Kitsch und Sentimentalität in Dramen des Naturalismus


Magisterarbeit, 2003

152 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Der Naturalismus und das naturalistische Drama
2.1 Der Naturalismus - ein kurzer Überblick
2.2 Die Merkmale des naturalistischen Dramas
2.3 Die neue Form des Theaters
2.3.1 Die Freie Bühne
2.3.2 Die Freie Volksbühne

3. Kitsch und Sentimentalität - von der Entstehung und Bedeutung der Begriffe mit einem Exkurs in die Kitsch- Diskussion
3.1 Als Kitsch zu Kitsch wurde - Aufkommen, Etymologie und Geschichte des Begriffs
3.2 Jedem einleuchtend und doch undefinierbar - ein Einblick in die Kitsch- Diskussion
3.2.1 Die Geschichte einer Diskussion - ausgewählte, prägende Theorien und Ansichten zum Kitsch im 20. Jahrhundert
3.2.2 Die Wende? Aktuelle Standpunkte zum Thema
3.3 Die Sentimentalität früher und heute - ein Einblick in die Bedeutung und ihre Geschichte
3.3.1 Die Entwicklung von Wort und Bedeutung in Deutschland
3.3.2 Der moderne Sentimentalitätsbegriff und sein Verhältnis zum Kitsch

4. Kitsch und Sentimentalität in ausgesuchten Dramen des Naturalismus
4.1 Arno Holz und Johannes Schlaf: Die Familie Selicke
4.1.1 Der konsequente Naturalismus - Arno Holz, sein Kunstgesetz und seine Dramentheorie
a) Das Holzsche Kunstgesetz
b) Die Holzsche Dramentheorie
4.1.2 Wer tat was? Der Streit um die Gemeinschaftsarbeit
4.1.3 Die Entstehungs-, Aufführungs- und Rezeptionsgeschichte der Familie Selicke
4.1.4 Kitschige und sentimentale Elemente in der Familie Selicke
a) Literarischer Kitsch: Strukturmerkmale im Text
b) Kitschiges im Inhalt und bei den handelnden Personen
c) Sentimentale Kennzeichen in Handlung und Inhalt
d) Merkmale sentimentaler Figuren
4.2 Georg Hirschfeld: Die Mütter
4.2.1 Der Naturalist Georg Hirschfeld - eine Biographie
4.2.2 Die Mütter: Entstehungs-, Aufführungs- und Rezeptionsgeschichte und das Werk im Kontext des Naturalismus
4.2.3 Kitschige und sentimentale Elemente in Die Mütter
a) Literarischer Kitsch: Strukturmerkmale im Text
b) Kitschiges im Inhalt und bei den handelnden Personen
c) Sentimentale Kennzeichen in Handlung und Inhalt
d) Merkmale sentimentaler Figuren
4.3 Max Halbe: Jugend
4.3.1 Der vergessene Autor
4.3.2 Halbes erfolgreichstes Werk: Jugend
a) Die Entstehungs-, Aufführungs- und Rezeptionsgeschichte
b) Das Werk im Kontext des Naturalismus
4.3.3 Kitschige und sentimentale Elemente in der Jugend
a) Literarischer Kitsch: Strukturmerkmale im Text
b) Kitschiges im Inhalt und bei den handelnden Personen
c) Sentimentale Kennzeichen in Handlung und Inhalt
d) Merkmale sentimentaler Figuren
4.4 Gerhart Hauptmann: Hanneles Himmelfahrt
4.4.1 Die Entstehungs-, Aufführungs- und Rezeptionsgeschichte von Hanneles Himmelfahrt
4.4.2 Die Naturalismusdebatte um das Drama
4.4.3 Kitschige und sentimentale Elemente in Hanneles Himmelfahrt
a) Literarischer Kitsch: Strukturmerkmale im Text
b) Kitschiges im Inhalt und bei den handelnden Personen
c) Sentimentale Kennzeichen in Handlung und Inhalt
d) Merkmale sentimentaler Figuren

5. Exkurs: Der kitschige Kleinbürger und die rührselige Realität oder Warum es zu Kitsch und Sentimentalität in Dramen des Naturalismus kommt

6. Schlußbemerkungen

7. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Kitsch und Sentimentalität in Dramen des Naturalismus? Eigentlich scheint dies ein Widerspruch in sich zu sein. Schließlich heißt es in unzähligen Werken der Forschungsliteratur, daß der hier angesprochene deutsche Naturalismus eine getreue und vor allem objektive Wiedergabe der Natur fordert! Besonders Emotionales soll dabei als subjektiv begründet weitgehend ausgeschlossen werden. Dennoch bemerken schon die zeitgenössischen Kritiker „eine gewisse Rührseligkeit“1 in den Dramen, die sie allerdings kaum zu definieren wissen.

Knapp ein Jahrhundert später beschreibt Helmut Koopmann einen interessanten „Einbruch von Sentimentalität“2, und Gerhard Kluge spricht von einem „starken Anteil des Sentimentalen und Rührseligen“3 in naturalistischen Werken. Das naturalistische Drama scheint also doch nicht so objektiv gestaltet zu sein, wie es die naturalistischen Theoretiker gerne gesehen hätten.

In dieser Arbeit möchte ich anhand von vier ausgesuchten Werken unterschiedli- cher naturalistischer Autoren dieses Problem aufgreifen und weiterführend unter- suchen. Dabei stehen zwei Aspekte im Mittelpunkt: Zum einen soll anhand einer Analyse der Dramen die angeblich vorkommende Sentimentalität, wie sie von Koopmann und Kluge aufgezeigt wird, nachvollzogen werden. Zum anderen möchte ich die Werke weiterführend auch auf mögliche kitschige Elemente prü- fen.4 Ziel dieser Arbeit ist es dabei, anhand von ausgewählten Definitionsvor- schlägen zu untersuchen, inwieweit es in Dramen des Naturalismus tatsächlich zu einem Einsatz von kitschigen und sentimentalen Stilmitteln bzw. zu inhaltlichem Kitsch und Sentimentalität kommt.

Um zu einem relativ verallgemeinerbaren Ergebnis gelangen zu können, habe ich mich für vier bezüglich ihrer naturalistischen Entsprechung unterschiedlich einge- stufte Dramen entschieden. Das von Arno Holz und Johannes Schlaf gemeinsam verfaßte Werk Die Familie Selicke 5 faßt man allgemein als den Höhepunkt und die konsequenteste Entwicklung des von Arno Holz konzipierten konstruktiven Naturalismus auf.6 Georg Hirschfelds Drama Die Mütter 7 wird ebenfalls als durchweg naturalistisch bezeichnet, denn „[a]uch dieses Schauspiel verläßt die naturalistische Schablone nirgends.“8 In Max Halbes Erfolgswerk Jugend 9 mi- schen sich dagegen zu den naturalistischen auch andere gestalterische Stilmittel, die nicht mehr ohne weiteres mit denen des Naturalismus in Einklang gebracht werden können.10 Und bei Gerhart Hauptmanns Drama Hanneles Himmelfahrt 11 entfacht schließlich bereits die Uraufführung eine Diskussion darüber, ob das Werk dem Naturalismus überhaupt noch zugeordnet werden kann.

Die ausgesuchten Werke stellen sozusagen einen Querschnitt der unter der Epo- chenbezeichnung des Naturalismus entstandenen Dramen dar. Meine Grundthese ist es nun, daß sich - trotz der angestrebten Objektivität und Naturtreue - in unter- schiedlicher Intensität diverse kitschige und sentimentale Strukturen in allen hier analysierten Werken finden lassen. Ferner müßte theoretisch davon auszugehen sein, daß die Werke, die im größeren Einklang mit der naturalistischen Theorie stehen, dementsprechend auch weniger kitschige und sentimentale Elemente auf- weisen.

Um in den Themenkomplex einzuführen, werde ich in einem ersten Teil (Kapitel 2) einen kurzen Überblick über den deutschen Naturalismus im allgemeinen und über das naturalistische Drama sowie die Entstehung einer neuen Theaterform im speziellen geben. Um die Tragweite der naturalistischen Dramentheorie zu ver- deutlichen, stehen dabei vor allem die Merkmale des Dramas im Naturalismus im Vordergrund. Die generellen theoretischen Grundlagen der Strömung und auch die Strömungen an sich werden hingegen nur auszugsweise behandelt, da eine intensivere Beschäftigung mit diesem Thema die Grenzen dieser Arbeit deutlich überschreiten würde. Dementsprechend beziehe ich mich in meinen Ausführun- gen auch hauptsächlich auf das in Berlin entstandene naturalistische Zentrum, da es - im Gegensatz zum Münchener Kreis - die Entwicklung des Dramas in den Vordergrund stellt.

Um den ersten Teil sachgemäß bearbeiten zu können, habe ich hauptsächlich auf Literatur aus den 1970er und 1980er Jahren zurückgegriffen. In diesen zwei Jahrzehnten beschäftigte sich die Literaturwissenschaft intensiv mit der Naturalismusforschung. Einige Monographien sind dabei besonders hervorzuheben, wie zum Beispiel die Überblickswerke von Roy C. Cowen Der Naturalismus, von Hanno Möbius Der Naturalismus. Epochendarstellung und Werkanalyse 12 oder Das deutsche Drama des 19. Jahrhunderts von Edward Mc Innes.13

Der zweite Teil dieser Arbeit (Kapitel 3) widmet sich der Frage nach der Entste- hung und der Bedeutung der Begriffe ‚Kitsch’ und ‚Sentimentalität’. Hier soll im Vorfeld der eigentlichen Analyse ein Verständnis für die beiden Worte und vor allem für das Problem ihrer Definition (insbesondere die des Kitsches) geschaffen werden. Wo es bei dem Begriff der Sentimentalität relativ einfach ist, ihn etymo- logisch herzuleiten und inhaltlich zu bestimmen, stellen sich bei dem Begriff des Kitsches größere Probleme bezüglich der Definition dar. Aus diesem Grund wer- de ich in diesem Kapitel auch explizit auf die Kitsch-Diskussion eingehen und versuchen, sie anhand einiger ausgesuchter, prägnanter Thesen und Ansichten nachzuzeichnen. Allerdings muß ich mich hierbei auf eine überwiegend kommen- tarlose Vorstellung beschränken; die Darbietung der unterschiedlichen Diskussi- onsansätze soll nur einleitend dem eigentlichen Thema vorangestellt werden. Eine genauere Bearbeitung würde einerseits zu voluminös werden und andererseits vom eigentlichen Thema ablenkend wirken. Auch werden die in Kapitel 4 zum Tragen kommenden Merkmale von Kitsch und Sentimentalität in der Literatur in diesem Teil außen vor gelassen. Der Verständlichkeit halber möchte ich diese direkt im Zusammenhang mit den zu analysierenden Dramen aufführen, um sie im selben Zuge auf die Werke anwenden zu können.

Wo es in bezug auf die Literatur zum Thema Kitsch eine große Auswahl an Tex- ten und Aufsätzen gibt - hier sei stellvertretend auf Wolfgang Braungarts Auf- satzsammlung Kitsch. Faszination und Herausforderung des Banalen und Trivia- len 14 verwiesen - stellt sich bei der Sentimentalität das Problem, daß sich kaum neuere oder hilfreiche Literatur finden läßt. Außer in der Aufsatzsammlung von Winfried Herget15 lassen sich vorwiegend in älteren Werken, wie zum Beispiel bei Ilka Büschen16 oder Gotthart Wunberg17, genug Anhaltspunkte für einen ge- eigneten Überblick herausarbeiten.

Nachdem der erste und zweite Teil eher einführenden Charakter haben, komme ich im dritten Abschnitt (Kapitel 4) zum Hauptteil dieser Arbeit: zur Analyse der ausgesuchten Dramen des Naturalismus in bezug auf kitschige und sentimentale Elemente. Die einzelnen Dramen wurden bereits oben kurz eingeführt. Bei der Untersuchung habe ich mich für eine Sortierung gemäß ihrer Einordnung in den naturalistischen Kontext entschieden (sozusagen von zweifellos bis zweifelhaft naturalistisch), anstatt sie in chronologischer Reihenfolge aufzuführen. Dieses scheint mir sinnvoller in bezug auf die Frage, ob die weniger eindeutig im natura- listischen Kontext einordbaren Werke vielleicht mehr Kitsch und Sentimentalität aufweisen (siehe oben).

