Das Grundrecht auf Eigentum in den Transitionsstaaten des Balkan

Rechtslage und Spruchpraxis zur Eigentumsfreiheit in Serbien und Montenegro, Bosnien und Herzegowina, Kroatien und Bulgarien


Doktorarbeit / Dissertation, 2005

321 Seiten, Note: Sehr gut (1)


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. Vorwort.

II. Einleitung.

III. Thema und Leitgedanke.
Eigentum im Wandel – Praktische Relevanz und Ziele der
vergleichenden Studie.

IV. Allgemeine Begriffsbestimmungen.
4.1. Eigentum.
4.1.1. Der privatrechtliche (bürgerlich-rechtliche) Eigentumsbegriff
4.1.2. Der verfassungsrechtliche Eigentumsbegriff
4.1.3. Ein Rückblick auf die historische Entwicklung des Eigentums
4.1.4. Vom Individuum ausgehende Eigentumstheorie
4.1.5. Kollektivistische Eigentumstheorien
4.1.6. Das sogenannte "gesellschaftliche" oder "vergesellschaftete Eigentum"
4.1.7. Im speziellen: Begriff und Bedeutung des Eigentums im sozialistischen Jugoslawien und deren Nachfolgestaaten von 1945 bis heute
4.2. Terminologischer Exkurs: Transition und Transitionsstaat.
4.3. Rechtsstaat versus Transitionsstaat.
4.3.1. Exkurs: Zum aktuellen Status der Reformen in Richtung Rechtsstaat in der Staatengemeinschaft Serbien und Montenegro

V. Der Konnex zwischen Eigentum und Demokratisierung in den Transitionsstaaten, mit besonderer Berücksichtigung der Rechtslage in der Republik Serbien.
5.1. Eigentumsschutz als Grundwert einer demokratischen Gesellschaft: Privateigentum als essentielle Voraussetzung für die Schaffung eines liberalen Rechtsstaates.
5.2. Die in der EMRK vorgegebenen Standards des Eigentumsschutzes.
5.2.1. Was ist Eigentum?
5.2.2. Wer ist Grundrechtsträger?
5.2.3. Die Zulässigkeit von Eigentumseingriffen
5.2.4. Die Entschädigungspflicht
5.2.5. Der Schutz des Eigentums im Gemeinschaftsrecht der Europäischen Union, und das Verhältnis von Eigentumsfreiheit nach EU-Recht versus EMRK-Standards
5.3. Die Einflussnahme der Spruchpraxis des EGMR auf die Handhabung der Eigentumsgarantie in den Transitionsstaaten.
5.4. Die Bedeutung des Transitionsprozesses für das Eigentum bzw. die Eigentumsfreiheit in den Balkanstaaten.
5.5. Grundzüge des politischen Systems der Nachfolgestaaten Jugoslawiens, und für das Verständnis der Entwicklung des Eigentumsbegriffs wichtige historische Ereignisse sowie Konfliktlinien.

VI. Vom Schutz des Eigentums in der Verfassungsordnung Jugoslawiens nach 1945 bis zur aktuellen Verfassungsordnung der Staatengemeinschaft Serbien und Montenegro.
6.1. Begriff und Bedeutung des Eigentums von 1945 bis heute: Zur Spaltung des Eigentumsbegriffs nach 1945 in den kommunistisch regierten Staaten des Balkan, und zum damit resultierenden unterschiedlichen Verständnis von Eigentumsgarantie im Vergleich zu jenem der westlich orientierten Staaten.
6.2. Von der Föderativen Volksrepublik Jugoslawien bis zur Staatengemeinschaft Serbien und Montenegro: Der Wandel der Eigentumsfreiheit im Wandel politischer Ereignisse.
6.2.1. Von der ersten serbischen Verfassung und den Anfängen der liberalen Idee als Wurzel der Eigentumsfreiheit bis zur Verfassungsordnung 1945. Grundsteine der Eigentumsfreiheit auf dem Territorium Jugoslawiens in historischem Kontext
6.2.2. 1945 bis 2005: Von den Anfängen der sozialistischen Eigentumsordnung im politischen Kontext bis zur freiheitlich-demokratischen Eigentumsordnung der Verfassungsrechtsordnung Serbiens und Montenegros

