Das Buch des Sängers in Goethes West-östlichem Divan


Hausarbeit (Hauptseminar), 2007

35 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Die Rezeption des West-östlichen Divans – eine Einleitung

1. Stoff und Struktur des Divan und Verortung des Buch des Sängers

2. Das Buch des Sängers und seine Gedichte
2.1. Hegire
2.2. Segenspfänder
2.3. Talismane
2.4. Phaenomen
2.5. Selige Sehnsucht

Fazit

Literaturliste
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Sekundärliteratur

Die Rezeption des West-östlichen Divans – eine Einleitung

„Goethes Verhältnis zum Islam gehört zu den erstaunlichsten Phänomenen in seinem Leben. […]Von seiner Verehrung für den Islam zeugt vor allem jenes Werk, das uns heute, neben dem Faust, als eines seiner wesentlichsten dichterischen Vermächtnisse gilt, der West-östliche Divan.“[1]

Der zuerst 1819 veröffentlichte West-östliche Divan ist Goethes letzte große Gedichtsammlung und gibt eindrucksvoll Zeugnis über „Goethes imaginären Aufbruch ins Morgenland.“[2] Goethes Gedichte, die in der nochmals erweiterten Fassung von 1827 samt den vier Mottogedichten eine stattliche Anzahl von 239 zählen, wurden aber lange Zeit- wenn nicht sogar bis heute- unterschätzt.[3] Curt Hohoff (Goethe- Dichtung und Leben) bemüht sich noch 1989 um die alte Darstellung von Goethe im „islamische Gewand“[4]. Auch Ende der neunziger Jahre werden weder bei Irmgard Wagner (Goethe – Zugänge zum Werk), noch bei Peter Matussek (Goethe zur Einführung) der Koran und Islam erwähnt.[5] Im Allgemeinen beschränkte sich die literaturwissenschaftliche Aus­ein­andersetzung zunächst nur auf erläuternde Kommentare, die sich um Quellenbezüge[6] aber auch um die Darstellung des geschichtlich-biographischen Hintergrunds[7] bemühten. Erst spät im 20. Jahrhundert wurde der Blick auf kompositorische und stilistische Qualitäten gerichtet, wobei die Studien eher auf Einzelaspekte aus dem Spätwerk Goethes beschränkt sind.[8] So etwa auch Ehrhard Bahrs Untersuchungen zur Ironie im Spätwerk Goethes,[9] bei denen der Divan zusammen mit Faust II oder den Wanderjahren verglichen wird.

Aber Goethes Auseinandersetzung mit den geistigen Wurzeln des Morgenlandes ist eben nicht nur eine Erscheinung seines Spätwerks. Auch der junge Goethe hat sich schon mit dem Islam beschäftigt. So fertigte schon der junge Goethe 1772 Exzerpte aus dem Koran an[10] und schrieb 1774 „Mahomets Gesang.“ Bis zur Arbeit am West-östlichen Divan beschäftigte sich Goethe immer wieder einmal mit dem Orient.[11] Den äußeren Umständen ist es jedoch zu verdanken, dass sich Goethe nochmals verstärkt mit diesem auseinandersetzte.

Wie für seine Zeitgenossen ist er von den napoleonischen Wirren, einer Zeit äußerer Unruhen und „Kriegsgetümmel“[12] betroffen. Sie führten zu seiner inneren Flucht in die Ferne und „in jene Gegenden, wo [s]ein Schatz und auch [s]ein Herz ist.“[13] Für den 65jährigen war es jedoch auch eine Zeit des Rückblicks: Seit 1809 schrieb Goethe schon an Dichtung und Wahrheit, ab 1813 beschäftigte er sich mit der Italienischen Reise, bis auf das, aus aktuellem Anlass geschriebene, Schauspiel Des Epimenides Erwachen war eine neue poetische Produktion zunächst nicht in Sicht. Dies änderte sich schlagartig im Sommer 1814. Besuche bei den Brüdern Boisserée, dem Orientalisten Paulus aber vor allem das erste Treffen mit Marianne Jung (der späteren Marianne Willemer) gaben Zündstoff für den entscheidenden Impuls: einem Geschenk seines Verlegers Cotta in Form von einer Übersetzung Hafis durch den österreichischen Orientalisten Joseph von Hammer.[14] Dies leitete bei Goethe eine neue Phase produktiven Schaffens ein und sollte eine der erstaunlichsten Werke Goethes hervorbringen.[15] Schon in der 1833 erschienen Geschichte der neueren schönen Literatur in Deutschland pries Heine den Divan:

