Vom Arpanet zum Web 2.0 - Neue Kommunikationsformen und -strukturen


Bachelorarbeit, 2007

58 Seiten, Note: 2


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Arpa Kadabra – auf dem Weg zum Web
2.1 Web 2.0: Begriff, Wesen und Funktion
2.2 Soziale Aspekte: Links & Netzwerke – kollektive Intelligenz

3 Interaktivität: Bedeutung, Motive und das Web

4 Interaktion im Web 2.0: Altes und neues Konzept – Chat und Blog
4.1 Interaktion im Chat: Die Nähe zum mündlichen Gespräch
4.1.1 Identität und Selbstdarstellung: Das andere Ich
4.1.2 Aspekte der Fassade: Sprache und Ausdruck im Chat
4.2 Interaktion via Blog
4.2.1 Bürgerjournalismus: Publizieren für alle?
4.2.2 Communities und soziale Netzwerke

5 Soziale Folgen der Web 2.0 Nutzung
5.1 Soziale Informationsverarbeitung und Filtermodelle: Bewertung von Online-Interaktion und mögliche Problemstellungen
5.2 Online-Beziehungen – soziale Vereinsamung?
5.2 Communities: Flucht in die Schein-Welt oder Zugewinn?

6 Zusammenfassung

7 Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Die Kommunikation und vor allem Medien, die die Kommunikation von Raum und Zeit abgelöst haben, werden heutzutage vielfach diskutiert und analysiert. Begriffe wie Globale Kommunikation, Vernetzung usw. sind Hinweise darauf, dass sich in den letzten Jahrzehnten in Punkto Kommunikation viel verändert hat.

Auch im Netz hat sich einiges weiterentwickelt, sogar das Web selbst. Heute wird von Web 1.0 und Web 2.0 gesprochen, wobei das letztere das modernere Web bezeichnet. Diese Arbeit thematisiert das Web 2.0, wobei es kaum um die technischen, sondern vielmehr um die sozialen Aspekte gehen soll. Insbesondere werden die neuen Kommunikations- bzw. Interaktionsformen und Strukturen angesprochen. Während zwischenmenschliche Kommunikation ursprünglich immer an körperliche Kopräsenz gebunden war, ist sie heute um einiges unabhängiger: Durch die technischen Entwicklungen wurde die kommunikative Reichweite erheblich erweitert: Durch die technischen Entwicklungen wurde die kommunikative Reichweite erheblich erweitert. Telefongespräche aus der Schweiz nach China, Videokonferenzen über hunderte von Kilometern sind keine Seltenheit mehr. Auch im Web 2.0 sind Möglichkeiten der Interaktion gegeben, die beispielsweise eine face-to-face-Situation bei weitem zu übertreffen scheinen.

Welches sind die neuen Interaktionsangebote und wie sind sie strukturiert? Was sind ihre Besonderheiten?

Bevor diesen Fragen nachgegangen wird, soll das neue Verständnis des Webs erläutert werden. Web 2.0 ist ein relativ neuer Begriff, der genauso schwammig als auch komplex zu sein scheint, wie im zweiten Kapitel näher beleuchtet werden soll. Wenn einige Personen und Unternehmen sicher sind, dass Web 2.0 nichts Neues, nichts Revolutionäres, sondern nur alter Wein in neuen Schläuchen sei, so haben diese anscheinend nicht alles begriffen.

Denn obwohl Web 2.0 auch ältere Technologien und Konzepte vom Web 1.0 übernommen hat und weiterhin verwendet, so hat gemäss Rappold ein Paradigmenwechsel stattgefunden: weg von prozessorientierter und hin zu personenorientierter Technologie, der sogenannten Social Software (2006: o.S.). Die personenorientierten Technologien sind, da sie eine unkomplizierte Nutzung ohne Expertenwissen gewährleisten, der Schlüssel zum Erfolg des Web 2.0: Durch sie kann der einst passive Konsument zum aktiven Produzenten werden. –Also doch nicht nur alter Wein in neuen Schläuchen? Das zweite Kapitel wird dieser Frage nachgehen.

Danach soll der Begriff der Interaktivität beleuchtet werden: Was bedeutet der Begriff? Wie ist der soziologische Begriff der Interaktion auf Web(inter)aktivitäten anzuwenden? Zur Beantwortung dieser Fragen werden unter anderem Erläuterungen von Höflich und Weber herangezogen.

