47-74-05: Die Gruppe 47 und ihre Wiederbelebungsversuche


Essay, 2007

21 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I Einleitung

II Freundschaft anstatt Mitgliedskarte – Gruppe 47: Entwicklung und Merkmale

III Viele Treffen, ein Begräbnis – Das lange Ende der Gruppe 47

IV Ein reales Märchen – Günter Grass und die Gruppe 47

V 47 – 74 – 05: Wiederbelebungsversuche

VI Fazit

Literaturverzeichnis

I Einleitung

Ein steiler, legendenhafter Aufstieg, ein abrupter und dennoch langanhaltender Fall und zwei Wiederbelebungsversuche, von denen literarhistorisch keiner mit dem Original verglichen werden kann: So oder ähnlich kann man die Laufbahn einer Gruppe zusammenfassen, die sich nie als eine solche ansah, die aber trotzdem über mindestens zwei Jahrzehnte hinweg das literarische und bisweilen auch politische Gedeihen und Verderben der Bundesrepublik beeinflusste. Die Gruppe 47 ist zum unvergleichlichen Mythos der Nachkriegsliteratur geworden; sie ist eine Erscheinung der Zeit, die – das kann man wohl mit Fug und Recht vorwegnehmen – es wohl in dieser Form nie wieder geben wird. Nach Hermann Kinder hat die Gruppe 47 „Bedingungen der Homogenität gehabt, die historisch nicht wiederholbar sind“ (Arnold 2004: 10).

Interessant ist die Entwicklung der Gruppe, die relativ schnell von einer informellen Literaturwerkstatt zu einer internationalen Institution mit dem Schwerpunkt Buchvermarktung avanciert ist. Die Veränderungen, die dazu führten, sowie die für die Gruppe typischen Merkmale auf allen Stufen der Entwicklung werden im Kapitel II eingehend untersucht. Dem sich hinziehenden Zerfall der Gruppe sowie den Ursachen für das Ende ist das Kapitel III gewidmet. Da jener sowohl im Jahr 1974 in Berlin, als auch im Jahr 2005 in Lübeck jeweils eine Gruppe nach dem Vorbild der 47-er ins Leben gerufen hat, wird im Kapitel IV die besondere Beziehung von Günter Grass zu der Gruppe 47 erläutert. Schließlich wird im Kapitel V auf die beiden Wiederbelebungsversuche selbst eingegangen.

II Freundschaft anstatt Mitgliedskarte – Gruppe 47: Entwicklung und Merkmale

ENTSTEHUNG

Kurz nach dem Schrecken des Jahrhunderts, dem 2. Weltkrieg, schließen sich einige junge Kriegsgefangene in Amerika zusammen, um eine Zeitschrift für ihresgleichen zu gründen. Unter anderen Alfred Andersch, Walter Kolbenhoff und Hans Werner Richter geben den „Ruf“ als Lagerschrift für Kriegsgefangene heraus. Nach ihrer Rückkehr in die Heimat gründen sie die Zeitschrift neu – diesmal unter dem Titel „Der Ruf – Unabhängige Blätter der Jungen Generation“ und mit weit politischerem Inhalt. Eines der Merkmale dieser Zeitschrift war es, Deutschland oder ‚die Deutschen’ gegen den Vorwurf der Kollektivschuld zu verteidigen: „they built up defensive arguments which solidified down to the idea that Germans were guilty only in degree“ (Mandel 1973: 8). Das kurz daraufhin verhängte Verbot über die Zeitschrift durch die amerikanischen Besatzungskräfte markiert den Anfang der legendären Gruppe 47.

Um den sogenannten Gründerkreis bestehend aus Andersch, Kolbenhoff und Richter formierten sich seinerzeit weitere Autoren wie Hans Georg Brenner, Wolfdietrich Schnurre und Wolfgang Weyrauch (Kröll 1979: 16). Die letzteren hatten bereits im 2. Weltkrieg publiziert, während sich die ersteren der inneren Emigration bedient hatten. Hinzu kamen zahlreiche junge Autoren ohne jegliche literarische Biographie (Kröll 1979: 17). Zunächst sollte dieses lockere Kontaktnetzwerk dazu dienen, eine weitere Zeitschrift herauszubringen: „Der Skorpion“ sollte ein Blatt mit weitgehend literarischem Inhalt werden. Die als vorbereitende Redaktionssitzung gedachte Konferenz mit 15 teilnehmenden Autoren wurde jedoch unverhofft zur konstituierenden Tagung der Gruppe 47. Es gab dabei ein weiteres Ereignis, welches die Entstehung der Gruppe forcierte: dieser Tagung ging eine Versammlung von Schriftstellern und Interessenten voraus, die vom Stahlberg-Verlag organisiert wurde. Hans Werner Richter, einer der Teilnehmer, zog verhängnisvolle Schlüsse aus dieser Veranstaltung. Literarische Zusammenkünfte dieser Art wollte er unbedingt vorantreiben, eine ‚Kult-Überhöhung’ der Literatur jedoch vermeiden (Kröll 1979: 23). Somit wurde „Der Skorpion“, dem die US-Besatzungsbehörden die Lizenz verweigert hatten, lediglich zum Katalysator einer folgenreichen Gruppenbildung; es existiert nicht mehr als ein Probeexemplar dieser Schrift (Kröll 1979: 22). In diesem sei jedoch nach Kröll bereits die Maxime der Gruppe 47 zu finden, von Hans Werner Richter im Vorhinein formuliert:

„Wo steckt unsere junge Literatur? Nun, sie wird kommen. Sie steht schon diesseits der Grenzpfähle. Wir werden sie sammeln und fördern, wir werden sie zusammenhalten und vorwärtstragen (...).“ (Kröll 1979: 24)

Die Bezeichnung „Gruppe 47“ existierte zu jenem Zeitpunkt noch nicht (Reich-Ranicki 1977). Ihren Namen verdankt die Gruppe dem Publizisten und Literaturkritiker Hans Georg Brenner. Dieser sah in der Gruppe eine Parallele zur spanischen „Generación de 98“, welche sich 1898 „als geistige Antwort auf den verlorenen Krieg Spaniens gegen die USA“ mit ähnlichen Merkmalen formiert hatte (Kröll 1979: 3). Da die engagierten 47-Schriftsteller von dem über den „Ruf“ verhängten Verbot desillusioniert waren, sahen sie die Literatur als eine Art Umweg politisch dennoch etwas zu erreichen:

„Das Vertrauen in die didaktische, politisch-moralische Tiefenwirkung von Literatur gehörte (...) zum Grundbestand des Selbstverständnisses der frühen Gruppe 47.“ (Kröll 1979: 22)

Die meisten der frühen Autoren der Gruppe 47 einte ein ähnliches Schicksal. Den Schrecken des Nationalsozialismus hinter sich gebracht, hatten sie weitere einschneidende Erfahrungen in Antifa-Lagern gemacht. All diese Erfahrungen flossen in bedeutender Weise in die Form und Ideologie der Gruppe ein. So wurde beispielsweise die „tiefsitzende Organisationsphobie (...) zu einem bestimmenden Grundzug in der Strukturentwicklung der Gruppe 47“ (Kröll 1979: 19). Die bis dahin stets allgegenwärtigen hierarchischen Strukturen wurden nun vehement abgelehnt. Die später oft zitierte Aussage von Hans Werner Richter wurde für die Gruppe bezeichnend: „Eigentlich ist die Gruppe gar keine Gruppe. Sie nennt sich nur so“ (Kröll 1979: 3). Darüber hinaus war eine allzu euphemistische Sprache in der frühen Gruppe 47 geradezu verpönt. Eine eindeutig-nüchterne Sprache und zudem scharfe Kritik galten als beabsichtigter Kontrast zur reaktionären Sprache sowie faktischer Kritiklosigkeit im Dritten Reich. Diese ‚junge Generation’ sah sich als Opfer des Dritten Reiches, sie wollte mit den Verbrechen der Alten nicht in Verbindung gebracht werden, weshalb sie „das Alte mit einem ‚Kahlschlag’ ausrotten“ und wieder „an einem ‚Nullpunkt’ beginnen“ wollte (Arnold 2004: 12). Die Weichen für die sogenannte „Kahlschlag“-Literatur wurden bereits 1946 in einem Beitrag für den „Ruf“ zur Konzeption einer ‚antikalligraphischen Ästhetik’ von Gustav René Hocke gestellt. Die Unzulässigkeit von Grundsatzdebatten war ein weiteres Zeichen der „tragenden Mentalitäts-Säulen tiefsitzender Ideologie- und Organisationsfeindlichkeit“ der frühen Gruppe (nach Kröll, in: Parkes and White 1999: VI).

ENTWICKLUNG UND PHASENSPEZIFISCHE MERKMALE

Kröll teilt die Entwicklungsgeschichte der Gruppe 47 in vier Phasen ein (vgl. Kröll 1979: V):

