Das Frauen- und Männerbild in der deutschen Telenovela "Verliebt in Berlin"


Diplomarbeit, 2007

144 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abbildungs- und Tabellenverzeichnis

1 Einleitung

2 Geschlechterforschung
2.1 Biologische und soziale Unterscheidung von Geschlecht
2.2 Sozialisation
2.2.1 Geschlechtsspezifische Sozialisation in der Gesellschaft
2.2.2 Sozialisation durch das Fernsehen
2.3 (Körper-)sprache
2.3.1 Doing Gender
2.3.2 Medial inszenierte Körpersprache
2.4 Geschlechterrollen und stereotype Zuschreibungen
2.4.1 Stereotype
2.4.2 Beispiele für weibliche Stereotype in Film und Fernsehen
2.5 Zusammenfassung

3 Forschungsstand: Weibliche Figuren in Film und Fernsehen
3.1 Küchenhoff: Die Darstellung der Frau
3.2 Tuchman: Verbannung der Frau in die symbolische Nichtexistenz
3.3 Leinfellner: Das Bild der Frau im TV
3.4 Weiderer: Das Frauen- und Männerbild im Deutschen Fernsehen
3.5 Baranowski: Medienanalyse der deutschen Daily Soaps
3.6 Zusammenfassung

4 Telenovelas in den Ursprungsländern und in Deutschland
4.1 Geschichte der Telenovela
4.2 Telenovelas in Abgrenzung zu Daily Soaps
4.3 Inhalte und Strukturen der Telenovela
4.3.1 Aufbau
4.3.2 Stilmittel
4.3.3 Inhalte
4.4 Telenovelas im internationalen Vergleich
4.4.1 Die südamerikanische Telenovela
4.4.2 Die deutsche Telenovela
4.5 Wirtschaftliche Aspekte der Telenovela
4.6 Telenovelas und ihr weibliches Publikum
4.6.1 Telenovelas und Soaps als typische Frauengenres?
4.6.2 Frauenbilder in der Telenovela
4.7 Die Telenovela in der Kritik
4.8 Zusammenfassung

5 Untersuchungsgegenstand: Die deutsche Telenovela Verliebt in Berlin
5.1 Die Handlung der 1. Staffel
5.2 Produktion und Vermarktung
5.2.1 Produktion
5.2.2 Vermarktung
5.3 Die ZuschauerInnen
5.4 Die Figuren
5.5 Zusammenfassung

6 Untersuchungskriterien
6.1 Formale und inhaltliche Kategorien
6.1.1 Formale Kategorien
6.1.2 Inhaltliche Kategorien
6.1.3 Figurenvariablen
6.2 Statische Merkmale der Figuren
6.3 Qualitative Untersuchung

7 Forschungsfragen

8 Untersuchungsmethoden
8.1 Design der quantitativen Inhaltsanalyse
8.1.1 Auswahl der Telenovela Verliebt in Berlin
8.1.2 Auswahl der Stichprobe
8.1.3 Pre-Test
8.1.4 Codierung
8.1.5 Reliabilität und Validität
8.2 Methode der qualitativen Medienanalyse

9 Die Darstellung von Frauen und Männern in Verliebt in Berlin
9.1 Vorstellen des Datensatzes
9.2 Figurenauftritte
9.3 Handlungsorte
9.4 Soziodemographische Daten
9.4.1 Alter
9.4.2 Familienstand
9.4.3 Soziales Umfeld
9.4.4 Erwerbstätigkeit
9.5 Aussehen
9.5.1 Haare
9.5.2 Körperbau
9.5.3 Styling
9.5.4 Kleidung
9.5.5 Erotik
9.6 Gesprächsthemen und Aktivitäten
9.6.1 Themen
9.6.2 Aktivitäten
9.7 Gefühle
9.8 (Körper)-sprache
9.8.1 Mimik
9.8.2 Gestik
9.8.3 Sprachformulierung
9.9 Verhalten
9.9.1 Verhalten beim Auftreten
9.9.2 Handlungskompetenz
9.10 Konflikte
Beantwortung der Forschungsfragen
9.12 Zusammenfassung

10 Untersuchung der Hauptfigur Lisa Plenske
10.1 Lisas Charakterwandel
10.2 Lisas Netzwerk
10.2.1 Familie und Freunde – unterstützende Netzwerkkultur
10.2.2 Feinde – entgegenwirkende Netzwerkkultur
10.3 Kerima Moda als Parabel auf die oberflächliche Gesellschaft
10.4 Lisas Wirkung auf die ZuschauerInnen

11 Fazit und Resümee

12 Literaturverzeichnis

13 Anhang

Abbildungs- und Tabellenverzeichnis

Tab. 1: Übersicht über alle derzeit laufenden deutschen Telenovelas

Tab. 2: Sehbeteiligung und Marktanteil deutscher Telenovelas

Abb. 1: Daily Soap vs. Telenovela

Abb. 2: Kategoriensystem

Abb. 3a: Handlungsorte kategorisiert

Abb. 3b: Handlungsorte exakt

Abb. 4: Alter

Abb. 5: Familienstand

Abb. 6: Soziales Umfeld

Abb. 7: Erwerbstätigkeit

Abb. 8: Haarfarbe

Abb. 9a: Gesprächsthemen gesamt

Abb. 9b: Gesprächsthemen nach Geschlecht

Abb. 10: Aktivitäten

Abb. 11: Mimik

Abb. 12: Gestik

Abb. 13: Sprachformulierungen

Abb. 14: Verhalten beim Auftreten

Abb. 15: Handeln

Abb. 16a: Konflikte

Abb. 16b: Konflikte exakt

1 Einleitung

Lisa kommt zurück! Denn ohne Lisa Plenske geht es scheinbar nicht. Diese Schlagzeile machte Mitte Januar 2007 viele Fans der Telenovela Verliebt in Berlin (ViB) sehr glücklich. Monatelang hatten sie der Sat.1-Redaktion Briefe und Emails geschrieben, Alexandra Neldel alias Lisa Plenske möge doch zurückkehren. Nach einigen Verhandlungen erklärte sich die Ex-Hauptdarstellerin bereit, im März für 17 Drehtage ihre alte Rolle wieder aufzunehmen.[1] In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung bekannte sich die Schauspielerin Alexandra Neldel zu ihrer Entscheidung. Ursprünglich sei sie der Meinung gewesen, der Geschichte gäbe es nichts Neues hinzuzufügen. Sowohl ihr als auch den ZuschauerInnen war jedoch bewusst, dass die Figur der Lisa nach wie vor in der Sendung präsent war, trotz ihrer physischen Abwesenheit. Die Schauspielerin erhielt nach ihrem Abschied weiterhin Fan-Post, auf der Straße sprachen sie Leute an (vgl. Moreno 2007, S.17). Es hatte den Anschein, als sei Neldel mit ihrer Rolle vollkommen verschmolzen, als sei sie die Telenovela Verliebt in Berlin in persona.

Das ausschlaggebende Argument für Lisas Rückkehr sind sicherlich nicht die Bitt-Briefe der Fans, sondern die sinkenden Einschaltquoten nach dem großen Serien-Finale im Herbst 2006. Seit dem Ausstieg der Hauptfiguren Lisa Plenske und David Seidel und der Fortführung mit neuen Akteuren sind die Quoten von rund 25 Prozent auf teilweise unter 10 Prozent gerutscht (vgl. Presseinfo SZ am 23.11.2006). Der Spiegel vermutete, das Absacken der Quote in der Konstellation der neuen Hauptfiguren Bruno und Nora. „Falsch herum verliebt“, titelte Spiegel-Redakteur Peer Schader und mutmaßte, dass Telenovelas eine weibliche Hauptrolle bräuchten, ganz nach dem Vorbild des lateinamerikanischen Originals. Sat.1 versprach seinen Zuschauern, die Angelegenheit wieder in Ordnung zu bringen und versuchte damit natürlich das finanzielle Desaster abzuwenden.[2]

Wie später noch zu zeigen sein wird, beruht das lateinamerikanische Telenovela-Prinzip darauf, dass eine junge, aus ärmlichen Verhältnissen stammende Frau versucht, den reichen, schönen und perfekten Mann für sich zu erobern. Scheinbar akzeptiert das Publikum den umgekehrten Grundsatz nicht: Ein schmächtiger, tollpatschiger Held, der der bildhübschen, erfolgreichen Frau nachläuft, ist nicht Telenovela-tauglich.