Was motiviert den Menschen, mit anderen zu kommunizieren? Weshalb lässt er sich mit anderen ein, wenn es doch auch anders geht? Geht es denn überhaupt allein? Angesichts der vielen Kontaktbörsen wohl kaum. Um seine verschiedenen Bedürfnisse zu befriedigen, pflegt der Mensch Kontakt zu anderen. Kontakte sind heute nicht mehr aussschliesslich im realen Leben, sondern genauso in der virtuellen Welt möglich. Gemäss Döring lassen sich die Bedürfnisse des realen Lebens gut auf das Web anwenden. Mögliche Motive, warum User viel Zeit im Web verbringen, um mit anderen zu kommunizieren und Beiträge zu veröffentlichen, sollen im dritten Kapitel ausgeführt werden.

Es lässt sich also eine neue Art von Kommunikation bzw. Interaktion konstatieren, die weit über die klassische hinaus zu reichen scheint. So erfährt das 'Zauberwort' Interaktivität im Begriff Web 2.0 endlich seine 'wahre' Bedeutung: Im Sinne eines wechselseitigen Austausches, der nach Höflich nicht an körperliche Kopräsenz gebunden ist, kommunizieren User in Chats und Blogs miteinander, suchen neue Bekanntschaften und Beziehungen im Web und vernetzen sich, wobei oft Communities entstehen.

Im vierten Kapitel wird zunächst anhand von Goffmans Interaktionskonzept aufgezeigt, wie Selbstdarstellung und Identitätskonstruktion im realen Leben ablaufen. Wie stellen sich User im Chat dar? Wie können User die Unsichtbarkeit der nonverbalen Botschaften kompensieren? Hierzu werden die chatspezifischen Ausführungen Beisswengers und weiterer Autoren Antworten liefern.

Obwohl kaum eine andere Form der Kommunikation derzeit so stark im Mittelpunkt des wissenschaftlichen und öffentlichen Interessens steht, sind Blogs trotz zahlreicher Publikationen im Netz in soziologisch-kommunikationstheoretischer Hinsicht noch kaum analysiert worden, was eigentlich verwundert, bieten doch „bloggestützte Kommunikationsprozesse in Anbetracht des Ausbringens von Nachrichten und Mitteilungen im Modus des „To Whom It May Concern“ einen idealen Ansatzpunkt für die umfassende, auch akteursunabhängige und strukturorientierte Beschreibung und Analyse von Kommunikationsprozessen“ (Perschke/Lübcke 2005:2).

Die Arbeit von Perschke und Lübcke, die sich mit Aspekten der Blogkommunikation auseinandersetzt, soll in der vorliegenden Arbeit der Erläuterung verschiedener Fragen dienen: Was wird unter einem Blog verstanden? Was ist seine Bedeutung im Web 2.0?

Nicht erst die Blogs haben den Bürgerjournalismus ausgelöst, doch sie bieten dieser Art der Berichterstattung bzw. Information ihr grosses Potenzial der sozialen Vernetzung an, womit interessante und aktuelle oder brisante Themen durch die Verlinkung sehr rasch sehr viele User erreichen. Was ist unter Bürgerjournalismus zu verstehen? Worin unterscheidet er sich von der klassischen Berichterstattung? Die Arbeit von Bowman und Willis „We Media. How audiences are shaping the future of news and information” soll uns zu möglichen Antworten führen.

Moderne Bekanntschaften werden heute über das Web geschlossen. Beziehungen werden in Chats gesucht. Blogs ermöglichen eine freie Publikation. Gemeinschaften werden gebildet. All diese Vorgänge geschehen in Unabhängigkeit vom Raum und teilweise auch von der Zeit. Wie wirkt sich das auf das reale Leben des Users aus? Welche Wirkungen haben die neuen Interaktionsmöglichkeiten im Web 2.0?

Die Psychologin Nicola Döring hat ein umfassendes Werk über die Sozialpsychologie des Internets verfasst. Unter anderem hat sie sich mit Medienwahlmodellen beschäftigt, die Vor- und Nachteile computervermittelter Kommunikation diskutieren und Auswirkungen auf das soziale Umfeld des Users im realen Leben thematisieren. Um die obigen Fragen beantworten zu können, werden im fünften Kapitel zunächst zwei Modelle erläutert: das Filtermodell und die soziale Informationsverarbeitung. Später soll mithilfe zweier von Döring untersuchten Thesen folgende Frage geklärt werden: Wie wirken sich Online-Beziehungen und Online-Gemeinschaften auf das reale Leben aus?[AA1] Treten so genannte Nebenwirkungen auf?