Bevor ich jedoch mit der eigentlichen Analyse beginne, stelle ich jedem unter- suchten Drama einen Abschnitt mit einführenden Informationen zum Werk und entweder zum Autor, wenn er heute weitgehend unbekannt geworden ist, oder zu weiteren Besonderheiten bezüglich des Autors oder des Dramas an sich voran. So wird hier zum Beispiel genauer auf den von Arno Holz entwickelten konsequen- ten Naturalismus und die sich anschließende Dramentheorie eingegangen. Auch wird bei jedem Werk ein Versuch der Einordnung in den Kontext des Naturalis- mus unternommen.

Die Analyse selber habe ich in vier Unterpunkte eingeteilt, in denen die auffallen- den kitschigen und sentimentalen Strukturen getrennt voneinander behandelt wer- den. Dies soll einen gewissen Überblick über die Häufigkeit und die Art der Ver- wendung bewahren. In einigen Fällen sind Überschneidungen allerdings unver- meidbar, da sich teilweise die Merkmale von Kitsch und Sentimentalität sehr äh- neln, sich überschneiden oder einfach dieselben sind. In diesen Situationen mußte ich mich für die Einordnung in eine Kategorie (die in allen Dramen dementspre- chend dieselbe ist) entscheiden.

Die für die Untersuchung der Dramen aus der Forschungsliteratur entnommenen Definitionen für sentimentale und kitschige Merkmale in einem literarischen Text stützen sich unter anderem auf die Werke von Günter Waldmann18, Walter Killy19 und Winfried Herget.20 Im weiteren beschäftigt sich Gerhard Kluge21 ausgiebiger mit dem Phänomen der Sentimentalität in der Familie Selicke während sich Heinrich Breloer und Rainer Zimmer intensiv mit dem Kitsch in Hanneles Himmel fahrt auseinandergesetzt haben.22 Für die beiden anderen Dramen lassen sich hingegen nur vereinzelte Aussagen in der Sekundärliteratur finden, so daß die Analyse hier zu großen Teilen auf den bereits herausgearbeiteten Merkmalen für literarischen Kitsch und literarische Sentimentalität beruht.

Nachdem ich im Hauptteil ausgiebig auf mögliche kitschige und sentimentale Elemente in den Dramen eingehe und zudem erörtere, warum sie als solche defi- niert werden können, stelle ich abschließend in Kapitel 5 in einem kleinen Exkurs mögliche Gründe vor, die zu einem Einsatz von kitschigen und sentimentalen Strukturen in den Werken führen könnten. Nachdem also ausführlich herausgear- beitet wurde, ob Kitsch und Sentimentalität vorhanden sind, soll hier - sozusagen als interessanter Zusatzaspekt und unabhängig von der eigentlichen Analyse - nach dem ‚Warum’ gefragt werden. Dabei werde ich hauptsächlich die Erörterun- gen von Gerhard Kluge23 und Helmut Koopmann24 in den Vordergrund stellen, da sie sich meiner Ansicht nach am intensivsten mit diesem Problem beschäftigt ha- ben.

Im sechsten und letzten Kaptitel greife ich schließlich die eingangs angeführte Fragestellung und Ausgangsthese noch einmal auf und beantworte sie mittels einer kurzen Zusammenfassung des bearbeiteten Stoffes.

2. Der Naturalismus und das naturalistische Drama

2.1 Der Naturalismus - ein kurzer Überblick

Das größte Problem des Naturalismus ist es wohl, daß es - der Ansicht ist jeden- falls Roy C. Cowen - fast so viele Naturalismen wie Naturalisten gibt. Zudem bestehen zwischen vielen Naturalisten des ausgehenden 19. Jahrhunderts kaum mehr Ähnlichkeiten als zwischen ihnen und vielen naturalistisch geneigten Dich- tern vorhergehender Epochen.25 Dementsprechend gibt es in den Jahren von 1880 bis 1900, in denen sich der Naturalismus begründet, seinen Höhepunkt erreicht und wieder untergeht, weder den idealtypischen Naturalisten noch ein idealtypi- sches naturalistisches Werk.26 Dennoch lassen sich Autoren und Kritiker unter der Epochenbezeichnung des Naturalismus zusammenfassen, da sie, trotz ihrer Diver- sität, bestimmte ästhetische Ziele und Ansichten gemeinsam haben.27 Darüber hinaus ist gerade seine Charakterisierung als eine Sammel- und Protestbewegung wichtig, denn „[m]an hat von einem kollektiven Protest der Zwanzig- bis Dreißig- jährigen gesprochen, [...] die sich in den achtziger Jahren mit reformerischen oder [...] revolutionären Elan zu Wort melden.“28

Es sind vor allem zwei weitgreifende Ereignisse, die das Denken der Naturalisten nachhaltig geprägt haben: zum einen der tiefgreifende Fortschritt, der auf dem Gebiet der Naturwissenschaften erzielt wurde (die Abstammungslehre von Charles Darwin als ein Beispiel genommen), und zum anderen das Aufkommen des Sozialismus in Westeuropa und die mit der zunehmenden Industrialisierung unmittelbar zusammenhängende Ausbreitung des Arbeiterproletariats.29

Die Bestrebungen der von Theo Meyer als „naturalistische[] Literaturrevolution“ beschriebenen Epoche sind es, den unmittelbaren Kontakt zum Leben und zur Realität des Alltags herzustellen und im gleichen Maße Anstöße zur Gestaltung dieser Wirklichkeit zu geben.30

„Im Zeichen der Einbindung der Literatur in den sozialen, soziokulturellen Kontext der Epoche erfolgt die Absage an den Kult des vom Leben losgelösten, einsamen Genies. Angesichts der industriellen Revolution, der Proletarisierung der Arbeiterschaft und der Sozialmisere in weiten Bereichen des Kleinbürgertums wird der Milieu-Realismus zur programmatischen Forderung und literarischen Praxis der Naturalisten.“31

Den meisten Naturalisten ist dabei ein von Naturwissenschaften geprägtes deterministisches Weltbild gemein.

„Der Mensch ist demnach abhängig von Umwelt und Vererbung, seinen Trieben und seiner Psyche. Sein Erfahren und Erleben läuft nach einer Ge- setzlichkeit ab, die im Zusammenhang steht mit der gesamten Natur. Da der Wille unfrei ist, trägt er auch keine Verantwortung für seine Taten. Die Na- tur ist ohne Moral, deshalb muß auch die Kunst objektiv und ohne Moral sein.“32

Der naturalistische Mensch ist folglich ein von Trieb, Milieu und Umständen determiniertes Wesen.

Der deutsche Naturalismus ist zudem entscheidend durch seine Rezeption aktueller naturwissenschaftlicher Theorien geprägt - laut Peter Sprengel stellt er sogar (nach Georg Büchner) den ersten konsequenten Versuch dar, moderne naturwissenschaftliche Erkenntnisse in der Literatur umzusetzen.33 Dabei ist eines der naturalistischen Ziele, „die Aspekte der Kunst, die eine getreue Wiedergabe der Natur fordern, möglichst weit zu entwickeln.“34

Bezeichnend für die oben angesprochene Vielfältigkeit im deutschen Naturalis- mus, die ihn fern ab von einer einheitlichen und in sich geschlossenen Bewegung bringt, ist auch seine Spaltung in zwei unterschiedliche Zentren in Berlin und München. Beide haben in sozialer wie auch in geistig-intellektueller Hinsicht we- nig miteinander gemein.35

Der um Michael Georg Conrad entstandene Münchener Kreis setzt sich haupt- sächlich mit Emile Zola und den neuen Kunstprinzipien auseinander, wobei er sich entschieden gegen die Epigonenkunst von Paul Heyse wendet.36 Die Münch- ner konzentrieren sich insbesondere auf die Probleme des Romans und legen ei- nen ausdrücklichen Schwerpunkt auf die Einführung eines naturalistischen Ro- mans nach dem Vorbild Zolas.37 Im Mittelpunkt ihrer Romandiskussion steht die Frage nach dem Verhältnis von Roman und einer Wirklichkeit, die - so glauben die Naturalisten - von den Naturwissenschaften restlos erschließbar geworden ist.38

Neben den Münchnern geht es auch den Berliner Naturalisten, die sich um die Brüder Heinrich und Julius Hart gruppieren, vorwiegend um die „Kritik am Über- kommenden, an modischen Zeiterscheinungen, am literarischen Dilettantismus.“39 Bei ihnen werden Zolas naturalistische Theorien allerdings nicht einfach über- nommen, sondern im gleichen Maße auch kritisiert oder sogar widerlegt. Eine Ausnahme bildet nur das Wahrheitsstreben Zolas, das von den Berlinern rückhalt- los akzeptiert wird.40 Weniger Interesse zeigen sie allerdings an den Problemen des Romans. Statt dessen findet vor allem das Drama und das Theater ihre Beach- tung. Die Diskussion ist dabei vorwiegend von einer pragmatischen und relativ undogmatischen Haltung bestimmt. Die Berliner Naturalisten beschäftigen sich vielmehr damit, die Schwächen des zeitgenössischen Dramas bloßzustellen, zu analysieren und die spezifischen Möglichkeiten der Theaterreform zu überprüfen. Zu den führenden progressiven Kritikern des Berliner Kreises gehören unter ande- rem die Brüder Heinrich und Julius Hart, Otto Brahm, Paul Schlenther, Maximili- an Harden und Leo Berg. Besonders in den 1880er Jahren setzen sie sich für das neue Drama ein. Sie sind davon überzeugt, daß eine enorme Entwicklung des deutschen Dramas ummittelbar bevor steht, und daß sie sich um eine neue und vor allem realistische Kunstform bemühen müssen „die die Wirklichkeit anschaut und das gegenwärtige Dasein“.41

In diesem Rahmen entstehen auch verschiedene naturalistische Dramentheorien. Sie unterscheiden sich von anderen deutschen Dramentheorien vor allem dadurch, daß bei ihnen die Forderung nach Naturwahrheit im Mittelpunkt der Überlegun- gen steht.42 Das heißt, sie wollen die Natur so abbilden, wie sie ist. Ferner werden sie von der Vorstellung beherrscht, „daß im Zeichen der modernen Zeit der dramatische Vorgang durch lebensechte Figuren, eine lebenswahre Spra- che und eine lebenskonforme Handlung bestimmt sein müsse.“43 Doch obwohl viele Naturalisten eine neue Dramenform fordern, in der besonders der radikale Realismus betont wird, weichen ihre Auffassungen einer neuen ‚Wahrheitskunst’ stark voneinander ab. Auf der einen Seite streben einige - unter ihnen Bleibtreu, Hart und Harden - noch eine dynamisch-heroische Form an, welche sich trotz ihres neuen Wirklichkeitsgehaltes den gattungsästhetischen Kriterien Lessings vollständig unterordnet. Auf der anderen Seite fordern zum Beispiel Alberti und Halbe eine Wirklichkeitsnähe, die im Grunde alle bisher überlieferten Formgeset- ze zunichte macht. Nach Edward Mc Innes scheint es, als ob nur in den Schriften von Arno Holz und in den dramaturgischen Versuchen des jungen Max Halbes die Wirklichkeitsnachahmung und die Charakterdarstellung wirklich zusammenfal- len.44

2.2 Die Merkmale des naturalistischen Dramas

Aus dem im Vorigen kurz angerissenen naturalistischen Programm und seinen Zielen lassen sich Konsequenzen als Regeln für eine literarische Form erkennen.45 Auch kann man von den behaupteten überzeitlichen, vermeintlich wissenschaftli- chen Grundlagen des Naturalismus feste Verfahren ableiten, die auf eine Optimierung der angestrebten, gegenstandstreuen Reproduktion zielen.46

Selbst wenn sich die Literaten aller Gattungen im Naturalismus das Ziel einer möglichst getreuen Wiedergabe der Natur gesetzt haben, und dazu zum Teil gleiche oder ähnliche Stilmitteln anwenden, so ist es vor allem das Drama, dem eine herausragende Stellung zugeschrieben werden kann.

„[D]as Drama [vermag] [...] von allen literarischen Gattungen auf Grund der unmittelbaren sinnlichen Präsenz eines Geschehens auf der Bühne am ehes- ten die Trennwand zwischen Kunst und Leben, Bühne und Zuschauer aufzu- heben und die Illusion der unvermittelten Wirklichkeit zu erzeugen.“47

Das Drama ist demnach prinzipiell besser als andere Gattungen geeignet, die naturalistischen Intentionen zu erfüllen.48 Wie sich eine solche Verwirklichung konkret gestaltet, soll im folgenden genauer dargestellt werden.

