Kindheit gestern und heute - die Veränderung kindlicher Lebensräume


Seminararbeit, 2007

20 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Kindheit

2. Begriffsklärungen
2.1. Der Begriff Kindheit und seine Entwicklung
2.2. Der Begriff Sozialisation
2.3. Der Begriff Lebensraum

3. Die Bedeutung des Raumes für die Sozialisation von Kindern
3.1. Straßenkindheit – Sozialisation auf der Straße

4. Verhäuslichung von Kindheit

5. Institutionalisierung kindlicher Lebensräume

6. Verinselung der Kindheit
6.1. Aktive Verinselung
6.2. Passive Verinselung

7. Fazit

Literaturverzeichnis

Internetquellen ohne Autorenangabe:

1. Kindheit

„Wir verließen morgens das Haus zum Spielen. Wir blieben den ganzen Tag weg und mussten erst zu Hause sein, wenn die Straßenlaternen angingen. Niemand wusste wo wir waren, und wir hatten nicht einmal ein Handy dabei.“ (http://rbg-abi90.de/docs/WildeKindheit.doc). Dies ist ein Ausschnitt eines Textes mit dem Titel: „Kindheit heute und früher“, der derzeit im Internet kursiert. Der Verfasser ist leider unbekannt. Der Text liest sich wie eine Anklageschrift an unsere heutige Gesellschaft. Kinder von heute seien in Watte gepackt, Kinder von früher sind unbeschwerter aufgewachsen, waren angstfreier und abenteuerlustiger. (vgl. ebd.). Die zunehmende Verregelung unserer Gesellschaft wird angeprangert, da sie die Kinder von heute in ihrer freien Entwicklung bremst. (vgl. ebd.). Doch ist vor dem heutigen gesellschaftlichen Hintergrund überhaupt noch eine Kindheit wie früher vorstellbar? Oder sind es nicht die mehr und mehr in den Fokus der Öffentlichkeit tretenden Gefahren, denen Kinder heute ausgesetzt sind, die eine ‚Flucht’ der Eltern in die Lebensmodelle von heute rechtfertigen? Wie sieht die Freizeitgestaltung der modernen Kinder aus? Vormittags der Aufenthalt in Kindergarten oder Schule, nachmittags Sportverein, Musikschule oder Spielgruppe… Angesichts solch enormer Auslastung der Kinder wäre es kaum noch verwunderlich, wenn selbst die Kleinsten schon mit einem Terminplaner herumlaufen würden. Welche Rolle spielen die Eltern bei der Gestaltung und Planung der Aktivitäten und wie wirken sich solche Veränderungen auf die Sozialisation der Kinder aus? All diese Fragen sollen in der nachfolgenden Arbeit beantwortet werden. Es soll eine Betrachtung der kindlichen Lebensräume erfolgen, wobei untersucht wird, inwieweit diese sich in den vergangenen Jahrzehnten verändert haben. Es wird eine Untersuchung der Tendenzen erfolgen, denen moderne Kindheit unterliegt, wobei das Hauptaugenmerk immer auf dem Lebensraum der Kinder liegt. Es wird ebenfalls eine Betrachtung des eingangs beschriebenen Lebensraums Straße erfolgen, der früher (neben der Schule) der Hauptort außerfamiliärer Sozialisation war. Nicht eingegangen wird auf die unterschiedlichen familiären Konstitutionen, sowie auf den speziellen Einfluss der Medien in der heutigen Zeit, da dies entscheidende Elemente der innerfamiliären Sozialisation sind. Der Fokus hier liegt aber auf dem Lebensraum außerhalb des Elternhauses, wobei das Spiel und die Art der Beschäftigung innerhalb der elterlichen Wohnung im Rahmen dieser Arbeit unbeachtet bleiben.

2. Begriffsklärungen

Zur Verständlichkeit des Themas ist es zunächst unerlässlich, die Begriffe Kindheit und Lebensraum zu erklären, da sie die Grundlage dieser Arbeit bilden und einen Einstieg in die Thematik ermöglichen.