Ziel der Arbeit ist es, Antworten auf die Fragen „Welche Kommunikationsmöglichkeiten bietet das Web 2.0?“ und „Übersteigen die neuen Kommunikationsmöglichkeiten die klassischen? Wenn ja, inwiefern?“ zu finden.

Mit klassischer Kommunikation sind die one-to-one-Situation, wie beispielsweise der Brief- oder Mailverkehr, sowie die massenmediale one-to-many-Situation im realen Leben gemeint. Die eher indirekten Vergleiche des Chats mit der face-to-face- Interaktion und des Blogs mit der massenmedialen Kommunikation erheben keineswegs Anspruch auf Vollständigkeit, sondern sollen vor allem die unterschiedlichen Facetten dieser Kommunikationsformen aufzeigen.

2 Arpa Kadabra – auf dem Weg zum Web 2.0

Nach dem Wegfall der Raumfahrtprojekte und der Raketenprogramme – also 1958 – blieben der ARPA (Advanced Research Projects Agency) vier Alternativen: Entweder konnte man sie abschaffen, sie erweitern, gar nichts an der Situation verändern oder aber ihre Aufgabe neu definieren. Letzteres wurde durchgesetzt: Die neue Orientierung der Behörde basierte auf Grundlagenforschung und Sonderprojekten. Die Mitarbeiter der ARPA erkannten, dass ihre Behörden einen bedeutenden Fehler begangen hatten: Obwohl sie bereits vor diesem Zeitpunkt Forschung betrieben hatten, so hatten sie doch nie einen Kontakt zu den Universitäten hergestellt, dem Mutterschoss der Wissenschaft. Das sollte sich bald durch eine grossartige Idee ändern: Durch ein dezentrales Netzwerk sollten verschiedene US-Universitäten, die für das US-Verteidigungsministerium in der Forschung tätig waren, miteinander verbinden werden. Das damals schon revolutionäre Konzept enthielt die heute grundlegenden Aspekte des Internets, denn wie heute wurden die Verbindungen bereits damals über Telefonleitungen hergestellt. 1969 war es dann soweit: Das Arpanet, der Vorläufer des Internets, konnte an der kalifornischen Universität von L.A. in Betrieb genommen werden. Die vier Netzknoten wurden bis Ende der 70er Jahre auf eine Zahl von etwa 100 und bis Ende der 80er Jahre auf gut 100'000 vernetzte Universitätsrechner gesteigert (Beisswenger 2000: 12).

Die damaligen User, wie die Nutzer im Englischen genannt werden, waren keineswegs diffus aus der Gesellschaft herausgegriffen, die Netznutzung war den Akademikern vorbehalten. Wie verhält es sich heute mit der Nutung? Nun, obwohl leicht vermutet werden könnte, dass längst alle Menschen Zugang zum Internet hätten, entspricht dies nicht den Tatsachen. (Beispielsweise handelt es sich bei afrikanischen Stammesgesellschaften noch immer um orale Kulturen, die für ihre Kommunikation keiner Medien bedürfen.)

Gemäss Schröder und Voell setze der Internetzugang nicht nur infrastrukturelle und kostenpflichtige Voraussetzungen wie Strom und Telefonanschluss voraus, sondern auch die Fähigkeit des Lesens und Schreibens. Es bestehen hier also sogenannte Zugriffgrenzen (2002:25), darauf verweist auch Aleida Assmann (2002:5).

Um auf die weitere Entwicklung zurückzukommen: Kurze Zeit danach, in den 1990er Jahren, setzte mit der Verfügbarkeit der ersten WWW-Browser (beispielsweise des Netscape Navigator) ein explosionsartiges Netzwachstum ein. Realisierbar waren diese Entwicklungen nur dank der erforderlichen Technologien. Diese haben bis zum heutigen Zeitpunkt zu einem veränderten Web geführt: dem Web 2.0. Vieles wird ihm zugeschrieben: Interaktivität, Vernetzung, kollektive Intelligenz und anderes mehr.

2.1 Web 2.0: Begriff, Eigenschaften und Funktion

Was ist nun das Web 2.0 genau? Was stellen wir uns darunter vor? Computerfreunde und Netzinteressierte werden auf diese Frage sicherlich Antworten geben können – ob es jedoch die richtigen sein werden? Gibt es überhaupt eine bzw. die richtige Antwort? Ein Blick auf das untenstehende Mindcloud macht einem rasch klar, dass das Web 2.0

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle : www.nerdwideweb.com, Markus Angermeier

etwas Komplexes sein muss, das sich nicht einfach in einem Satz zusammenfassen lässt.