Um etwas realistisch bzw. naturgetreu darstellen zu können, bedarf es mehrerer Faktoren, die beachtet werden müssen. Auf dem Gebiet des Dramas führt dies zu erheblichen dramaturgischen Konsequenzen.49

Bedeutende Einschnitte finden sich zum Beispiel auf der Handlungsebene. Eine genaue Darstellung der exakt erfaßten Umstände läßt im Grunde nur einen engen räumlich und zeitlich begrenzten Ausschnitt aus der Natur zu. Das hat zur Folge, daß die klassische, einführende Exposition und das Ende mit abschließender Lö- sung oder Katastrophe wegfallen. Zu der von den Naturalisten erstrebten Abbil- dung eines Lebensabschnitts gehört weder ein eigentlicher Beginn noch ein wirk- licher Schluß - eine abgerundete Handlung erscheint als unnatürlich, da man auch im richtigen Leben weder den Beginn noch das Ende absehen kann. Es geht nicht mehr um Ideen oder antagonistische Handlungen im konventionellen Sinn, und die einst übliche geschlossene, zielgerichtete Handlung wird zugunsten einer Zu- standsbeschreibung aufgegeben.50 Trotzdem muß die Entwicklung als chronologi- scher Ablauf nachvollziehbar bleiben, wobei eine identische Zeiterfahrung, also das Zusammenfallen von Dramenzeit und dramatisierter Zeit, angestrebt wird. Die ideale Umsetzung stellt dabei der von Arno Holz im Rahmen seiner Dramentheo- rie entworfene Sekundenstil dar, welcher Sekunde für Sekunde die Vorgänge pro- tokollarisch in der objektiven Zeit wiedergibt und als Maßstab für eine authenti- sche Beobachtung und für die Wiedergabe der Natur gilt.51 Die Aufführung scheint wesentlich authentischer, da unter anderem die nichtsprachlichen Vorgän- ge nicht erzählt werden müssen, sondern als gegenwärtig in ihrer objektiven Zeit gespielt werden können.52 Es muß sich also im Theater um eine Darstellung be- müht werden, die möglichst viele innere Vorgänge in akustisch Wahrnehmbares exponiert oder sie zumindest optisch realisiert.53

Die mit Vorliebe einfach gehaltene Handlung wird im weiteren zur Verstärkung der Illusion des gegenwärtig ablaufenden Geschehens auf möglichst kurze Zeit - oft nur auf einige Stunden - zusammengedrängt. Dabei bleibt das aristotelische Prinzip der drei Einheiten weitestgehend gewahrt. Um das realisieren zu können, müssen die Naturalisten oft zu analytischen Methoden greifen: So wird zum Beispiel das eigentliche dramatische Geschehen gerne in die Vergangenheit verlegt oder es ereignet sich zwischen den Akten.54

Um einer natur- und realitätsgetreuen Umsetzung im Naturalismus, speziell in naturalistischen Dramen, nachzukommen, ist auch die Wahl des Handlungsortes von Bedeutung. Er muß so gewählt werden, daß sich in ihm die wesentlichen Ge- setze der Wirklichkeit zeigen lassen können. Für die Naturalisten scheint (wie oben erwähnt) der Raum des Milieus dazu am geeignetesten.55 Die dramatische Handlung wird inhaltlich in der Regel zugunsten eben dieser Milieudarstellung reduziert, wobei der Zustand bzw. seine Beschreibung die Tat ersetzt. Dabei werden vor allem die Verhältnisse thematisch und aus systemlogi- schen Gründen als bedrückende Last vorgeführt, was gleichzeitig aber auch die Gefahr der Einschränkung der Handlung in sich birgt.56 Der Handlungsablauf gerät immer wieder ins Stocken: Nicht die Handlung als solche gilt als Hauptsache, sondern die genaue Erfassung eines Zustandes und die Darstellung der Charaktere. Es kommt darauf an, die Abhängigkeit der Charaktere von ihrer Umwelt herauszuarbeiten, wobei ein großer Wert auf die Echtheit des Milieus gelegt wird und das Detail in diesem Sinne zunehmend an Bedeutung gewinnt.57 Auch die traditionellen selbstmächtigen Helden entfallen im naturalistischen Drama. Ihre Darstellung verbietet sich durch die Kräfteverhältnisse der Triebe zu den sozialen Bedingungen praktisch von selbst. Der frühere Held wird zur bloßen Hauptperson, wenn nicht sogar zum Opfer degradiert.58

Auf der thematischen Ebene geht es im naturalistischen Drama - in der Realität des Milieus - um den alltäglichen Kampf ums Dasein. Dieser spielt sich aller- dings nicht zwischen Charakteren ab, sondern er stellt eher die Auseinanderset- zung des Menschen mit den naturgesetzlich verfaßten, natürlichen und gesell- schaftlichen Verhältnissen dar, von denen auch er ein Teil ist.59 Die zum Sujet des Dramas erklärten Personen sind sowohl durch das soziale Milieu als auch durch die biologischen Faktoren von Trieb und Vererbung bestimmt. „Insbesondere das soziale Umfeld wird als die den Menschen prägende Dimension herausgestellt.“60

Faßt man die oben erläuterten Punkte zusammen, so fällt eine gewisse ‚Episierung’ des Dramas auf:

„Das gleichförmige Wirken der Naturgesetze, die Vorführung von dramatis personae als Verkörperung von Milieuabhängigkeiten und Vererbungsgesetzen und die Verkümmerung der Handlung führen zu einer naturalistischen ‚Episierung’ des Dramas.“61

Um diese epische Dimension in eine zwischenmenschliche Aktualität zu über- führen, muß vom Dramatiker eine die Zustände vergegenwärtigende Handlung erfunden werden. Eine dramatische Lösung bzw. Milderung bietet dabei der soge- nannte ‚Bote aus der Fremde’. Diese Kunstfigur ist im Grunde der Vermittler zwi- schen der dargestellten, durch Zustandsschilderungen zumeist undramatisch ge- wordenen und der umgebenen Welt. Er zwingt sozusagen die epischen Zustände zur Darstellung.62

Für die Auswahl der handelnden Personen gilt der Grundsatz, daß sie geeignete Demonstrativobjekte für den Nachweis des Milieus oder der Entwicklung sein müssen. Das setzt voraus, daß sie in ihrem Habitus, ihrer Gestik und vor allem in ihrer Sprache genügend Merkmale für die entsprechende Zuordnung in die Mi- lieu-Verhältnisse aufweisen.63 Die Sprache spielt dabei eine besonders wichtige Rolle. In ihr findet sich ein dominantes Darstellungsmittel, denn durch sie, aber auch durch Gestik und Gebärden, gelangt das Leben unmittelbar zum Ausdruck. In den naturalistischen Dramen wird deshalb die ‚Alltagssprache’, das heißt, die natürliche, ‚normale’ Sprache eingesetzt, wobei fast alle Sprachebenen aufgegrif- fen werden. So reicht die Sprachvielfalt von der Hochsprache bis hin zum Dialekt bzw. Soziolekt, immer dem Sprachniveau der jeweiligen Person entsprechend. Schließlich geht es den Naturalisten um die Darstellung des konkreten, alltägli- chen Lebens und seiner sozialen Realität, die ihrer Ansicht nach nur so zum Aus- druck gebracht werden kann.64

Durch die Sprachvielfalt und die Einführung der ‚Sprache des kleinen Mannes’, des Dialekts, ist der Schauspieler gezwungen, eine Figur aus der Sprache heraus aufzubauen, wobei er im selben Zug zu einem ganz neuen und anderen Maß des stummen Spiels veranlagt wird. Nun muß er auch auf der Bühne konzentriert prä- sent sein, wenn er keinen Text hat65 - jede noch so kleine Bewegung oder Mimik muß als realistisch und in den Kontext gehörend angesehen werden können. Der Monolog entfällt ganz, und jede Unnatürlichkeit wird vermieden. Zudem muß der Schauspieler auf alles theatralische verzichten und das sonst gewohnte, betont künstlerische Schauspieltalent bewußt zurückdrängen. Die Hauptdarsteller domi- nieren auf der Bühne nicht mehr, sondern sie sind statt dessen stärker als zuvor ein Teil des Ganzen.66

Hinzu kommt, daß sich die Schauspieler aber auch der Spielleiter im naturalisti- schen Drama mehr als zuvor an die sehr detaillierten Autorenanmerkungen im Stück halten müssen. Diese ausführlichen szenischen Anmerkungen sind ebenfalls ein Novum und bieten dem Regisseur eine Menge zu beachtender Einzelheiten bei der Darstellung.67 Sie legen teilweise sogar die Sprechweise und die Art der Be- wegungen fest, die ein Schauspieler zu machen hat.68 Zu Problemen führen diese genauen Angaben vor allem in bezug auf die Raumgestaltung auf der Bühne. Vie- le Autoren scheinen die Begrenztheit einer Theaterbühne nicht bedacht zu haben und stellen die Regisseure somit oft vor kaum zu lösende Aufgaben. Die einzige Erleichterung für die Bühnenkonzeption besteht darin, daß der Ort der Handlung in naturalistischen Dramen vorwiegend in Innenräumen zu finden ist. Allerdings gibt hier die oft vorkommende niedrige Zimmerdecke neue Probleme auf.69 Es darf aber auch nicht außer Acht gelassen werden, daß die möglichst vollständige Wiedergabe des darzustellenden Wirklichkeitsausschnitts nicht nur das Ziel des Autors, sondern auch das des Spielleiters der naturalistischen Epoche ist. „Die Bühne soll vom Zuschauer als reale Umwelt erlebt werden und zur Herstellung der geforderten Stimmung beitragen.“70

Es wird nicht mehr die Illusion einer anderen Welt angestrebt und die Aufführung soll nicht mehr den Eindruck eines ‚Spiels’ erwecken. Statt dessen sind die Vor- gänge auf der Bühne mehr auf sich selber bezogen.71 Hier kommt das Prinzip der ‚Guckkastenbühne’ zum Tragen. Im Zuschauer wird das Gefühl erzeugt, daß er einer unabhängigen Wirklichkeit beiwohnt, und ihr - wie ein Voyeur, der durch die Wand späht - durch eine fiktive ‚vierte Wand’ zuschaut.72 Das Publikum soll dadurch zur Auseinandersetzung mit seinen eigenen Problemen gezwungen wer- den.73

Das oben Ausgeführte stellt sozusagen die ‚Ideallösung’ des naturalistischen Be- strebens dar. Tatsächlich gibt es aber nur „eine generelle Tendenz zur Nachah- mung der epischen Realität.“74 Vielmehr kommt es bei den Dramatikern zu indi- viduellen Ausprägungen dieses naturalistischen Prinzips, wobei sich diese in ver- schiedene Haupttypen unterteilen lassen. So gibt es zum Beispiel das sozialkriti- sche Drama, „das mit moralischen Engagement gesellschaftliche Mißstände gei- ßelt (Zola), das soziale Milieudrama, das eine Symptombeschreibung der desola- ten Situation des Proletariats und des Kleinbürgertums bietet (Hauptmann), das gesellschaftskritische Tendenzdrama, [...] das religiöse Wandlungsdrama, [...] das psychologische Enthüllungsdrama [und schließlich] den konsequenten Naturalis- mus“ von Arno Holz.75

Durch das Streben der Naturalisten nach einer Nachahmung der konkreten Wirklichkeit entsteht eine neue theatralische Gestaltungsform, deren Konzeption grundlegend für die Weiterentwicklung der realistischen Darstellungsform verantwortlich ist. Besonders das naturalistische Drama leistet einen bedeutenden Beitrag zur Entwicklung des modernen Theaters.76

2.3 Die neue Form des Theaters

Die Bühnendichtung der vornaturalistischen Epoche ist durch Konventionalismus und Epigonenstreben geprägt. Die Schauspielkunst erreicht aufgrund des ‚hohlen Pathos' und des in Konvention erstarrten Deklamierens einen Tiefpunkt - das deutsche Theater des Wilhelminischen Zeitalters stagniert.77 Ende der 1880er Jah- re ist der absolute Tiefstand der Bühnenkunst erreicht und überall herrscht das Bourgeoisietheater mit seiner Vorliebe für anspruchslose Farcen und frivole Bou- levardstücke vor. Auch sind die Bühnen im späten 19. Jahrhundert, was den Spielplan und die Darbietungen angeht, als wirtschaftliche Unternehmen weitest- gehend von den Wünschen ihrer Klientel (dem breiten Bürgertum) abhängig, nach denen sie sich richten müssen.78 Darüber hinaus herrscht eine polizeiliche Präventivzensur vor, und alle Theaterstücke, die öffentlich aufgeführt werden sollen, müssen vorab von der Zensurbehörde genehmigt werden. Dementsprechend wollen bzw. dürfen die öffentlichen Bühnen Stücke, die sich deutlich gegen die Moral und Position der staatstragenden Schichten stellen, nicht aufführen. Auch die naturalistischen Dramen werden noch weitestgehend von der Bühne verbannt und neue Stücke von Autoren des Naturalismus wie Gerhart Hauptmann, Arno Holz und Johannes Schlaf nicht in den Spielplan aufgenommen.79