„[Der Divan] enthält die Denk- und Gefühlsweise des Orients, in blühenden Liedern und kernigen Sprüchen; und das duftet und glüht darin, wie ein Harem voll verliebter Odalisken mit schwarzen geschminkten Gazellenaugen und sehnsüchtig weißen Armen […] – den berauschendsten Lebensgenuß hat hier Goethe in Verse gebracht, und diese sind so leicht, so glücklich, so hingehaucht, so ätherisch, daß man sich wundert wie dergleichen in deutscher Sprache möglich ist.“[16]

Aber gerade diese so genannte „Gefühlsweise des Orients“ bereitete den Rezipienten des Divan Schwierigkeiten. Auch Goethe bemerkte dies schon bereits kurz nach einem Vorabdruck in Cottas Taschenbuch für Damen, welche ihn veranlasste, Noten und Abhandlungen zu besserem Verständniß des West-Östlichen Divans zu verfassen und dem Divan künftig beizufügen:

„[D]enn freilich mußte der Deutsche stutzen, wenn man ihm etwas aus einer ganz anderen Welt herüberzubrignen unternahm. Auch hatte die Probe in dem Damenkalender [d. h. dem Taschenbuch für Damen] das Publicum mehr irre gemacht als vorbereitet.“[17]

Allein für die Noten und Abhandlungen verwandte Goethe abermals zwei Jahre[18] und über 200 Seiten.[19] Trotz des großen Engagements von Goethe, seinen Lesern den Divan näher zu bringen, blieb das große Publikumsinteresse aus: Während die Lieder des Mirza Schaffy Friedrich von Bodenstedts im Zuge der aufkommenden Orientalismusmode im wilhelminischen Deutschland noch zu Lebzeiten des Autors ganze 143mal aufgelegt wurden, verstaubte die Erstauflage des Divan noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts in den Regalen.[20]

Andere Werke wie der Faust waren gefragter, um Goethe als den Nationaldichter Deutschlands hoch zustilisieren. Goethes Divan als „Alterslyrik“, als schmückendes „Orientalisieren“ als ein „souveränes Spiel mit fremden Formen und Inhalten“ unterschlägt die Qualität des Werkes.[21] Gerade in diesem Zusammenhang sei eine positiv intendierte Würdigung des Werkes von Fritz Stich zu zitieren:

„Goethe war ein viel zu vornehmer, sich selbst bejahender Geist Mensch, als daß er den europäischen Geist je an den Osten hätte verraten können. Aber er ist das schönste Beispiel dafür, wie man sich in seiner eigenen Form behaupten und doch ganz offen bleiben […] kann. Als der Osten dies an ihm getan hatte, kehrte Goethe geistig in den europäischen Raum zurück und durfte einmal […] zu Eckermann sagen, daß diese Lieder gar kein Verhältnis mehr zu ihm hätten. Was darin orientalisch sei, habe aufgehört, in ihm fortzuleben. Der Osten hatte seine Sendung an ihn erfüllt.“[22]

Diese Würdigung aus den 60er Jahren deutet immer noch „in beinahe erschreckender Weise auf den kolonisierenden Gestus der selbstbereichenderen, hegemonialen Aneignung einer zentrumsdefinierten Fremd­kultur“[23].

Diese Arbeit will sich bemühen, die Quellen Goethes gebührend zu würdigen, jedoch aber auch mit Blick auf Goethes Sichtweisen, um die poetische Bedeutung des Divan zu beleuchten. Innerhalb der Trias von Orient, Okzident und Goethe soll der Gehalt des Divan verortet und erhellt werden. Hierfür eignet sich das Buch des Sängers besonders, da es thematisch Bezug auf einen jeden Dichter sowie Goethe selbst nimmt. Beginnend mit der strukturell-thematischen Beschreibung des Divan um Allgemeinen über die Würdigung des Buch des Sängers im Speziellen, bis hin zur Analyse einzelner Gedichte desselben soll Goethes Werk gewürdigt werden.