Um dem Begriff selbst auf die Schliche zu kommen, wollen wir erst einmal dessen Geschichte (die nicht sehr weit in die Vergangenheit reicht) aufarbeiten. Geprägt wurde der Begriff durch den Computerbuchverleger Tim O’Reilly. Er benutzte den Namen Web 2.0 erstmals für eine Konferenz, die im Rahmen seines Computerbuch-Verlags 2004 stattfand. Im September 2005 veröffentlichte er – um sein Verständnis dieses Begriffs ein für alle Mal festzuhalten – einen Artikel gleichen Namens, in dem er seine Definition vom Web 2.0 hervorhebt:

„Web 2.0 is the network as platform, spanning all connected devices; Web 2.0 applications are those who make the most of the intrinsic advantages of that platform: delivering software as as continually-updated service that gets better the more people use it, consuming and remixing data from multiple sources, including individual users, while providing their own data and services in a form that allows remixing by others, creating networks effects through an „architecture of participation,“ and going beyond the page metaphor of Web 1.0 to deliver rich user experience.“ (Tim O’Reilly 2005: o.S)

Diese bewusst scharfe Umschreibung einer unscharfen Thematik hat für Kontroversen gesorgt, doch will sie eigentlich mehr eine Ansammlung von Neuentwicklungen (vor allem im technologischen Bereich) aufzeigen. Der medienwirksame Begriff beschreibt jedoch keinen Relaunch des Internets, sondern ein sich stetig weiterentwickelndes Kommunikations- und Interaktionsangebot, welches sich nach der in den Jahren 2000/2001 geplatzten Dotcom-Blase – 0’Reilly sieht darin eher eine gesunde Marktbereinigung – zu etablieren bzw. zu konstituieren begann.[1]

Was sind nun die Besonderheiten des Web 2.0, die den Usern das Gefühl eines neuartigen Webs vermitteln, das sich – wie O’Reilly sagt, „(…) there’s something qualitatively different about today’s web“ – deutlich vom bisherigen Web unterscheidet (2005: o. S.)?[2]

Hierzu wollen wir einige Punkte, die O’Reilly auf seiner Website aufführt, näher betrachten. Während das Web 1.0 vor allem absatzorientiert war, versteht sich das Web 2.0 nicht mehr als reines Informationsangebot von Websites, sondern vielmehr als Plattform, auf der die User beliebig miteinander interagieren können. Die User verlieren hier ihre erzwungene passive Rolle als Konsument der Websites (2005: o.S.)

Durch die Vernetzung entstehen Communities, wo miteinander diskutiert und kollaboriert wird. In der Blogosphäre werden Beiträge verfasst, denen weitere Beiträge sowie Kommentare folgen. Hyperlinks verknüpfen die Beiträge untereinander.[3] Schreiben darf jeder, und je besser der Beitrag, umso wahrscheinlicher die Rezeption. Im Gegensatz zu den Printmedien kann hier auch jeder Amateur schreiben (der in der Regel nicht, wie die Journalisten, eine entsprechende Ausbildung genossen hat). Gibt nun der Konsument seine passive Rolle auf? Ja, der Konsument als Nutzer wird gleichzeitig zum Produzenten, was ein Verschwimmen der Grenzen zwischen Anbieter und Nutzer zur Folge hat.

Was ist nun der Clou an dieser neuen, aktiven Rolle? Gemäss O’Reilly darf hier von einem durch den mitmachenden Konsumenten bzw. Produzenten konstituierten Mehrwert gesprochen werden, was O’Reilly mit „harnessing collective intelligence“ in Zusammenhang bringt: Die Nutzbarmachung der kollektiven Intelligenz, der Autor, bringt den Vorteil des globalen Gedächtnis, wie er das Web auch nennt, zum Tragen. Je mehr Nutzer partizipieren, umso mehr Mehrwert entsteht dadurch (2005: o.S.).

Wo im Web kann ein solcher Mehrwert konstituiert werden? Eines der bekanntesten Beispiele hierfür werden wohl die Wikis sein, insbesondere die Online-Enzyklopädie Wikipedia, die auch gerne von Studenten zur Recherche herangezogen wird. Wikipedia steht als Plattform des organisierten Wissens für das Web 2.0, als Mitmach- bzw. Read & Write-Web: Lesen und gleichzeitig Editieren, Schreiben und Produzieren stehen hierbei im Vordergrund. So wird das Web 1.0 mit seinen (nahezu) statischen, mehr oder auch weniger regelmässig aktualisierten Websites von einem frischen Wind abgelöst – Interaktive, personalisierte und vernetzte, benutzerfreundliche Anwendungen stehen heute im Vordergrund der Netznutzung.