2.3.1 Die Freie Bühne

Als Protest gegen die behördliche Bevormundung und um die Einwirkung der polizeilichen Zensur zu vermeiden, gründen einige Naturalisten 1889 in Berlin den Verein Freie Bühne.80 Am 05. März setzt sich eine Gruppe von zehn Schrift- stellern und Kritikern zusammen, unter ihnen Theodor Wolff, Maximilian Harden, Paul Schlenther, Otto Brahm und die Gebrüder Hart, um ein Forum für das neue, moderne Drama zu finden. In ihrem Programm, abgedruckt in der Nationalzeitung vom 30.09.1889, heißt es:

„Befreit von den Rücksichten des täglichen Theaterbetriebes wollen wir der stockenden Entwicklung des deutschen Dramas frische Impulse zuführen durch die dramatische Verwicklung einer neuen Kunst. Den Sieg, den mo- derne Anschauungen ... über das Schablonenhafte und die leere Routine be- reits gewonnen haben, wollen wir auch auf dem Theater erringen helfen, und den großen Vertretern realistischer Kunst bei den fremden Nationen wollen wir die Versuche der Deutschen wagend beigesellen. Wir binden uns an kei- ne ästhetische Theorie und schwören auf kein Programm, sondern wir heißen alles willkommen, was frei und groß und lebendig ist, nur das Werk der er- starrten Form bleibe uns fern, das Produkt der Berechnung und der Konven- tion.“81

Um den Zensurbehörden entgehen zu können, wird die Freie Bühne als ein priva- ter Theaterverein gegründet - es handelt sich also nach außen hin nicht um eine öffentliche Institution, so daß auch von der Zensur nicht freigegebene Werke auf- geführt werden können. Zudem entfallen durch den Vereinsstatus die bei den öf- fentlichen Theatern die Aufführungspraxis bestimmenden kommerziellen Überle- gungen, was den Weg frei für eine neue Spielplangestaltung macht.82 Die Freie Bühne finanziert sich durch ihre Mitglieder, die sich in passive (oder einfache) und in zehn aktive Mitglieder (oder Vorstandsmitglieder, ursprünglich die zehn Gründer) unterteilen. Die aktiven Mitglieder, also der Vorstand, sind mit den geschäftlichen und künstlerischen Bestimmungsrechten betraut, wohingegen die passiven Mitglieder weder ein Mitbestimmungsrecht noch irgendeine Mög- lichkeit zur Einflußnahme in bezug auf die Programmgestaltung haben. Sie zahlen lediglich einen festgesetzten Beitrag, für den sie jährlich zehn Theatervorstellun- gen besuchen können.83 Dabei handelt es sich um Einheitspreise. Die Sitzplätze werden per Losentscheid vergeben - auch wenn die Mehrheit der Mitglieder dabei das bürgerliche Publikum stellt.

Otto Brahm, Theaterkritiker und einer der Gründungsväter der Freien Bühne, wird zum ersten Präsidenten bzw. Spielleiter des Vereins gewählt.84 Sein Programm ist durch die Stellungnahme gegen das Virtuosentum und Schablonenhafte, aber auch durch sein unbedingtes Wahrheitsstreben geprägt und der Spielplan am modernen Dramenschaffen ausgerichtet.85 Kennzeichnend ist weiterhin, daß die Freie Bühne ausschließlich Uraufführungen und deutsche Erstaufführungen in ihr Programm aufnimmt und somit im Grunde auch eine Art Versuchsbühne darstellt.86

Den „Signalschuß der neuen deutschen Kunst“87 gibt die Uraufführung von Vor Sonnenaufgang (das Erstlingswerk Gerhart Hauptmanns) am 20. Oktober 1889.

Es markiert die eigentliche Geburtsstunde der Freien Bühne und des naturalistischen Theaters in Deutschland und zählt gleichzeitig zu einem der größten Erfolge der Bühne.88 Im weiteren kommt es zu Aufführungen von deutschen aber auch internationalen naturalistischen Dramatikern wie Leon N. Tolstoi, Arno Holz und Johannis Schlaf, Georg Hirschfeld oder Otto Erich Hartleben.89 Insgesamt werden zwanzig verschiedene Autoren auf der Freien Bühne vorgestellt.

Ferner hat die Freie Bühne kein eigenes ständiges Theaterhaus, sondern mietet sich in reguläre Häuser ein, und nutzt auch deren Bühnentechnik. Zudem engagiert der Verein von Beginn an Berufsschauspieler, um die Sicherung eines Publikums zu gewährleisten.90

Doch der Erfolg der Freien Bühne und ihren Aufführungen von naturalistischen Stücken bedingt gleichzeitig auch ihren Untergang als Privatbühne. Es dauert nicht lange, bis die erfolgreichen Dramen (trotz Zensur) ihren Weg zu den öffent- lichen Bühnen finden, da der Zensurbehörde mittlerweile viel Macht genommen wurde.91 Die Freie Bühne sieht sich dennoch als Sieger und Otto Brahm kann laut Edward Mc Innes „mit Genugtuung behaupten, daß die Entwicklung, die von [der Freien Büh- ne] in Gang gesetzt wurde, zur völligen Umbildung des deutschen Spielplans geführt habe. [...] Gleichzeitig [kann] Brahm auch behaupten, daß die Insze- nierungs- und Darstellungsmethoden des Naturalismus, wie er sie in der Freien Bühne entwickelt [hat], die Kunst des Schauspielers derart vertieft und verfeinert [haben], daß sie eine anhaltende Nachwirkung auf das ganze Theater in Deutschland ausübten.“92

Die bahnbrechenden Erfolge der Freien Bühne haben ferner zahlreiche Theaterneugründungen zur Folge. So entsteht 1890 die Deutsche Bühne, dessen leitende Kräfte unter anderem die Gebrüder Hart, Karl Bleibtreu und Conrad Alberti sind, und die Freie Volksbühne, gegründet von Bruno Wille.93

2.3.2 Die Freie Volksbühne

Sigfrid Hoefert sieht in der Ausweitung des allgemeinen Theaterinteresses und in der Förderung des naturalistischen Dramas - besonders durch die Freie Bühne - ein wesentliches Moment, das zur Gründung der Freien Volksbühne beigetragen hat.94 Der eigentliche Anlaß, der Bruno Wille zur Gründung einer neuen Theater- bühne in Berlin bewegt, ist aber wohl ein anderer. Für ihn steht die Freie Volks- bühne nicht in Konkurrenz zur Freien Bühne, sondern sie dient als ‚Erweiterung nach unten’. Wie oben erwähnt, stammt der größte Teil der Mitglieder der Freien Bühne aus dem Bürgertum - hauptsächlich aufgrund der immer noch teuren Ein- trittspreise bzw. Mitgliederbeiträge. Die Freie Volksbühne hat sich als Ziel ge- setzt, auch den ärmsten Volksschichten, besonders den Arbeitern, das Theater zugänglich zu machen, indem sie niedrige Beiträge verlangt (monatlich 50 Pfen- nig) und die Aufführungen auf den Sonntagnachmittag verlegt (der einzige freie Tag für die Arbeiter). Das demokratische Prinzip der Freien Bühne über den Ein- heitspreis und den Losentscheid über die Sitzverteilung übernimmt sie. Die Freie Volksbühne hat in bezug auf das Organisatorische das selbe Prinzip wie die Freie Bühne. Allerdings setzt sie sich in erster Linie kultur-missionarische Ziele, denn neben naturalistischen Dramen werden auch Klassiker in Hinblick auf das ‚Nach- holbedürfnis’ der unterprivilegierten Klassen gespielt.95

Doch der Versuch, ein Theater für die Arbeiterbewegung zu organisieren, schei- tert bald. In der Freien Volksbühne sind es die Sozialdemokraten, welche die Mehrheit der Mitglieder im Verein bilden. So übt die sozialdemokratische Partei einen starken Einfluß auf die Spielplangestaltung aus. Parteipolitische Erwägun- gen führen schließlich 1892 zum Bruch zwischen den Sozialdemokraten und den Schriftstellern um Bruno Wille. Das Resultat ist die Gründung der Neuen Freien Volksbühne, abermals durch Bruno Wille sowie einigen anderen ‚parteiunabhän- gigen’ Sozialisten. Sie unterscheidet sich von der Freien Volksbühne hauptsäch- lich durch die weniger tendenziöse Gestaltung des Programms. Zudem kommen das Publikum bzw. die Mitglieder vorwiegend aus dem Bürgertum.96 Nachdem Bruno Wille als Leiter der Freien Volksbühne ausscheidet, übernimmt Franz Meh- ring die Führung. Unter ihm wird die Volksbühne zu dem bedeutendsten kulturpolitischen Organ im Emanzipationskampf der Arbeiterklasse.97

1896 kommt es schließlich zur Auflösung beider Bühnen, da weder die Freie Volksbühne noch die Neue Freie Volksbühne länger von der Polizeibehörde und den Gerichten toleriert wird. Ein Jahr später findet eine Wiedergründung statt, wobei die Neue Freie Volksbühne die Führung der Freien Volksbühne über- nimmt.98

3. Kitsch und Sentimentalität - von der Entstehung und Bedeutung der Begriffe mit einem Exkurs in die Kitsch- Diskussion

3.1 Als Kitsch zu Kitsch wurde - Aufkommen, Etymologie und Geschichte des Begriffs

Die Bestimmung von Herkunft und Geschichte des Begriffs Kitsch ist bis heute umstritten bzw. ungeklärt. So liest man in bezug auf das erste Erscheinen des Wortes im Etymologischen Wörterbuch der Deutschen Sprache, daß der Begriff „[u]m 1870 [...] aufgekommen“ ist99, wohingegen das Deutsche Wörterbuch von einem ersten Erscheinen 1881 in Berlin spricht.100 Andere enthalten sich einer genaueren zeitlichen oder örtlichen Bestimmung ganz und belassen es bei der Aussage, daß der Begriff „seit dem letzten Viertel des 19. Jahrhunderts bekannt“ ist.101 Im Gegensatz dazu herrscht relative Einigkeit darüber, daß der Kitsch- begriff zuerst in Kunstkreisen aufkommt. Hier steht er als Ausdruck für „senti- mentale Scheinkunst“ und „Schund“102 in der Malerei, als sich „die Nachfrage nach billigen, sentimentalen ‚soßig braunen’ Modebildern häuft[].“103

Auch die Etymologie des Wortes ist unklar. Es gibt mehrere unterschiedliche An- sätze einer Herleitung, von denen ich die zwei verbreitetesten anführen möchte.104 So wird vielfach versucht, Kitsch über den englischen Begriff ,sketch‘ für Skizze und flüchtige Malerei herzuleiten.105 Für wahrscheinlicher halten einige aber eine Verbindung zum deutschen mundartlichen Wort ,kitschen‘, welches für ,Straßenschlamm zusammenscharren‘, ,flitzen‘ oder ,zusammenstreichen‘ steht.106 Zudem ist man sich über die Geschichte und die Entstehung des Phänomens Kitsch in der wissenschaftlichen Sekundärliteratur nicht einig. So ist Kitsch laut Abraham A. Mole „ein Phänomen, das zu allen Zeiten in allen Künsten vor- kommt.“107 Dagegen setzt Hans-Dieter Gelfert die These, daß die europäische Kultur bis zur Renaissance nichts aufweist, was dem heutigen Kitsch gleich- kommt. Erst in der Hochrenaissance findet er seinen Einzug in die Gesellschaft und gelangt im 18. Jahrhundert zu seinem ersten Höhepunkt, welcher in einem engen Zusammenhang mit dem Aufstieg und dem Lebensstil der bürgerlichen Klassen steht.108 Hans-Edwin Friedrich betont, daß die Epoche der Empfindsam- keit diejenige ist, „vor der Kitsch nicht möglich gewesen sei. Sie entwickelt[] Se- mantisierungen von Gefühlen, die später als Domäne des Kitsches betrachtet w[e]rden.“109

Der überwiegende Teil der Forschungsliteratur legt die Geburtsstunde des Kit- sches und seiner ästhetischen Kritik ins 18. Jahrhundert, so auch Wolfgang Braungart, der im weiteren „[d]ie Entstehung des Kitsches [...] mit der einsetzen- den Industrialisierung zusammen[bringt]“.110 Braungart geht davon aus, daß die Konsequenzen für die kulturelle Entwicklung bereits in der Anfangsphase wahr- genommen werden. Mit der industriellen Revolution werden die kleinbürgerlichen Schichten, aber auch die industrielle Arbeiterschaft die neuen Konsumenten von Kitsch.

