalten und „nicht mit Stöckelschuhen und Handtasche im Block auftauchen“ (PILZ 2006, 92).

Für die Ultraszene ergibt sich bezüglich der sozialen Herkunft ein sehr ausgeglichenes Bild. Schüler aller Schulformen, Studenten, Auszubildende und Arbeitslose finden sich in dieser Gruppierung wieder. In allen vom Autor geführten Interviews[3] und bearbeiteten Materialien wird das öffentliche Bild des Fußballfans aus der Unterschicht nicht bestätigt. In der Studie von Pilz geben 40 % der Befragten an, sie hätten Abitur; 36 % gaben einen Realschulabschluss an. Dies deutet daraufhin, dass Ultras eher der Mittel- bzw. Oberschicht angehören (vgl. PILZ 2006, 98).

Schon in den sechziger Jahren begannen jugendliche Fußballanhänger sich im Stadion zusammenzufinden und sich von den passiven Zuschauern abzugrenzen. Im Laufe der Zeit bildete sich in dieser Gruppe ein bestimmtes Selbstbewusstsein, Stile und Werte (vgl. MEIER 2001, 46), so dass Zusammenschlüsse in Fanclubs zu Beginn der siebziger Jahre folgten. Das Gefühl der Zugehörigkeit, Gemeinschaft mit Gleichaltrigen, die Suche nach Ablenkung und Abenteuern ließ die Zahl der Fanclubs explodieren (vgl. SCHULZ/WEBER 1998, 68). Spezielle Kleidungen und Gesänge prägten das Bild dieser Gruppen und sind bis heute in den Ultragruppierungen vorhanden.

Während der neunziger Jahre differenzierten sich die Fanclubs weiter aus, das Fansein in den Gruppen wurde intensiviert und neue Gruppen gegründet, um sich so noch besser und vor allen Dingen gemeinschaftlich auf die Spiele vorbereiten zu können. Durch den Zusammenschluss grenzte man sich von den einzelnen Kuttenfans und den konsumorientierten Fans noch stärker ab, so dass die Ultras heute das Selbstbild der absoluten Fanelite tragen.

In einigen Städten gibt es Ultraszenen, die aus dem Zusammenschluss ehemaliger Fanclubs entstanden sind. So zählen in Nürnberg mehrere 1000 Personen zu dieser Szene. In anderen Städten dominieren kleinere Ultragruppen, die jedoch für den gesamten Fanblock Choreographien planen. Eine ganz klare Abgrenzung von anderen begeisterten Anhängern ist nach Außen jedoch nicht gegeben, da sich auch viele andere Anhänger im Fanblock ultratypisch verhalten.

1.2 Das Selbstverständnis der Ultras

2005 war auf der Homepage der Ultras in Frankfurt zu lesen:

„Ultra ist für uns eine Geisteshaltung, eine grundsätzliche Einstellung zum Fandasein. Wir verstehen uns nicht als bloße in sich hinein konsumierende Masse, [...]wir sind kritische und vor allem mündige Menschen. [...] WIR sind die Hauptsache! WIR sind das Spiel und der Verein.

Klar ist es unbeschreiblich geil, gigantische Fahnenmeere zu erschaffen, [...] aber es gibt noch eine andere Seite,[...] die geistige Seite des Ganzen. Es ist wichtig eine starke Gruppe zu schaffen, [...] die gegen alle äußeren Einflüsse zusammenhält[...] Eine Gruppe die noch Werte hat, [...] während in der heutigen Gesellschaft [...] Freundschaft, Treue und Ehrlichkeit von Wörtern wie Gewinnoptimierung und Effizienz verdrängt werden. [...]Freundschaft und Liebe sind unabdingbar, wenn eine Ultra Gruppe funktionieren soll.[...]

Wenn erwachsene Menschen sich gegenseitig in den Arm nehmen, weinen, lachen[...], muss schon mehr dahinter stehen als bloße Liebe zum Verein.“ (PILZ 2005a, 5f)

Dies zeigt die veränderte Selbstwahrnehmung des Publikums. Durch die vermehrte Professionalisierung im Fußball wird die Distanz von Fans und Spielern vergrößert[4], so dass Fans sich selbst feiern und ihre Anwesenheit allein Befriedigung verschafft. Die Vorsänger der Gruppen oder La-Ola-Wellen sind Indiz dafür (vgl. ebd.).

Dementsprechend ist Ultra keine Art eines neuen Fanclubs, sondern eine neue Lebenseinstellung, in der Partner, Schule und Beruf hintergründig sind.

Doch das Stadion als Raum der Freiheit wird zunehmend reglementiert. Vieles ist schon vororganisiert und Vorschriften engen die Handlungsmöglichkeiten der Ultras ein. So stoßen diese wiederholt an Grenzen; die daraus entstehenden Enttäuschungen und Gefühle der Einflusslosigkeit münden häufig in Flucht oder gar Gewalt (vgl. PILZ 2005a, 7)[5].