2.1. Der Begriff Kindheit und seine Entwicklung

„Kindheit ist ein Begriff, der seit etwa 120 Jahren die Erkenntnis ausdrückt, dass der Mensch, um sich zu entwickeln, einen langen, geschützten „Spielraum“ braucht. Vor dieser Zeit wurden bereits Kinder als kleine Erwachsene behandelt“. (Lutz 2000, S. 11). Hier wird deutlich, dass es Kindheit als besondere Lebensphase nicht immer gegeben hat. Neil Postman bringt in seinen Ausführungen die Anfänge der Kindheitsbetrachtung in engen zeitlichen Zusammenhang mit der Entstehung des Buchdrucks. „Nach dem 16. und 17. Jahrhundert hatte sich die Ansicht allgemein durchgesetzt, daß es eine Kindheit gab und daß sie zur natürlichen Ordnung der Dinge gehörte.“ (Postman 1987, S. 49). Postman macht darauf aufmerksam, dass es eine eigenständige Lebensphase der Kindheit insbesondere immer dann gegeben hat, wenn besonderer Wert auf die Fähigkeit des Lesens und Schreibens gelegt wurde. Denn dann gab es Schulen und demzufolge entfaltete sich die Vorstellung von Kindheit sehr schnell. (vgl. ebd., S. 51). „Weil die Schule dazu bestimmt war, einen des Lesens und Schreibens kundigen Erwachsenen heranzubilden, wurden die Kinder nicht mehr als kleine Erwachsene wahrgenommen, sondern als etwas völlig anderes – als ungeformte Erwachsene. Im schulischen Lernen erkannte man ein Wesensmerkmal der Kindheit.“ (ebd., S. 53). Die Folge dieser Entwicklungen war ein bemerkenswerter Wandel in der gesellschaftlichen Stellung der Kinder. (vgl. ebd.). Um 1850 etwa war schließlich der Begriff Kindheit „überall in der westlichen Welt zu einer sozialen Idee und zu einer sozialen Tatsache geworden.“ (ebd., S.63). In den folgenden einhundert Jahren bis ca. zur Mitte des 20. Jahrhunderts, erlebte die Kindheit laut Postman ihre Hochphase. Es wurden erfolgreiche Anstrengungen unternommen, die Kinder heraus aus den Fabriken und hinein in die Schulen zu bringen. Den Kindern wurden ihre eigene Kleidung, eigenes Mobiliar, eigene Literatur und Spiele und schließlich ihre eigene soziale Welt erschaffen. (vgl. ebd., S. 81). Werden diese Entwicklungen betrachtet, so lässt sich schlussfolgern, dass eben durch diese Fortschritte in der Kindheitsbetrachtung auch unweigerlich eigene Lebenswelten für Kinder entstanden und sie auf diese Weise ihren ganz individuellen Lebensraum erhielten.

2.2. Der Begriff Sozialisation

„Durch Sozialisation wird ein Individuum Mitglied einer Gruppe.“

Marmet 1999, S. 67

Sozialisation bezeichnet den Lernprozess, der es einem Menschen ermöglicht, in die Gesellschaft hineinzuwachsen. Kinder besitzen grundsätzlich die Voraussetzungen um Mitglied in jeder nur möglichen Gesellschaft zu werden. Erst durch die spezifische Sozialisation, die Übernahme von Werten und Normen, die für eine bestimmte Gesellschaft kennzeichnend sind, wird es zum Mitglied eben dieser. Zur Sozialisation gehört in besonderem Maße auch die Übernahme von sozialen Rollen. Die Aneignung aller gesellschaftstypischen Merkmale erfolgt über verschiedene Lernprozesse. (vgl. Marmet 1999, S. 67/ 68). Zusammenfassend lässt sich mit den Worten Marmets sagen: „Durch Identifikation mit anderen, durch die Internalisierung von Normen und Rollen wächst das Kind in die Gesellschaft hinein. Die Umwelt unterstützt diesen Prozeß mit positiven und negativen Sanktionen.“ (ebd., S.68). Nach Tillmann ist Sozialisation jedoch „nicht einfach die (freiwillige oder erzwungene) Übernahme gesellschaftlicher Erwartungen in psychische Strukturen, sondern ein Prozeß der aktiven Aneignung von Umweltbedingungen durch den Menschen. (Tillmann 1989, zitiert nach Nissen 1998, S. 21). Tillmann spricht von der prinzipiellen „Möglichkeit des Menschen, sich zu seiner Umwelt aktiv, individuell und situativ verschieden zu verhalten.“ (ebd.). Demzufolge darf nicht von einem passiv sozialisierten Individuum ausgegangen werden, vielmehr ist zu beachten, dass jeder Mensch über eigene aktive Gestaltungsmöglichkeiten verfügt. Dennoch ist die Sozialisation in ganz entscheidendem Maße abhängig von der Umgebung in der sie stattfindet. Die Gesellschaft und der gesamte soziale Raum, der ein Kind umgibt prägen seine Entwicklung nachhaltig. Im nachfolgenden Abschnitt wird daher der Begriff Lebensraum genauer betrachtet.