Weitere Punkte in O’Reillys Ausführungen betreffen vermehrt technische Aspekte, wie beispielsweise die Daten als nächstes 'Intel Inside', wobei dieses aus den gesammelten und zur Verfügung gestellten Daten besteht, die den Charakter der Applikationen des Web 2.0 bestimmen. Während bis heute meist ein proprietäres Datenbank-Processing besteht, ist das Erscheinen freier Datenbestände – wie bei Wikipedia, den Creative Commons und in verschiedenen Software-Projekten wie etwa Greasemonkey – alltäglich geworden und ermöglicht den Nutzern die Kontrolle darüber, wie sie die Daten auf ihrem Computer dargestellt haben möchten[AA2] (2005: o.S.).[4]

Ein weiteres Stichwort zu den neuen 'Freiheiten' des Webs 2.0 ist die [AA3] so genannte 'Open Source', die in Bezug auf die Software als Quelloffenheit zu verstehen ist. Jedem wird der Einblick in den Quelltext eines Programms ermöglicht. Für diese Software gelten jedoch Nutzungsbeschränkungen: Der Quelltext ist zwar öffentlich zugänglich, darf jedoch nicht beliebig kopiert, verbreitet und genutzt werden. Im Gegensatz zur 'freien Software' zeigt sich im Fall der 'Open Source' Software, dass Lizenzen die User einschränken. Die beiden Begriffe werden einander oft gleichgesetzt – zu Unrecht, denn freie Software (nicht im Sinne von Freibier, sondern von freier Äusserung zu verstehen) erlaubt es den Usern, sie zu kopieren und auch zu verändern. Dies vor allem mit dem Ziel, das jeweilige Programm dadurch zu verbessern, so dass die Gemeinschaft daraus einen Nutzen ziehen kann (Steuer und Fötsch 2006: o.S.).

Hinzu kommt, dass O’Reilly das Ende des klassischen 'Software-Zyklus' bescheinigt, denn Web 2.0-Applikationen sind keine Produkte, sondern Service-Angebote und somit als sich ständig weiterentwickelnde, nutzerfokussierte Dienstleistungen zu verstehen. Damit einher gehen die benutzerfreundlich gestalteten Programmiermodelle, die O’Reilly 'Lightweight Programming Models' nennt. Damit meint er Web 2.0-Applikationen und Standards wie beispielsweise AJAX, die als Grundpfeiler das Konzept der many-to-many-Kommunikation erleichtern sollen. Dank ihrer Struktur können sie von den Nutzern schnell und komfortabel eingesetzt werden (2005: o.S.).

Wozu eingesetzt? Unter anderem, um in neue Beziehungen einzutreten und (kollaborative) Netzwerke sowie neue Dienste aufzubauen, wie wir in einem späteren Kapitel noch sehen werden.

2.2 Soziale Aspekte: Links & Netzwerke – kollektive Intelligenz

Eine bzw. die grosse Kritik am Web 2.0, die in letzter Zeit oft geäußert wurde, lautet, das Web 2.0 trage das Suffix '2.0' zu Unrecht: Sind die verwendeten Technologien nicht ein alter Hut? Foren, Chats und Communities gebe es bereits seit längerer Zeit, und nicht erst seit gestern, wird dagegen eingewendet. Das Web 2.0 – nur alter Wein in neuen Schläuchen oder doch neu und revolutionär (Fink 2007: o.S.)? Diese kritische Haltung ist in der Diskussion um das Web 2.0 zu berücksichtigen. Die Tatsache, dass Plattformen wie Chats und Blogs noch nie in dieser Intensität und mit einer derart allgemeinen Zustimmung und Begeisterung

genutzt worden sind und dass Blogs durch ihre Verlinkung enorm viele User miteinander verknüpfen können, muss jedoch zu einer neuen Wahrnehmung des Webs führen.

Halten wir die vorhergehenden Ausführungen vor Augen, so ist letztlich nicht die technologische, sondern die soziologische Entwicklung erstaunlich: die zunehmende Individualisierung des Netzes, das vermehrte Zusammenrücken und die stetige Verkleinerung der globalisierten Welt, die Reduktion der dispositiven Beziehung Mensch – Computer: Das alles lässt eigentlich das Web 2.0 so bedeutungsvoll werden.