Die Hauptfigur muss weiblich sein, kleine Fehler und Macken haben und regelmäßig ins Fettnäpfchen treten dürfen. Äußerlich darf das nach Glück strebende Wesen durchaus Makel besitzen. Diese verleihen ihr ein hohes Identifikationspotential und lassen sie zu einer Freundin – sowohl für andere Filmfiguren, als auch für das Publikum – werden.

Um die Quoten wieder nach oben zu treiben, wurde Lisa Plenskes männlicher Nachfolger – ihr Halbbruder Bruno – nicht gänzlich aus der Serie gestrichen, aber zumindest durch eine Frau – die Schneiderin Hannah – von seiner tragenden Rolle als alleinige Hauptfigur verdrängt. Zudem wurde Brunos Traumfrau Nora aufgrund der ihr von den ZuschauerInnen entgegengebrachten Abneigungen komplett aus der Serie herausgeschrieben. Diese Maßnahme brachte jedoch nur eine geringe Erhöhung der Quoten.

Da die Sendung enorm zum Image des Senders Sat.1 beiträgt und nicht frühzeitig abgesetzt werden sollte, haben die Verantwortlichen nun beschlossen, Lisa für einen Gastauftritt in die Telenovela-Welt von Kerima Moda zurückzuholen. Und schon die erste Folge vom 16.4.2007, in der Lisas Rückkehr den spannenden Cliffhanger darstellt, erreicht eine Quote von 19,8 Prozent bei den 14-49-jährigen. Das Medienmagazin bezeichnet diesen positiven langersehnten Aufschwung mit dem „Lisa-Effekt“.[3]

In der vorliegenden Diplomarbeit soll das Frauenbild in der deutschen Telenovela Verliebt in Berlin herausgearbeitet werden. Das soziologische Interesse besteht in der nicht zu vernachlässigenden gesellschaftlichen Funktion der Darstellung von Frauen- und Männerbildern in deutschen Familienserien. Gerade sie setzen einen Orientierungsrahmen, bieten geschlechtsspezifische Leitbilder und haben eine enorme Wirkung im Hinblick auf die Verbreitung und Tradierung gesellschaftlich geprägter Vorstellungen (vgl. Machenbach 2000, S.46). Das Fernsehen ist als Sozialisationsinstanz in der Lage, Vorstellungen über verschiedene Bevölkerungs- und Altersgruppen, über das Frau- und Mann-Sein zu vermitteln (vgl. ebd., S.208). Es legt Grundsteine für das weibliche und männliche Rollenverhalten, was durchaus problematisch sein kann, da die Darstellungen von Frauen und Männern im Fernsehprogramm den bestehenden gesellschaftlichen Bestrebungen deutlich hinterherhinken (vgl. Weiderer, Faltenbacher 1994, S.212). In den Medien werden Frauen und Männer nicht einfach nur abgebildet, sondern mit den Mitteln des Fernsehens inszeniert. Dadurch entsteht in den Köpfen des Publikums ein von der Realität abweichendes konstruiertes Rollenbild davon, wie Männer und Frauen sind und wie sie zu handeln haben. Die Sozialpsychologin Gitta Mühlen Achs bezeichnet das auf diesem Weg medial entworfene Geschlecht als „Mythos“, der nicht als solcher erkannt und enttarnt wird, sondern durch die visuellen Medien vielfach verbreitet wird (vgl. Mühlen Achs 1996, S.5).

Die Arbeit ist in den Kontext der sozialwissenschaftlichen Geschlechterforschung einzuordnen. Diese fordert in Verbindung mit der Frauenbewegung die Gleichbehandlung und Gleichberechtigung von Frauen und Männern. Eines ihrer Forschungsanliegen ist es herauszufinden, mit welchen Frauenbildern die Zielgruppe der jungen weiblichen Heranwachsenden konfrontiert wird. Hinterfragt werden soll, ob das Frauen-Genre Telenovela hinsichtlich des Geschlechts, alte Rollenbilder und Stereotype aufweist. Kann am Ende der Analyse immer noch gelten, dass bei der Darstellung von Frauen und Männern in der Telenovela zwar ein facettenreiches, aber insgesamt traditionell geprägtes Geschlechtsbild vermittelt wird und Frauen weiterhin geschlechtspezifisch benachteiligt werden?

Da es auf dem Gebiet der Geschlechterforschung schon zahlreiche Arbeiten zu Serien im deutschen Fernsehen – insbesondere zu Daily Soaps – gibt, soll das Forschungsinteresse der vorliegenden Arbeit der deutschen Telenovela Verliebt in Berlin gelten. Der deutschen Gattung dieses Genres ist in der Forschung, sei sie sozialwissenschaftlicher oder kommunikationswissenschaftlicher Art, bisher keine Beachtung geschenkt worden, wohingegen der Daily-Soap-Bereich schon ausreichend oft Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen gewesen ist (vgl. Götz 2002, 2003). Es ist wahrscheinlich, dass sich ForscherInnen in nächster Zeit häufiger mit Telenovelas beschäftigen werden, da dieses Segment im Jahr 2006 in Deutschland gerade mit Verliebt in Berlin oder Wege zum Glück einen unglaublichen Aufschwung erlebt hat.

Vorgehen

Zunächst wird ein Überblick über die Geschlechterforschung gegeben. Das 2. Kapitel enthält außerdem eine Definition des Unterschieds zwischen biologischem und sozialem Geschlecht, die Erklärung menschlicher Körpersprache, geschlechtsspezifischer Sozialisation und die Rolle der Medien bei der Verbreitung von Stereotypen.

Im 3. Kapitel schließt sich ein Abriss der wichtigsten Studien zum Thema „Weibliche Figuren im Bild der Medien“ an. Der Schwerpunkt liegt dabei im fiktionalen Bereich und in der Soap-Forschung. Beginnend mit der Küchenhoff-Studie (1975) werden u.a. die Untersuchungen zum Frauenbild in den Medien von Weiderer (1993) und die medienanalytische Betrachtung der deutschen Soaps von Baranowski (2002) dargestellt.

Mit der Betrachtung der Telenovela – dem Untersuchungsgegenstand der Arbeit – wird im 4. Kapitel ihre Entstehung in Lateinamerika beschrieben. Die relevanten Themen werden aufgelistet, Aufbau, Inszenierung und wirtschaftliche Aspekte stehen dabei im Mittelpunkt. Zudem werden die beiden Begriffe Telenovela und Weiblichkeit miteinander in Verbindung gebracht.

Die zu analysierende deutsche Telenovela Verliebt in Berlin wird im 5. Kapitel vorgestellt. Ihre Hintergründe, die Handlung der 1. Staffel und die Produktion werden beleuchtet. Darüber hinaus wird auf eine Studie verwiesen, in der ein Zuschauer-Profil erstellt wurde.

Im darauffolgenden 6. Kapitel werden einzelne Kategorien des Codebuchs präsentiert. Wichtige Elemente sind dabei der Handlungsort der Figuren, ihre Gesprächsthemen, ihr äußeres Erscheinungsbild, ihr Verhalten und ihre soziodemographischen Merkmale.

Nach der theoretischen Abhandlung werden die forschungsleitenden Fragen und die Untersuchungsmethode diskutiert, woran sich die Ergebnisdarstellung anschließt.

2 Geschlechterforschung

Die Geschlechterforschung entwickelte sich im Zuge der Frauenbewegung der 1970er Jahre in den USA aus den Women’s Studies an den amerikanischen Universitäten. Diese beschäftigten sich mit der Betrachtung der Frau in einer von Männern dominierten Gesellschaft aus feministischer Sicht. Der Unterschied zwischen der männlichen Sicht auf Frauen und der weiblich erfahrenen Realität sollte erörtert und die männlich dominierten Theorien revidiert werden. So wurden unter anderem die soziale Ungleichheit zwischen den Geschlechtern und die daraus resultierende Benachteiligung der Frauen im Berufsleben, sowie die soziale Stellung der Geschlechter innerhalb der Gesellschaft aus Sicht der Frauen untersucht (vgl. Klaus 1998).