- 1947-1949: KONSTITUTIONSPERIODE
- 1950-1957: AUFSTIEGSPERIODE
- 1958-1963: HOCHPERIODE
- 1964-1967: SPÄTPERIODE

Die KONSTITUTIONSPERIODE der aufstrebenden Gruppe war von Informalität und Unverbindlichkeit gekennzeichnet. Von Anfang an war der betont freundschaftlich-lockere und literarisch-handwerkliche Charakter ein Anliegen von Hans Werner Richter, der heute, da für die Einladungen verantwortlich, als Begründer und Leiter der Gruppe gilt: „Anstelle der Mitgliedskarte steht die Freundschaft“, so Richter 1948 (Kröll 1979: 27). Abgesehen von dem informellen Status vertrat die Gruppe eine antifaschistische sowie „antikonzeptive Grundhaltung“, verzichtete jedoch ansonsten auf „Grundsatzdebatten und Standortbestimmungen“ (ibid.: 28). Als Ziel der Gruppe galt die Sammlung und Verbreitung deutscher, qualitativ hochwertiger Nachkriegsliteratur. Innerhalb kurzer Zeit wurde die Gruppe um Kritiker, Publizisten, Lektoren und Verleger erweitert, was den Werkstattcharakter ‚unter Kollegen’ zunehmend verringerte. Der Schwerpunkt verschob sich langsam, aber stetig von der Literaturherstellung hin zur Literaturverbreitung. Wo zunächst der Schreibprozess auf sich aufmerksam machte und die Werke oft noch unfertig vorgelesen wurden, wurde nach und nach immer mehr Wert auf von der Kritik annehmbares, also bereits stark zurechtgefeiltes Vorlesematerial gelegt. Bereits publizierte Texte durften jedoch vor wie nach nicht gelesen werden. Auch bei der Kritikpraxis selbst setzten sich bestimmte Regeln durch; so wurde zum Beispiel dem lesenden Autor verboten, „an der kritischen Diskussion seines Manuskriptes sich zu beteiligen“ (Kröll 1979: 30). Die Kritik erfolgte stets spontan und mündlich. Die interkollegiale Kritik spielte insbesondere in den Anfangsjahren eine bedeutende Rolle. Trotz aller Kollegialität hielt man sich jedoch an eine „produktive ‚Rücksichtslosigkeit’“ (Kröll 1979: 30). Eine weitere, äußerst wichtige Regel war der Verbot einer allgemeinen Bewertung des Inhalts, des Themas oder der hinter dem Text stehenden Theorie, bzw. Ideologie. Kritisiert wurde dementsprechend vor allem die sprachliche Form; ein Schlagwort in diesem Metier lautete „Sprachrodungen“ (ibid.: 31). Wo die Sprache zu verschnörkelt und unklar wurde, wurde heftig kritisiert und ‚gerodet’. Obwohl der Schwerpunkt offenbar auf der sogenannten ‚Kahlschlag’-Literatur lag, war es ein weiteres hervorstechendes Merkmal der Gruppe 47 stets unprogrammatisch und offen zu bleiben, was später zu einem Pluralismus der Literaturen führte. Das Desinteresse an einem festen Programm, einer Satzung oder gar einem schriftlichen Manifest lag nicht nur an der betont informellen Verbundenheit der Mitglieder; auch der sogenannte ‚totale Ideologieverdacht’ in den Nachkriegsjahren trug dazu bei: „die Ablehnung aller Wertsysteme, die sich selbst als absolut begreifen“ war nach Alfred Andersch Maxime (ibid.: 32).

Die AUFSTIEGSPERIODE bedeutete für die Gruppe einen Strukturwandel. Nicht nur, dass ab 1950 jährlich ein Preis verliehen wurde, der zum begehrtesten der Bundesrepublik avancierte; auch wurde die literarische ‚Arbeitsgemeinschaft’ mehr und mehr zu einer „öffentlichkeitsorientierten ‚Zirkulationsgemeinschaft’“ (ibid.: 35). Das hieß unter anderem auch, dass sich die Gruppentagungen zunehmend für Medien öffneten. Quantitativ nahm die Gruppe stark zu; immer mehr Bewerber bemühten sich um ein Lesedebüt. Die 47-Tagungen wurden zum „literarischen Legitimationsorgan“ (Kröll 1979: 39). Bis 1955 wurde noch versucht, die informelle Seite von dem Offiziellen zu trennen. So fanden zwei Tagungen im Jahr statt: an der Frühlingstagung nahmen geladene Vertreter des Büchermarktes teil, die Herbsttagung hingegen war intern, für den eigentlichen Kreis der Gruppe gedacht. Hans Werner Richter ist es in dieser Zeit besonders gelungen, „the image of a relaxed series of poetic workshops with the maintenance of strong contacts with the media“, den Charakter einer Literaturwerkstatt also mit der Unterstützung beim Publizieren zu verbinden (Parkes and White 1999: VII). Auch die Kritikpraxis entwickelte sich letztendlich von einer interkollegialen Kritik zu einer professionellen, auf den Literaturmarkt abgestimmten, Kritik. So beschränkte sich der Kreis der Kritiker bald auf einige wenige Professionelle wie Walter Höllerer, Walter Jens, Joachim Kaiser und Marcel Reich-Ranicki (Parkes and White 1999: XII). Diese Entwicklung wiederum beeinflusste das Schreibverhalten der vorlesenden Autoren. Um vor der strengen Kritik noch zu bestehen, wurden hauptsächlich gut zum Vorlesen geeignete, kurze und pointierte Prosastücke vorgestellt. Und doch hatte sich, bevor die sogenannte HOCHPERIODE anbrach, in der Gruppe 47 bereits ein gewisser Pluralismus ausgebildet; Martin Walser schreibt hierzu 1952:

[...]

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Details

Titel
47-74-05: Die Gruppe 47 und ihre Wiederbelebungsversuche
Hochschule
University of London  (Queen Mary College)
Note
1,7
Autor
Jahr
2007
Seiten
21
Katalognummer
V88420
ISBN (eBook)
9783638024587
Dateigröße
458 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Gruppe, Wiederbelebungsversuche
Arbeit zitieren
Daria Eva Stanco (Autor:in), 2007, 47-74-05: Die Gruppe 47 und ihre Wiederbelebungsversuche, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/88420

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