George Dickie's Institutionelle Theorie der Kunst


Magisterarbeit, 2008

113 Seiten, Note: 1,5


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

0. Einleitung.

1. Historische und inhaltliche Einführung
1.1. Der Bereich der Kunst
1.1.1. Der Definitionsskeptizismus
1.1.1.1. Morris Weitz – Kunst als „offener Begriff“
1.1.2. Kritik an dem Definitionsskeptizismus
1.1.2.1. Maurice Mandelbaum
1.1.3. Die Institutionelle Theorie der Kunst
1.1.4. Arthur Danto

2. George Dickies Institutionelle Theorie der Kunst
2.1. Die erste Version
2.1.1. Definition von „Kunst“
2.1.1.1. Artefaktizität
2.1.1.2. Die Übertragung des Status eines Anwärters für Wertschätzung im Namen der Kunstwelt
2.1.1.2.1. Die Kunstwelt
2.1.1.2.2. Die Übertragung des Status eines Anwärters für Wertschätzung
2.1.1.2.3. Wertschätzung
2.2. Kritik an der ersten Version
2.2.1. Monroe C. Beardsley
2.3. Die zweite Version
2.3.1. Der „Kunst Zirkel“
2.3.1.1. Artefaktizität
2.3.1.1.1. Artefaktizität als notwendige Bedingung für „Kunst“
2.3.1.1.2. „Minimales Artefakt“

3. Einwände
3.1. Erklärt Dickies Kunstdefinition, warum etwas ein Kunstwerk ist?
3.2. Ist Dickies Kunstdefinition elitär bzw. anti-demokratisch?
3.3. Schließt Dickies Kunstdefinition Kreativität aus?
3.4. Ist Dickies Kunstdefinition relativistisch?
3.5. Ist Dickies Kunstdefinition zirkulär?
3.5.1 Gutartig und bösartig zirkuläre Definitionen
3.5.1.1. Rekursive Definitionen
3.5.1.2. Gutartig zirkuläre implizite Definitionen
3.5.2. Dickies Kunstdefinition(en) als gutartig zirkuläre implizite
Definition(en)
3.6. Ist Dickies Kunstdefinition zu eng?
3.6.1. Gibt es Kunst außerhalb der Kunstwelt bzw. ist Kunst außerhalb der Kunstwelt möglich?
3.7. Ist Dickies Kunstdefinition zu weit?
3.7.1. „Kunstwelt“ als indexikalischer Ausdruck
3.7.2. Die Kunstwelt als strukturierte, historische Institution

4. Schlussfolgerungen

5. Literaturverzeichnis

0. Einleitung

Ende der sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts entwickelt der Philosoph George Dickie (*1926) die hier im Mittelpunkt stehende Institutionelle Theorie der Kunst. Ihr zufolge zeichnet sich ein Kunstwerk dadurch aus, dass es in einen ganz bestimmten institutionellen Rahmen, den Dickie in Anlehnung an Arthur Danto als „Kunstwelt“ bezeichnet, eingebettet ist bzw. eine ganz bestimmte Rolle innerhalb dieses Rahmens spielt. Genau so wie ein Blatt mit fünf gleichfarbigen Karten von Zehn bis Ass nur vor dem Hintergrund eines Pokerspiels ein „Royal Flush“ ist, genau so soll es sich laut Dickie bei einem bestimmten Artefakt wie zum Beispiel bei einer bemalten Leinwand, einem Buch oder einem Musikstück nur dann um Kunst handeln, wenn es vor dem Hintergrund der Kunstwelt hergestellt wurde. Heißt es in Dickies erster Version (1969/1974) noch, dass etwas genau dann ein Kunstwerk ist, wenn es ein Artefakt ist, dass von jemandem – in der Regel dem Künstler selbst – im Namen der Kunstwelt einen bestimmten Status verliehen bekommen hat, bedeutet dies in Dickies zweiter und aktueller Version (1984), dass etwas genau dann ein Kunstwerk ist, wenn es von einem verständigen Künstler für die Präsentation vor einem verständigen Kunstwelt-Publikum hergestellt wurde.

Ob etwas ein Kunstwerk ist, hängt somit nicht – wie bisher von den traditionellen Kunsttheorien stets angenommen – davon ab, ob es über irgendwelche unmittelbar wahrnehmbaren, intrinsischen[1] Eigenschaften wie zum Beispiel Schönheit oder Eleganz verfügt, sondern ob es Teil einer ganz bestimmten etablierten Praxis ist, d. h. ob es in einer ganz bestimmten Relation zu der Kunstwelt steht. Demnach ist es unmöglich, etwas unabhängig von seinem Kontext als ein Kunstwerk zu erkennen. Diese Akzentverschiebung hat zur Folge, dass die Klasse der potentiellen Kunstwerke im Prinzip unbegrenzt ist (vorausgesetzt, es handelt sich bei ihnen um Artefakte). Dickies Institutionelle Theorie der Kunst bietet demzufolge den großen Vorteil, dass sie nicht schon von vornherein bestimmte Dinge, wie zum Beispiel Alltagsgegenstände, Landschaften oder Tiere, von der Klasse der potentiellen Kunstwerke ausschließt. Sie trägt somit der tatsächlichen Verwendungsweise von „Kunst“ Rechnung, derzufolge – um nur einige Beispiele zu nennen – Robert Smithsons aus Basalt-, Kalkstein- und Erdaufschüttungen bestehende „Spiral Jetty“ (1970) am großen Salzsee von Utah oder aber die Kreationen des Starkochs Ferran Adrià auf der zwölften documenta Kunstwerke sind.

Auch wenn Dickies Institutionstheorie – zumindest was den angelsächsischen Raum betrifft – im Großen und Ganzen zunächst einmal auf Zustimmung traf[2], wurden im Laufe der Jahre mehrere Einwände gegen diese vorgebracht, die auch durch Dickies zweite Version nicht entkräftet werden konnten. Ziel meiner Arbeit ist es, die meiner Meinung nach am meisten verbreiteten und stichhaltigsten Einwände zu klassifizieren und anschließend, wenn möglich, zu widerlegen. Während sich die ersten sechs Einwände (Abschnitt 3.1. bis 3.6.) relativ mühelos entkräften lassen, legt der siebte und letzte Einwand „Ist Dickies Kunstdefinition zu weit?“ (Abschnitt 3.7.) den eigentlichen Schwachpunkt von Dickies Kunsttheorie frei, nämlich, dass die Beschreibung der Kunstwelt nicht eindeutig ist. Ob sich dieser Schwachpunkt beheben lässt, d. h. ob sich zumindest im Ansatz erklären lässt, inwiefern sich der institutionelle Rahmen der Kunstwelt von anderen informellen Institutionen unterscheidet, ohne auf deren spezifische Objekte zurückzugreifen, werde ich in den verbleibenden zwei Abschnitten des dritten Kaptitels 3.7.1. und 3.7.2. ausführlich diskutieren.