VII. Der verfassungsrechtliche Eigentumsschutz in Serbien und Montenegro, Bosnien und Herzegowina sowie Bulgarien: Status quo und konkrete Handhabung, verdeutlicht anhand ausgewählter Fälle aus der Judikatur.
Geschütztes Gut Eigentum, Grundrechtsträger und Ausmaß der Gewährung von Eigentumsschutz. Anforderungen an die Zulässigkeit von Eigentumseingriffen und Entschädigungspflicht.
7.1. Die Rechtslage in Serbien und Montenegro.
7.1.1. Grundlagen
7.1.2. Institutioneller Rahmen und Organe der Staatengemeinschaft Serbien und Montenegro
7.1.3. Verfassungscharta und Grundrechtscharta - Verankerung der Eigen-tumsgarantie in der Verfassungsordnung der Staatengemeinschaft Serbien und Montenegro und in den Gliedstaaten Serbien und Montenegro
7.1.4. Der Rang der Europäischen Menschenrechtskonvention im nationalen Recht
7.1.5. Zur Diskrepanz zwischen Grundrechtscharta und serbischer Verfassung
7.1.6. Grundrechtsbeschränkungen und Voraussetzungen für einen Eingriff in das Grundrecht auf Eigentum
7.1.7. Enteignung und Entschädigung
7.1.8. Legalitätsprinzip und Rechtsschutzmechanismen
7.2. Zur Vereinbarkeit der serbisch-montenegrinischen Rechtslage und Praxis mit den Postulaten der Europäischen Menschenrechtskonvention.
7.3. Zur Tauglichkeit und Bestandsfähigkeit der Eigentumsfreiheit nach serbischem Recht aus rechtssoziologischer Sicht: Eine Analyse von Sollen und Sein.
7.4. Die Rechtslage in Bosnien und Herzegowina.
7.4.1. Grundlagen der Staatswerdung und Staatsorganisation
7.4.2. Der Rang der Europäischen Menschenrechtskonvention im nationalen Recht
7.4.3. Spezifika im "geteilten" Staat Bosnien und Herzegowina im Hinblick auf die Realisierung der Eigentumsfreiheit
7.4.4. Die Verankerung der Eigentumsfreiheit in der Verfassungsordnung Bosniens und Herzegowinas
7.4.5. Reprivatisierung und Gesellschaftseigentum
7.4.6. Resümee zur Rechtslage in Bosnien und Herzegowina
7.5. Die Rechtslage in Bulgarien.
7.5.1. Grundlagen
7.5.2. Der Rang der Europäischen Menschenrechtskonvention im nationalen Recht
7.5.3. Die Verankerung der Eigentumsfreiheit in der Verfassungsordnung der Republik Bulgarien

VIII. Eingriffe in das Grundrecht auf Eigentum im Zuge des Privatisierungsprozesses in den Transitionsstaaten des Balkan.
8.1. Allgemeines.
8.2. Serbien und Montenegro.
8.3. Übrige Balkanstaaten.

IX. Die Unverletzlichkeit des Rechtes auf Eigentum und das Recht auf ungestörte Nutzung des Eigentums als Gründe und Ziele des Wandels.
9.1. Zum Begriff der ungestörten Nutzung des Eigentums - Objekt und Inhalt des Rechtes auf ungestörte Nutzung des Eigentums, und die Grenzen der Eigentumsfreiheit.
9.2. Legitimität von Eingriffen in das Recht auf ungestörte Nutzung des Eigentums und ihre Rechtfertigung anhand ausgewählter Beispiele aus der Rechtsprechung der Balkanstaaten. Fallstudien zur Spruchpraxis in Serbien und in der ehemaligen Bundesrepublik Jugoslawien.
1- Fall "Croatia osiguranje DD"
[Croatia Versicherungs-AG] Ljubuški, Entscheidung Nr. U 012-
des Verfassungsgerichtshofs der Republik Bosnien und Herzegowina
vom 20
2- Fall "Hemijske industrije «Destilacija» a. d." Teslić
[Chemische Industrie «Destillation» AG in Teslić]", Entscheidung Nr. AP 1/
des Verfassungsgerichtshofs der Republik Bosnien und Herzegowina
vom 30
3- Fall U-br. 25/98,
Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs der Republik Montenegro
(Bundesrepublik Jugoslawien)
vom 30
4- Fall I U-br. 99/2000,
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts der Bundesrepublik Jugoslawien
vom 25
5- Fall I U-br. 221/04,
Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs der Republik Serbien
vom 10
6- Fall Džemajl Hajrizi u.a. gegen die Bundesrepublik Jugoslawien
Entscheidung des UN-Menschenrechtsausschusses
vom 22.11.2002)
9.2.1. Jüngste Entwicklung der Rechtsprechung in den Balkanstaaten, im Vergleich zur Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, mit besonderer Analyse des Verhältnismäßigkeits-grundsatzes und des Interpretationsspielraums der Gerichtshöfe
1- Fall "Beschwerde S.K.",
Entscheidung Nr. U 11/03 des Verfassungsgerichtshofs
der Republik Bosnien und Herzegowina
vom 28
2- Entscheidungen I U Nr. 9/96, 10/96, 15/96, 83/96, 153/96, 231/96, 135//97 und 160/
des Bundesverfassungsgerichtshofs der Bundesrepublik Jugoslawien
vom 13
3- Fall "Beschwerde T. R.",
Entscheidung Nr. U-III / 2167 /
des Verfassungsgerichtshofs der Republik Kroatien
vom 09