2.1 Biologische und soziale Unterscheidung von Geschlecht

Zunächst soll geklärt werden, wie der Begriff „Geschlecht“ in der soziologischen Forschung und auch hier in dieser Arbeit verwendet wird. Der Soziologe Erving Goffman spricht vom Geschlecht als einem zentralen Code, „dem gemäß soziale Interaktionen und soziale Strukturen aufgebaut sind; ein Code, der auch Vorstellungen der Einzelnen von ihrer grundlegenden menschlichen Natur entscheidend prägt.“ (Goffman, 1977 (1994), S.105)

Geschlecht ist zum einen ein vorgefundenes individuelles, biologisches Merkmal, welches als „sex“ bezeichnet wird und durch die Chromosomen und die Genitalien schon im Mutterleib festgelegt wird. Es stellt eine von der Natur gegebene Eigenschaft dar, die alle Menschen aufgrund ihrer primären und sekundären Geschlechtsmerkmale in die dichotomen Kategorien weiblich und männlich einteilt. Diese anfängliche Zuordnung bildet den ersten Schritt eines fortwährenden „Sortierungsvorgangs“, der die Angehörigen der beiden Geschlechter einer unterschiedlichen Sozialisation zuweist (vgl. ebd., S.109).

Die „sex category“ stellt die alltägliche Anwendung der Sex-Kriterien dar, deren Zuordnung aber oft nur aufgrund von Erwartungen erfolgt, zu denen äußerliche sichtbare Attribute verleiten. So wird z.B. vermutet, dass eine Person mit langen Haaren und Rock eine Frau ist, obwohl diese Annahme nur vor dem Erfahrungshintergrund zu sehen ist, dass in unserem Kulturkreis die meisten Menschen, die lange Haare haben und Röcke tragen, Frauen sind.

„Ein biologisch vorgegebener sex wird durch Sozialisation und Enkulturation zu gender“ (Wesely 2000, S.31). Ein Mädchen, das Zeit seines Lebens von seinen Mitmenschen wie ein Mädchen behandelt wird, weil es weibliche Geschlechtsmerkmale besitzt, wird weibliches Verhalten entwickeln und später von allen als Frau angesehen und nur als solche akzeptiert werden.

„Gender“ stellt neben dem biologischen Geschlecht das soziale Geschlecht dar. Der Begriff wird von der zweiten Frauenbewegung der 1960er/1970er Jahre eingeführt, um auf die soziale Konstruktion der Geschlechterunterschiede aufmerksam zu machen (vgl. ebd., S.15). Die neue Geschlechterforschung verleumdet jedoch keineswegs die Existenz der biologischen Fakten, sie weist nur darauf hin, dass diese Gegebenheiten an sich bedeutungslos sind und erst durch die klassifikatorischen Praktiken einer Gesellschaft bedeutsam gemacht werden (vgl. Mühlen Achs 1998, S.25). Gitta Mühlen Achs zufolge (1995, S.19) ist „gender“ ein etablierter Begriff zur Bezeichnung aller nicht naturgegebenen Aspekte von Geschlechtlichkeit, die sich kulturspezifisch entwickelt haben. „Gender“ wird als soziale Kategorie betrachtet, welche die Wahrnehmungs- und Interaktionsprozesse im sozialen Raum beeinflusst. Das soziale Geschlecht ist nicht angeboren, sondern wird über Interaktionen hergestellt und ausgehandelt, „auch wenn dieses Geschehen einen quasi-natürlichen Charakter hat und damit schwer reflektierbar und analysierbar ist“ (Raithel 2005, S.96).

Das soziale Geschlecht bezeichnet eine Einteilung, mit der wie bei anderen sozialen Kategorien – wie Schichtzugehörigkeit, Altersgruppe oder Bildung – spezielle Erwartungen und Vorstellungen seitens der Gesellschaft an den Träger einer bestimmten Eigenschaft verknüpft sind. So löst das Geschlecht einer Person bewusst und unbewusst Erwartungen, Reaktionen und Deutungsmuster aus (vgl. ebd., S.99). Die Gender-Kategorie wird nicht aufgrund der geschlechtlichen Insignien vergeben, sondern aufgrund des Verhaltens der jeweiligen Individuen. Gender ist nicht nur ein soziales Attribut, sondern auch eine Strukturkategorie, die abhängig vom historischen und kulturellen Kontext der jeweiligen Gesellschaft ist. Den Prozess der kulturellen Konstruktion von Geschlecht nennt Mühlen Achs (1995) demzufolge „Genderisierung“.

2.2 Sozialisation

Die Entwicklung der Gender-Kategorie erfolgt über die Sozialisation. Sozialisation wird laut Zimmermann als „Prozess der Entstehung und Entwicklung der Persönlichkeit in wechselseitiger Abhängigkeit von der gesellschaftlich vermittelten sozialen und materiellen Umwelt“ verstanden (Zimmermann 2000, S.16).

2.2.1 Geschlechtsspezifische Sozialisation in der Gesellschaft

Um zu verstehen, was Sozialisation bedeutet, muss die zentrale Frage gestellt werden: Wie wird aus einem neugeborenen Mensch ein gesellschaftliches Subjekt? In der Geschlechterforschung wird die Frage ein wenig variiert: Es wird untersucht, wie ein Mensch mit weiblichen Geschlechtsmerkmalen zu einer Frau und ein Mensch mit männlichen Geschlechtsmerkmalen zu einem Mann wird und wie sie oder er dann als „Sie“ oder „Er“ erkannt werden. Denn „kein anderes Merkmal hat so grundsätzliche Auswirkungen auf die Sozialisation wie die Geschlechtszugehörigkeit“ (Zimmermann 2000, S.163). Als „geschlechtstypisch“ werden hierbei die Merkmale verstanden, die sich zwischen den beiden Geschlechtern deutlich stärker unterscheiden, als innerhalb des Geschlechts (vgl. Hagemann-White 1984, S.12).

Die geschlechtsspezifische Sozialisation vollzieht sich über die geschlechtsbezogenen Interaktionen innerhalb einer Gesellschaft, in der bestimmte Bilder und Vorstellungen vom „Jungesein“, bzw. vom „Mädchensein“ vorherrschen, welche sich die Kinder aneignen (vgl. Zimmermann 2000, S.165). Heranwachsende müssen die Zweigeschlechtlichkeit aber erst lernen.

Die Sozialisation zu Mann und Frau beginnt schon in der frühesten Kindheit, wenn den Mädchen rosafarbene Strampelanzüge angezogen werden und den Jungen blaue. Eigentlich beginnt sie schon mit der Geburt, wenn der Arzt durch einen Blick und das Benennen des Geschlechtsmerkmales das Leben des Kindes in eine bestimmte Bahn lenkt, in einen weiblichen oder männlichen Lebenslauf. „Eine erfolgreiche Genderisierung bewirkt, dass Frauen ‚feminine’ und Männer ‚maskuline’ Merkmale und Eigenschaften entwickeln und sich dann letztlich als zwei ‚im Grunde’ vollkommen verschiedene Wesen gegenüberstehen, unterschiedlich in ihrer Erscheinung, ihren Verhaltensweisen, Empfindungen, Gefühlen, Eigenschaften, Interessen, Fähigkeiten und Daseinszwecken“ (Mühlen Achs 1995, S.20). Die Philosophin und Feministin Simone de Beauvoir hat es schon in den 1950 Jahren direkt ausgedrückt: „Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es.“ (Konnertz 2005, S.38)

In Anlehnung an die kognitive Entwicklungstheorie von Kohlberg sieht die Soziologin Carol Hagemann-White (1984) den Vollzug der Entwicklung in fünf Schritten: Kinder müssen erkennen, dass sie Mädchen oder Jungen sind, was über den Spracherwerb und das Erkennen der Ähnlichkeit der eigenen Person mit einer Person des gleichen Geschlechts geschieht. Im Alter von zwei bis drei Jahren lernen sie, dass alle Menschen entweder männlich oder weiblich sind. Zwischen dem 3. und dem 6. Lebensjahr erkennen sie Merkmale im Erscheinen und Verhalten, die Hinweise auf die eigene Geschlechtszugehörigkeit liefern. Kinder lernen, dass das Vorhandensein eines bestimmten Geschlechtorgans das ausschlaggebende Merkmal ist, um als Mädchen oder Junge klassifiziert zu werden und dass das eigene Geschlecht unveränderbar ist.

Erfolgreich[4] abgeschlossen ist der Prozess der geschlechtlichen Sozialisation und der Genderisierung, wenn sich der „kulturelle Genderkomplex psychisch sedimentiert und in Form einer individuellen Geschlechtsidentität im Selbst etabliert hat“ (Mühlen Achs 1998, S.27).