Bevor ich jedoch im dritten Kapitel die Einwände gegen Dickies Kunsttheorie darstelle, werde ich im ersten Kapitel eine kurze historische und inhaltliche Einführung in das Thema geben. Anschließend erläutere ich im zweiten Kapitel, was genau unter Dickies Institutioneller Kunsttheorie zu verstehen ist. Um diese besser nachvollziehen zu können, beschränke ich mich hierbei nicht auf die Darstellung der aktuellen Version von Dickies Kunsttheorie (1984), sondern stelle zunächst die ursprüngliche Version (1969/1974) und deren zentrale Kritik, die zu der jetzigen Version führte, vor.

1. Historische und inhaltliche Einführung

1.1. Der Bereich der Kunst

Da ich mich in meiner Arbeit mit einer ganz bestimmten Kunst theorie kritisch auseinandersetze, fällt meine Arbeit in den Bereich der Ästhetik, der sich mit dem Phänomen der Kunst beschäftigt. In diesem Bereich steht die Suche nach einer Antwort auf die Frage, was Kunst ist, im Vordergrund. Was unterscheidet Kunst von Nicht-Kunst? Für die Entstehung der hier im Mittelpunkt stehenden Institutionellen Theorie der Kunst von George Dickie (sowie für andere moderne Kunsttheorien wie zum Bespiel die Historische Theorie der Kunst von Jerrold Levinson) ist ein bestimmtes Ereignis richtungsweisend gewesen.[3]

1.1.1. Der Definitionsskeptizismus

Bei diesem Ereignis handelt es sich um das Aufkommen des sogenannten Definitionsskeptizismus[4] zu Beginn der fünfziger Jahre des 20. Jahrhunderts, demzufolge das Wesen der Kunst nicht definierbar sei. Zum Teil als Reaktion auf die zahlreichen vergeblichen Versuche, eine allgemeingültige Definition von „Kunst“ zu finden, aber auch aufgrund des neuen (sprach-)analytischen Ansatzes in der Ästhetik[5], vertraten immer mehr Philosophen die Auffassung, dass eine Realdefinition[6] von „Kunst“ unmöglich wäre, d. h. dass es keine Eigenschaft oder Menge von Eigenschaften gibt, die allen Gegenständen, die unter den Begriff „Kunst“ fallen, gemein ist. Der bedeutendste Vertreter dieser Position ist der amerikanische Philosoph Morris Weitz (1916-1981).[7] Nach ihm ist der Begriff der Kunst ein „offener Begriff“, der es rein logisch unmöglich macht, zusammen notwendige und hinreichende Bedingungen anzugeben.

1.1.1.1. Morris Weitz – Kunst als „offener Begriff“

In dem wohl bekanntesten Aufsatz der angloamerikanischen Ästhetik der letzen Generation[8] „The Role of Theory in Aesthetics“[9] kritisiert Weitz eine ganz bestimmte Art der Kunsttheorie – von ihm „Ästhetische Theorie“ genannt –, deren erklärtes Ziel die Bestimmung des Wesens der Kunst ist, die sich in einer Definition niederschlagen soll. Seiner Meinung nach gehören alle großen Kunsttheorien zu dieser Art von Kunsttheorie, da sie allesamt den Anspruch erheben, das wahre Wesen der Kunst entdeckt zu haben.[10] So vertreten zum Beispiel die Philosophen Bell und Fry als Vertreter des Formalismus die Meinung, dass das wahre Wesen der Kunst in der „signifikanten Form“ liegt. Anhänger des Emotionalismus wiederum sind davon überzeugt, dass der „Ausdruck von Gefühlen“ das wahre Wesen von Kunst ausmacht.

In Anbetracht der anhaltenden Erfolglosigkeit dieser Kunsttheorien – es lassen sich immer wieder Gegenbeispiele konstruieren – gelangt Weitz zu der Einsicht, dass die Gründe für das Scheitern dieser Kunsttheorien nicht an den einzelnen Unzulänglichkeiten, wie zum Beispiel der Zirkularität oder Unvollständigkeit der jeweiligen Theorien liegen können, sondern an der „offenen Textur“ des Kunstbegriffs selbst. So schreibt er:

My intention is to go beyond these [criticisms of traditional aesthetic theories] to make a much more fundamental criticism, namely, that aesthetic theory is a logically vain attempt to define what cannot be defined, to state necessary and sufficient properties, to conceive the concept of art as closed when its very use reveals and demands its openness.[11]

Weitz unterscheidet zwischen zwei Arten von Begriffen: „geschlossenen“ und „offenen Begriffen“. Während für „geschlossene Begriffe“ zusammen notwendige und hinreichende Anwendungsbedingungen angegeben werden können, es also möglich ist, eine Menge von definitorischen Eigenschaften zu fixieren, ist dies für „offene Begriffe“ unmöglich. Aufgrund ihres expansiven Charakters werden wir immer wieder mit neuen Anwendungsfällen konfrontiert, die uns zu einer Entscheidung zwingen, ob die Anwendungsbedingungen des Begriffs korrigiert werden sollen oder nicht und dementsprechend der Begriff erweitert werden soll oder nicht. So schreibt Weitz:

A concept is open if its conditions of application are emendable and corrigible; i.e., if a situation or case can be imagined or secured which would call for some sort of decision on our part to extend the use of the concept to cover this, or to close the concept and invent a new one to deal with the new case and its new property. If necessary and sufficient conditions for the application of a concept can be stated, the concept is a closed one.[12]

Bei dem Kunstbegriff handelt es sich um solch einen „offenen Begriff“. Immer wieder, so erläutert Weitz, sind neue Fälle von „Kunst“ aufgetaucht und werden zweifellos weiterhin auftauchen, die uns zu Entscheidungen zwingen, ob der Begriff erweitert werden soll oder nicht.[13]

In diesem Sinne lässt sich Weitz’ „open concept – argument“ für die These, dass sich der Kunstbegriff notwendigerweise einer Realdefinition verschließt (und somit jedwede „Ästhetische Theorie“ unmöglich macht), folgendermaßen darstellen:

1. „Kunst“ ist ein offener Begriff, weil seine Anwendungsbedingungen stets veränderbar sind, so dass seine Extension erweitert oder verengt werden kann.
2. Ein offener Begriff ist nicht definierbar.
3. „Kunst“ ist nicht definierbar.