„Die Entwicklung und Verbreitung von Kitscherzeugnissen wird in Zusam- menhang gebracht mit seiner serienmäßigen Produktion, der Entstehung neuer industrieller Herstellungs- und Reproduktionsverfahren, die die mas- senhafte Verbreitung und Kolportierung von ästhetischen Erzeugnissen er- möglichte.“111

Geographisch gesehen hat der Kitsch seinen Ursprung in Mitteleuropa, insbesondere in Süddeutschland - nach Moles die Heimat des Gemütlichen und Heimeligen. Aber auch das ‚Frankreich der Jahrhundertwende’ und das ‚Amerika der Neureichen’, vor allem Chicago, werden genannt. Von dort aus breitet sich das Phänomen Kitsch wellenartig aus.112

Besonders in der Literatur, sowohl in ‚hoher’ als auch in ‚niedriger’ (im 18. Jahr- hundert nimmt auch die Trivialliteratur ihren Anfang), spielt der oben erwähnte einsetzende bürgerliche Kult der Gefühle und Empfindsamkeiten, mit dem auch der Kitsch einsetzt, eine wichtige Rolle.113 Die gefühlsbetonte geistige und litera- rische Strömung der Empfindsamkeit in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wird vom Kanon der Forschungsliteratur als die ‚Wiege des literarischen Kit- sches’ angesehen.114 Dabei wird Mackenzies The Man of Feeling (1771; Der Mann von Gefühl)115 gerne als Beleg für inhaltlichen Kitsch genommen. Auch in den Werken berühmter deutschsprachiger Dichter lassen sich wenig später Ansät- ze von Kitsch finden. Mit Kleists Hermannschlacht 116 setzt zum Beispiel die lan- ge Tradition des patriotischen Kitsches in Deutschland ein. Weitere Beispiele sind Grillparzers Ahnfrau 117 und Heinrich Claurens Mimili 118, beide aus dem Jahr 1816.119 Vor allem aber die im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts entstehende Massenliteratur provoziert die Erscheinung des literarischen Kitsches und damit eine Tradition der Abwertung, durch die sich überhaupt erst die Traditionsbildung der Trivialliteratur begründen kann.120

Den Beginn seiner ‚Karriere’ als allgemein gebräuchlichen Begriff hat der Kitsch wahrscheinlich der 1909 im Stuttgarter Landesmuseum von Gustav Edmund Pa- zaurek eröffneten Exposition Geschmacksverwirrungen im Kunstgewerbe zu ver- danken. Hier findet er zum ersten Mal als kunstkritischer Terminus größere Verbreitung.121

Zwischen 1910 und 1920 wird der Begriff neben der Kunst und dem Kunstgewerbe bereits auf Phänomene der Massenkultur, Lebensbeziehungen aber auch schon auf die Literatur angewendet. Der unausgeführte Stückplan Kitsch von Frank Wedekind 1917 gilt als Indiz hierfür.122

In den 1920er Jahren, in denen auch die Kitsch-Diskussion ihren Ursprung hat, etabliert sich Kitsch im Wortgebrauch als Konkurrenz- oder ergänzender Begriff zu ‚Schund’ und ‚Schmutz’. Und ein Jahrzehnt später, in der zweiten Hälfte der 1930er Jahre, avanciert er schließlich zum Allerweltsschlagwort.123 Kitsch wurde und wird schließlich im Volksmund für die unterschiedlichsten Sa- chen verwendet. „Der Begriff Kitsch ist wie aus Gummi. Er ist dehnbar und also unklar an Gestalt und Umfang. Sicher wird das Wort gerade darum mit Vorliebe gebraucht, denn jeder meint damit etwas anderes“.124 Das Kitschrepertoire geht vom Elchskopf über dem Sofa über Courths-Maler-Romane bis hin zum Medium Film oder dem allgemeinen Lebensgefühl. Dieses augenscheinliche Definitions- problem ist es auch, das die gesamte Geschichte der Kitsch-Diskussion charakte- risiert, auf die im folgenden genauer eingegangen werden soll.

3.2 Jedem einleuchtend und doch undefinierbar - ein Einblick in die Kitsch-Diskussion

3.2.1 Die Geschichte einer Diskussion - ausgewählte, prägende Theorien und Ansichten zum Kitsch im 20. Jahrhundert

„Jedermann weiß, was Kitsch ist, und niemand kann eine präzise Deutung darüber geben.“125

Wie im vorigen Kapitel erwähnt, spiegelt sich schon in den Anfängen der Geschichte des Kitsches sein größtes Problem wider: seine Undefinierbarkeit. Dieses Definitionsproblem zieht sich wie ein roter Faden durch die gesamte Geschichte der Kitsch-Diskussion und brachte bis heute unzählige Bestimmungsansätze und Thesen über den Kitsch hervor. Auf einige der markantesten und populärsten Ansätze soll in diesem Kapitel eingegangen werden.

Die ersten essayistischen, kulturkritischen und kulturpolitischen Stellungnahmen finden sich bereits in den 1920er Jahren.126 Ferner setzen um diese Zeit Bemühungen einer Abgrenzung von Kitsch zur Kunst ein - eines der dominantesten Themen in der späteren Diskussion.127

Die erste eigens dem Kitsch gewidmete Studie und gleichzeitig das erste Eingeständnis seines Definitionsproblems erscheint 1925 mit Fritz Karpfens Monographie Der Kitsch. Eine Studieüber die Entartung der Kunst. Karpfen begreift zudem als erster den Kitsch als vollwertigen Oppositionsbegriff zur Kunst128: „Der Weg der Kunst führt vom Grenzenlosen ins Grenzenlose; und der Kitsch, der treueste Begleiter der Kunst in allen Zeitaltern, ist immer erst dann zu erkennen, wenn die Kunst durch ihn entartet ist.“129

In den darauffolgenden Jahren wird Kitsch immer mehr als Gegenbegriff zur Kunst verstanden, bis er ihr schließlich 1930 in einer unangefochtenen Opposition gegenübersteht.130

Den ersten einflußreichen Versuch einer begrifflichen Fixierung von Kitsch un- ternimmt Hermann Broch.131 In seinen Essays wie Das Weltbild des Romans 132 und Das Böse im Wertesystem der Kunst133 , beide aus dem Jahr 1933, präsentiert er den Kitsch als theoretisch fundierten Begriff seiner in eine fragmentarische Wertphilosophie integrierten Ästhetik. Für ihn bzw. innerhalb seiner Theorie der Wertesysteme fungiert der Kitsch als (opponierendes) Imitationssystem im Werte- system der Kunst.134 „Denn der Kitsch ist das Böse an sich innerhalb der Kunst.“135 Eine kurze Vorstellung seines Diskussionsansatzes soll im folgenden anhand seines 1950 resümierten und überarbeiteten Essays Einige Bemerkungen zum Problem des Kitsches 136 durchgeführt werden.

Nach Broch entsteht das Problem des Kitsches mit der Romantik und ihrem Anspruch, Schönheit darstellen zu wollen.137 Allerdings gesteht er dem Kitsch, im Gegensatz zur Romantik, einen Mittelwert zu und unterteilt ihn in schlechten, guten und genialen Kitsch.138

Broch setzt den Kitsch jedoch nicht einfach mit ‚schlechter Kunst’ gleich, sondern der Kitsch bildet „ein eigenes, und zwar geschlossenes System, das wie ein Fremdkörper im Gesamtsystem der Kunst sitzt oder [...] neben ihm sich befin- det.“139 Es ist ein Imitationssystem, das dem System der Kunst aufs Haar gleichen kann - nur daß es andere Werte hat. So geht es beim Kitsch um die Schönheit, während die Kunst die Qualität in den Vordergrund stellt: „[D]as Kitsch-System verlangt von seinen Anhängern ‚Arbeite schön’, während das System der Kunst das ethische ‚Arbeite gut’ an seine Spitze gestellt hat.“140 Broch sieht in der Ver- mischung des Ethischen mit dem Ästhetischen das Wesen des Kitsches, wobei der Kitsch-Begriff für ihn deutlich negativ belastet ist. Dies bringt er in einem seiner zentralen (und wohl auch meistzitierten) Sätze zum Ausdruck: „Der Kitsch ist das Böse im Wertesystem der Kunst.“141

Ein weiterer zentraler Aspekt, der erst in seinen Ausarbeitungen von 1950 hinzu- kommt ist, ist sein Konstrukt des Kitsch-Menschen. Für Broch kann Kitsch nur durch die Existenz eines solchen Kitsch-Menschen ent- und bestehen, da dieser den Kitsch liebt, ihn als Kunstproduzent erzeugen will und als Kunstkonsument kaufen möchte.142

Brochs theoretischer Ansatz beherrscht einen Großteil der sich manifestierenden Diskussion.143 Auch Ludwig Giesz knüpft mit seiner Phä nomenologie des Kit sches 144 an diesen Diskussionsansatz an.

Giesz beschäftigt sich mit dem Kitsch aus der Perspektive einer ‚Ästhetik von unten’ und setzt dabei bei der ästhetischen Wahrnehmung an. Er stellt den Kitsch und seine Realisierung in eine Subjekt-Objekt-Beziehung, „in der sowohl Kunst kitschig wie auch Kitsch als Kunst angeeignet werden kann.“145

„Die Kitschigkeit der Kitschgegenstände wird gewissermaßen hergeleitet vom kitschigen Erleben selbst, das als latente Möglichkeit stets zur Stelle ist. Die objektive Qualifikation eines Dinges als Kitsch setzt bestimmte Bewußtseinsverfassungen voraus, denen unsere Aufmerksamkeit gilt.“146

Bei dem ‚Erleben von Kitsch’ spielt für Giesz die Genüßlichkeit eine wesentliche Rolle. Sie bemächtigt sich sowohl der Kitschobjekte als auch der Kunst.147 In be- zug darauf untersucht Giesz in seiner Arbeit drei verschiedene Arten von Genuß: den reinen oder puren Genuß, den ästhetischen Genuß und den Kitschgenuß. Der pure Genuß ist allein auf den zu genießenden Gegenstand („Genußgegenstand“) bezogen und wird in einer gewissen Isolation genossen. Beim ästhetischen Genuß wird diese Privatheit des Genießens beeinträchtigt bis aufgehoben, da er Stellung zum Genußobjekt nimmt und durch sein reflektiertes Wohlgefallen am Objekt eine Distanz zwischen diesem und dem Genießenden schafft. Der Genußge- genstand emanzipiert sich und wird zum eigentlichen ästhetischen Gegenstand. Während beim puren Genuß das Genußobjekt dominiert, herrscht beim ästhetischen Genuß das Bewußtsein vor.148 Der Kitschgenuß steht im Grunde zwischen diesen beiden definierten Genüssen:

„Weder die Transzendenz eigentlich ästhetischen Genießens noch die Immanenz puren Genusses wird intendiert, sondern ein ambivalenter Zwischenzustand des ‚halb zog sie ihn, halb sank er hin’, wobei wir noch hinzufügen möchten: halb ließ er sich hinsinken.“149

Kitschgenuß ist laut Giesz „Selbstgenuß, in dem der rein [...] Genießende sich als Genießenden genießt.“150 Hier dominiert das Genießen, auf das Genußobjekt und Bewußtsein zurückbezogen sind. Dementsprechend ist auch der Kitsch „objekti- vierter Selbstgenuß bzw. an Kitschobjekten mobilisierter (aktiver) Selbstge- nuß.“151

Schließlich greift Giesz noch einmal Brochs Theorie des Kitsch-Menschen auf, indem er davon ausgeht, daß der kitschige Zustand kein pures Naturphänomen ist, sondern vielmehr in den Bereich der menschlichen Freiheit gehört. Dabei spricht er vom „ganzen Menschen, dem Kitsch nicht bloß passiert, widerfährt, begegnet, sondern der sich (frei) als Kitsch-Mensch ‚wählt’.“152

Hermann Broch und Ludwig Giesz sind wohl als richtungsweisend in bezug auf ihren kulturphilosophischen bzw. anthropologischen Ansatz in der Kitschdiskus- sion zu werten, an denen später zum Beispiel Gillo Dorfles153 oder Abraham A. Moles anknüpfen.