X. Wege zur Wiederherstellung und rechtsstaatlichen Neuordnung des beeinträchtigten Eigentumsrechtes.
10.1. Die Restitution konfiszierten Eigentums in den Balkanstaaten: Konsolidierung des Rechtes auf Privateigentum und Denationalisierungsgesetzgebung, in Anlehnung an die EGMR-Spruchpraxis.
10.1.1. Allgemeines zur Restitutionsproblematik
10.1.2. Zum Status der Denationalisierungsgesetzgebung in Serbien und Montenegro, Kroatien, Bosnien und Herzegowina, sowie Bulgarien
10.1.2.1. Serbien und Montenegro
10.1.2.2. Kroatien
10.1.2.3. Bosnien und Herzegowina
10.1.2.4. Bulgarien
10.2. Lösungsansätze für eine praktikable und gerechte Wiedergutmachung unrechtmäßig entzogenen Eigentums.
10.3. Die Vereinheitlichung des Eigentumsbegriffs als Voraussetzung für die Konsolidierung der Eigentumsfreiheit.
10.3.1. Exkurs: Funktionierende Liegenschaftsevidenz, freier Zugang zu Grund und Boden jeglicher Kategorie, und Vereinheitlichung des Eigentumsbegriffs als Voraussetzungen für eine dauerhafte Implementierung des Grundrechtes auf Privateigentum
10.4. Zum Erfordernis der "angemessenen Entschädigung" nach EMRK-Praxis, im Vergleich zur Praxis der Transitionsstaaten: Forcierter Transformationsprozess mit dem primären Ziel der rein wirtschaftlichen Integration in die Europäische Staatengemeinschaft, versus stabile Rechtslage mit dem Ziel der Schaffung von Rechtssicherheit und Integration in EMRK-Standards.

XI. Zur Präsenz überwundener Eigentumskonzepte auch nach den politischen Umbrüchen ab 1989.
11.1. Der Geist vormaliger Konzepte von Staatseigentum und gesellschaftlichem Eigentum ist in der Handhabung der Eigentumsgarantie in den Transitionsstaaten auch nach dem Fall kommunistischer Regimes unverkennbar. Zur "Übermacht" des Staates.
11.2. Der Schwerpunkt der Regelungen sollte nicht in der Verankerung von Möglichkeiten der Entziehung von (Grund-) Eigentum und die Kodifikation von Eigentumsbeschränkungen sein, sondern die Schaffung klarer Interpretationsstandards nach EGMR-Modell. Die Integration der Transitionsstaaten des Balkan soll nicht nur auf wirtschaftlicher, sondern gerade und insbesondere auf rechtlicher Ebene erfolgen.
XII. Resümee und Ausblick.
In den Transitionsstaaten des Balkan werden die Interessen der Eigentümer im Lichte der EMRK-Standards trotz bestehender, positiv normierter verfassungsgesetzlicher Garantien insofern nicht hinreichend geschützt, als ein Mangel an einheitlicher praktischer Handhabung und Interpretation existierender Rechtsnormen durch die Gerichtshöfe besteht.