Sollten wir uns trotzdem dafür entscheiden, den Kunstbegriff zu schließen, wäre das, so Weitz, schlicht und einfach absurd „since it forecloses on the very conditions of creativity in the arts.“[14] Genau diesen logischen Fehler jedoch begehen die Vertreter der „Ästhetischen Theorie“, wenn sie versuchen, Realdefinitionen für „Kunst“ anzugeben. Was sie laut Weitz tatsächlich entwickeln, sind „honorific definitions, pure and simple, in which ‘art’ has been redefined in terms of chosen criteria“[15]. Anstatt wirklich die Eigenschaften zu beschreiben, die allen Gegenständen, die unter den Begriff „Kunst“ fallen, gemein sind, greifen Vertreter der „ästhetischen Theorie“ bestimmte favorisierte Eigenschaften von Kunstwerken heraus, wie zum Beispiel die Form oder den Ausdruck eines Kunstwerkes, die sie für charakteristisch halten.

Um seine These von der Undefinierbarkeit des Kunstbegriffs plausibel zu machen, bringt Weitz ein Beispiel aus der Literatur, welches als repräsentativ für den Kunstbegriff gelten soll.[16] Auf die Frage, ob X ein Roman sei oder nicht, würden wir seiner Meinung nach eben nicht überprüfen, ob X die und die, für einen Roman zusammen notwendigen und hinreichenden Eigenschaften habe. Vielmehr würden wir entscheiden, ob X bereits den als Romanen etablierten Büchern ähnlich sei und je nachdem für oder gegen eine Erweiterung des Begriffs plädieren.

Bei diesem Beispiel fällt auf, dass Weitz eine alternative Methode anbietet, die erklären soll, wie wir tatsächlich, wenn nicht anhand von gemeinsamen Eigenschaften, Kunst von Nicht-Kunst unterscheiden. Anstatt, um bei unserem Beispiel zu bleiben, empirisch zu überprüfen, ob X die wesentlichen Eigenschaften von Romanen aufweist, schauen wir, ob X bestimmten, bereits als Romanen etablierten Gegenständen ähnlich ist.

Weitz stützt sich hierbei explizit auf Ludwig Wittgensteins Theorie der Familienähnlichkeiten, die jener in den Philosophischen Untersuchungen (1953 posthum erschienen) in den Paragraphen 65-77 entwickelt. Genau wie alle Mitglieder einer Familie einander in irgend einem Aspekt ähneln – sei es nun im Charakter oder in der Haarfarbe –, obwohl es keinen einzigen Aspekt gibt, in dem sie sich alle ähneln, so existieren laut Weitz zwischen allen Kunstwerken „Stränge von Ähnlichkeiten“, obgleich es keine einzige Eigenschaft gibt, die allen Kunstwerken gemein ist. In diesem Sinne schreibt Weitz:

If we actually look and see what it is that we call ‘art’, we will also find no common properties – only strands of similarities. Knowing what art is is not apprehending some manifest or latent essence but being able to recognize, describe, and explain those things we call ‘art’ in virtue of these similarities.[17]

1.1.2. Kritik an dem Definitionsskeptizismus

Auch wenn der Definitionsskeptizismus zunächst einmal dazu führte, dass alle Versuche, über das Wesen von Kunst zu philosophieren, schlagartig aufhörten und zum Teil noch heute von Philosophen unterlassen werden[18], übten im Laufe der Zeit mehrere Philosophen Kritik an dieser Position. Ich möchte mich an dieser Stelle auf die Kritik des amerikanischen Philosophen Maurice Mandelbaum (1908-1987) beschränken, da es seine Art von Kritik war, die zu der Entwicklung der Institutionellen Theorie der Kunst führte. Seiner Meinung nach ist nicht die Unmöglichkeit einer Realdefinition von „Kunst“ für das Scheitern bisheriger Kunsttheorien verantwortlich, sondern die Konzentration auf die falsche Art von essentiellen Eigenschaften, nämlich auf unmittelbar wahrnehmbare, intrinsische Eigenschaften.

1.1.2.1. Maurice Mandelbaum

In seinem 1965 erschienenen Artikel „Family Resemblances and Generalizations Concerning the Arts“[19] kritisiert Maurice Mandelbaum das einseitige Vorgehen der Definitionsskeptiker bei der Suche nach dem Wesen der Kunst. Genau wie Wittgenstein begingen sie den fatalen Fehler, nur eine ganz bestimmte Art von Eigenschaften, nämlich unmittelbar zutage liegende, intrinsische Eigenschaften zu berücksichtigen und darüber die Möglichkeit zu vernachlässigen, „dass die Verwendung des Kunstbegriffs auch an sozusagen ‚unsichtbare’ Merkmale (wie Relationen) geknüpft sein könnte.“[20] In diesem Sinne schreibt Mandelbaum:

However, as the preceding discussion of Wittgenstein should have served to make clear, one cannot assume that if there is any one characteristic common to all works of art it must consist in some specific, directly exhibited feature. Like the biological connections among those who are connected by family resemblances, or like the intentions on the basis of which we distinguish between fortune-telling and card games, such a characteristic might be a relational attribute, rather than some characteristic at which one could directly point and say: ‘It is this particular feature of the object which leads me to designate it as a work of art.’ A relational attribute of the required sort might, for example, only be apprehended if one were to consider specific art objects as having been created by someone for some actual or possible audience.[21]

1.1.3. Die Institutionelle Theorie der Kunst

Als Resultat der Auseinandersetzung zwischen Anhängern und Kritikern des Definitionsskeptizismus entsteht in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts die Institutionelle Theorie der Kunst. So schreibt Jerrold Levinson:

In the wake of the exchange between Weitz and Mandelbaum on art’s definability emerged institutional theories of arthood, which proposed that a non-manifest relation to a social framework was what made something an artwork, not its manifest or observable properties.[22]

Ganz im Sinne von Mandelbaums Kritik legt sich die Theorie bei der Suche nach dem Wesen der Kunst weder auf das Kunstwerk an sich bzw. dessen intrinsische Eigenschaften, noch auf irgendwelche unmittelbar wahrnehmbaren Eigenschaften fest, sondern lenkt ihr Augenmerk auf dessen komplexe kulturelle Umgebung. Ihr zufolge ist es nämlich die nicht unmittelbar wahrnehmbare Relation zu einer ganz bestimmten Institution, der sogenannten „Kunstwelt“ oder, wie sie von T. J. Diffey[23] genannt wird, der „Republik der Kunst“, die etwas zu einem Kunstwerk macht. Diese Relation zu der Kunstwelt wiederum erreicht ein Kunstwerk, indem es eine ganz bestimmte Behandlung genossen hat bzw., um es in den Worten von Stephen Davies zu sagen, indem es einer ganz bestimmten Prozedur[24] unterzogen worden ist. Wie diese Prozedur genau aussieht, kraft derer etwas zu einem Kunstwerk wird, hängt wiederum von der jeweiligen Institutionellen Theorie der Kunst ab. In diesem Sinne lässt sich die Institutionelle Theorie der Kunst folgendermaßen zusammenfassen:

In sum, an institutional theory of F -hood treats F -hood as an objectively determinable and socially determined multi-place concept, with some social institution as one of the relata. “Something is a painting if and only if it is hung in a gallery” counts as a little institutional theory of arthood.[25]

1.1.4. Arthur Danto

Die besondere Gestaltung von Dickies Theorie wurde durch Arthur Dantos 1964 erschienenen Aufsatz „The Artworld“[26] angeregt, der nicht im Kontext des Definitionsskeptizismus entstand, sondern in dem der Pop-Art[27]. In diesem Aufsatz beschäftigt sich Danto u. a. mit dem Paradox, dass Andy Warhols Brillo Boxes Kunst sind, obwohl sie sich in ihren sinnlich wahrnehmbaren Eigenschaften angeblich in keiner Weise von den in den Supermärkten erhältlichen Brillo Boxes unterscheiden, die wiederum keine Kunst sind. Unter der Prämisse, dass es sich bei Andy Warhols Brillo Boxes tatsächlich um Kunst handelt, stellt sich Danto die Frage, was, wenn nicht irgendwelche sinnlich wahrnehmbaren Eigenschaften, Kunst von Nichtkunst unterscheidet. Dantos Lösungsvorschlag sieht folgendermaßen aus:

To see something as art requires something the eye cannot descry – an atmosphere of artistic theory, a knowledge of the history of art: an artworld.[28]

Danto zufolge ist also die Einbettung in eine bestimmte „art theory“ dafür verantwortlich, dass es sich bei Andy Warhols Brillo Boxes um Kunst handelt. So schreibt er:

What in the end makes the difference between a Brillo box and a work of art consisting of a Brillo Box is a certain theory of art. It is the theory that takes it up into the world of art […][29]

Was aber versteht Danto unter einer „art theory“? Danto zufolge besteht eine Kunsttheorie aus einer Matrix von Kunst-relevanten Prädikaten, die allein Kunstwerken zugeschrieben werden können. Diese Kunst-relevanten Prädikate wiederum legen fest, was ein Kunstwerk ist oder nicht. Wenn zum Bespiel zu einer bestimmten Zeit die Prädikate X und Y zu den Kunst-relevanten Prädikaten gehören, dann gehören all diejenigen Gegenstände zu der Klasse der Kunstwerke, die mindestens eines dieser zwei Prädikate aufweisen. „[B]ut suppose an artist determines that H shall henceforth be artistically relevant for his paintings.”[30] In diesem Fall, so fährt Danto fort, kommt es zu einer Erweiterung der kunst-relevanten Prädikate. Um bei unserem Beispiel zu bleiben, gehören dann laut Danto nicht nur Gegenstände, die mindestens eines der Prädikate X oder Y aufweisen, zu der Klasse der Kunstwerke, sondern darüber hinaus gehören nun auch Gegenstände, die das Prädikat H aufweisen, zu der Klasse der Kunstwerke.

Es lässt sich nicht bestreiten, dass Dantos Aufsatz viele Fragen unbeantwortet lässt. So ist mir nach wie vor unklar, wie die Entscheidung eines einzelnen Künstlers überhaupt in der Lage ist, ein bestimmtes Prädikat in ein Kunst-relevantes Prädikat zu verwandeln. Auch schließe ich mich Yanals Kritik an, der die Kunst-relevanten Prädikate in Dantos Theorie für überflüssig hält, wenn es letztlich die Entscheidungen der einzelnen Künstler sind, die festlegen, was zu der Matrix der Kunst-relevanten Prädikate gehört. In diesem Sinne schreibt Yanal:

In fact, at this point we wonder what work the artrelevant predicates are doing, if in the end making something art comes down to someone’s decision. Why not, for example, allow decisions to make a thing art directly, unmediated by artrelevant predicates?[31]

Des weiteren bezweifle ich, dass Dantos zentrale These, dass Kunst nur dann möglich ist, wenn sie in eine Kunsttheorie eingebettet ist[32], tatsächlich der Wahrheit entspricht. So spricht m. E. die Tatsache dagegen, dass die Geschichte der Kunsttheorie wesentlich jünger zu sein scheint als die der Kunst und es demnach sehr wohl möglich zu sein scheint, dass Kunst ohne Einbettung in eine Kunsttheorie vorkommt.

Auch wenn sich Danto in seinen späteren Aufsätzen von der Institutionellen Theorie der Kunst explizit abwendet[33] und eine Bedeutungstheorie der Kunst vertritt, ist sein Aufsatz „The Artworld“ für Dickies Institutionelle Theorie wegweisend gewesen. In diesem Sinne schreibt Yanal:

Danto’s essay also spawned other institutional theories by pointing to one way of solving his paradox, namely the possibility that something is art not by virtue of any properties of it but rather by virtue of a relation it bears to some larger context. Danto, and after him, Dickie, call this larger context “the artworld”.[34]

2. George Dickies Institutionelle Theorie der Kunst

Der amerikanische Philosoph George Dickie (*1926) ist der wohl bekannteste Vertreter der Institutionellen Theorie der Kunst. Innerhalb von mehreren Jahren entwickelt er zwei unterschiedliche Versionen der Institutionellen Kunsttheorie. Während beide Versionen den institutionellen Grundgedanken teilen, dass etwas kraft seiner Rolle, die es innerhalb der sozialen Institution Kunstwelt spielt, ein Kunstwerk ist, unterscheiden sie sich vor allem durch die Art und Weise, wie ein Kunstwerk diese Rolle erlangt. Erwirbt ein Kunstwerk diese Rolle in der ersten Version (1969/1974), indem es von einer Person, die im Namen der Kunstwelt handelt, einen bestimmten Status verliehen bekommt, erlangt es diese Rolle in der zweiten Version (1984) durch die besondere Art der Herstellung vor dem Hintergrund der Kunstwelt, d. h. indem es von einem Künstler für die Präsentation vor einem Kunstwelt-Publikum hergestellt wird.

Auslöser für das Zustandekommen der zweiten Version war vor allem die Kritik des Philosophen Monroe C. Beardsley, der Dickie auf einen Widerspruch bzw. ein Missverhältnis in seiner Theorie aufmerksam machte, das sich wie folgt darstellen lässt: Während Dickie auf der einen Seite behauptet, dass es sich bei der Kunstwelt um eine informelle Institution handelt, die weder über eine festgeschriebene Verfassung noch über Beamte und Statuten verfügt, geht Dickie auf der anderen Seite davon aus, dass die Kunstwelt bzw. Personen, die in ihrem Namen handeln, über die Fähigkeit verfügen, Objekten einen besonderen Status verleihen zu können, was jedoch eine Form von Autorität voraussetzt, über die nur formelle Institutionen wie zum Beispiel der Staat verfügen. Kurz gesagt, Beardsley kritisiert, dass die Kunstwelt als informelle Institution nicht über die nötige Autorität verfügt, irgendeinen Status in ihrem Namen zu verleihen.