Auf dem Gebiet der Literaturwissenschaft beginnt die eigentliche Forschungsgeschichte mit Walter Killys Deutscher Kitsch. Killy betrachtet den Kitsch als objektives Phänomen und versucht ihn, im Zuge der Ausdehnung des Gegenstandsbereichs der Literaturwissenschaft auf ‚minderwertige’ Literatur, als literaturwissenschaftlichen Terminus zu definieren und zu etablieren.154

Ihren Höhepunkt erreicht die Diskussion in den 1960er und 1970er Jahren, wobei die meisten Ansätze aufgrund der begrifflichen Unstimmigkeiten eine Ablehnung gegenüber dem Kitsch vermitteln. Während Kitsch in den 1970er Jahren vor allem ideologiekritisch und literatursoziologisch untersucht wird,155 wird er seit 1980 auch vereinzelt in kunstwissenschaftlichen Arbeiten diskutiert.156 Und schließlich ist der Kitsch „nur noch ein Farbtupfer im bunten Teppich der Multi-Kultur [und] die Grenzen zwischen Kunst, Kitsch und unkitschiger Pop-Kultur verschw[i]mmen [...] immer mehr.“157

3.2.2 Die Wende? Aktuelle Standpunkte zum Thema

Nachdem ich im vorigen versucht habe, die Geschichte der Kitsch-Diskussion ansatzweise und anhand ausgesuchter Beispiele nachzuzeichnen, möchte ich im folgenden drei - zumindest zeitlich - neuere Standpunkte bzw. Ansatzpunkte der Diskussion vorstellen.

In seinem Buch Was ist Kitsch? bezeichnet Hans-Dieter Gelfert den Kitsch als „eine Art Brackwasserzone, in der sich das Ethische mit dem Ästhetischen vermischt.“158 Er ist im weiteren der Ansicht, daß Kitsch nicht einfach mit unvollkommener Kunst gleichgesetzt werden darf. Wirkt diese dennoch kitschig, so rührt das „von der Verwendung handwerklicher Versatzstücke der echten Kunst in trivialisierter Form, was dem empfindlichen Rezipienten das Gefühl gibt, dass sein Urteil bestochen werden soll.“159 Auch die Imitation ist seiner Meinung nach nicht die eigentliche Ursache von Kitsch, sondern sie wird erst kitschig, „wenn ein Künstler sich der anspruchsvollen Kunstmittel eines Meisters bedient und damit etwas ausdrückt, was dem Anspruch nicht genügt.“160

Der Kitsch liegt nicht in der mangelnden, sondern in der vorgetäuschten Qualität und dementsprechend ist der Ort des Kitsches nicht die Ebene des künstlerischen Handwerks, sondern die der dahinter liegenden Intention.161 Ferner stellt Gelfert die These auf, daß Kitsch immer in guter Absicht produziert wird. Das Kitschige liegt dabei „in der ehrlich gemeinten Doppelzüngigkeit einer mit ästhetischem

Zuckerguß überzogenen ethischen Botschaft, wobei entweder die Botschaft durch den süßlichen Geschmack oder der süßliche Geschmack durch die Botschaft ge- adelt werden soll.“162 Daraus ergeben sich für Gelfert zwei Grundformen von Kitsch: der Form- und der Stoffkitsch. Beim Formkitsch stellt die formale Intenti- on einen höheren Anspruch, als die inhaltliche tatsächlich einlöst. Dies wird oft als ‚schwulstig’ empfunden. Beim Stoffkitsch ist der inhaltliche Anspruch hinge- gen höher als die Form bewältigt, was dann ‚schmalzig’ wirkt.163 Zu diesen zwei Grundformen stellt Gelfert noch eine dritte Kategorie: die Kitschkunst. Bei ihr stellen Form und Stoff zwar einen gleich hohen Anspruch, sprechen aber nicht ‚mit einer Zunge’ - sie bilden sozusagen eine Symbiose von Kunst und Kitsch.164 Um das Wesen des Kitsches definieren zu können, hat Gelfert ihn ferner in 18 unterschiedliche Standarttypen eingeteilt.165 Als Ergebnis stellt er im Anschluß fest, daß das Wesen des Kitsches durch drei psychologische Kategorien bestimmt ist. Als erstes führt er die Regression an, in die sich der Konsument fallen lassen kann, „denn sie biete[t] [...] die Möglichkeit, vor den Anforderungen der Realität auszuweichen und sich in eine schönere, einfachere, weniger entfremdete, kurz, in eine kindliche Welt zurückfallen zu lassen.“166 Als zweites nennt Gelfert die Pro- jektion. Hierbei projiziert der Rezipient in der Realität schwer bis gar nicht zu befriedigende Wünsche auf Autoritäten, die sie stellvertretend ausleben.167 An dritter Stelle setzt er die Fixierung oder auch Verabsolutierung, „da Kitsch immer dort auftritt, wo es um rational schwer kontrollierbare Bindungen geht.“168

Abschließend stellt Gelfert noch einmal den Unterschied in der Wahrnehmung von Kitsch und Kunst heraus: Während die Kunst eine befreiende und aufklärende Wirkung hat, macht der Kitsch geistig faul und träge.169

[...]


1 Rezension zu Georg Hirschfelds Drama Die Mütter. In: National-Zeitung vom 14. 5. 1895. Zit. n. Gernot Schley: Die Freie Bühne in Berlin. Der Vorläufer der Volksbühnenbewegung. Ein Beitrag zur Theatergeschichte in Deutschland. Berlin: Haude & Spener1967.

2 Helmut Koopmann: Naturalismus und Sentimentalität. Zum Aufkommen von Trivialsymbolik unter dem Programm des konsequenten Realismus. In: Literatur und Theater im Wilhelminischen Zeitalter. Hg. v. Hans-Peter Bayerdörfer, Carl Otto Conrady u. Helmut Schanze, Tübingen: Nie- meyer 1978, S. 176.

3 Gerhard Kluge: Das verfehlte Soziale. Sentimentalität und Gefühlskitsch im Drama des deutschen Naturalismus. In: Zeitschrift für deutsche Philologie. Bd. 96 (1977), S. 201.

4 Zwar geht auch Gerhard Kluge in seinem Aufsatz Das verfehlte Soziale bereits auf den Aspekt Kitsch ein; für ihn stellt er aber nur einen Randaspekt dar. Vgl. Kluge, Das verfehlte Soziale, S. 227ff.

5 Arno Holz und Johannes Schlaf: Die Familie Selicke. Drama in drei Aufzügen. Stuttgart: Reclam 2002.

6 Vgl. Roy C. Cowen: Der Naturalismus. Kommentar zu einer Epoche. München: Winkler 1973, S. 172.

7 Georg Hirschfeld: Die Mütter. Schauspiel. In: Wolfgang Rothe (Hrsg.): Deutsches Theater des Naturalismus. München u.a.: Langen Müller 1972, S. 367 - 432.

8 Hermann Bahr: Die Mütter. In: Theater der Jahrhundertwende. Kritiken von Hermann Bahr. Auswahl und Einführung von Heinz Kindermann zum 100. Geburtstag des Dichters. Hg. vom Land Oberösterreich und von der Stadt Linz, Wien: H. Bauer Verl. 1963, S. 73.

9 Max Halbe: Jugend. Ein Liebesdrama in drei Aufzügen. In: Ders.: Sämtliche Werke. Bd. 4, Salzburg: Verlag „Das Bergland-Buch“ 1945. S. 207 - 285.

10 Thorsten Stegemann spricht in diesem Zusammenhang von lyrischen und balladesken Szenen und Regieanweisungen sowie optischen und akustischen Effekten, die mit der Begrifflichkeit des Naturalismus nicht mehr ohne weiteres ‚gefaßt’ werden können. Vgl. Thorsten Stegemann: Litera- tur im Abseits. Studien zu ausgewählten Werken von Rainer Maria Rilke, Hermann Sudermann, Max Halbe, Gottfried Benn und Erich Kästner. Stuttgart: ibidem-Verlag 2000, S. 80.

11 Gerhart Hauptmann: Hanneles Himmelfahrt. Traumdichtung. In: Ders.: Ausgewählte Dramen, Bd. 2, Berlin: Aufbau -Verlag 1952, S. 160 - 205.

12 Hanno Möbius: Der Naturalismus. Epochendarstellung und Werkanalyse. Heidelberg: Quelle und Meyer 1982.

13 Edward Mc Innes: Das deutsche Drama des 19. Jahrhunderts. Berlin: E. Schmidt 1983. 5

14 Wolfgang Braungart (Hrsg.): Kitsch. Faszination und Herausforderung des Banalen und Trivialen. Tübingen: Niemeyer 2002.

15 Winfried Herget (Hrsg.): Sentimentality in Modern Literature and Popular Culture. Tübingen: Narr 1991.

16 Ilka Büschen: Sentimentalität. Überlegungen zur Theorie und Untersuchungen an mittelhochdeutschen Epen. Stuttgart u.a.: Kohlhammer 1974.

17 Gotthart Wunberg: Sentimentalität. Bemerkungen zum Distanzcharakter ihres Begriffes. In: Bildung und Erziehung, XVI. Jg. (1963).

18 Günter Waldmann: Literarischer ‚Kitsch’ als wertungsästhetisches Problem. In: Jochen SchulteSasse (Hrsg.): Literarischer Kitsch. Texte zu seiner Theorie, Geschichte und Einzelinterpretationen. Tübingen: Niemeyer 1979.

19 Walter Killy: Deutscher Kitsch. Ein Versuch mit Beispielen. 8. Aufl., Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1978.

20 Winfried Herget: Towards a Rhetoric of Sentimentality. In: Ders., Sentimentality in Modern Literature

21 Kluge, Das verfehlte Soziale.

22 Vgl. Heinrich Breloer u. Rainer Zimmer: ‚Kitsch’ als Kriterium literarischer Wertung. Überlegungen zur Instrumentalisierung eines beliebten Begriffs der Abqualifizierung. In: Jochen Vogt (Hrsg.): Literaturdidaktik. Aussichten und Aufgaben. Düsseldorf: Bertelsmann 1972.

23 Kluge, Das verfehlte Soziale.

24 Koopmann, Naturalismus und Sentimentalität. 8

25 Vgl. Cowen, Der Naturalismus, S. 9.

26 Vgl. ebd., S. 97.

27 Vgl. ebd., S. 9. Ihren Höhepunkt finden diese Ziele laut van Rinsum in den theoretischen Schrif- ten von Arno Holz, dessen Kunstgesetz als Grundlage des Naturalismus betrachtet werden kann. Vgl. Annemarie und Wolfgang van Rinsum: Deutsche Literaturgeschichte. Bd. 7. Realismus und Naturalismus. 2. Aufl., München: DTV 1997, S. 307. Zum Kunstgesetz siehe Arno Holz: Die Kunst. Ihr Wesen und ihre Gesetze. In: Ders.: Werke. Bd. V: Das Buch der Zeit. Dafnis. Kunst- theoretische Schriften. Hg. v. Wilhelm Erich u. Anita Holz, Neuwied am Rhein: Luchterhand 1962. Im weiteren wird in Kapitel 4.4.1 genauer auf das Holzsche Kunstgesetz eingegangen.

28 Peter Sprengel: Geschichte der deutschsprachigen Literatur 1870 - 1900. Von der Reichsgründung bis zur Jahrhundertwende. München: Beck 1998, S.108.

29 Vgl. Sigfrid Hoefert: Das Drama des Naturalismus. 4., überarb. u. erg. Aufl., Stuttgart u.a.: Metzler 1993, S. 1-2.

30 Vgl. Theo Meyer: Das naturalistische Drama. In: Naturalismus - Fin de siècle - Expressionismus 1890 - 1918. Hg. v. York-Gothart Mix, München u.a.: Carl Hansen Verlag 2000, S. 64.

31 Ebd.

32 Van Rinsum, S. 307.

33 Vgl. Sprengel, Geschichte der..., S. 110.

34 Cowen, Der Naturalismus, S. 9.

35 Vgl. Mc Innes, Das deutsche Drama..., S. 141. 10

36 Paul Heyse (1830 - 1914) war eines der führenden Mitglieder der Münchner Dichterschule. Mit der Anklage der „Epigonenkunst“ kritisieren die Naturalisten seine im Zeichen der Weimarer Klassik und der Romantik stehende Dichtung, in der er die stilisierte Darstellung des Schönen und Edlen als ästhetisches Ideal erfaßt. Vgl. Hoefert, Das Drama des Naturalismus, S. 9.