I. Vorwort.

Die Idee zur Befassung mit der Eigentumsfreiheit in den Balkanstaaten -primär in der Republik Serbien- ist im Rahmen meiner beruflichen Tätigkeit in der Region des Balkan entstanden. Den Anstoß für eine eingehende Studie über die Handhabung des Grundrechtes auf Eigentum gaben mir die Ergebnisse, die im Zuge einer von der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) am 14./15.11.2002 in Belgrad organisierten Internationalen Konferenz mit dem Titel "Die Reform des integrierten Katasters in Serbien" erzielt wurden. Die Erstellung einer vergleichenden Studie mit dem Titel "Comparative Analysis and Review of Real Property Registration and Cadastre Systems in Eastern and South-Eastern Europe", die ich im Februar 2004 in Kooperation mit Herrn Dipl.Ing. Stevan Marošan (Universität Belgrad, Bautechnische Universität, Institut für Geodäsie) für die Weltbank erstellt habe, hat mir, aufgrund der direkten Rechtsvergleichung der Rechtslage in vier Transitionsstaaten und drei westeuropäischen Staaten, die unterschiedliche Handhabung der Eigentumsgarantie vor Augen geführt.

Bereits der Eigentumsbegriff scheint aufgrund des unterschiedlichen politischen Systems, in welchem die einzelnen Staaten gewachsen sind, nicht als einheitlicher, allgemein gültiger Rechtsbegriff Verwendung zu finden, sondern wird im Kontext des jeweils geltenden, "gereiften" sozio-politischen Systems gesehen. Allein diese Tatsache verdient meines Erachtens eine eingehende Beleuchtung und Prüfung des Begriffs, der Bedeutung und Handhabung des Grundrechtes auf Eigentum in ausgewählten Transitionsstaaten des Balkan, gemessen an den objektiv geltenden und in jahrzehntelanger Spruchpraxis des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte etablierten Standards der Europäischen Menschenrechtskonvention.

In der Diskussion mit Vertretern verschiedenster Berufsgruppen (Juristen, Geodäten, Politikern aus dem Bereich Städteplanung und Bauwesen, Betriebswirten und Volkswirten) aus verschiedensten Herkunftsländern und als Repräsentanten diverser Internationaler Organisationen und Institutionen haben sich v.a. zwei Aspekte herauskristallisiert: Zum einen haben die einzelnen Vertreter jeweils verschiedene Auffassungen und Vorstellungen über den Eigentumsbegriff an sich, über die Formen des Eigentumserwerbs und die Registrierung von Rechten an Liegenschaften, und zum anderen existiert ein unterschiedlicher Zugang im Hinblick auf die Art und Weise, wie man Transitionsstaaten am besten in "europäische Standards" und die EU integrieren könnte, und diese Vorstellungen werden auch propagiert. Dabei ist eine gewisse Neigung für jene eigentumsrechtlichen Lösungen unverkennbar, die im Staat des einzelnen Repräsentanten jeweils praktiziert wird, teilweise ohne Rücksicht auf das Rechtssystem, das im Transitionsstaat gehandhabt wird und noch "Spurenelemente" der kommunistischen bzw. sozialistischen Vergangenheit aufweist und erst schrittweise und möglichst harmonisch in die Standards westeuropäischer liberaler Staaten eingeführt werden muss, immer unter Berücksichtigung der vorherrschenden Mentalität.

Mein besonderes Anliegen ist, zu betonen, dass wir uns bei der Unterstützung der Transitionsstaaten in der Durchgangsphase, die auf den Aufbau des Rechtsstaates abzielt, so verhalten müssen, dass die Menschen vor Ort nicht den Eindruck haben, sie würden zu sehr von außen bestimmt. Schließlich haben auch die westlichen Staaten viele Jahre gebraucht, um nach dem Zweiten Weltkrieg planwirtschaftliche und lenkungsrechtliche Vorschriften zu eliminieren, die Kriegsfolgen zu verarbeiten und ein Rechtsstaatsbewusstsein wieder aufzubauen. Auch den Transitionsstaaten ist eine Stabilisierungsphase zuzugestehen, um ihren eigenen Weg hin zur rechtsstaats-konformen Handhabung von Grundrechten und damit auch der Eigentumsfreiheit zu finden.