2. 1. Die erste Version

Die erste Version der Institutionellen Kunsttheorie erscheint 1969 in Dickies Aufsatz „Defining Art“[35], der zu dem 1974 veröffentlichten Buch Art and the Aesthetic: An Institutional Analysis[36] ausgebaut wird. Dort fasst Dickie seine Vorstellung von einer nicht unmittelbar wahrnehmbaren, relationalen Eigenschaft, die das Wesen der Kunst ausmacht, zum ersten Mal in Worte. Seiner Meinung nach ist es die institutionelle Einbettung in die Kunstwelt, die ein Artefakt zu einem Kunstwerk macht. So schreibt Dickie:

The institutional theory of art concentrates attention on the non-exhibited characteristics that works of art have in virtue of being embedded in an institutional matrix which may be called “the artworld” and argues that these characteristics are essential and defining.[37]

Ein Kunstwerk zeichnet sich also dadurch aus, dass es in einem ganz bestimmten Kontext, den Dickie als Kunstwelt bezeichnet, eingebettet ist, weswegen er seine Kunsttheorie auch als „a kind of contextual theory“[38] betrachtet. Ein konkretes Beispiel einer solchen Einbettung in die Kunstwelt stellt die Ausstellung eines Gemäldes in einem Museum oder aber die Besprechung einer Oper im Feuilleton dar.

2. 1. 1. Definition von „Kunst“

Wie aber gelangt ein Artefakt überhaupt in den Genuss solch einer Einbettung in die Kunstwelt? Und was versteht Dickie unter der Kunstwelt? Zur Beantwortung dieser Fragen ist es notwendig, Dickies Definition von „Kunst“ bzw. „Kunstwerk“ zu betrachten, die folgendermaßen lautet:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Dickie zufolge ist ein X also genau dann ein „Kunstwerk“ im klassifizierenden bzw. deskriptiven Sinn, wenn (1) X ein Artefakt ist, d. h. von Menschenhand hergestellt wurde, und (2) X eine Menge von Eigenschaften besitzt, der von einer oder mehreren Personen der Status eines Anwärters für Wertschätzung[40] im Namen der Kunstwelt verliehen wurde.

Bevor ich mich mit den zwei Bedingungen für Kunst beschäftige, möchte ich zunächst auf einige Formulierungen der Definition näher eingehen. Dickie spricht in seiner Definition von einem Kunstwerk „in the classificatory sense“. Neben dem evaluativen Kunstbegriff, den wir verwenden, wenn wir etwas besonders loben möchten, gibt es laut Dickie noch eine elementarere Verwendungsweise des Kunstbegriffs, die rein deskriptiv und klassifizierend ist.[41] So schreibt Dickie:

We rarely utter sentences in which we use the classificatory sense, because it is such a basic notion […] Even if we do not often talk about art in this classificatory sense, however, it is a basic concept that structures and guides our thinking about our world and its contents.[42]

Diesen rein deskriptiven Kunstbegriff verwenden wir, wann immer wir etwas zu einer ganz bestimmten Klasse von Dingen zählen.[43] Da es Dickie als Kunstästhetiker darum geht, das Wesen der Kunst zu erfassen, was sowohl gute als auch schlechte Kunst einschließt, bezieht sich seine Definition ausschließlich auf den deskriptiven Kunstbegriff. So schreibt er:

But it is, of course, the descriptive sense of “work of art” which is at issue when the question of whether “art” can be defined is raised.[44]

Aus diesem Grund verzichtet Dickie auch darauf, normative Eigenschaften in seine Definition von „Kunst“ einfließen zu lassen. So ist in Dickies Definition nicht von tatsächlicher Wertschätzung die Rede, sondern nur von einer Anwärterschaft auf diese.[45]

Des Weiteren wird laut Dickie nicht dem ganzen Artefakt der Status eines Anwärters für Wertschätzung verliehen, sondern nur einer ganz bestimmten Menge seiner Eigenschaften. So heißt es in Dickies Definition von „Kunst“, dass lediglich „a set of the aspects“[46] des Artefakts den Status eines Anwärters für Wertschätzung verliehen bekommt. Bei dieser Menge von Eigenschaften handelt es sich um die ästhetischen Eigenschaften bzw. das „ästhetische Objekt“[47] eines Artefakts, die von den nicht-ästhetischen Eigenschaften wie zum Beispiel der Rückseite eines Gemäldes oder aber dem nach einem Film gezeigten Abspann, die in der Regel nicht zu den ästhetischen Eigenschaften eines Artefakts zählen, zu trennen sind.

Was aber zeichnet die ästhetischen Eigenschaften bzw. „das ästhetische Objekt“ eines Artefakts aus? In der Regel wird hierbei die Ansicht vertreten, dass Menschen aufgrund einer besonderen Erkenntnisform, der sogenannten „ästhetischen Einstellung“ (engl. aesthetic attitude), ästhetische Eigenschaften wie Schönheit und Eleganz wahrnehmen können. Demnach unterscheiden sich die ästhetischen Eigenschaften von den nicht-ästhetischen Eigenschaften dadurch, dass sie nur mithilfe einer besonderen ästhetischen Einstellung erkannt werden können. Da es für Dickie jedoch keine besondere Art der ästhetischen Einstellung gibt[48], wendet sich Dickie auch hier der sozialen Umgebung zu. Seiner Meinung nach gibt es für jedes Kunstwerk gewisse Konventionen der Präsentation, die es uns ermöglichen, die ästhetischen Eigenschaften von den nicht-ästhetischen Eigenschaften zu unterscheiden. So schreibt Dickie:

The institutional theory of aesthetic object concentrates attention on the practices and conventions used in presenting certain aspects of works of art to their audiences and argues that the presentational conventions locate or isolate the aesthetic objects (features) of works of art.[49]

Wie aber erwerben wir das Wissen um diese Konventionen? Dickie scheint hierbei der Ansicht zu sein, dass wir dieses Wissen nicht explizit erlernen müssen, sondern allein durch unseren alltäglichen Umgang mit Kunst unbewusst verinnerlichen. So schreibt er:

The conventions that structure the experience of art are learned in much the same way that a native language is learned; that is, it is picked up in an unself-conscious way.[50]

Ferner unterscheidet Dickie zwischen zwei Arten von Konventionen, die in der Präsentation von Kunst beteiligt sind. Während die primäre Konvention die Etablierung und Aufrechterhaltung eines Systems innerhalb der „Kunstwelt“ sicher stellt, zeichnen sich die sekundären Konventionen durch ihre historische Wandelbarkeit und dementsprechend durch ihre Austauschbarkeit aus.[51]

2.1.1.1. Artefaktizität

Kommen wir nun zu den zwei notwendigen Bedingungen, die Dickies Kunstdefinition zufolge gemeinsam hinreichend für ein Kunstwerk sind. Die erste Bedingung besagt, dass ein Kunstwerk notwendigerweise ein Artefakt ist, wobei Dickie unter einem Artefakt „an object made by man, especially with a view to subsequent use”[52] versteht. Dickie schließt sich darin, wie er selbst hervorhebt[53], einer traditionellen und seiner Meinung nach üblichen Sichtweise von Kunst an.