1. Stoff und Struktur des Divan und Verortung des Buch des Sängers

„Fühlst Du nicht an meinen Liedern / Daß ich eins und doppelt bin?“[24]

- Gingo Biloba

Der West-östliche Divan Goethes enthält mit den vier Mottogedichten 196, bzw. in seiner erweiterten Fassung von 1827 insgesamt 239 Gedichte. Wie es für eine orientalische Gedichtsammlung üblich ist, wurden die Gedichte in so genannten Büchern gruppiert. Das ursprüngliche Vorhaben Goethes sah insgesamt dreizehn Bücher vor, die in Zweiergruppen zusammengefasst werden sollten und als Spiegelachse das Buch Timur haben sollte.[25] Das Buch selbst sollte „ein erhöhtes Anschaun ungeheurer Weltereignisse“[26] ermöglichen, in dem es diese „wie in einem Spiegel“[27] auffasste.

Die Mittelstellung wurde schließlich aufgegeben, da zum einen das Buch Timur bruchstückhaft blieb sowie das geplante (also das dreizehnte) Buch der Freude noch gar nicht geschrieben war. Das Vorhaben, die Bücher in Zweiergruppe um eine Spiegelachse anzuordnen wurde abgelöst durch lediglich zwölf Bücher, die in losen Dreiergruppen angeordnet wurden. Das Buch des Sängers, das den Gegenstand dieser Arbeit darstellt, wurde zusammen mit dem Buch Hafis und dem Buch der Liebe an erster Stelle einer Dreiergruppe, der ersten, zugeordnet.[28] Das Buch des Sängers bildet selbst das allererste Buch des Divan und hat dadurch expositorischen Charakter. Moganni Nameh, wie der andere Teil der doppelten Bezeichnung des Buch des Sängers ist, ist dem Dichter gewidmet.[29] Dies wird nicht zuletzt deutlich durch die explizite Nennung Goethes in seiner Ankündigung des Divan, die am 24. Februar 1816 in Cottas Morgenblatt für gebildete Stände abgedruckt wurde. Dort nennt er das Buch „Moganiname, Buch des Dichters“[30]. Im Buch des Sängers ist nicht nur der Dichter das Thema, sondern auch sein Verhältnis zum Orient, wie Goethe in seiner Ankündigung zum West-östlichen Divan gleich in den ersten Zeilen offenbart.

„Der Dichter betrachtet sich als einen Reisenden. Schon ist er im Orient angelangt. Er freut sich an Sitten, Gebräuchen, an Gegenständen, religiösen Gesinnungen und Meinungen, ja er lehnt den Verdacht nicht ab, daß er selbst ein Muselmann sey. In solchen allgemeinen Verhältnissen ist sein eigenes Poetisches verwebt, und Gedichte dieser Art bilden das erste Buch unter der Rubrik Moganiname, Buch des Dichter.“[31]

Kein anderer als Goethe selbst hätte am besten den Inhalt seines ersten Buches im Divan beschreiben können, denn sicherlich sind die Bücher zwar nach gewissen thematischen Gesichtpunkten geordnet, diese Themen werden aber nicht allzu scharf umrissen, oder anders, nicht allzu streng ausgefüllt und ist daher nur schwer auf abstrahierende Weise darzustellen.

Neben der nicht ganz einfach zu fassenden Thematik müssen auch noch Strukturprinzipien innerhalb verschiedenster Ebenen von Goethes Divan für das Verständnis von Moganni Nameh beachtet werden. Das Prinzip der Polarität ist entscheidend für die Struktur und die Bearbeitung seiner Themen. Nicht umsonst wurde das eigenartige zweilappige Blatt des Ginkobaumes zum Symbol des West-östlichen Divan. Schon der Titel der Gedichtsammlung sowie die Benennung der einzelnen Bücher weisen darauf hin: Polarität von West und Ost, bzw. doppelte Benennung der Bücher in Deutsch wie auf Arabisch. Auch der Divan selbst trägt nicht nur allein einen deutschen Titel. Neben dem Haupttitel findet sich auch auf Arabisch der Nebentitel „Der östliche Divan des westlichen Verfassers“. Dieses Strukturmerkmal der Polarität wird ergänzt durch dialogische Formen:[32]