Das Hochladen selbst produzierter Inhalte wird immer wichtiger als das Herunterladen fremd produzierter Dinge, seien es nun selbst gedrehte Videos oder im Heimstudio produzierte Musik, seien es selbst verfasste Geschichten, Nachrichten, Texte aller Art in Weblogs oder gemeinschaftlich produzierte Nachschlagwerke à la Wikipedia. – Müssen daher die 'Big Player' der Industrie, wie beispielsweise Sony, künftig um ihre Profite zittern und befürchten, dass der Individualnutzer die Macht der Produktion übernimmt? Das Potenzial der Blogs ist – so Nitz – noch nicht voll ausgeschöpft, was eine Prognose über die künftige Entwicklung nicht leichter macht (2006:0.S).[5]

Auch im Bereich der Bildung finden sich im Web 2.0 Anwendungen: Martin Dougiamas, Entwickler der Lernplattform moodle, hat moodle 2.0 angekündigt, die im Gegensatz zur jetzigen Version die Möglichkeit der weltweiten Vernetzung bieten soll. Bis jetzt ist moodl e eine Social Software-Applikation, vereint sie doch sämtliche Möglichkeiten der heute angesagten Technologien – wie Weblogs, Wikis, Foren usw. – auf einer Plattform. Würde moodle 2.0 jedoch die Möglichkeit der Community-Bildung bieten (und dies nicht nur in einem abgeschlossenen System einer einzigen moodle -Instanz), so könnte das auch für den Bildungssektor eine kleine Revolution bedeuten – vorausgesetzt, bei den Lehrkörpern erfolgt ein Umdenken.[6]

Weltweit können Arbeitsunterlagen, Lernbehelfe, Unterrichtsvorbereitungen ausgetauscht und Moodle-Kurse zur Verfügung gestellt, exportiert und am anderen Ende der Welt importiert werden. Wird das Schulbuch dadurch schon bald überflüssig? Behält McLuhan, der das Ende des Buchzeitalters vorhersagte, vielleicht doch Recht?[7] Das Lehrbuch wird wohl allmählich den Status des mächtigen und einzigen Begleit- bzw. Leitobjektes der Unterrichtsführung verlieren, in näherer Zukunft dürfte es dennoch weiterhin eingesetzt werden. Veränderungen dieser Art verlaufen erfahrungsgemäss nicht sehr rasch.

Als zentrales Prinzip des Webs 2.0 dürfen die Nutzung der bereits entstandenen und zukünftig weiterhin entstehenden sozialen Netzwerke sowie die daraus resultierende kollektive Intelligenz gelten. Sprechen wir die Voraussetzungen zur Vernetzung an, dann ist die Rede von Hyperlinks oder auch nur Links, wie heute eher gesagt wird. Sie bilden die Grundlage des Webs, denn wenn User neue Seiten und Inhalte online zur Verfügung stellen, werden sie durch die Verlinkung (durch sogenannte 'Trackbacks') und bei entsprechendem Interesse von anderen Nutzern in das Webgeschehen inkludiert. Als Output der kollektiven Aktivitäten aller Webuser wächst das Netz der Verbindungen insgesamt (Zimmermann 2006: o.S).

Bowman und Willis beschreiben die Vernetzung im Web als das grösste publizierende System, das bis heute bekannt ist (2003:15). Dass der Vernetzung im Web 2.0 grosse Bedeutung zukommt, dessen sind sich auch Shapiro und Varian bewusst, dies vor allem im News-Business: „The old industrial economy was driven by economies of scale; the new information economy is driven by the economics of networks“ (1998:23).

Zusammenfassend lässt sich über das Web 2.0 vorerst Folgendes sagen: Dank der neuen Basistechnologien ist es reif für den breiten Einsatz und damit in vielfacher Weise benutzerfreundlicher als das Web 1.0. Das Konzept der Open Source ist daher eine wichtige Voraussetzung, damit jeder Webuser Zugang zur nötigen Software findet und Beiträge verfassen kann, sei es in Chats oder Blogs. Der früher bloss passive Kunde somit wird immer mehr zu einem aktiven Teil der Produktion.

3 Interaktivität im Web: Begriff, Motive und das Web

Hören wir heute das Wort 'Interaktivität', so denken wir sicherlich an Medien wie der Brief und das Handy, die uns dazu verhelfen, trotz fehlender räumlicher und manchmal auch zeitlicher Nähe miteinander zu kommunizieren.