Eine Begründung für die Richtigkeit dieser These sucht man jedoch sowohl in seinem Aufsatz „Defining Art“ als auch in seinem Buch Art and the Aesthetic vergeblich.[54] Stattdessen begnügt sich Dickie in seinem Aufsatz „Defining Art“ zunächst damit, ein einziges Argument von Weitz zu widerlegen.[55] Bei diesem Argument handelt es sich um die Annahme, dass Artefaktizität keine notwendige Bedingung für Kunst im deskriptiven Sinne ist, da wir manchmal Äußerungen der Art „This driftwood is a lovely piece of sculpture“ machen. Dickie entgegnet hierauf, dass es zwei unterschiedliche Verwendungsweisen von „Kunst“ gibt, zum einen die deskriptive und zum anderen die normative Verwendungsweise. Da es sich jedoch bei dem in der Äußerung verwendeten Begriff „sculpture“ eindeutig um eine normative Verwendungsweise von „Kunst“ handelt, folgt daraus keineswegs, so Dickie, dass Artefaktizität keine notwendige Bedingung für Kunst im deskriptiven Sinn ist.

In seinem Buch Art and the Aesthetic sieht er jedoch ein, dass diese Entgegnung nicht ausreicht, um die Notwendigkeit von Artefaktizität für Kunst im deskriptiven Sinn zu zeigen.[56] Aus diesem Grund führt er eine von dem Philosophen Richard Sclafani entdeckte dritte Verwendungsweise von „Kunst“ ein, die sogenannte sekundäre oder abgeleitete Verwendungsweise.[57] Diese Verwendungsweise zeichnet sich dadurch aus, dass wir sie für Objekte verwenden, die Musterbeispielen von Kunst im deskriptiven Sinn bzw. gewissen Eigenschaften von ihnen ähneln. Es stellt sich nun die Frage, wie die Einführung der sekundären oder abgeleiteten Verwendungsweise von „Kunst“ untermauern soll, dass ein Kunstwerk notwendigerweise ein Artefakt ist. Dickie zufolge soll diese neu eingeführte Verwendungsweise nahe legen, dass Artefaktizität ein integraler Bestandteil von Kunst im deskriptiven Sinn ist. So schreibt er:

The paradigm work or works are of course always artifacts; the direction of our move is from paradigmatic (artifactual) works of art to nonartifactual “art“.[58]

Von der Plausibilität der Annahme einmal abgesehen, es gebe eine solche dritte Verwendungsweise, handelt es sich auch bei diesem Argumentationsschritt Dickies um keine richtige Begründung der These, bestenfalls um ein Indiz, dass Artefaktizität eine notwendige Bedingung für Kunst ist. Demzufolge gilt für beide Textgrundlagen von Dicke gleichermaßen: Auch wenn Dickie ein Argument von Weitz als falsch entlarvt und zwischen verschiedenen Verwendungsweisen von „Kunst“ unterscheidet, ist damit noch lange nicht „clear that artifactuality is a necessary condition […] of the primary sense [the classificatory sense] of art“[59]. Anstelle von einer Begründung scheint Dickie vielmehr auf die intuitive Evidenz der These zu bauen und den Rest des Buches der zweiten, seiner Meinung nach weitaus umstritteneren Bedingung von Kunst zu widmen. Diesen Eindruck bestätigt Dickie in seinem späteren Buch The Art Circle, indem er schreibt:

There were two reasons for this relative lack of attention. First […] I regarded the artifactuality condition as being virtually self-evident. […] The second reason for devoting so little space to artifactuality was that it then seemed to me that all the really interesting things were embedded in the second condition.[60]

Zudem gibt es laut Dickie zwei Arten von Artefaktizität: Neben der traditionellen Art, die das Resultat der Bearbeitung von Werkzeugen darstellt, gibt es noch eine andere Art, die genau wie der Kunststatus verliehen wird.[61] Diese zweite Art der Artefaktizität wird einem natürlichen Objekt genau zu der Zeit verliehen, zu der es den Kunststatus verliehen bekommt, wobei es sich jedoch um zwei verschiedene Vorgänge handelt.[62]

Aus welchem Grund aber führt Dickie diese zweite Art von Artefaktizität ein? Das hängt mit Marcel Duchamps Ready-mades zusammen. Da es sich bei Ready-mades um Kunstobjekte handelt, die nicht vom Künstler selbst hergestellt werden, sondern von ihm gefunden, ausgewählt und als Fundstück ohne oder mit geringfügiger Veränderung zum Kunstwerk erklärt werden[63], stellt sich Dickie die Frage, ob auch natürliche Objekte wie Treibholz Kunstwerke im deskriptiven Sinn sein können. Genau wie Ready-mades weisen die natürlichen Objekte jedoch keinerlei oder nur geringfügige physische Veränderungen auf, die auf die Bearbeitung des Objekts durch einen Künstler und somit auf Artefaktizität schließen lassen. Da es sich bei diesen Objekten nichtsdestotrotz um Kunstwerke im deskriptiven Sinn handeln soll, müssen sie, so Dickie, Artefaktizität auf eine andere Art erlangt haben, nämlich auf die von Dickie neu eingeführte Art der Verleihung. „Natural objects which become works of art […] are artifactualized without the use of tools – the artifactuality is conferred on the object rather than worked on it.“[64] Zum Glück weicht er in der zweiten Version seiner Institutionellen Kunsttheorie von dieser Annahme zurück, da er einsieht, dass Artefaktizität etwas ist, was nicht verliehen werden kann.[65]

Ich möchte an dieser Stelle kurz darauf hinweisen, dass es mittlerweile begründete Zweifel gibt, dass es sich bei Duchamps Ready-mades um „echte“ bzw. Ready-mades im buchstäblichen Sinne handelt.[66] So handelt es sich bei den meisten seiner Ready-mades um von Hand hergestellte Imitate der Objekte, die sie zu sein vorgeben, oder aber um Alltagsgegenstände, die gezielt manipuliert wurden. Trotzdem erscheint mir Dickies Überlegung nach wie vor sinnvoll, da es eben nicht durchweg der Fall ist, wie Enßlen m. E. übereilt behauptet, dass alle Ready-mades künstlich hergestellte oder nachträglich manipulierte Gegenstände sind. Das Gegenteil scheint mir vielmehr der Fall zu sein, wofür Künstler wie Jeff Koons (*1955) und Silvie Fleury (*1961) sprechen. So stellte Jeff Koons zu Beginn seiner künstlerischen Laufbahn eine Reihe von nagelneuen Staubsaugern in Glaskästen in der Werkgruppe „The New“ (1980) aus.