„Polarität und Dialog sind vielfältig variiertes Motiv und Thema, poetisches Verfahren und bestimmendes Strukturelement zugleich. Neben dem östlichen „Zwilling“, dem persischen Dichter Hafis, werden die Geliebte Suleika, der junge Schenke und die Huri (eine islamische Paradiesjungfrau) zu Gesprächspartnern des Dichter – vor allem in den zahlreichen Dialoggedichten oder –gedichtgruppen des Buch Suleika und des Schenkenbuchs. Frage- und Antwort-Strukturen charakterisieren darüber hinaus zahlreiche weitere Gedichte auch in den anderen, eher didaktisch-spruchhaften Büchern.“[33]

Polarität und Dialog kennzeichnen aber nicht nur den Divan selbst und spiegeln auch nicht nur „das Ganze im Kleinsten“[34] wieder, sondern reichen über das Werk hinaus. Dadurch, dass der Divan einen Gedichtteil und über die erläuternden Noten und Abhandlungen verfügt, ist er selbst in sich wieder polar angelegt, befördert aber dadurch den Dialog mit dem Rezipienten. Auch die oben genannten Dialoggedichte zwischen Suleika und Hatem (der Dichter) weisen über den Rand des Divan hinaus: Dieses „Duodrama“[35] weist selbst auf das Verhältnis zwischen Goethe und Marianne von Willemer hinaus und so wie Marianne Gedichte schrieb, so dichtete auch Suleika.[36]

Dieses Prinzip „wiederholter Spiegelungen“[37] tritt aber nicht nur in der Form des Werkes selbst auf, sondern schlägt sich auch in dessen Inhalt nieder: „Charakteristisch für den West-östlichen Divan ist ein dichtes Geflecht von sich wiederholenden, aufeinander verweisenden und dabei immer wieder variierten Grundmotiven.“[38] Dies führt dazu, dass das Ganze des Divan eben mehr als die Summe seiner einzelnen Teile sind und die „entoptischen Erscheinungen […] von Spiegel zu Spiegel nicht etwa verbleichen, sondern sich erst entzünden.“[39]

Die Strukturen im Werk verweisen also formal wie auch inhaltlich aufeinander[40] und schaffen eine „Simultanität analoger Fälle“[41] bei denen „jegliches auf jegliches deutet.“[42] An dieser Stelle muss dies freilich noch verwirrend klingen, wird aber bei der folgenden Analyse von Moganni Nameh deutlicher werden. Bis jetzt wurde bewusst auf eine genauere inhaltliche Analyse verzichtet, da zum einen der Blick für konstituierende Strukturelemente gewahrt bleiben sollte, die nur durch ein möglichst abstrakte Darstellung der Inhalte möglich war. Nicht zu Letzt vermag „nur eine reine, wohlgefühlte Poesie […] allenfalls die eigentlichsten Vorzüge […] auszusprechen.“[43]

2. Das Buch des Sängers und seine Gedichte

„Buch des Dichters. Hierin, wie es vorliegt, werden lebhafte Eindrücke mancher Gegenstände und Erscheinungen auf Sinnlichkeit und Gemüth enthusiastisch ausgedrückt und die näheren Bezüge des Dichters zum Orient angedeutet. Fährt der auf diese Weise fort, so kann der heitere Garten aufs anmuthigste verziert werden; aber höchst erfreulich wird sich die Anlage erweitern, wenn der Dichter nicht von sich und aus sich allein handeln wollte, vielmehr auch seinen Dank, Gönnern und Freunden zu Ehren, ausspräche, um die Lebenden mit freundlichen Wort fest zu halten, die Abgeschiedenen ehrenvoll wieder zurück zu rufen.“[44]