In oralen Kulturen wurde (und wird heute noch!) über face-to-face-Interaktion kommuniziert. Hier haben wir es mit einer Form der Kommunikation zu tun, die nicht medienvermittelt stattfindet. Durch die Erfindung des Buchdrucks wurde diese Dyade der wechselseitigen Kommunikation jedoch insofern ersetzt, als nunmehr Verfasser und Rezipient sowohl räumlich wie auch zeitlich voneinander getrennt sind. Diese „separation of contexts“ – wie Thompson diese Trennung nennt – trennt jedoch nicht nur die Körper von Sender und Empfänger, sondern auch die von ihnen tradierte „multiplicity of symbolic cues“. In diesem Fall sind nonverbale Botschaften wie Gesten, Lächeln, Stirnrunzeln und Körperhaltung für den anderen nicht sichtbar, was die Einschätzung des anderen umso schwieriger gestaltet, jedoch zugleich viel mehr Möglichkeiten bietet, sich dem Ablehnungsrisiko durch den anderen zu entziehen (Thompson 1995:83).

Mit der Einführung der Schrift und der zunehmenden Entwicklung der Medien entfernen sich Autor und Leser immer weiter voneinander. Raum und Zeit behalten nicht länger die Macht über die Grenzen der Kommunikation, die Kommunikation sucht sich ihre Grenzen selbst. Ob das Web 2.0 als unglaublich junges Medium diesen Sachverhalt bestätigt, oder ob gerade das Gegenteil der Fall sein wird? Entfernen sich Verfasser und Rezipient noch weiter voneinander, oder wird eine neue Situation der Nähe geschaffen? Der Begriff 'Interaktivität' suggeriert eher Nähe als Distanz, doch mehr dazu später.

Interaktivität wird heute als eine Art Zauberwort gehandelt: Es wird häufig davon gesprochen, dass die neuen Medien wie das Web 2.0 interaktiv seien, während beispielsweise die Massenmedien dieses Kriterium nicht erfüllten. Interaktivität ist ein relativ neuer Begriff, der gemäss Höflich eng mit der technischen Kapazität des Webs verbunden ist: „Medienrahmen im Allgemeinen und Computerrahmen im Besonderen zeichnen sich durch die gegebenen Nutzungsoptionen und hier wiederum besonders durch das jeweils damit verbundene Interaktionspotential aus. Mit dem Begriff der Interaktivität kommt zunächst eine Abgrenzung zu den herkömmlichen, unidirektionalen Massenmedien zum Ausdruck.“ (Höflich 2003:84).

Der Begriff schliesst zudem an die Webersche Theorie „sozialen Handelns“ an, die ihn näher erläutert. Weber versteht Interaktion als wechselseitiges soziales Handeln zwischen mindestens zwei Personen, das der Kommunikation bedarf. Kommunikation ist nach diesem Verständnis stets zugleich auch Interaktion. Dieses Verständnis der Interaktion ist konsens- und zielorientiert (1998: 41ff).

Interaktion wird von Goffman und anderen häufig mit dem Kriterium der Anwesenheit in Verbindung gebracht, was hingegen laut Weber nicht unabdingbar ist: Weber versteht auch einen brieflichen Austausch als Interaktion. Höflich teilt Webers Verständnis von Interaktion: Er ist der Überzeugung, dass nichts dafür spricht, den Begriff Interaktion für die präsenzgebundene Kommunikation zu reservieren: Vor dem Hintergrund der vielfältigen Verwendungsweisen des Begriffs Interaktion sei die wechselseitige Bezugnahme der Interaktionsteilnehmer aufeinander zu berücksichtigen, die sowohl bei Synchronizität wie auch bei zeitlicher Versetztheit gewährleistet werden könne (Höflich 2003: 90).

In dieser Arbeit soll deshalb darauf verzichtet werden, Interaktion an körperliche Kopräsenz zu binden. Gerade der Webchat als Kommunikationsform des Web 2.0 stellt – wie später erläutert wird – eine nahezu synchrone und doch vom gemeinsamen realen Raum abgelöste Interaktionssituation dar. Der Blog weist im Normalfall eine asynchrone Kommunikation auf, die gemäss den oben aufgeführten Aussagen trotz der räumlichen und zeitlichen Versetztheit durchaus als Interaktion verstanden werden kann. Gemäss Beisswenger ist es deshalb angemessen, chatbasierte Interaktionsstrukturen unter der Perspektive eines Vergleichs