2.2.2 Sozialisation durch das Fernsehen

Das Fernsehen ist unbestritten ein entscheidender Bestandteil in der Sozialisation von Kindern und ihrer Entwicklung.[5] Es unterhält zwar in erster Linie, aber es informiert und inspiriert auch und zeigt mit seinen Bildern andere Welten und Kulturen. Heranwachsende sind von Anfang an von Mediengeschichten umgeben, die ihr Welterleben mitgestalten und beeinflussen und ihnen bei der Suche nach dem eigenen Selbstbild helfen (vgl. Aufenanger 1996.)

Die Identifikation mit medialen Vorbildern vollzieht sich dabei fast ausnahmslos geschlechtsspezifisch bewusst und unbewusst: Mädchen wählen sich meist weibliche, Jungen meist männliche Vorbilder. „Frauen wie Männer werden im Prozeß der Entwicklung ihrer Geschlechtsidentität mit diesem polarisierenden Konzept konfrontiert, verinnerlichen die ihnen jeweils zugedachten Attribuierungen und identifizieren sich in der Regel mit der ‚passenden’ Genderkategorie.“ (Mühlen Achs 1995, S.20)

Die im Fernsehen dargestellten Figuren bieten eine Menge unterschiedlicher Rollenmodelle und laden zur Identifikation mit dem Dargestellten ein. Damit „definieren sie für die jungen ZuschauerInnen, was in der eigenen Gesellschaft ‚normal’ und akzeptiert ist und gewinnen dadurch positive Verstärkung, und sie definieren auch das, was als ungewöhnliches oder abweichendes Verhalten gilt und deshalb sanktioniert wird“ (Lemish 2006, S.11). In diesem Zusammenhang soll auf die Kultivierungsforschung – eine Theorie aus der Kommunikationsfor-schung – hingewiesen werden. Sie besagt: Menschen, die viel fernsehen, nehmen die Wirklichkeit eher so wahr, wie das Fernsehen sie präsentiert, und nicht so, wie sie wirklich ist[6] (vgl. Gerbner 1981). Aus dieser Theorie resultiert die Annahme, dass sich im Bewusstsein der vielsehenden Bevölkerung stereotype Vorstellungen über bestimmte Gruppen, die in Fernsehfilmen und –Serien auftreten (wie berufstätige Frauen, Ärzte, Polizisten, Ausländer, Alte oder Arme) etablieren können. Aus diesem Grund wäre eine angemessene Darstellung dieser Gruppen wichtig.

2.3 (Körper-)sprache

Der Mensch kommuniziert nicht nur verbal, sondern auch mittels Körpersprache.

In der Evolutionspsychologie finden sich zahlreiche Belege für den „körper-sprachlichen Eindruck einer ‚generellen’ männlichen Überlegenheit“ (Mühlen Achs 1995, S.25), der unter Verwendung vieler unterschiedlicher Mittel in der verbalen Kommunikation bestätigt wird. Männer formulieren beispielsweise ihre Aussagen öfter in Form von Anweisungen, Ratschlägen, Befehlen, Erklärungen oder Forderungen, wohingegen Frauen sich häufiger in Form von Fragen und Bitten artikulieren. Frauen geben mehr positive Rückmeldungen und sind emotional. Sie gelten als höflicher, kooperativer, weniger kompetitiv und personenorientierter als Männer, die in Gesprächen dominanter, direkter, kompetitiver und sachorientierter sind (vgl. Günther 1997, 131). Zur Durchsetzung ihrer Belange benutzen Frauen seltener direkte Machtmittel. Eher intrigieren sie hinter dem Rücken ihrer Widersacher, als sich auf eine direkte Konfrontation einzulassen (vgl. Mühlen Achs 1995, S.25). In der Interaktion mit Frauen übernehmen Männer die belehrende, führende und bevormundende Position (vgl. Mühlen Achs 1998. S.43). Mit der bipolaren Geschlechterdifferenz gehen immer bestimmte Geschlechterstereotype einher, die über die typischen Eigenschaften von Frauen und Männern beschrieben werden und wie soziale Vorurteile wirken (vgl. Raithel 2005, S.91). Werden bei einer Frau solche als typisch männlich erlernte Verhaltensmuster entdeckt, wie etwa lautes Sprechen mit ausladender Gestik, wird damit nicht das Gendersystem in Frage gestellt, die Frau stellt höchstens ihre eigene Identität in Frage, da sie weniger weiblich wirkt (vgl. Mühlen Achs 1998, S.31). Ihr abweichendes Verhalten kann bei Mitmenschen Irritationen bewirken und eventuell zur Sanktionierung, etwa mit einem abfälligen Blick, führen.

Weiblichkeit und Männlichkeit wird im Zuge einer Interaktion vom jeweiligen Gegenüber „herausgelesen“ und das jeweilige affektive Verhalten dementsprechend dem Gegenüber angepasst. Die menschliche Körpersprache kommuniziert die Zweigeschlechtlichkeit und wird so zum „tertiären Geschlechtsmerkmal“ (vgl. Mühlen Achs 1995, S.25). Jede menschliche Äußerung, jede Handlung, jede soziale Aktivität kann geschlechtlich enkodiert werden und ist demnach einem bestimmten Geschlecht zuzuordnen. Weiblichkeit wird auf diese Weise mit „Femininität“ und Eigenschaften wie Passivität, Emotionalität, Fürsorglichkeit, Kindischsein, Sexualität, dem Mann untergeordnet und mit geringem sozialen Status belegt. Männlichkeit ist verbunden mit „Maskulinität“ und Eigenschaften wie Kraft, Aktivität, Rationalität, Energie, Unabhängigkeit, Ehrgeiz, Macht, Überlegenheit und Selbstbeherrschung (vgl. Lemish 2006, S.10; Mühlen Achs 1998, S.43). Über die Kleidung lassen sich Männer und Frauen ebenso ihrem Geschlecht zuordnen: So repräsentiert männliche Kleidung oft Status und Persönlichkeit und ermöglicht die Verortung des Trägers innerhalb der jeweiligen sozialen Hierarchie. Weibliche Kleidung wird häufig unter dem Aspekt der sexuellen Attraktivität bewertet und soll die Figur vorteilhaft zur Geltung bringen (vgl. Mühlen Achs 1998, S.32). Männliche Kleidung wird als sportlich, leger und bequem angepriesen, wohingegen die Mode der Frau als sexy, schick und figurbetont vermarktet wird. Frauen, die diesem Klischee dienen, werden häufig zum Sexsymbol degradiert.

2.3.1 Doing Gender

Gender wird von Geburt an erlernt und jeden Tag wieder in sozialen Praktiken konstruiert, was in der Bezeichnung „doing gender“ zum Ausdruck kommt (vgl. Mühlen Achs 1998, S.21). Das soziale Geschlecht kann demnach nicht als konstantes Attribut gesehen werden, es wird permanent in der sozialen Praxis neu ausgehandelt und muss sich gegenüber der Gesellschaft beweisen. Geschlechtliche Identität wird nicht als stabile, sondern als variable Größe betrachtet.

Die meisten sozialen Interaktionen kommen erst dann in Gang, wenn wir wissen, ob wir es mit einem weiblichen oder einem männlichen Gegenüber zu tun haben. Jedes Individuum wird quasi dazu verpflichtet, entweder Frau oder Mann zu sein (vgl. Korte 2004, S.120). Aufgrund des alltäglichen Wissens über die Geschlechterdifferenz ist jedes Individuum genötigt, nur ein Geschlecht haben zu dürfen, was als „Geschlechtszuständigkeit“ (vgl. Hirschauer 1989) beschrieben wird. Demnach ist jedes Individuum gleichermaßen verantwortlich und gezwungen, ein eindeutiges Geschlecht zu verkörpern, sei es das weibliche oder das männliche (vgl. Raithel 2005, S.96). Die Geschlechtsidentität entsteht über „performative acts, das heißt durch wiederholt dargestellte Akte oder Handlungen“ (Wesely 2000, S.43). Dies geschieht über die Kleidung und das Styling (Frisur, (nicht-)vorhandenes Make-up), in der Interaktion, dem an den Tag gelegten Verhalten, der Art zu sprechen und über die Körpersprache. Die Verhaltensweisen, die „kulturellen Genitalien“ (Korte 2004, S.120) sind von größerer Bedeutung, als die biologischen Genitalien, die im Normalfall nicht gezeigt werden. Für die Darstellung von Geschlecht stehen dem Akteur verschiedene Darstellungsressourcen zur Verfügung wie typisch weibliche oder männliche Kleidung, Gesten, Namen und Bezeichnungen, Freizeittätigkeiten, Musik und Mediennutzung, Stimme, Nutzung von Räumen usw. (vgl. Raithel 2005, S.95). Zudem liefern sie den Mitmenschen Informationen über die individuelle Persönlichkeit. Haare z.B. haben durch ihre enorme Variabilität, ihre leichte Manipulierbarkeit und ihre ganz persönliche individuelle Charakteristik einen starken Einfluss auf die Wahrnehmung durch die Mitmenschen und auf das Selbstbild, wie ein aktuelles Forschungsprojekt zeigen will.[7]