So schreibt Goethe über sein Buch des Sängers im Künftigem Divan. Wie bereits erwähnt, offenbart Moganni Nameh das Verhältnis Goethes zum Orient näher als die anderen Bücher. Der dialogische Charakter wird selbst in diesem Zitat angedeutet, indem der „Dichter nicht [nur] von sich und aus sich allein handeln wollte, vielmehr auch seinen Dank […] ausspräche.“[45] Außerdem bereitet Goethe seine Leser weiterhin darauf vor, „daß der orientalische Flug und Schwung, jene reich und übermäßig lobende Dichtart, dem Gefühl des Westländers vielleicht nicht zusagen möchte.“[46] Gleichermaßen fordert er aber auch den Leser auf, sich auf die „wohlgefühlte Poesie“ einzulassen, denn sie allein „vermag allenfalls die eigentlichsten Vorzüge trefflicher Männer auszusprechen, deren Vollkommenheiten man erst recht empfindet, wenn sie dahin gegangen sind; wenn ihre Eigenheiten uns nicht mehr stören und das Eingreifende ihrer Wirkungen uns noch täglich und stündlich vor Augen tritt.“[47]

Hier bezieht sich Goethe wieder selbst auf Hafis und auf andere Quellen, auf denen Goethe Bezug nehmen wird. Der Dichter selbst wird folglich gleichsam der polaren Struktur als ein doppelter verstanden. Zum einen spricht Goethe von sich als Dichter, der sich auf einen anderen Kulturkreis einlässt, und für dessen Rezipienten die überschwängliche Haltung im allerersten Moment überschwänglich wirken muss. Er spricht aber auch von den Dichtern, denen er seine Kunst verdankt. Beide Arten von Dichtern vereint das Buch des Sängers unter sich, der Sänger will „nicht [nur] von sich und aus sich allein handeln.“[48]

Diese dialogische Form wird wieder im Eingangsgedicht zum Buch des Sängers deutlich:

Zwanzig Jahre ließ ich gehn
Und genoß, was mir beschieden;
Eine Reihe völlig schön
Wie die Zeit der Barmekiden.[49]

Der Dichter verbindet wieder beide Spähren miteinander, die des Orients und die des Okzidents. Die letzten beiden Verse beziehen sich klar auf die östliche Sphäre. Goethes lehnt sich dabei an ein arabisches Sprichwort als Quelle an, was ihm wohl aus Oelsners Mohamed geläufig war: „Die Araber sagen im Sprichworte: Schön wie das Zeitalter der Barmekiden“[50]. Die ersten beiden Verse hingegen beziehen sich auf Goethe selbst und damit auf die westliche Sphäre. Die Zeitspanne von Zwanzig Jahren, kann dabei allerdings zum einen auf die Jahre von 1786 und 1805 deuten und damit den Zeitraum von der Italienreise bis zu Schillers Tod abdecken. Gestützt würde dies durch das Eingangsgedicht Hegire, was sich in seiner Thematik auf das Epochenjahr 1806 beziehen ließe.[51] Zum anderen können aber die Zwanzig Jahre auch nur symbolische Bedeutung haben und sich auf die erste Schaffensperiode in der Entstehung des Divan beziehen. Gestützt würde dies durch Goethes Äußerung in dem Brief an Charlotte von Stein vom 10. Oktober 1786, in dem er schreibt: „Ich bin die kurze Zeit in Venedig und die Venetianische Existenz ist mir so eigen als wenn ich zwanzig Jahre hier wäre.“[52] Auch wenn man die Bedeutung mit letztendlicher Sicherheit nicht fest­stellen kann, so bleiben beide Deutungen doch in der westlichen Sphäre des Dichters Goethe. Indem dieser aber sowohl Orient, als auch Okzident durch das Mottogedicht miteinander verknüpft, wird er dem Strukturprinzipien von Polarität und Dialogizität schon hier gerecht. Interessant ist an dieser Stelle, dass das Mottogedicht dadurch nicht nur dem Buch des Sängers voran stehen kann, sondern auch dem ganzen Divan als Motto dienen kann- eben auch auf jene Weise, wie Moganni Nameh mit seinem besonderen Bezug auf den Dichtern und an erster Stelle mit expositorischen Charakter dem ganzen Divan voranstehen kann. Dadurch ist das Mottogedicht zugleich Eingangsgedicht für das erste Buch im Divan und Eingangsgedicht für den Divan selbst und entspricht voll und ganz dem schon oben erwähnten Prinzip „das Ganze im Kleinsten.“[53]

[...]