37 Für viele ist diese Gattung die einzige wissenschaftliche und somit die einzig zeitgemäße Literaturform, da ihrer Ansicht nach nur sie umfassend und flexibel genug ist, um den großen Kausalzusammenhang der Welt in allen Erscheinungsformen zu gestalten. Das läßt sich jedenfalls aus der Mehrzahl der in der von Conrad redigierten Zeitschrift Die Gesellschaft erschienenen Artikel über den Roman erschließen. Vgl. Mc Innes, Das deutsche Drama..., S. 141. Die Monatszeitschrift des Münchener Kreises Die Gesellschaft, 1885 von Michael Georg Conrad gegründet, wirkt auf programmatischer Ebene bahnbrechend und avanciert schnell zum anerkannten Organ der Avantgarde. Vgl. Hoefert, Das Drama des Naturalismus, S. 9.

38 Vgl. Mc Innes, Das deutsche Drama..., S. 141-142.

39 Hoefert, Das Drama des Naturalismus, S. 9.

40 Vgl. ebd. Was für die Münchner Naturalisten Die Gesellschaft ist, ist für den Berliner Kreis die 1882 von den Brüdern Hart gegründete Zeitschrift Kritische Waffengä nge. In deren Gründungsjahr setzt Cowen auch den Anfang des deutschen Naturalismus. Vgl. Cowen, Der Naturalismus, S. 70.

41 Freie Bühne für modernes Leben I, 1890, S. 1. Zit. n.: Mc Innes, Das deutsche Drama..., S. 142. Die Berliner Naturalisten wollen allerdings weder die Art und die künstlerischen Möglichkeiten des neuen Dramas von der Theorie her bestimmen, noch dessen Entwicklung an bestimmte ästhe- tische oder ideologische Voraussetzungen binden. Vgl. Mc Innes, Das deutsche Drama..., S. 142.

42 Vgl. Mc Innes, Das deutsche Drama..., S. 151.

43 Theo Meyer (Hrsg.): Theorien des Naturalismus. Stuttgart: Reclam 1984, S. 43.

44 Vgl. Mc Innes, Das deutsche Drama..., S.151 - 152. Weiteres zu Arno Holz und Max Halbe siehe in Kapitel 4.1 und 4.3.

45 Diese wurden zwar nie explizit formuliert, haben aber dennoch die Literaten aller Gattungen beim Schreiben geleitet. Vgl. Möbius, S. 87.

46 Vgl. Möbius, S. 87.

47 Meyer, Das naturalistische Drama, S. 64.

48 Es darf jedoch nicht außer Acht gelassen werden, daß auch das Drama nur günstigere, nicht aber optimale Bedingungen für die Realisierung der naturalistischen Absichten bieten kann. Vgl. Mö- bius, S. 90.

49 Dies hat einen Bruch mit dem klassischen Drama zur Folge. Vgl. Meyer, Das naturalistische Drama, S. 65. Die im folgenden aufgeführten stilistischen Konsequenzen werden zwar hier explizit auf das Drama bezogen, gelten zum großen Teil aber - wie oben erwähnt - auch für andere naturalistische Gattungen.

50 Vgl. Möbius, S. 87. Siehe auch Meyer, Das naturalistische Drama, S. 65 und Cowen, Der Naturalismus, S. 107 - 108.

51 Allerdings gilt der Sekundenstil mit literarischen Mitteln nicht als völlig einlösbar, da sich die Aufzeichnung immer der Beobachtung nachordnet und somit zumindest beim Lesen der zeitliche Gleichakt durch nichts mehr garantiert ist. Vgl. Möbius, S. 87. Zum Sekundenstil siehe auch die in Kapitel 4.1.4 angebrachten Zitate - Zur Holzschen Dramentheorie siehe Kapitel 4.1.1.

52 Vgl. Möbius, S. 90 - 91.

53 Vgl. ebd, S. 88. Wie sich im Verlauf der Arbeit noch zeigen wird, stößt das Drama damit aber auch an seine Darstellungsgrenzen.

54 Vgl. Ursula Münchow: Deutscher Naturalismus. Berlin: Akademie Verlag 1968, S. 51.

55 Vgl. Möbius, S. 87. Siehe auch Kapitel 2.1.

56 Vgl. Möbius, S. 92.

57 Vgl. Sigfrid Hoefert: Naturalismus als Theaterphänomen. In: Deutsches Theater des Naturalismus. Hg. v. Wolfgang Rothe, München u.a.: Langen Müller 1972, S. 440.

58 Vgl. Möbius, S.91 - 92. Nach Günther Mahal kann es keine Autonomie der Dramenfigur geben, da jeder Mensch von der Taineschen Rasse, vom Moment und vom Milieu bestimmt ist. Vgl. Günther Mahal: Naturalismus. München: Fink Verlag 1975, S. 95.

59 Vgl. Möbius, S. 91 - 92.

60 Meyer, Das naturalistische Drama, S. 65.

61 Möbius, S. 93.

62 Es darf jedoch nicht außer Acht gelassen werden, daß sich der Handlungsraum des ‚Boten aus der Fremde’ auf den des Indikators beschränken muß, da sonst die ‚Reproduktion’ des Milieus verzerrt werden würde. Vgl. Möbius, S. 88, 92.

63 Vgl. ebd., S. 88.

64 Vgl. Meyer, Das naturalistische Drama, S. 65.

65 Vgl. Walter Schmähling (Hrsg.): Naturalismus. Bibliogr. erg. Ausg., Stuttgart: Reclam 1980. S. 21 - 22.

66 Vgl. Hoefert, Naturalismus als Theaterphänomen, S. 440 - 441. 16

67 Ein Beispiel hierzu Max Halbes Jugend: „ Pfarrhof in Ruszno (Rosenau). Mittelgroßes Wohnzimmer, durch dunkle, einfache Portieren von dem dahinter liegenden Salon getrennt. [...]Links vorn ein dunkelüberzogenes Sofa mit vierkantigem, gedecktem Tisch und Rohrstühlen davor. Die Mitte der linken Wand füllt ein breites, nicht allzu hohes Fenster, durch welches man in den Gar ten sieht. “ Halbe, Jugend, 1. Akt, S. 210.

68 Vgl. Hoefert, Naturalismus als Theaterphänomen, S. 438, 441.

69 Vgl. ebd., S. 439. Ein Beispiel: „ Die Arbeitsstube von Marie Weil, zugleich Küche der Familie. Klein, hell und niedrig. “ Hirschfeld, Die Mütter, 2. Akt, S. 389.

70 Hoefert, Naturalismus als Theaterphänomen, S. 439. Im Naturalismus kommt es dadurch auch zu einer Weiterentwicklung in der Raumkonzeption auf der Bühne: An die Stelle einer mehr bildhaften Szene tritt nun die räumlich plastische Wiedergabe der Wirklichkeit. Dies führt zu einer echten Dreidimensionalität des Bühnenraums. Vgl. ebd., S. 439 - 440.

71 Vgl. Mahal, S. 94. Siehe auch Hoefert, Naturalismus als Theaterphänomen, S. 440.

72 Vgl. Peter Sprengel: Literaturtheorie und Theaterpraxis des Naturalismus: Otto Brahm. In: Der Deutschunterricht. Beiträge zu seiner Praxis und wissenschaftlichen Grundlegung. Bd. II (1988), S. 94.

73 Vgl. Mahal, S. 94.

74 Meyer, Das naturalistische Drama, S. 66 - 67.

75 Ebd.

76 Vgl. Hoefert, Naturalismus als Theaterphänomen, S. 445.

77 Vgl. ebd., S. 435.

78 Vgl. Wolfgang Rothe (Hrsg.): Deutsches Theater des Naturalismus. München u.a.: Langen Müller 1972, S. 7 - 8.

79 Vgl. Horst Albert Glaser: Naturalistisches Drama. In: Ders. (Hrsg.): Deutsche Literatur. Eine Sozialgeschichte. Bd. 8, Jahrhundertwende: Vom Naturalismus zum Expressionismus 1880 - 1918, Hg. v. Frank Trommler, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1982, S. 188. Grund für die Zensur bzw. Ablehnung der naturalistischen Dramen sind zum Beispiel die in ihnen behandelten aktuellen sozialen Probleme. Aber schon die bloße Behandlung dunkler Lebensbereiche wie Tod, Hunger oder Armut reichen oft als Grund für ein Aufführungsverbot der Werke. Vgl. Schley, S. 11.

80 Vgl. Hoefert, Naturalismus als Theaterphänomen, S. 437. Siehe auch Schley, S. 11.

81 Nationalzeitung vom 30.09.1889. Zit. nach Schley, S. 29.

82 Vgl. Sprengel, Geschichte der..., S. 431. Siehe auch Hoefert, Naturalismus als Theaterphäno- men, S. 437. Als Vorbild dient der Freien Bühne das Pariser Théâtre libre von André Antoine. Seit 1887 läßt Antoine ausschließlich noch ungespielte Dramen zeitgenössischer Autoren aufführen und hat dadurch bereits über die Pariser Grenzen hinaus großes Aufsehen erregt. Die Freie Bühne ist allerdings nicht bloß eine Nachahmung des Théâtre libre, da schon die Ausgangsposition eine ganz andere ist: Antoine muß im Gegensatz zur Freien Bühne nicht gegen die Theaterzensur an- kämpfen. Vgl. Schley, S. 12 - 13.

83 Vgl. Sprengel, Literaturtheorie..., S. 92. Siehe auch Schley, S. 14 - 15. Die einzige Möglichkeit zur Kritikäußerung für das passive Mitglied ist das Fernbleiben von schon bezahlten Vorstellungen oder der Buh-Ruf, von dem laut Sprengel auch tüchtig Gebrauch gemacht wird. Vgl. ebd., S. 92 - 93. Im weiteren hält Glaser die Tatsache, daß die Vorstellungen ausschließlich von Mitgliedern besucht werden können, für paradox, da die ersten Stücke, welche die Interessen der Arbeiterbe- wegung vertreten wollen, nur im Rahmen von Privatvorstellungen zugänglich sind. Vgl. Glaser, S. 188.

84 Vgl. Cowen, Der Naturalismus, S. 79 - 80. In der diesbezüglichen Literatur ist man sich einig, daß die Freie Bühne ihren Erfolg in Deutschland vor allem Otto Brahm verdankt.

85 Vgl. Hoefert, Naturalismus als Theaterphänomen, S.437. Brahm eröffnet die Bühne mit Henrik Ibsens Gespenster, womit er das Bekanntwerden der Freien Bühne sichert, da Ibsen neben Emil Zola einer der verehrtesten Vorbilder der deutschen Naturalisten darstellt. Vgl. Cowen, Der Natu- ralismus, S. 81.

86 Vgl. Rothe, S. 12.

87 Otto Brahm: Kritiken und Essays. Zürich, Stuttgart: Artemis Verlag 1964, S. 518. 20

88 Vgl. Sprengel, Geschichte der ..., S. 431.

89 Vgl. Mc Innes, S. 148. Ein genauer Spielplan findet sich bei Cowen, Der Naturalismus, S. 80f.

90 Vgl. Rothe, S. 12.

91 Vgl. Cowen, Der Naturalismus, S. 81.

92 Mc Innes, S. 148 - 149.

93 Vgl. Cowen, Der Naturalismus, S. 82. Weitere Gründungen sind u.a. 1892 die Fresco-Bühne unter Franz Held, 1895 der Verein Probebühne unter Arthur Zapp und 1897 die Dramatische Ge sellschaft unter Ludwig Fulda und Bruno Wille. Vgl. ebd. Ferner spricht Sprengel davon, daß durch die folgenreiche Gründung der Freien Bühne, der Freien Volksbühne und schließlich auch der Neuen Freien Volksbühne die Berliner Moderne gewissermaßen in ihre pragmatische Phase eintritt. Vgl. Sprengel Geschichte der..., S. 127.

94 Vgl. Hoefert, Naturalismus als Theaterphänomen, S. 437.

95 Vgl. Münchow, S. 83 - 84. Siehe auch Rothe, S. 10, 12 und Glaser, S. 188.

96 Vgl. Hoefert, Naturalismus als Theaterphänomen, S. 438. 22

97 Vgl. Münchow, S. 86.

98 Vgl. Glaser, S. 189.

99 Friedrich Kluge: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. Bearb. v. Elmar Seebold, 23., erw. Aufl., Berlin, New York: de Gruyter 1999, S. 444. Interessant ist, daß Kluge in einer früheren Ausgabe den Ursprungsort „namentlich von Bildern“ auf die Münchner Kunstkreise konkretisiert. Vgl. Friedrich Kluge: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. Bearb. v. Walter Mitzka, 19. Aufl., Berlin: de Gruyter 1963, S. 371.