2.3. Der Begriff Lebensraum

Der menschliche Lebensraum ist sowohl gesellschaftlich strukturiert, als auch ein materieller Bezugspunkt im Sinne eines Freiraumes der individuellen Aneignung. (vgl. Böhnisch 1996). Durch die gesellschaftliche Aktivität der Menschen wird der Raum zum Sozial- und Lebensraum und wirkt dann seinerseits auch wieder auf den Menschen zurück. (vgl. ebd.). Für Kinder hat Raum sehr unterschiedliche Bedeutungen. Er ist einerseits eine Erscheinungsform der gesellschaftlichen Verhältnisse und andererseits bilden vorhandene räumliche Abgrenzungen Möglichkeiten und Beschränkungen für einzelne Handlungen. (vgl. Zeiher/ Zeiher 1994, S. 10). Nach Zeiher/ Zeiher wird anhand der Räume, die Kindern zur Verfügung stehen deutlich, welche Bedeutung, welchen Platz sie in einer Gesellschaft haben. (vgl. ebd., S. 17). Ähnlich wie ‚Lebensraum’ wird der Begriff ‚Lebenswelt’ verwendet, der ebenso das räumliche Umfeld der Kinder beschreibt. „Kindliche Lebenswelten sind Umwelten beziehungsweise Lebensbereiche, unter deren Einfluß und in deren Umgebung oder Umfeld sich schulisches und familiäres Leben sowie die Freizeitgestaltung unserer Kinder abspielt und ausgestaltet.“ (Leitner 1999, S. 127). Durch die Entstehung von Spezialorten, auf die zu späterem Zeitpunkt noch eingegangen wird, fand ein gewaltiger Wandel der Lebensräume von Kindern statt. Diese Veränderungen werden nachfolgend eingehender untersucht.