[1] Mommsen, Katharina: Goethe und der Islam, Frankfurt am Main 2001, S. 11. [im Folgenden nur: Mommsen, Goethe und der Islam]

[2] Bohnenkamp, Anne: West-östlicher Divan, in: Witte, Bernd; Buck, Theo; Dahnke, Hans- Dietrich; Otto, Regine; Schmidt, Peter (Hrsg.): Goethe Handbuch in vier Bänden. Band 1: Gedichte, Stuttgart 1996, S. 308. [im Folgenden nur: Goethe Handbuch, West-östlicher Divan]

[3] für eine grobe Darstellung der Rezeption vgl.: Goethe Handbuch, West-östlicher Divan, S. 320-323.; für eine ausführlichere, aber dafür tendenziell negative Darstellung der Rezeption vgl. dazu das Nachwort in: Mommsen, Goethe und der Islam, S. 433-454.

[4] Hohoff, Curt: Johann Wolfgang Goethe. Dichtung und Leben, München 1989, S. 27.

[5] vgl. Wagner, Irmgard: Goethe. Zugänge zum Werk, Hamburg 1999; Matussek, Peter: Goethe zur Einführung, Hamburg 1998.

[6] vgl. Wurm, Christian: Commentar zu Göthe’s [sic!] west-östlichem Divan bestehend in Materialien und Originalien zum Verständnis desselben. Nürnberg 1834.

[7] vgl. Burdach, Konrad: Goethes west-östlicher Divan in biographischer und zeitgeschichtlicher Beleuchtung [1896], in: Lohner, Edgar (Hrsg.): Studien zum West- östlichen Divan Goethes, Darmstadt 1971,S. 310-351.

[8] vgl. Goethe Handbuch, West-östlicher Divan, S. 321.

[9] vgl. Bahr, Erhard: Die Ironie im Spätwerk Goethes > … diese sehr ernsten Scherze<. Studien zum West-östlichen Divan, zu den Wanderjahren und zu Faust II, Berlin 1972.

[10] vgl. Abdel Rahim, Said H.: Goethe und der Islam, Augsburg 1969, S. 321. [im Folgenden nur: Abdel Rahim, Goethe und der Islam]

[11] vgl. Mommsen, Goethe und der Islam, S. 15-26.

[12] zitiert nach: Goethe Handbuch, West-östlicher Divan, S. 306. (Brief Goethe an Meyer, 18.5.1814)

[13] zitiert nach: Goethe Handbuch, west-östlicher Divan, S. 306. (Brief an den Grafen Uwarow 18.5.1818)

[14] vgl. Goethe Handbuch, West-östlicher Divan, S. 308.

[15] vgl. Goethe Handbuch, West-östlicher Divan, S. 306.

[16] Mandelkow, Karl Robert: Goethe im Urteil seiner Kritiker. Dokumente zur Wirkungsgeschichte Goethes in Deutschland, Bd. 2, München 1975, S.77f.

[17] Goethe Handbuch, West-östlicher Divan, S. 320f.

[18] vgl. Goethe Handbuch, West-östlicher Divan, S. 323.

[19] vgl. Johann Wolfgang Goethe: West-östlicher Divan. Studienausgabe. Hg. v. Michael Knaupp, Stuttgart 1999. [im Folgenden nur: Divan Studienausgabe]

[20] vgl. Mommsen, Goethe und der Islam, S. 434.

[21] Goethe Handbuch, West-östlicher Divan, S. 370.

[22] Stich, Fritz: Goethes West-östlicher Divan, in: Ders.: Kunst und Leben. Vorträge und Abhandlungen zur deutschen Literatur, Bern 1960, S. 116ff.

[23] Böhler, Michael: Hegire, in: Witte, Bernd; Buck, Theo; Dahnke, Hans-Dietrich; Otto, Regine; Schmidt, Peter (Hrsg.): Goethe Handbuch in vier Bänden. Band 1: Gedichte, Stuttgart 1996, S. 371. [im Folgenden nur: Goethe Handbuch, Hegire]

[24] Divan Studienausgabe, S. 152.

[25] vgl. Goethe Handbuch, West-östlicher Divan, S. 312.

[26] Divan Studienausgabe, S. 376f.

[27] Goethe, Johann Wolfgang von: West-östlicher Divan. Frankfurter Ausgabe, Band III,1, S. 550. (Morgenblatt vom 24.2.1816) [im Folgenden nur: Goethe FA]

[28] vgl. Goethe Handbuch, West-östlicher Divan, S. 312-315.