Mein Dank gilt an erster Stelle Herrn Prof. Dr. Ewald Wiederin und insbesondere Herrn Prof. Dr. Heinz Schäffer, die trotz des nicht alltäglichen Themas an einer österreichischen Juridischen Fakultät die Betreuung der Arbeit übernommen und mir wertvollen Input für die fachgerechte Bearbeitung des Themas gegeben haben. Danken möchte ich ferner Herrn Mag. Ratomir Slijepčević (Präsident des Multidisziplinären Zentrums zur Förderung des Integrationsprozesses und der Rechtsharmonisierung, Belgrad, Rat des Verfassungsgerichtshofs der Republik Serbien a.D. und Generalsekretär der Juristenvereinigung Serbiens) und Herrn Prof. Dr. Ilija Babić (Wirtschaftsakademie Novi Sad, Serbien); Frau Prof. Dr. Vera Vratuša-Žunjić (Universität Belgrad, Philosophische Fakultät); Frau Prof. Dr. Jelena Vilus (European Center for Peace and Development, UN University for Peace); Frau Prof. DDr. Michaela Strasser (Juridische Fakultät Salzburg, Fachbereich Sozial- und Wirtschaftswissenschaften) und schließlich Frau Dipl. Jur. Ljiljana Matić (Zweit-instanzliches Handelsgericht Belgrad).

Danken möchte ich weiters Frau Karin Kai Horner (Wien), die in bewährter Präzisionsarbeit das Lektorat übernommen und mir wichtige Hinweise für eine bessere Lesbarkeit und Verständlichkeit der Arbeit gegeben hat.

II. Einleitung

Die Rechtsordnungen der europäischen Staaten bieten üblicherweise einen umfassenden rechtlichen Schutz des Eigentums, woraus die Bedeutung des Eigentums für Staat und Gesellschaft ersichtlich wird. Das Rechtsinstitut Eigentum genießt nicht nur den Schutz des Privatrechts, sondern gerade auch des öffentlichen Rechts[1]. Die modernen Grundlagen für den Eigentumsschutz basieren auf naturrechtlichem Gedankengut unter Heranziehung antiker Rechtsgrundlagen. John Locke sieht als Ziel des Staates den Schutz der natürlichen Rechte durch Gesetze -heute würde man dieses Postulat wohl als Forderung nach Rechtssicherheit verstehen-, sowie den Schutz des Eigentums, allerdings unter dem Vorbehalt des Gemeinwohls[2]. Eigentum soll als Garant von Freiheit dienen.

Wie eng Eigentum und Freiheit miteinander verbunden sind, mag, wenn man das Recht auf Unverletzlichkeit des Eigentums als rein "ökonomisches", d.h. Grundrecht mit wirtschaftlichem Bezug betrachtet, zunächst nicht einleuchten. Das Eigentumsrecht soll als liberales Grundrecht und Abwehrrecht nicht nur vor staatlichen Eingriffen in die grundrechtliche Freiheitssphäre schützen. - Darüber hinaus und tatsächlich ist es jenes fundamentale Recht, das es dem Einzelnen erlaubt, als Individuum im Staat zu agieren und seine Autonomie in die Tat umzusetzen, und zwar sowohl gegenüber dem Staat, als auch gegenüber Dritten. Der deutsche Bundesgerichtshof[3] hat die These vom Freiheitswert des Eigentums seiner Rechtsprechung zugrunde gelegt und ausgeführt, dass "der in den Staat eingegliederte Einzelne" […], um unter seinesgleichen als Person, das heißt: frei und selbstverantwortlich leben zu können und um nicht zum bloßen Objekt einer übermächtigen Staatsgewalt zu werden, also um seiner Freiheit und Würde willen, einer rechtlich streng gesicherten Sphäre des Eigentums bedarf“. Darüber hinaus verleiht das Recht auf Privateigentum gewisse "Kontrollrechte", und zwar insofern, als es dem Eigentümer nicht nur erlaubt, sein Eigentum exklusiv - im Wege des Ausschlusses Dritter - zu nutzen, sondern auch, von seinem Eigentum sozial nützlichen Gebrauch zu machen, und zwar durch den selektiven Ausschluss Dritter[4].

Der Konnex zwischen Eigentum und Freiheit wird immer deutlicher, wenn man die Anfänge der wissenschaftlichen Abhandlungen über das Eigentum, beginnend bei Thomas von Aquin, über Johannes Calvin und John Locke bis zu Maurice Cranston, als Quelle der Rechtfertigung von Eigentum heranzieht. Im Gegensatz dazu sieht Karl Marx gerade in der Abschaffung des Privateigentums den Weg zur Verwirklichung von Freiheit und Gleichheit.