2.3.2 Medial inszenierte Körpersprache

Der Körpersprache kommt bei der Herstellung von Geschlecht eine besondere Rolle zu. Da sie als das „authentischste Ausdrucksmittel angesehen wird, ist sie besonders geeignet, eine geschlechtsspezifische Zugehörigkeit zu ‚konstruieren’“ (Weiderer, Faltenbacher 1994, S.47). Sie besteht aus „Ritualen, die Männer und Frauen unbewusst oder bewusst benutzen, um jene Eigenschaften und Merkmale zum Ausdruck zu bringen, die ihre Gesellschaft mit Weiblichkeit und Männlichkeit verknüpft und von Frauen und Männern erwartet“ (Mühlen Achs 2003, S.122).

In den Medien – und besonders in der Printwerbung – finden sich zahlreiche Beispiele für die unterschiedliche Inszenierung von Männern und Frauen. Die Sozialpsychologin Mühlen Achs hat im Lauf der Jahre (1995, 1998, 2003) die Anzeigen in Zeitschriften und Modekatalogen untersucht und viele geschlechts-spezifische Unterschiede bei der Inszenierung von Frauen/Mädchen und Männern/Jungen festgestellt:

Männer werden mit einer aufrechten, beherrschten und gelassenen Körperhaltung präsentiert, Frauen hingegen stehen in einer schmalen Fußstellung und verstärken dadurch den Eindruck der Zerbrechlichkeit und Labilität ihres Körpers. Diese Körperhaltung, die im Zusammenhang mit heterosexueller Attraktivität als elegant beschrieben wird, ist unbequemer als die männliche Körperhaltung und vermittelt den Eindruck mangelnder Selbstsicherheit (vgl. Mühlen Achs 1998, S.45ff.). Wenn Männer sitzend gezeigt werden, nehmen sie eine breitbeinige und scheinbar ungezwungene Haltung ein und verleihen dadurch ihrer Auffassung von der eigenen Bedeutung und Wichtigkeit symbolischen Ausdruck. Frauen hingegen sitzen auf kindliche Weise und kuscheln sich in Kissen hinein, wodurch weder ein bestimmter Status gezeigt, noch Widerstand gegen die herrschende Ordnung ausgedrückt werden kann (vgl. ebd., S.56ff.). Liegende Frauen werden sowohl bäuchlings in babyhafter Weise, als auch lasziv dargestellt, manchmal sogar als „leblose Opfer von Gewaltverbrechen kunstvoll im Straßenschmutz drapiert“ (ebd., S.62). Dem gegenüber werden Männer sogar mit geschlossenen Augen selbstbewusst dargestellt, weit davon entfernt, ihren Körper zur genussvollen Betrachtung durch andere darzubieten.

Das Schieflegen des Kopfes ist eine andere Art, Weiblichkeit zu inszenieren. Hier macht sich die Person kleiner als sie eigentlich ist und drückt so Demut aus, was als Liebenswürdigkeit und als Mittel zur Beschwichtigung gelesen werden kann (vgl. ebd., S.64). Mühlen Achs (ebd., S.69) zufolge lernen schon Kinder dieses „Mittel der symbolischen Unterwerfung“, um auf spielerische oder neckische Weise Kontakt mit den überlegenen Erwachsenen aufzunehmen. Eine typisch männliche Geste in der Werbung ist das herausfordernde Stemmen der Arme in die Hüften und das selbstbewusste Verschränken der Hände hinter dem Kopf. Frauen hingegen benutzen ihre Hände zum symbolischen Schutz vor fremden Angriffen oder Blicken. Durch das ständige Selbstberühren z.B. im Gesicht „signalisieren sie Angst, Unsicherheit und Streß und stilisieren sich dadurch zugleich als zarte, empfindsame, nervöse wie auch als unsichere, unentschlossene und ratlose Wesen“ (ebd., S.75).

Der Blick eines Menschen sagt enorm viel über seine Persönlichkeit aus. Der männliche Gesichtsausdruck ermöglicht keinen direkten Einblick in das Innenleben des Trägers. Es werden meistens keine Gefühle offen gelegt, da der Blick mehr als Machtmittel zur Strukturierung von Beziehungen eingesetzt wird. Frauen scheinen offene Bücher zu sein, was ihren emotionalen Gesichtsausdruck angeht. Sie werden mit einem freundlichen, verbindlichen und offenen Lächeln gezeigt oder blicken neckisch naiv in die Kamera und nur selten streitlustig oder herausfordernd (vgl. ebd. S.77).[8]

2.4 Geschlechterrollen und stereotype Zuschreibungen

Der Begriff der „Rolle“ impliziert, dass eine bestimmte Position in der Gesellschaft existiert. An den Inhaber werden bestimmte normative Erwartungen gerichtet und bei nicht rollen-konformen Handlungsweisen drohen Sanktionen. Die Rolle kann erworben werden – wie ein beruflicher Status – oder von Geburt an zugeschrieben sein, wie die Hautfarbe oder eben auch das Geschlecht. (vgl. Hartfiel, Hillmann 1972, S.651f.)

Geschlechterrollen enthalten quasi verbindliche Regeln über den sozialen Umgang und über die Arbeitsteilung in Beruf und Familie, sie definieren Verhaltensregeln. Die Übernahme der Geschlechterrollen und Einstellungen zu den Geschlechtsrollenerwartungen sind über die Jahre hinweg einem Wandel unterzogen und entwickeln sich je nachdem, wie sich die Gesellschaft und damit die Regeln und Normen des Zusammenlebens verändern.

2.4.1 Stereotype

Geschlechterstereotype beschreiben typische Eigenheiten von Männern und Frauen und wirken wie Wahrscheinlichkeitsannahmen, die die weiteren Handlungen der Kommunikationspartner steuern können (vgl. Alfermann 1996, S.31). Sie spiegeln selbstverständlich nicht die Realität wider, aber „sie eignen sich in ganz besonderer Weise dazu, Ideale zu zementieren und auch über den Ablauf ihres gesellschaftlichen Haltbarkeitslimits hinaus zu konservieren“ (Mühlen Achs 1998, S.15).

Stereotype stellen weit verbreitete und allgemeine Annahmen über die relevanten Eigenschaften einer Personengruppe dar und sie sind von Kultur zu Kultur unterschiedlich. Bestimmte stereotype Eigenschaften von Männern und Frauen sind jedoch auch über verschiedene Kulturen hinweg ähnlich verbreitet. Eine kulturvergleichende Studie in 25 Ländern zeigte auf, dass in der inhaltlichen Zuschreibung der Eigenschaften für Frauen und Männer große Gemeinsamkeiten bestehen (vgl. Alfermann 1996, S.12ff.). Die als stereotyp betrachteten Eigenschaften werden als kognitive Wissensbestände im Laufe der Sozialisation erworben z.B. durch eigene Beobachtungen, Aussagen anderer Personen oder die Verbreitung erfolgt durch Medien, wie Fernsehsendungen oder Bücher. Sie sind demnach Bestandteil des Alltagswissens jeder Kultur (vgl. ebd., S.12). “Stereotype werden kognitiv weniger als Listen von Eigenschaften gespeichert, sondern in strukturierter Weise, insbesondere in Form von Clustern (oder Dimensionen), wie z.B. Stärke/Schwäche, Aktivität/Passivität, die einen Satz dazugehöriger ähnlicher Eigenschaften enthalten. Geschlechterstereotype sind die strukturierten Sätze von Annahmen über die personalen Eigenschaften von Frauen und Männern.“ (ebd., S.9f.) Sie gehen mit Geschlechtsrollenerwartungen einher, was angemessenes Verhalten betrifft und was von den Trägern des einen oder des anderen Geschlechts erwartet wird. Eine Handlung erhält eine andere Bedeutung, sobald über das Geschlecht des Handelnden reflektiert wird. Auch werden durch sie zukünftige Interaktionen gelenkt, dass sie fast wie eine selbsterfüllende Prophezeiung wirken. Zudem funktionieren sie als Wahrscheinlichkeitsannahmen über Gruppenmitglieder und lassen sich als Voraus-Urteile denken, welche die Informationsaufnahme und -verarbeitung beeinflussen (vgl. ebd., S.26f.).