[29] vgl. zur Doppelbezeichnung der Bücher: Divan Studienausgabe, S. 9.

[30] Divan Studienausgabe, S. 644f.

[31] Divan Studienausgabe, S. 645.

[32] vgl. Goethe Handbuch, West-östlicher Divan, S. 312-313; vgl. zur Doppelbenennung der Bücher: Divan Studienausgabe, S. 660: „Vorbild für die zweisprachige Benennung der Bücher des Divan waren die beiden Langgedichte des Hafis, die in Hammers Übersetzung überschrieben sind: „Moganniname, das Buch des Sängers“ und „Sakiname, das Buch des Schenken“

[33] Goethe Handbuch, West-östlicher Divan, S. 313.

[34] Hillmann, Ingeborg: Dichtung als Gegenstand der Dichtung. Untersuchungen zum Problem der Einheit des West-östlichen Divan, Bonn 1965, S. 100. [im Folgenden nur: Hillmann, Dichtung als Gegenstand der Dichtung]

[35] Morgenblatt vom 24.2.1816, In: Goethe FA, Band III,1, S. 550)

[36] vgl. Goethe Handbuch, West-östlicher Divan, S.313.

[37] Goethe, Johann Wolfgang von: West-östlicher Divan. Werksausgabe, Band 1, 42, S. 56f. [im Folgenden nur: Goethe WA]

[38] Goethe Handbuch, West-östlicher Divan, S. 313.

[39] Goethe WA I, 42, S. 56f.

[40] vgl. Hass, Hans Egon: Über die strukturelle Einheit des west-östlichen Divans [1959], in: Lohner, Edgar (Hrsg.): Studien zum West-östlichen Divan Goethes, Darmstadt 1971, S. 438.

[41] Ihekweazu, Edith: Goethes West-östlicher Divan. Untersuchungen zur Struktur des lyrischen Ziklus, Hamburg 1971, S. 358. [im Folgenden nur: Ihekweazu, Goethes West- östlicher Divan]

[42] Hofmannsthal, Hugo von: Goethes West-östlicher Divan [1913], in: Ders.: Reden und Aufsätze I.1891-1913. Hg. v. Bernd Schoeller in Beratung mit Rudolf Hirsch, Frankfurt am Main. 1979, S. S. 438.

[43] Divan Studienausgabe, S. 367.

[44] Divan Studienausgabe, S. 367.

[45] Divan Studienausgabe, S. 367.

[46] Divan Studienausgabe, S. 367.

[47] Divan Studienausgabe, S. 367f.

[48] Divan Studienausgabe, S. 367.

[49] Divan Studienausgabe, S. 9.

[50] Divan Studienausgabe, S. 661.

[51] vgl. Divan Studienausgabe, S. 661.; vgl. dazu den ebenfalls auf dieser Seite abgedruckten Brief an Knebel vom 24. Dezember 1824, in dem er von einer „Friedens-Epoche“ spricht, die „gewaltsam unterbrochen“ wurde. Generell ist anzunehmen, dass die Kriege mit Napoleon und seine Umgestaltung Europas, die ihren Höhepunkt mit dem Ende des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation fand, als Zeitenwende verstanden wurde.

[52] Divan Studienausgabe, S. 661. (Tagebuch für Charlotte von Stein am 10. Oktober 1786; MA 3.1,123)

[53] Hillmann, Dichtung als Gegenstand der Dichtung, S. 100.

Ende der Leseprobe aus 35 Seiten

Details

Titel
Das Buch des Sängers in Goethes West-östlichem Divan
Hochschule
Universität Bayreuth
Veranstaltung
Goethes Westöstlicher Divan
Note
1,3
Autoren
Jahr
2007
Seiten
35
Katalognummer
V92463
ISBN (eBook)
9783638061698
ISBN (Buch)
9783638950749
Dateigröße
567 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Buch, Sängers, Goethes, West-östlichem, Divan, Goethes, Westöstlicher, Divan
Arbeit zitieren
Markus Ständner (Autor:in)Iris Thoma (Autor:in), 2007, Das Buch des Sängers in Goethes West-östlichem Divan, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/92463

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