Werden Lärminstrumente, Konfettiregen, große Fahnen etc. verboten, fehlt einerseits die Atmosphäre während des Fußballspiels, andererseits besteht die Gefahr, dass die Wünsche nach Stimmung, Emotionalität und Atmosphäre auf eine problematischere Art ausgelebt werden.

Aus der Sicht der Ultras haben die Verregelung ihres Freiraums im Stadion und die zunehmende Repression zur Abkehr der Gewaltlosigkeit geführt. Dementsprechend verpflichten sie sich dem Ultramanifest, welches unter anderem zu Verzicht auf unnötigen Kontakt zu Verein und Polizei aufruft. Weitere Inhalte des Manifests sind: Das Zeigen der Präsenz bei allen Spielen, ohne sich dabei unterdrücken zu lassen, Selbstorganisiert die Auswärtsspiele besuchen, Zusammenarbeit gegen die Kommerzialisierung mit den gegnerischen Ultras (vgl. PILZ 2005c, 14f)

1.3 Die Abkehr von der Gewaltlosigkeit

Juristisch ist das Stehlen gegnerischer Zaunfahnen und Fanutensilien zwar als Straftat zu bewerten, jedoch regeln die Fangruppen solche Angelegenheiten unter sich, ohne Strafanzeige zu stellen, so dass dieses nicht als „Gewalt“ oder „Aggression“ bezeichnet werden kann.

Kritisch zu betrachten ist jedoch die Abkehr von der Gewaltlosigkeit einiger Ultras. Die Gründe dafür sind vielfältig (siehe Teil I). Seit Mitte der neunziger Jahre reisen Fans vermehrt zu Auswärtsspielen. Dabei bleibt es oftmals nicht nur beim Kräftemessen durch Gesänge und Schlachtrufe, sondern häufig kommt es zu Auseinandersetzungen, die aus Provokationen der gegnerischen Fans bzw. Frustrationen nach einem schlechten Spiel resultieren (siehe Teil I, 2.1.3) oder lediglich in der Suche nach dem „Kick“ entstehen, wie der Autor in Interviews mit Fanbeauftragten und Fanprojekten hat.

„Individuelles Prestige [als ähnliches Motiv, wie das der Hooligans] kann durch Aufschneiden mit Heldentaten, durch Provozieren der Sicherheitskräfte oder durch anderes, grobes Machogehabe erlangt werden“ (STOCKER 1988, 59). In Hannover werden die Ultras von der Polizei aufgrund vergangener Ausschreitungen allesamt der Kategorie C zugeordnet (PILZ 2005a, 11).

„Wenn mein Kind Bulle werden will, würde ich’s glaub ich umbringen. Das wäre die größte Niederlage meines Lebens. Der kann schwul werden, der kann Marsmännchen anbeten“ (PILZ 2006, 138).

Das obige Zitat eines Ultras veranschaulicht das Verhältnis zwischen Ultras und Polizei, denn ein weiterer Faktor der zunehmenden Gewaltausübung ist das massive und aus Sicht der Ultras manchmal unangemessene Einschreiten der Polizei gegen Fans (siehe 1.2), so dass die Polizei zum Feindbild erklärt und Auseinandersetzungen gesucht werden.

Da es der Polizei teilweise unmöglich erscheint die Szene genau zu differenzieren (PILZ 2005a, 11), ergibt sich eine Gewaltspirale in welcher der unproblematische Teil der Szene sich in der Folge mit repressiven Maßnahmen konfrontiert sieht und so zunehmend radikalisiert.

[...]


[1] Siehe: Anlage 1 im Anhang

[2] Aktuelle Präventions- und Interventionsmöglichkeiten werden in Teil 3 thematisiert

[3] Interviews zur Fanarbeit vom VfL Osnabrück, Arminia Bielefeld, Hannover 96 und Dynamo Dresden befinden in Anlage 4 des Anhangs

[4] Je nach Altersklasse geben bis zu 45% der Ultras an, sich nicht mehr mit den Spieler identifizieren zu können (vgl. PILZ 2006, 80)

[5] 45% der Ultras geben an, dass die Ultra-Kultur zu weit zurückgedrängt wird und es irgendwann „knallt“ (PILZ 2006, 159)

Ende der Leseprobe aus 127 Seiten

Details

Titel
Kritische Analyse der Fußballfan- und Hooliganszene. Präventions- und Interventionsmaßnahmen
Hochschule
Universität Osnabrück
Note
1,0
Autor
Jahr
2007
Seiten
127
Katalognummer
V93204
ISBN (eBook)
9783638064330
ISBN (Buch)
9783638955188
Dateigröße
4357 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Kritische, Analyse, Fußballfan-, Hooliganszene, Berücksichtigung, Präventions-, Interventionsmaßnahmen
Arbeit zitieren
Andreas Schulz (Autor:in), 2007, Kritische Analyse der Fußballfan- und Hooliganszene. Präventions- und Interventionsmaßnahmen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/93204

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