2.4.2 Beispiele für weibliche Stereotype in Film und Fernsehen

Einige besondere weibliche Geschlechtsrollenstereotype moderner westlicher Gesellschaften tauchen in der sozialen Praxis der Programminhalte immer wieder auf und werden in den unterschiedlichsten Formaten des fiktionalen Fernsehens eingesetzt. Das Publikum hat eine Vorstellung darüber, wie sich bestimmte Charaktere aufgrund ihrer stereotypen Charakterisierung verhalten werden. Es handelt sich dabei um die „Mutter“, die „Verführerin oder Geliebte“, den „weiblichen Kumpel“, die „eiserne Jungfer“ oder die versachlichte, entsexualisierte „Karrierefrau“ (vgl. Dietzen 1993, S.88f.). Cornelißen (1998) fügt noch die „Schurkin“ als eigenständigen Charakter hinzu.

Die Mutterrolle wird als sichere Rolle betrachtet. Ihre Fähigkeiten und Leistungen bleiben jedoch meistens unsichtbar, sie ist ganz auf die Rolle der Erziehenden und Beschützenden reduziert. Die Mutterfigur in der Soap ist oft die Hilflose aber Verständnisvolle, die alles weiß und alles vergibt (vgl. Cornelißen 1998, S.149). Die Verführerin bringt Konkurrenz und Eifersucht in Beziehungen hinein. Mit ihr einher kommt der Verlust sozialer Achtung. Ihr Rollenklischee blockiert die Anerkennung berufsorientierter Leistungen und fachlicher Kompetenz. Der Fokus liegt auf der erotischen Dimension und die berufliche wird als unwichtig eingeschätzt. Die Rolle des weiblichen Kumpels geht einher mit humoresker Kumpelhaftigkeit. Sie wirkt weder erotisierend, noch ist sie mit Eifersucht behaftet in Beziehungen oder konkurrenzbedrohend für die berufliche Stellung. Die Rolle der Karrierefrau widerspricht den Erwartungen an die Frauenrollen, weil sie auf „männliche Attribute“ festgelegt ist. Die eigene Zähigkeit und die über-durchschnittliche Leistung werden honoriert, die weibliche Identität wird jedoch fast neutralisiert und abgewertet. (vgl. Dietzen 1993, S.88f.)

Die Schurkin ist ein zum Hassen freigegebener Charakter, deren Rolle es den Zuschauerinnen erlaubt, ihre Machtfantasien stellvertretend und unbewusst auszuleben, während sie sie bewusst verachten (vgl. Cornelißen 1998, S.149).[9]

2.5 Zusammenfassung

Die Geschlechterforschung beschäftigt sich mit der Konstruktion der sozialen Kategorie Geschlecht und ihrer Rekonstruktion für die soziologische Theorie. Geschlechterunterschiede und ihre Ursachen werden ebenso erforscht wie die Bedeutung des Geschlechts für Kultur, Wissenschaft und Gesellschaft.

Das biologische Geschlecht ist über die menschlichen Gene festgelegt, das soziale Geschlecht wird vom Individuum aufgrund von Erfahrungen und Rollenmustern konstruiert und nach und nach vom Träger internalisiert. Dieser Prozess beginnt bei der Geburt und bleibt ständig ein Thema, was lebenslang von enormer Bedeutung ist, weil sich Geschlecht in sozialen Interaktionen immer neu konstituiert.

Die Medien, insbesondere das Fernsehen, spielen dabei eine wichtige Rolle, denn sie liefern die medialen Vorbilder, an denen sich die Heranwachsenden orientieren. Stereotype Verhaltensweisen und optische Erscheinungsbilder der SchauspielerInnen veranlassen die jungen ZuschauerInnen zur Nachahmung. Es muss jedoch bedacht werden, dass das Fernsehen nur eine von vielen Sozialisierungsinstanzen ist und z.B. die Peergroup für die Entwicklung der Jugendlichen mindestens ebenso wichtig ist.

Der nachfolgende Abschnitt beschäftigt sich mit einigen wichtigen Studien, die das Bild der Frauen in den Medien untersucht haben, um einen Überblick darüber zu schaffen, wie Frauenrollen im Fernsehen inszeniert werden.

3 Forschungsstand: Weibliche Figuren in Film und Fernsehen

Die Frauenbewegung und die Geschlechterforschung beschäftigen sich seit den 1980er Jahren mit den Massenmedien. Die ForscherInnen gehen davon aus, dass ein kultureller und sozialer Wandel der Geschlechterverhältnisse hinsichtlich ihrer Gleichberechtigung nur dadurch herbeigeführt werden kann, dass Frauen in den Medien angemessen repräsentiert und nicht länger auf traditionelle geschlechts-stereotype Weise dargestellt werden (vgl. Klaus 1998).

Die Medien dienten schon seit jeher mal mehr und mal weniger offensichtlich als Propagandainstrumente. Bilder, also komplexe Zeichen mit ikonischen, indexikalischen und symbolischen Qualitäten, wirken direkt, unmittelbar, unbewusst und emotional (vgl. Mühlen Achs 1995, S.22).

Die Ursache für die Ungleichbehandlung von Frauen im Vergleich zu Männern in den Medien (vgl. Küchenhoff 1975; Weiderer 1993) ist laut Mühlen Achs (1995) der eklatante Frauenmangel bzw. das Fehlen von Frauen in einflussreichen und programmbestimmenden Positionen innerhalb der Medienbetriebe. Nach wie vor sind die entscheidungstragenden Positionen von Fernsehsendungen und Filmproduktionen überproportional mit Männern besetzt, die das Bild der Frau in den Medien nach ihren Ansichten aus ihrer männlichen Perspektive gestalten (vgl. Götz 2006, S.7). „Vor diesem Hintergrund erweist sich das mediale Bild der Frau genaugenommen nur als das Bild des Mannes von der Frau. Als solches reflektiert es weder konkrete Lebensrealitäten von Frauen noch genuin weibliche Bedürfnisse, Wünsche, Obsessionen, sondern dient als Projektionsfläche für vielfältige Vorstellungen und Bedürfnisse des einen Geschlechts in bezug auf das andere.“ (Mühlen Achs 1996, S.4) Das mediale Bild der Frau ist demnach nur ein Konstrukt und entspringt der Vorstellung derjenigen, die Drehbücher schreiben, Schauspieler casten und Regie führen (vgl. Velte 1995, S.181). Generell gilt, dass das Fernsehen Männer mehr über ihre Aktivitäten definiert und im Kontrast dazu Frauen über ihr Aussehen (Lemish 2006, S.10).

Das Forschungsinteresse im deutschen Raum liegt auf der Beschreibung sexistischer Darstellungsmuster in den Medien. Sexismus wird laut Mühlen Achs definiert als „ein Muster mehr oder weniger subtiler Benachteiligungen bzw. der Unterdrückung von Frauen und Fraueninteressen, die allein ihrer Geschlechts-zugehörigkeit zuzuschreiben ist. Ein mediales Frauenbild kann dann als sexistisch bezeichnet werden, wenn es Vorstellungen von der ‚Besonderheit’, der ‚Minderwertigkeit’ und der ‚Bedeutungslosigkeit’ von Frauen konstruiert, bestätigt und weitertransportiert“ (Mühlen Achs 1995, S.16).

Im Folgenden sollen einige ausgewählte wichtige Studien aus dem deutschen und internationalen Raum dargestellt werden, die sich mit dem medialen Frauenbild der letzten 30 Jahre befasst haben.