Vorweg sei betont, dass diese Studie nicht dazu dienen soll, diverse Anschauungen zu propagieren oder zu verdammen. Es kann nicht Sinn und Zweck einer Studie im Rahmen des Verfassungsrechtes sein, Urteile darüber abzugeben, in welcher Form ein Staat das Grundrecht auf Eigentum gewähren sollte, ob es neben dem Privateigentum weitere Eigentumsformen geben sollte oder nicht, etc. Genauso wenig soll diese Studie als Anleitung für den Versuch der Verankerung einer Eigentumsgarantie verstanden werden, wie sie von den "westlich orientierten Staaten" praktiziert wird. Keinesfalls will die vorliegende Studie jenes Modell der Eigentumsgarantie als "Vorzeigemodell" einer demokratischen Verwirklichung des Grundrechtes vorführen, welches einzelne europäische Staaten aufgrund jahre- oder jahrzehntelanger Praxis in Konformität mit den Vorgaben der Europäischen Menschenrechtskonvention praktizieren, und damit die von anderen Staaten, in diesem Fall von Transitionsstaaten des Balkan, praktizierte Eigentumsfreiheit als "schlechtere Lösung" undifferenzierter Kritik aussetzen.

Jeglicher Versuch in diese Richtung wäre nicht nur anmaßend und überaus unangebracht, sondern würde auch der Absicht dieser Analyse zuwiderlaufen, nämlich aufzuzeigen, wie die Eigentumsfreiheit in den "EMRK-Staaten", und im Vergleich dazu in den Balkanstaaten verwirklicht ist und in der Praxis gehandhabt wird, welche Faktoren dazu beigetragen haben, dass es gerade zu dieser oder jener Form der Eigentumsgarantie kommen konnte, und welche Rolle das politische System der einzelnen Staaten für die Umsetzung der Eigentumsfreiheit gespielt hat. Die Spruchpraxis der Verfassungsgerichtshöfe der Transitionsstaaten, insbesondere der Republik Serbien, soll aufzeigen, ob und in welchem Ausmaß die Judikatur bei der Behandlung des Grundrechtes auf (Privat-)Eigentum und Eingriffen hierzu der Argumentationslinie folgt, welche vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in gefestigter Übung zur Anwendung gelangt, oder ob und inwiefern spezifische, nur den Transitionsstaaten zuordenbare Argumente Überhand gewinnen, um die -inzwischen in sämtlichen Transitionsstaaten des Balkan verankerte- Eigentumsgarantie zu schützen und Eigentumseingriffe bzw. den Entzug von Eigentum zu legitimieren.

Schließlich sollen die Zusammenhänge zwischen Recht und Gesellschaft und die gesellschaftlichen Bedingungen der Entstehung der einzelnen Normen, mit welchen Privateigentum gewährleistet wird, sowie deren Effektivität untersucht werden. In diesem Sinne soll nicht eine bestimmte legistische Lösung des einen oder anderen Gesetzgebers präferiert werden, es sollen vielmehr die Zusammenhänge zwischen verfassungsrechtlicher Eigentumsgarantie und historischen, politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen beleuchtet werden, um zu einem Verständnis für die konkrete Ausgestaltung der Eigentumsfreiheit beizutragen.

Wenn man die Medienberichte verfolgt, die von der politischen Lage am Balkan sprechen, könnte man den Eindruck gewinnen, ein geordnetes Rechtssystem, geschweige denn verfassungsgesetzlich gewährte Rechte, werde man in diesen Staaten kaum vorfinden. Im Gegenteil, lässt man die Ereignisse der jüngsten Zeitgeschichte des politischen Alltags am Balkan Revue passieren (die Ermordung des ehemaligen Serbischen Premierministers Zoran Đinđić[5], die immer wieder aufs neue aufflammenden Aufstände zwischen Serben und Albanern im Kosovo, die Berichte über die "Drogenroute" des Balkan u.v.m.), ist man geneigt, dem Balkan generell einen gewissen anti-demokratischen und anarchistischen Charakter zuzuschreiben.

Hösch[6] beschreibt den Terminus Balkan als "Synonym für eine typische Krisenregion und ein sprichwörtliches Pulverfass" und weist auf den weitläufig eingebürgerten Ausdruck "Balkanische Zustände" hin, die üblicherweise eine "archaische Welt der Rückständigkeit, der blutigen Stammesfehden, der politischen Morde […], des Paternalismus und Klientelismus, der verbreiteten Korruption und der mafiösen Strukturen, der mangelnden öffentlichen Ordnung und des Machtmissbrauchs der herrschenden Eliten"[7] umschreiben würden.