„mit den Strukturen von face-to-face- Gesprächen zu betrachten, (…) da die chatbasiertem Austausch zugrunde liegende Konstellation aus Kommunikationsinfrastrukturen, technischen Medien und prozeduralen Festlegungen als eine Kommunikationstechnologie aufgefasst werden kann, die darauf zielt, den elementaren Diskurs (also das Gespräch von Angesicht zu Angesicht) trotz fehlender Kopräsenz der Beteiligten und unter Zuhilfenahme elektronischer Medien in funktionaler Hinsicht rekonstruierbar zu machen.“ (Beisswenger 2005: 64)

In seinen Werken „Interaktionsrituale. Über das Verhalten in direkter Kommunikation“ und „Wir alle spielen Theater. Die Selbstdarstellung im Alltag“ bezieht sich Goffman auf menschliche Interaktion, die eine direkte Präsenz impliziert. Nur selten spricht er die medienvermittelte Kommunikation an, die sich als Telefongespräch, Briefwechsel oder auch in Form der Massenkommunikation (Luhmann spricht hierzu von Massenmedien) konstituiert. Dafür mag vor allem ein Grund ausschlaggebend gewesen sein, der allerdings heute nicht mehr auf alle medienvermittelte Kommunikationen zutrifft: Durch die technische Übertragung waren der Interaktivität (im Sinne des wechselseitigen Austausches nach Weber) bis anhin enge Grenzen gesetzt.

Bisher haben wir vom Web 2.0 vor allem im Zusammenhang mit Interaktion gesprochen. Nun stellt sich die Frage nach dem Grund, warum das Web 2.0 und insbesondere die zwei Kommunikationsangebote Chat und Blog genutzt werden. Warum nimmt sich der User die Zeit, im Web mit anderen Personen zu interagieren, warum publiziert er Beiträge und beantwortet bzw. kommentiert Beiträge anderer User? Um darauf antworten zu können, ist der Frage nach der Motivation zur Interaktion mit anderen nachzugehen.

Motivation entsteht laut Döring aus einer Wechselwirkung von Umweltmerkmalen, wie Anreizen und Normen, und Personenmerkmalen wie Bedürfnisse, Interessen und Attributionsstile. Dies ist insofern ein soziales Geschehen, als die Bedingungen für die Motivation soziokulturell geprägt sind. Diesbezüglich erwähnt Döring sowohl Anreizstrukturen als auch Normensysteme (2003:261).

Döring listet verschiedenen Bedürfnisse auf: Das Bedürfnis nach Information und danach, die eigene Neugier zu befriedigen, das Bedürfnis nach Beziehung, nach Abenteuer, nach unkomplizierten Sexbeziehungen sowie das Bedürfnis nach Beratung und selbstständiger Publikation. Döring zufolge treffen diese Bedürfnisse durchaus auch auf Kommunikationsformen im Web zu.

[...]


[1] Siehe hierzu: O'Reilly / http://www.oreillynet.com/pub/a/oreilly/tim/news/2005/09/30/what-is-web-20.html)

[2] Siehe hierzu: O'Reilly/ http://www.radar.oreilly.com/archives/2005/08/not_20.html

[3] Zum Begriff der Blogosphäre: Damit wird die Gesamtheit aller Weblogs und Blogger, inklusive die Weblogszene und die Autoren, benannt. Vgl. www.lernundenter.com/interaktion/newsletters/weblog_1.pdf

[4] Mehr zu Greasemonkey siehe auf: www.greasemonkey.mozdev.org/

[5] Olaf Nitz auf: http://soso.onitz.de/tag/journalismus , Artikel vom 23.12.2006

[6] Mehr Informationen zu moodle 2.0 auf: www.e-lisa-academy.at/

[7] Vgl. : McLuhan, M. (1995): Die Gutenberg-Galaxis. Das Ende des Buchzeitalters, Bonn

[AA1]

[AA2] Checken. So gemeint

[AA3] Würde dafür den fem. Art verwenden. Überall gleich brauchen.

Ende der Leseprobe aus 58 Seiten

Details

Titel
Vom Arpanet zum Web 2.0 - Neue Kommunikationsformen und -strukturen
Hochschule
Universität Luzern  (Sozial- und Kulturwissenschaftliche Fakultät)
Veranstaltung
Bachelor Arbeit/Diplomarbeit
Note
2
Autor
Jahr
2007
Seiten
58
Katalognummer
V87409
ISBN (eBook)
9783638022453
ISBN (Buch)
9783638931281
Dateigröße
681 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Arpanet, Neue, Kommunikationsformen, Bachelor, Arbeit/Diplomarbeit
Arbeit zitieren
Melanie Riesen (Autor:in), 2007, Vom Arpanet zum Web 2.0 - Neue Kommunikationsformen und -strukturen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/87409

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