3. Die Bedeutung des Raumes für die Sozialisation von Kindern

Wie bereits unter Punkt 2.2. gezeigt wurde, findet die Sozialisation von Kindern immer im konkreten Raum statt. „Spezifische räumliche Arrangements halten unterschiedliche sozialisatorische Ressourcen für Kinder bereit.“ (Barth 2006). Auch bei Zinnecker wird die Bedeutung der Straße deutlich, für ihn ist sie laut Barth der öffentliche Raum schlechthin. Hier können „gesellschaftliche Zustände und Auseinandersetzungen wie nirgends sonst studiert und beurteilt werden“. (ebd.). Der Lebensraum Straße bietet Kindern ausgesprochen viele Reize und Eindrücke. „Im Gegensatz zur häuslichen Eingeschlossenheit erlebt das Kind draußen so elementare Gewalten wie Lärm, Wind, Regen, Schnee, Kälte, Hitze, Wasser, Tiere oder auch fremde Menschen. (…) Die Außenwelt ist für das Kind Raum für Entdeckungen und Eroberungen, zunächst an der Hand der Eltern, später auf eigene Faust. (…) Das kindliche Ich wächst in Situationen der Angst und des Mutes, der Gefahr und der Bewährung.“ (Barth 2006). Hierbei wird deutlich, wie wichtig die selbstständige Erkundung der Umwelt für die Entwicklung des Kindes ist. Werden Kinder in dieser Entwicklung durch die Eltern gebremst, indem sie in überbehütender Weise gelenkt werden, wird ihnen die Möglichkeit einer selbst bestimmten und aktiv mitgestalteten Sozialisation vorenthalten. Jedoch ist die Forderung von Barth in der heutigen Zeit durchaus auch kritisch zu betrachten. War es noch vor 20 Jahren absolut üblich, dass Kinder ihre Umwelt komplett selbst erkundeten, und zwar meist von morgens bis zum Einbruch der Dunkelheit, so ist dies heute aufgrund der gesellschaftlichen Entwicklungen kaum noch möglich. Der veränderte äußere Rahmen bestimmt somit die Bedingungen für die Sozialisation von Kindern in der heutigen Zeit. Eine Entwicklung, die angesichts der allgegenwärtigen öffentlichen Meldungen unumgänglich scheint. Allein in Anbetracht steigender Verkehrstätigkeit und daraus entstehender Gefahren, ist es (zumindest im städtischen Raum) kaum mehr möglich, Kinder allein auf die Straße zu lassen. „Dichterer Autoverkehr, neue Schnellstraßen, das Verschwinden der letzten ungenutzten Flächen zugunsten von Gebäuden, Straßen, Parkplätzen und Grünanlagen haben Kindern die Aufenthalts- und Spielorte draußen genommen.“ (Göschel 1980, Zacharias 1985, Zeiher 1983 zitiert nach Zeiher 1990, S. 35). Zu den Gefahren, die von diesen Entwicklungen ausgehen, kommt hier noch die Tatsache hinzu, dass all diese Fortschritte in hohem Maße Raum fordernd sind, das heißt, sie bedingen zum einen den Rückgang der für Kinder zur Verfügung stehenden öffentlichen Räume. Zum anderen nimmt die Qualität der Räume, die den Kindern geblieben sind stark ab, da scharfe Abgrenzungen und angrenzende Bedrohungen beispielsweise durch Verkehr, ein unbeschwertes Aneignen und Nutzen des verbliebenen Raumes nahezu unmöglich machen. Dennoch scheinen die hier benannten Bedrohungen in der heutigen Zeit beinahe noch das geringere Übel zu sein, erwecken doch von Zeit zu Zeit die Berichte der Medien den Anschein, Entführungs- und Sexualstraftäter warten an jeder Ecke. Nur allzu oft erkennt der normale Bürger, der bis dahin immer dachte, er lebt weit weg von diesen Ereignissen, durch eine solche Meldung aus der näheren Umgebung, dass all diese Gefahren tatsächlich allgegenwärtig sind. Im Hinblick auf derartige Entwicklungen, ist es den verantwortungsbewussten Eltern von heute wohl kaum zu verdenken, dass sie eine Einschränkung der Sozialisationsmöglichkeiten ihrer Kinder hinnehmen. Zumal dies ausschließlich zugunsten von mehr Sicherheit und der Garantie, dass ihre Kinder dadurch eine höhere Chance auf ein Erwachsenenleben in Gesundheit haben, geschieht. Um die Veränderungen, denen kindliche Lebensräume in den letzten Jahren unterlegen haben und noch unterliegen eingehender analysieren zu können, wird im nun folgenden Punkt die Sozialisation von Kindern im öffentlichen Raum Straße näher betrachtet.

[...]

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Kindheit gestern und heute - die Veränderung kindlicher Lebensräume
Hochschule
Ernst-Abbe-Hochschule Jena, ehem. Fachhochschule Jena
Veranstaltung
Gemeinwesenarbeit Seminar
Note
1,7
Autor
Jahr
2007
Seiten
20
Katalognummer
V87962
ISBN (eBook)
9783638039925
Dateigröße
440 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Kindheit, Veränderung, Lebensräume, Gemeinwesenarbeit, Seminar
Arbeit zitieren
Beatrice Kempf (Autor:in), 2007, Kindheit gestern und heute - die Veränderung kindlicher Lebensräume, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/87962

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