3.1 Küchenhoff: Die Darstellung der Frau

Im Jahre 1975 – dem ‚Jahr der Frau’ – veröffentlicht Erich Küchenhoff eine Studie über „Die Darstellung der Frau und die Behandlung von Frauenfragen in der medienspezifischen Wirklichkeit des Deutschen Fernsehens“. Hierfür wird eine sechswöchige Programmbeobachtung von ARD und ZDF in den Kategorien Fiktion, Quiz und Show, Non-Fiktion und Nachrichten durchgeführt und ausgewertet. Die Ergebnisse zeigen, dass Frauen im Programm des deutschen Fernsehens quantitativ erheblich unterrepräsentiert sind, obwohl sie etwa 50 Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachen (vgl. Mühlen Achs 1995, S.16), und nur wenige haben wichtige Funktionen inne. Ihr Verhältnis zu Männern liegt bei 1:3. Die Autoren stellen weiterhin fest, dass Frauen stereotyp dargestellt und einseitig auf äußerliche Attraktivitätsmerkmale festgelegt werden, wie Schönheit, Jugendlichkeit, Schlankheit. Die Berufstätigkeit als relevantes Kriterium weiblicher Lebensläufe spielt keine Rolle. Es werden im Prinzip nur zwei Arten von Frauen (Leitbildern) dargestellt: einerseits die junge, schöne, unabhängige Frau auf der Suche nach einer heterosexuellen Beziehung, andererseits die Hausfrau und Mutter ohne Sexappeal.

Frauen besitzen keine Handlungsrelevanz. Im fiktiven Bereich sind sie auf Nebenrollen festgelegt, sie sind schön und haben viel Zeit, im Quiz- und Showbereich übernehmen sie die Funktion der Assistentin, im Non-Fiktion-Bereich bleiben ihre Aufgaben auf Programmansagen beschränkt. „Das Fernsehen stellt also in diesem Untersuchungsbereich die agierenden Frauen in eine Wirklichkeit, die gekennzeichnet ist durch die Ferne von der Welt der Arbeit, der Politik, durch zeitliche und materielle Unabhängigkeit und durch ein hohes Maß an Abenteuer und Abwechslung aller Art – also eine Wirklichkeit, die im Gegensatz zur realen, in der Regel durch familiäre und berufliche Zwänge geprägten Situation von Frauen steht.“ (Küchenhoff 1975, S.96)

3.2 Tuchman: Verbannung der Frau in die symbolische Nichtexistenz

Drei Jahre später, 1978, veröffentlicht die amerikanische Wissenschaftlerin Gaye Tuchman ihre Studie zum Frauenbild in den US-amerikanischen Medien unter dem Titel „The symbolic annihilation of women by the mass media“. Tuchman stellt fest, dass die Massenmedien die Frauen in die symbolische Nichtexistenz verdrängen und die Vielfalt ihrer Lebensentwürfe trivialisieren (vgl. Tuchman 1980, S.13). Die Ideen und Ideale der Gesellschaft werden in den Medien nicht getreu abgebildet, sondern auf ihren symbolischen Charakter minimiert. Die Massen-medien verbreiten Mitte der 1970er Jahre rigide Geschlechtsstereotypisierungen, nach denen der Frau das Heim und dem Mann die Welt gehören. Frauen werden in den Medien auf nur wenige Rollen festgelegt, die ihnen unabhängig von Mann und Kind keine eigenständigen Entwicklungsmöglichkeiten zugestehen. Im Gegensatz zu den Männern sind Frauen im Fernsehen überwiegend verheiratet oder stehen kurz vor der Hochzeit. Nur in ihren traditionellen, familiären Rollen finden sie in den Massenmedien Sympathie (vgl. ebd., S.18). Alleinstehende und erwerbstätige Frauen werden in einem negativen Kontext gezeigt: Erwerbstätige Frauen zeichnen sich durch ihre berufliche Unfähigkeit aus und alleinstehende Frauen werden das bevorzugte Opfer von Gewaltverbrechen. „Seifenopern belegen noch deutlicher, dass Frauen als inkompetent und unterlegen dargestellt werden.“ (ebd., S.17) Die Studie legt nahe, dass das Problem der Stereotypisierung der Geschlechter ein quantitatives sei, das sich durch eine vermehrte Darstellung von Frauenbildern lösen ließe. Tuchman ist der Meinung, dass sich bei einem Anstieg weiblicher Fernsehauftritte durch berufstätige Frauen die Geschlechtsidentität der Zuschauerinnen hinsichtlich dieser Vorbilder verändern würde (vgl. Wiegard 1999, S.47).

3.3 Leinfellner: Das Bild der Frau im TV

1983 erscheint eine Untersuchung der österreicherischen Wissenschaftlerin Christine Leinfellner zum „Bild der Frau im TV“. Sie führt eine zweiwöchige, inhaltsanalytische Untersuchung des österreichischen Privatfernsehsenders TV1 durch. Dabei unterscheidet sie zwischen den Segmenten Fiktion, Non-Fiktion und Quiz/Show. Im Fiktion-Bereich kommt sie zu folgenden Ergebnissen (vgl. Leinfellner 1983, S.99ff.): Die Frau ist im Privatfernsehprogramm eindeutig unterrepräsentiert. Bei den Hauptrollen kommt sie nur halb so oft zum Zug wie der Mann (1:2), bei den Nebenrollen ist die Verteilung 40 Prozent (Frau) zu 60 Prozent (Mann). Leinfeller stellt fest, dass Männer viel eher alt, unattraktiv und nachlässiger sein dürfen als Frauen. Bei den Charaktereigenschaften überwiegen nach wie vor die geschlechtsspezifischen Klischees. Männer werden in ihren Rollen als aktiv dargestellt und mit mehr Begabung ausgestattet, Frauen hingegen sind passiv und weniger intelligent. Auch wird der Beruf der Frau seltener thematisiert als der des Mannes. Frauen erfahren durch ihre Männer keine berufliche Förderung, während umgekehrt Männer zu 40 Prozent von ihren Frauen unterstützt werden. Der weibliche Kommunikationsradius beschränkt sich auf die Themen Liebe und Partnerschaft, Familie und Kinder, während das männliche Themenarsenal viel breiter gefächert ist. „Diese Untersuchungsergebnisse zeigen deutlich, dass die Fiktion-Sendungen zwar für Männer und Frauen gemacht wurden, aber fast ausschließlich von Männern. Sie spiegeln die traditionelle Rollenverteilung einer patriarchalischen Gesellschaft wider und vernachlässigen den Part der Frau.“ (ebd., S.100f.)

3.4 Weiderer: Das Frauen- und Männerbild im Deutschen Fernsehen

Monika Weiderer, Pädagogin und Psychologin, untersucht das Frauen- und Männerbild im Deutschen Fernsehen und unterzieht die Programme der Sender ARD, ZDF und RTLplus einer inhaltsanalytischen Untersuchung. Sie beobachtet drei Wochen lang die einzelnen Sendungen der TV-Anstalten (ohne Spielfilme, Familienserien und Kindersendungen) und orientiert sich dabei methodisch eng an der Küchenhoff-Studie. In ihrer umfangreichen Auswertung von 1993 kann Weiderer eine quantitative Unterrepräsentanz von Frauenfiguren aufzeigen (vgl. Mühlen Achs 1995, S.17): Bei Sendungen mit Spielhandlungen ist die Verteilung der Geschlechter zu einem Drittel weiblich und zu zwei Dritteln männlich. Bei Quiz und Shows liegt das Verhältnis bei 2 zu 3, im Dokumentarbereich bei 1 zu 3 und bei Nachrichten sogar nur bei 6,6 Prozent (Frau) zu 93,4 Prozent (Mann). Die Programmansage erfolgt überwiegend von Frauen. „Fernsehfrauen“, also Frauen in Fernsehserien oder -filmen, sind zwar Anfang der 1990er Jahre zu 50 Prozent berufstätig, dann aber in mittleren oder untergeordneten Positionen im Bereich der Sozialpflege oder in der Verwaltung und im Büro. „Fernsehmänner“ sind fast nie Hausmänner. Die Rollendarstellungen haben sich demnach nur wenig verändert, die stereotypen Grunddarstellungsformen von Männern und Frauen sind gleich geblieben. „Bei beiden Geschlechtern finden sich zwar ‚AusreißerInnen’ im Sinne von aktiven, dominanten, kompetenten Frauen in statushohen Funktionen und zurückhaltenden, passiven Männern in untergeordneten Positionen, das Gros der gezeigten Männer und Frauen entspricht jedoch in Rollenverhalten und Funktionen dem gesellschaftlich vermittelten Stereotyp.“ (Weiderer 1993, S.324)

Männer sind aktiv, teilweise auch aggressiv und packen zu. Im Gegensatz dazu sind Frauen zurückhaltend, freundlich und manchmal hilflos. In Problem- und Konfliktsituationen agieren Frauen häufiger emotional, hilfesuchend, hilflos und hysterisch und seltener als Männer gelassen, rational und wütend (vgl. Klaus 1998, S.242). Bei den Gesprächen zeigen sich ebenso Unterschiede, wie beim Handeln. So sprechen Frauen über „Gebiete, die zum klassischen weiblichen Bereich gehören, wie zum Beispiel Liebe, Haushalt und Klatsch/Mode, während Männer häufiger die stereotyp männlichen Themen Beruf, Gewalt, Finanzen sowie Geschäftliches thematisieren“ (Weiderer 1993, S.158).