100 Hermann Paul: Deutsches Wörterbuch. Bedeutungsgeschichte und Aufbau unseres Wortschat- zes. 10., überarb. u. erw. Aufl., Tübingen: Niemeyer 2002, S. 533. Laut Friedrich ist der Begriff zumindest in der Bedeutung ‚wertlose Malerei’ zum ersten Mal hier nachgewiesen worden. Vgl. Hans-Edwin Friedrich: Artikel Kitsch. In: Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. Bd. 2, Hg. v. Harald Fricke, 3., neubearb. Aufl. Berlin, New York: de Gruyter 2000, S. 263. 101 Etymologisches Wörterbuch des Deutschen. Hg. v. Wolfgang Pfeifer u.a., Berlin: Akademie- Verlag 1989, S. 836.

102 Ebd.

103 Brockhaus. Die Enzyklopädie. 12. Bd., 20. überarb. u. aktualisierte Aufl., Leipzig u.a.: FAB 1996, S. 42. Mit dem „soßig braunen“ ist die schlammig-braune Farbe gemeint, in der diese Art der zeitgenössischen Bilder gerne gemalt werden. Siehe auch Fußnote Nr.107.

104 Weitere Ableitungsversuche werden bei Kliche aufgeführt. Vgl. Dieter Kliche: Artikel Kitsch. In: Ästhetische Grundbegriffe: historisches Wörterbuch in sieben Bänden. Hg. v. Karlheinz Barck, Bd. 3, Stuttgart, Weimar: Metzler 2001, S. 275 - 276.

105 Vgl. Pfeifer, Etymologisches Wörterbuch des Deutschen, S. 836. Ferdinand Avenarius führt diese Herleitung auf englische und amerikanische Touristen in München der 70er und 80er Jahre des 19. Jh. zurück, die dort von den Malern etwas Kleines und Billiges als Andenken („a Sketch“) haben wollten. Vgl. Ferdinand Avenarius: Kitsch. In: Kunstwart und Kulturwart. Monatsschau für Ausdruckskultur auf allen Lebensgebieten 33, (1920), S. 222. Avenarius stellt im übrigen als erster die Frage nach der etymologischen Herkunft von Kitsch. Vgl. Kliche, S. 274.

106 Vgl. Paul, Dt. Wörterbuch, S. 533. Und Etymologisches Wörterbuch des Deutschen, S. 372. Nach Kliche gibt es zwei Unterteilungen: zum einen das mundartlich aus Südwestdeutschland stammende, zum anderen das aus Mecklenburg und dem Rheinland kommende ‚kitschen’. Das erste, in Südwestdeutschland verwendete, bedeutet „Straßenschlamm zusammenscharren“, wobei die soßigbraune Farbe des Schlamms mit der Farbe moderner Bilder verglichen wird. Das zweite, u.a. in Mecklenburg vorkommende, bezeichnet ein „entlangstreichen“, eine Kennzeichnung für eine schnelle Fortbewegung. Als Ableitung zum Kitsch steht es für das Flüchtige, Billige. Vgl. Kliche, S. 275 – 276

107 Abraham A. Moles: Psychologie des Kitsches. München: Carl Hanser Verlag 1972, S. 79.

108 Trotzdem räumt Gelfert ein, daß es schon bei den Griechen und Römern Kleinplastiken gab, die dem Nippes ähnelten. Doch das Ausschlaggebende am Nippes bzw. Kitsch, die emotionale Aura des Niedlichen, fehlt. Vgl. Hans-Dieter Gelfert: Was ist Kitsch? Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht 2000, S. 106, 108.

109 Friedrich: Art. Kitsch, S. 264. Siehe dazu auch Julia Kraus: Der ‚Kitsch’ im System der bürgerlichen Ordnung. In: Sprache und Literatur 79, 28. Jg. (1997), S. 21ff.

110 Wolfgang Braungart: Kitsch. Faszination und Herausforderung des Banalen und Trivialen. Einige verstreute Anmerkungen zur Einführung. In: Braungart, Kitsch, S. 10, 11. Im folgenden wird diese Angabe mit ‚Braungart, Anmerkungen...’ abgekürzt.

111 Kraus, Der ‚Kitsch’ im System..., S. 20.

112 Vgl. Moles, S. 80.

113 Die Entwicklung zum rührenden Lustspiel ab Mitte der 1740er Jahre in Deutschland kann als ein Beispiel hierfür angeführt werden.

114 Vgl. Jürgen Stenzel: Kitsch ist schlecht. Aber was heißt das? Wertungstheoretische Überlegungen zum Kitschbegriff. In: Braungart, Kitsch, S. 66.

115 Henry Mackenzie: Der Mann von Gefühl. Nach der 3. Londoner Ausg. neu übersetzt v. Wilhelm Christhelt Seigmund Mylius, Berlin: Himburg 1785.

116 Heinrich von Kleist: Die Hermannsschlacht. Ein Drama. Stuttgart: Reclam 2001.

117 Franz Grillparzer: Die Ahnfrau. Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen. In: Franz Grillparzer Dra- men 1817 - 1828. Hg. v. Helmut Bachmaier, Frankfurt/M.: Deutscher Klassiker Verlag 1986, S. 9 - 119.

118 Heinrich Clauren: Mimili. Eine Erzählung. Hg. v. Joachim Schöberl, Stuttgart: Reclam 1984.

119 Vgl. Gelfert, S. 109.

120 Vgl. Friedrich: Art. Kitsch, S. 264.

121 Vgl. Kliche, S. 274. Siehe auch Gelfert, S. 7. Pazaurek selber bezeichnet in seiner Monographie von 1912 (Guter und schlechter Geschmack im Kunstgewerbe) einen deutlich abgezirkelten Bereich geschmackloser Massenfertigung als Kitsch. Gustav E. Pazaurek: Guter und schlechter Geschmack im Kunstgewerbe. Stuttgart, Berlin: o.V. 1912. Vgl. Hans-Edwin Friedrich: Hausgreuel - Massenschund - radikal Böses. Die Karriere des Kitschbegriffs in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. In: Braungart, Kitsch, S. 36 - 37.

122 Frank Wedekind: Kitsch. Ein Entwurf zu einem Drama und erste Niederschrift verschiedener Szenen. In: Frank Wedekind: Gesammelte Werke. Bd. 9, München: Georg Müller 1924, S. 205 - 243. Vgl. Kliche, S. 274. Siehe auch Friedrich, Art. Kitsch, S. 264.

123 Vgl. Friedrich, Hausgreuel, S. 40. Natürlich gibt es noch weitere ‚Stadien’ des Kitsches - so kommt z.B. 1933 der nationale Kitsch mit einer Verkitschung von NSDAP-Symbolen auf - doch das soll hier nicht Thema sein.

124 Walter Hoyer: Was schadet der Kitsch? In: Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel 104, 1937, S. 302.

125 Fritz Karpfen: Der Kitsch. Eine Studie über die Entartung der Kunst. Hamburg: Weltbund-Verl. 1925.

126 Vgl. Friedrich, Art. Kitsch, S. 264.

127 Dieses erste Auftreten einer Abgrenzung wird wahrscheinlich von Pazaureks Ausstellung Ge schmacksverirrungen im Kunstgewerbe inspiriert.

128 Vgl. Kliche, S. 274. Siehe auch Friedrich, Hausgreuel, S. 35.

129 Karpfen, Kitsch..., S. 59. Ferner versucht Karpfen als einer der ersten eine Typologie des Kitsches und später, in einem zweiten Band, eine Psychologie des Kitsches und eine Beschreibung des Kitsches als Stil. Vgl. Kliche, S. 274 - 275.

130 Vgl. Friedrich, Hausgreuel, S. 35, 40.

131 Vgl. Friedrich, Art. „Kitsch“, S. 264.

132 Hermann Broch: Das Weltbild des Romans. In: Ders.: Kommentierte Werkausgabe. Hg. v. Paul Michael Lützler, Bd. 9/2. Schriften zur Literatur 2, Frankfurt/M.: Suhrkamp 1976, S. 89 - 118.

133 Hermann Broch: Das Böse im Wertesystem der Kunst. In: Ders.: Kommentierte Werkausgabe. Bd. 9/2, S. 119 - 157.

134 Vgl. Friedrich, Hausgreuel, S. 44 - 45.

135 Broch, Das Weltbild..., S. 95.

136 Hermann Broch: Einige Bemerkungen zum Problem des Kitsches. In: Ders.: Kommentierte Werkausgabe. Bd. 9/2, S. 158 - 173.

137 „Es [geht] [in der Romantik] um die Schönheit, um den schönen Effekt, um die Dekoration.“ Broch, Einige Bemerkungen..., S. 159. Broch geht sogar noch weiter, indem er das 19. Jahrhundert nicht als das der Romantik, sondern als das des Kitsches auffaßt, wobei der Kitsch jedoch zum überwiegenden Teil aus einer romantischen Geisteshaltung stammt. Vgl. ebd., S. 161 - 162.

138 Dabei betrachtet er blasphemisch Wagner als den höchstreichenden Gipfel. Vgl. Broch, Einige Bemerkungen..., S. 161.

139 Ebd., S. 169.

140 Ebd., S. 170.

141 Broch, Einige Bemerkungen..., S. 170.

142 Vgl. ebd., S. 158.

143 Tatsächlich setzt sich endgültig seit den 1940er Jahren ein Trend zur Verwissenschaftlichung des Themas durch. Dabei stellen sich drei dominante Aspekte heraus: a) Kitsch wird als Ideologie interpretiert, b) er wird historisch rekonstruiert und c) er wird stilanalytisch erfaßt. Vgl. Friedrich, Hausgreuel, S. 42.

144 Ludwig Giesz: Phänomenologie des Kitsches. Ein Beitrag zur anthropologischen Ästhetik. Heidelberg: Wolfgang Rothe Verlag 1960.

145 Kliche, S. 283.

146 Giesz, S. 43.

147 „Die Genüßlichkeit bemächtigt sich nicht bloß der Kitschobjekte, sondern ebenso der Kunst, nicht nur des Gefälligen, sondern auch des Widerwärtigen, Ekelhaften; neben dem süßen Kitsch gibt es auch [...] den ‚sauren Kitsch’. Giesz, S. 44.

148 Vgl. Giesz, S. 36 - 37.

149 Ebd., S. 45.

150 Ebd., S. 40.

151 Ebd., S. 48.

152 Ebd., S. 68. Natürlich trifft dieser Diskussionsansatz auch auf Gegner. So kritisiert z.B. Otto F. Best, daß Giesz völlig die Möglichkeit außer Acht läßt, daß Kitsch auch das Produkt bestimmter historischer und gesellschaftlicher Konstellationen sein könnte. Vgl. Best, Das verbotene Glück, S. 229.

153 Gillo Dorfles: Der Kitsch. Tübingen: Verlag Ernst Wasmuth 1969.

154 Vgl. Friedrich, Art. Kitsch, S. 264. Sein konkreter Ansatz wird im Zuge der Kitschanalyse innerhalb dieser Arbeit noch weiter herausgestellt werden.

155 Siehe z.B. Gert Ueding: Glanzvolles Elend. Versuch über Kitsch und Kolportage. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1973.

156 Siehe z.B. Saul Friedländer: Kitsch und Tod. Der Widerschein des Nazismus. München, Wien: Hanser 1984. Vgl. Friedrich, Art. Kitsch, S. 264 - 265.

157 Gelfert, S. 11.

158 Ebd., S. 12.

159 Ebd., S. 13.

160 Ebd., S. 14 - 15.

161 Vgl. ebd., S. 15.

162 Gelfert, S. 16.

163 Vgl. ebd.

164 Vgl. ebd., S. 19 - 20.

165 Vgl. ebd., S. 31 - 64.

166 Ebd., S. 65. Als Beispiele führt Gelfert u.a. den niedlichen, gemütlichen oder sentimentalen Kitsch an. Vgl. ebd.

167 Vgl. ebd., Gelfert nennt hier den erhabenen, heroischen, patriotischen und ideologischen Kitsch als Beispiel. Vgl. ebd.

168 Ebd., S. 85.

169 Vgl. ebd., S. 93.

170 Konrad Paul Liessmann: Kitsch! Oder: Warum der schlechte Geschmack der eigentlich gute ist. Wien: Verlag Christian Brandstätter 2001.

Ende der Leseprobe aus 152 Seiten

Details

Titel
Kitsch und Sentimentalität in Dramen des Naturalismus
Hochschule
Carl von Ossietzky Universität Oldenburg
Note
1,7
Autor
Jahr
2003
Seiten
152
Katalognummer
V78087
ISBN (eBook)
9783638004183
ISBN (Buch)
9783640882861
Dateigröße
1079 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Kitsch, Sentimentalität, Dramen, Naturalismus, Thema Naturalismus
Arbeit zitieren
M.A. Daniela Maschmann (Autor:in), 2003, Kitsch und Sentimentalität in Dramen des Naturalismus, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/78087

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