2.1.1.2. Die Übertragung des Status eines Anwärters für Wertschätzung im Namen der Kunstwelt

Wenden wir uns nun der zweiten notwendigen Bedingung von Kunst zu, die von zentraler Bedeutung für die erste Version der Institutionellen Kunsttheorie ist. So ist es nämlich diese zweite Bedingung, die den institutionellen Charakter von Dickies Kunsttheorie festlegt und somit die Antwort auf die zu Anfang gestellte Frage gibt, wie ein Artefakt überhaupt in den Genuss der Einbettung in die Kunstwelt kommt. Gemäß dieser Bedingung ist ein Kunstwerk notwendigerweise ein Artefakt, dass (bzw. eine Menge seiner Eigenschaften) von einer Person, die im Namen der Kunstwelt handelt, den Status eines Anwärters für Wertschätzung verliehen bekommen hat. Demnach erreicht ein Artefakt die Einbettung in die Kunstwelt, indem es (bzw. eine Menge seiner Eigenschaften) von jemandem im Namen der Kunstwelt zu einem Kunstwerk erklärt wird. In diesem Sinne schreibt Dickie:

Now what I have been saying may sound like saying , “a work of art is an object of which someone has said, ‘I christen this object a work of art’.” And I think it is rather like that.[67]

Was aber versteht Dickie unter der Kunstwelt, in deren Namen der für Kunstwerke so essentielle Status verliehen wird? Und was hat es vor allem mit dem Status eines Anwärters für Wertschätzung auf sich, dessen Übertragung ein gewöhnliches Artefakt in ein Kunstwerk verwandelt?

2.1.1.2.1. Die Kunstwelt

Wenden wir uns zunächst der ersten Frage zu. Wie Dickie mehrmals hervorhebt[68], übernimmt er den für seine Theorie so zentralen Begriff der Kunstwelt von dem Philosophen Arthur Danto (*1924), der diesen Begriff in seinem gleichnamigen Aufsatz „The Artworld“[69] einführt. Wie ich bereits im Abschnitt 1.1.4. ausführlich beschrieben habe, vertritt Danto dort die Meinung, dass etwas aufgrund seiner Einbettung in einen kunsttheoretischen Kontext, den er als Kunstwelt bezeichnet, ein Kunstwerk ist. So schreibt er:

To see something as art requires something the eye cannot descry – an atmosphere of artistic theory, a knowledge of the history of art: an artworld.[70]

Auch wenn Dickie einräumt, dass Danto in seinem Aufsatz keine explizit institutionelle Auffassung von Kunst entwickelt, hält er eine Weiterführung von Dantos Worten im Sinne seiner Institutionellen Theorie der Kunst für naheliegend.[71] So meint Dickie in den Worten Dantos folgende Sichtweise auf das Wesen der Kunst zu lesen: Zum einen kann das Wesen der Kunst nicht durch unmittelbar wahrnehmbare Eigenschaften erfasst werden – so spricht Danto davon, dass für die Klassifizierung von Kunst mehr als nur das, was das Auge wahrnehmen kann, vonnöten ist – und zum anderen verweist Dantos Rede von einer kunstspezifischen Atmosphäre, die er Kunstwelt tauft, auf die komplexe Struktur, in der ein Kunstwerk eingebettet ist und indiziert somit das institutionelle Wesen von Kunst.[72]

[...]


[1] Intrinsisch bedeutet von „innen her kommend“. Eine intrinsische Eigenschaft ist eine Eigenschaft, die einem Gegenstand selbst zukommt, unabhängig von anderen Gegenständen, inklusive seines Kontexts.

[2] Für eine ausführliche Besprechung und Analyse der Rezeption von Dickies Institutionstheorie siehe Liebsch, Dimitri (2002).

[3] „Both the earlier and the later versions of the theory are responses to the view that ‘art’ is an open concept that cannot be defined in terms of necessary and sufficient conditions” (Dickie, George (2001), S. 57).

[4] Weitere geläufige Bezeichnungen für diese Position innerhalb der Ästhetik sind „Anti-Essentialismus“ und „Neo-Wittgensteinianismus“.

[5] Unter dem Einfluss der (sprach-)analytischen Philosophie findet in der Ästhetik (wie auch in anderen philosophischen Disziplinen) eine Akzentverschiebung statt. Es ist nicht mehr die Rede von den materiellen Gegenständen, die unter den Kunstbegriff fallen, sondern von der Analyse der (korrekten) Verwendungsweise des Kunstbegriffs.

[6] In der Regel unterscheidet man zwischen Real- und Nominaldefinitionen. Während die Nominal-definition die Bedeutung eines Wortes beschreibt, benennt die Realdefinition die Essenz, d. h. die wesentlichen Merkmale, der Sache selbst.

[7] „Der einflussreichste Kritiker des traditionellen Dogmas, dass die Klassifikation von Kunstwerken nur darauf beruhen kann, dass alle Dinge, die unter diesen Begriff fallen, eine gemeinsame Eigenschaft haben, war Morris Weitz“ (Lüdeking, Karlheinz (1998), S. 58).

[8] Vgl. Lüdeking, Karlheinz (1998), S. 59.

[9] Weitz, Morris (1956).

[10] Vgl. Weitz, Morris (1956), S. 27.

[11] Weitz, Morris (1956), S. 30.

[12] Weitz, Morris (1956), S. 31.

[13] Vgl. Weitz, Morris (1956), S. 32.

[14] Weitz, Morris (1956), S. 32.

[15] Weitz, Morris (1956), S. 35.

[16] „What is true of the novel is, I think, true of every sub-concept of art […] of ‘art’ itself” (Weitz, Morris (1956), S. 32).

[17] Weitz, Morris (1956), S. 32.

[18] „And Weitzian anti-essentialism is common today. Indeed, some writers (Shusterman 1987, Bourdieu 1987, and Elgin and Goodman 1987) see the attack on definition as one of the few achievements of analytic philosophy as applied to aesthetics. Many of the writers who offer a definition are very careful these days to emphasize that they aim to do no more than to characterize the concept’s core, the paradigm art forms and artworks, and to characterize it in terms of necessary and sufficient conditions, but not in terms of conditions that are jointly both – see, for example, E. J. Bond (1975) and Beardsley (1982a)” (Davies, Stephen (1991), S. 8f.).

[19] Mandelbaum, Maurice (1965).

[20] Lüdeking, Karlheinz (1998), S. 79.