3.5 Baranowski: Medienanalyse der deutschen Daily Soaps

Im Jahre 2002 wird unter Leitung von Medienwissenschaftlerin Maya Götz eine Studie des IZI[10] zu vier deutschen Daily Soaps mit einer medienanalytischen Betrachtung der Soap-Rollenbilder veröffentlicht. Die Forscherin Genia Baranowski stellt fest, dass alle Figuren Träger stereotyper Eigenschaften sind, der innerhalb des Wertesystems des Genres Bedeutung zugeschrieben wird. Frauenrollen werden nach wie vor häufig mit traditionell weiblich besetzten Merkmalen verbunden, wie Rücksichtsnahme und Diplomatie. Diese klischeehafte Zuordnung schält sich unterschwellig heraus, da die Charaktere nach außen hin selbstbewusst wirken und beruflich aktiv sind (vgl. Baranowski 2002, S.56). Sie agieren und arrangieren sich in schwierigen Situationen äußerst diplomatisch, wofür sie mit glücklichen Beziehungen belohnt werden. Soap-Mütter fallen durch äußere Attraktivität auf, sind berufstätig und bilden den ruhenden Pol der Familie. „So wird der Eindruck vermittelt, gute Mütter seien in der Regel nicht nur ihren Kindern zugetan, sondern auch beruflich aktiv und äußerlich schön.“ (ebd., S.57) Der Beruf der Soap-Figuren stimmt oft mit ihren Charaktereigenschaften überein. Einfühlsame, sanfte, hilfsbereite Frauen arbeiten z.B. als Krankenschwestern, flippige Mädchen als Modedesignerinnen, und burschikose Frauen üben den Beruf einer Polizistin aus.

Forderungen der Frauenbewegung

Aus diesen Ergebnissen und denen vieler weiterer Studien ergeben sich für die Frauenforschung Mitte der 1990er Jahre konkrete Forderungen an die Macher des fiktionalen Fernsehprogramms. Die Wissenschaftlerinnen Beckmann, Braun, Cornelißen et al (vgl. 1996, S.108) stellen einen Forderungskatalog zusammen, in dem sie Themen auflisten, die ihrer Meinung nach zu einer quantitativ und qualitativ angemessenen Präsentation der Geschlechter im Fernsehen gehören:

Sie fordern, dass Frauen nicht nur schön und Männer nicht nur heldenhaft dargestellt werden sollen, sondern dass die Charakterisierung von Weiblichkeit eine durchaus größere Palette an Eigenschaften und Aktivitäten enthalten muss. Die feminine Präsenz soll demnach nicht nur in weiblichen, sondern in traditionell männlichen Aufgaben- und Aktionsfeldern zugelassen werden. Zudem soll die weibliche Erwerbsarbeit und die öffentliche Funktion der Frauen in einem Status, der dem von Männern in der Spielhandlung vergleichbar ist, präsentiert werden. Sie darf nicht auf traditionelle Frauenberufe reduziert werden. Zusätzlich wird von ihnen gefordert, dass das berufliche Engagement von Frauen nicht stets durch die weibliche Rücksichtsnahme auf Familienangehörige zu relativieren ist.

3.6 Zusammenfassung

Die vorgestellten Studien haben sich nicht speziell mit Telenovelas oder Daily Soaps beschäftigt (Ausnahme Baranowski), sondern allgemein das Frauenbild im deutschen fiktionalen und non-fiktionalen Fernsehen untersucht. Der Fokus der Darstellung liegt nach wie vor auf der äußeren Attraktivität, während von traditionellen Weiblichkeitsvorstellungen abweichende Handlungsmöglichkeiten nur selten thematisiert werden. Das Fernsehen reflektiert zwar die Veränderungen der gesellschaftlichen Rolle der Frau, es treibt sie aber nicht zwangsläufig voran.

Trotzdem hat sich seit der Küchenhoff-Studie einiges bezüglich der Darstellung von Frauen in den Medien verändert. So sind Frauen im Fernsehen längst nicht mehr in dem Maße unterrepräsentiert, wie es Ende der 1970 Jahre noch der Fall war. Zudem ist die Berufstätigkeit der Frau mittlerweile in allen Programmbereichen ein Bestandteil der Inszenierung, auch wenn Männer nach wie vor in höhergestellten Positionen gezeigt werden. Zahlenmäßig sind Frauen in vielen Genres den Männern weit überlegen, werden aber in vielen Bereichen nach wie vor stereotyp dargestellt, wenn es um die junge, ledige Frau geht oder um die als typisch weiblich geltenden Charaktereigenschaften.

Die folgenden Abschnitte beleuchten das Genre der Telenovela im internationalen und nationalen Raum.

[...]


[1] Ausgestrahlt werden die Folgen von 16.4 bis 7.5. 2007.

[2] http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,454068,00.html

[3] http://www.dwdl.de/article/news_10518,00.html

[4] Natürlich gibt es auch „nicht erfolgreiche“ Klassifizierungen von Individuen, beispielsweise wenn Männer als zu weiblich oder Frauen als zu männlich auftreten. Transsexuelle werden in unserer Gesellschaft nach wie vor als fehlerhaft und pathologisch betrachtet und bedürfen auch nach eigenem Wunsch einer operativen Korrektur des vorhandenen Geschlechts.

[5] Der Soziologie Pierre Bourdieu (1998, S.9) spricht dem Fernsehen eine Art faktisches Monopol bei der Bildung der Hirne eines Großteils der Menschen zu.

[6] Wobei beachtet werden muss, dass Wirklichkeit immer über soziale Praktiken hergestellt wird und das Fernsehen eben nur bestimmte Formen und Teile von sozialen Praktiken darstellt.

[7] http://www.uni-saarland.de/fak5/ronald/forschungsthemen.html

[8] Mühlen Achs Interpretationen sind jedoch kritisch zu betrachten, da sie ihre Argumentation mit extremen Negativ-Beispielen belegt und andersherum den positiven Beispielen der Werbung wenig Beachtung schenkt.

[9] Diese und ähnliche Charaktere sind auch in der Telenovela Verliebt in Berlin zu finden (vgl. Abschnitt 5.4).

[10] Internationales Zentralinstitut für das Jugend- und Bildungsfernsehen beim Bayerischen Rundfunk.

Ende der Leseprobe aus 144 Seiten

Details

Titel
Das Frauen- und Männerbild in der deutschen Telenovela "Verliebt in Berlin"
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München  (Institut für Soziologie)
Note
1,3
Autor
Jahr
2007
Seiten
144
Katalognummer
V87609
ISBN (eBook)
9783638010726
ISBN (Buch)
9783638915434
Dateigröße
1234 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Darstellung, Frauen, Telenovela, Verliebt, Berlin, Lisa Plenske, Gender, Verliebt in Berlin, Alexandra Neldel, Ugly Betty, Serie, weiblich, männlich, Fernsehen, TV, Mode, Diplomarbeit, sex, Geschlecht, Geschlechterforschung, Geschlechterunterschiede, Fernsehforschung, Medienforschung, Abschlussarbeit, Geschlechterrolle, Inhaltsanalyse, Massenmedien, Medienwirkung, Stereotype, Publikum, Programm, Programmproduktion, Soziales System, Sat.1, Grundy UFA, Yo soy Betty la fea, Klischee, Geschlechterklischee, Liebe, häßliches Entlein, Märchen, Männer, Daily Soap
Arbeit zitieren
Diplom Soziologin Christine Bulla (Autor:in), 2007, Das Frauen- und Männerbild in der deutschen Telenovela "Verliebt in Berlin", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/87609

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