[21] Mandelbaum, Maurice (1965), S. 222.

[22] Levinson, Jerrold (Hrsg.) (2003), S. 14.

[23] Vgl. Diffey, T. J. (1969).

[24] Stephen Davies unterscheidet zwischen funktionalen und prozeduralen Kunsttheorien: Während funktionale Theorien einen bestimmten Zweck oder eine bestimmte Funktion als essentiell für Kunst betrachten, betrachten prozedurale Theorien der Kunst wie die Institutionelle Kunsttheorie das Vorkommen einer bestimmten Prozedur, die ein immanenter Bestandteil einer sozialen Praxis darstellt, als essentiell für Kunst (vgl. Davies, Stephen (1991), S.37f.).

[25] Yanal, Robert J. (1998), S. 511.

[26] Danto, Arthur (1964).

[27] Die Pop-Art (verkürzt für „popular art“) ist eine Bewegung in der bildenden Kunst der fünfziger und sechziger Jahre, vor allem in den USA und Großbritannien, die die Eigenschaften moderner Verbrauchskulturen in die Bildsprache integriert (vgl. Thomas, Karin (2004), S. 20).

[28] Danto, Arthur (1964), S. 580.

[29] Danto, Arthur (1964), S. 581. Hervorhebung von mir.

[30] Danto, Arthur (1964), S. 583.

[31] Yanal, Robert J. (1998), S. 509.

[32] „It is the role of artistic theories, these days as always, to make the artworld, and art, possible“ (Danto, Arthur (1964), S. 581).

[33] In der Regel wird Arthur Danto aufgrund seines Aufsatzes „The Artworld“ als der erste Vertreter der Institutionellen Kunsttheorie betrachtet (vgl. Yanal, Robert J. (1998)), was m. E. falsch ist. Nicht nur hat er in seinen späteren Aufsätzen selbst bestritten, dass dies je der Fall gewesen sei (vgl. Danto, Arthur (1981), S. 92-94), auch legt nichts in seiner Beschreibung von der Kunstwelt nahe, dass es sich bei ihr, wie von der Institutionellen Kunsttheorie postuliert, um eine strukturierte (informelle) Institution handelt, die festlegt, was ein Kunstwerk ist und was nicht.

[34] Yanal, Robert J. (1998), S. 509.

[35] Dickie, George (1969).

[36] Dickie, George (1974). Genau genommen beschäftigt sich Dickie nur in dem ersten und siebten Kapitel seines Buches mit der Institutionellen Theorie der Kunst.

[37] Dickie, George (1974), S. 12

[38] Dickie George (1997[1984]), S. 7.

[39] Dickie, George (1974), S. 34.

[40] Ich habe mich bewusst für eine wortwörtliche Übersetzung des englischen Terminus „status of candidate for appreciation“ entschieden. Auch wenn dieser Begriff zugegebenermaßen nicht schön anzuhören ist, was, nebenbei gesagt, auch auf den englischen Begriff von Dickie zutrifft, vermeidet der wortwörtlich übersetzte Begriff eventuelle Missverständnisse, die aufgrund einer freien Übersetzung entstehen könnten. Der Einfachheit halber werde ich gegebenenfalls die Kurzform „Kunststatus“ verwenden.

[41] Genau genommen unterscheidet Dickie seit dem Erscheinen seines Buches Art and the Aesthetic zwischen drei unterschiedlichen Kunstbegriffen bzw. Verwendungsweisen von „Kunst“ (siehe S. 21 meiner Arbeit).

[42] Dickie, George (1974), S. 27, Hervorhebungen von mir.

[43] Vgl. Dickie, George (1973), S. 25f.

[44] Dickie, George (1969), S. 253.

[45] Vgl. Dickie, George (1997), S. 84.

[46] Dickie, George (1974), S. 34.

[47] Unter dem „ästhetischen Objekt“ eines Artefakts versteht Dickie keine eigenständige ontologische Entität, sondern einzig und allein diejenige Menge von Eigenschaften eines Artefakts, die durch die mit den einzelnen Kunstsystemen einhergehenden Konventionen festgelegt wurden. In diesem Sinne wurde zum Beispiel im dem Kunstsystem des Films mithilfe von Konventionen festgelegt, dass der Vorhang oder der Abspann in der Regel nicht zu dem „ästhetischen Objekt“ des Films gehört.

[48] Für eine detaillierte Begründung dieser These siehe Abschnitt 2.1.1.2.3..

[49] Dickie, George (1974), S. 12.

[50] Dickie, George (1974), S. 178.

[51] Vgl. Dickie, George (1974), S. 174f.

[52] Dickie, George (1997), S. 83.

[53] Vgl. Dickie, George (1997), S. 82.

[54] Joseph Margolis erhebt denselben Einwand (Margolis, Joseph (1975), S. 341).

[55] Vgl. Dickie, George (1969), S. 253.

[56] „In an earlier attempt to show Weitz wrong, I thought it sufficient to point out that there are two senses of ‘work of art’ […]” (Dickie, George (1974), S. 24).

[57] Vgl. Dickie, George (1974), S. 25.

[58] Dickie, George (1974), S. 25.

[59] Dickie, George (1974), S. 27.

[60] Dickie, George (1974), S. 11.

[61] Vgl. Dickie, George (1975), S. 229.

[62] Vgl. Dickie, George (1974), S. 44f.

[63] Vgl. Thomas, Karin (2004[1971]), S. 21.

[64] Dickie, George (1971), S. 106.

[65] Vgl. Dickie, George (1997), S. 86f.

[66] Vgl. Enßlen, Michael (2002).

[67] Dickie, George (1969), S. 256.

[68] Vgl. Dickie, George (1969), S. 254 und Dickie, George (1974), S. 28f.

[69] Danto, Arthur (1964).

[70] Danto, Arthur (1964), S. 580. Dickie selbst zitiert genau diesen Satz sowohl in seinem Aufsatz „Defining Art“ (Dickie, George (1969), S. 254), als auch in seinem Buch Art and the Aesthetic (Dickie, George (1974), S. 29).

[71] Vgl. Dickie, George (1974), S. 29, Fußnote 9.

[72] Vgl. Dickie, George (1974), S. 29.

Ende der Leseprobe aus 113 Seiten

Details

Titel
George Dickie's Institutionelle Theorie der Kunst
Hochschule
Universität Bielefeld  (Fakultät für Geschichtswissenschaft, Philosophie und Theologie)
Note
1,5
Autor
Jahr
2008
Seiten
113
Katalognummer
V88066
ISBN (eBook)
9783638023610
ISBN (Buch)
9783638924047
Dateigröße
932 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
George, Dickie, Institutionelle, Theorie, Kunst
Arbeit zitieren
Katrin Raschke (Autor:in), 2008, George Dickie's Institutionelle Theorie der Kunst, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/88066

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