Auffallend ist, dass von der Mehrheit der Bevölkerung in der Region Südosteuropas der Begriff Balkan tunlichst vermieden wird und mit diesem von der einheimischen Bevölkerung (insbesondere Serben, Montenegrinern, Bosniern und Kroaten[8] ) eine negative Konnotation assoziiert wird. Kroaten sehen sich überhaupt nur bedingt als Teil Südosteuropas an, wobei Vergleiche mit Serbien und Bosnien üblicherweise als unangebracht empfunden werden. Der Ausdruck Balkan wird sogar durchwegs als Beleidigung angesehen[9]. Im Unterschied zu den Ländern des Westbalkan scheint lediglich in Bulgarien die Bezeichnung Balkan positiv - oder zumindest wertneutral - besetzt zu sein[10], was sich in zahlreichen bulgarischen Unternehmens- und Produktbezeichnungen[11] widerspiegelt.

Diese Studie soll unter anderem auch dazu anregen, die Mythen über die "Gesetzlosigkeit"[12] des Balkan neu zu überdenken und in Frage zu stellen. Auch -oder gerade- ein Transitionsstaat wird bemüht sein, essentielle Merkmale eines Rechtsstaates (Privateigentum, Wettbewerb, gesetzliche Grundlagen im Sinne des Legalitätsprinzips) so rasch als möglich in das Rechtssystem aufzunehmen, nicht zuletzt deshalb, um möglichst rasch in die Internationale Staatengemeinschaft integriert zu werden und damit dem Staat zu wirtschaftlichem Aufschwung zu verhelfen. Insofern verfolgt die vorliegende Arbeit auch den Zweck, objektiv im Sinn eines Leitfadens zu informieren, welche Grundrechtsstandards man in den Balkanstaaten erwarten darf, und wie diese in der Praxis gehandhabt werden.

Kernstück der Analysen in dieser Studie ist auf der einen Seite der Balkan, auf der anderen Seite Serbien im speziellen, das schwerpunktmäßig beleuchtet werden soll. Wo dies aufgrund der Vergleichswerte, die am Beispiel ehemaliger Transitionsstaaten (Ungarn, Tschechien) bzw. Transitionsstaaten aus der Region Osteuropas außerhalb des Balkan (Rumänien) gewonnen werden konnten, nützlich und sinnvoll erscheint, werden zur Veranschaulichung der Lage in den Balkanstaaten bzw. speziell in Serbien marginal auch diese Staaten betrachtet. Zur Veranschaulichung der Rechtslage in den Balkanstaaten und insbesondere in der Republik Serbien bzw. in der Staatengemeinschaft Serbien und Montenegro wurden großteils authentische Gesetzestexte und anderes Material im fremdsprachigen Original (aus Printmedien und Literatur serbischer, kroatischer, bosnischer, britischer sowie US-amerikanischer Autoren) verwendet, die als fremdsprachige Passagen aus dem Serbischen, Kroatischen, Bosnischen und Englischen als Eigenübersetzung ins Deutsche übersetzt wurden und in die Arbeit eingeflossen sind.

Das Motiv, weshalb die Rechtslage im Hinblick auf die Eigentumsgarantie in der Republik Serbien im besonderen dargestellt werden soll, liegt zum einen darin, dass gerade Serbien einer Vielzahl an verschiedenen politischen Regimes und Systemen unterworfen war (Königreich Jugoslawien, 50 Jahre Sozialismus jugoslawischer Spielart mit Dominanz der kommunistischen Partei, elf Jahre Milošević -"Diktatur", und seit 5. Oktober 2000 demokratische Republik), die durchwegs ihre eigenen Vorstellungen von Eigentum verfolgt hatten. Die Darstellung der verschiedenen Systeme bis zur aktuellen Rechtslage ermöglicht eine Erklärung für die heute praktizierte Eigentumsfreiheit.

Zum anderen hat Serbien, nach dem Zusammenbruch der letzten "Diktatur" in Europa, somit als einer der letzten postsozialistischen Staaten, den Transitionsweg beschritten[13]. Mit Milošević hat, wie es Hösch umschreibt, "der letzte Statthalter stalinistischer Herrschaftsmethoden die Bühne in Südosteuropa […] verlassen"[14]. Die Zeit der Diktaturen des 20. Jahrhunderts, die viele Jahrzehnte das Schicksal der Balkan - Völker geprägt hatten, ist damit endgültig abgelaufen[15]. Als Kernproblem der sozialistischen Eigentumsverfassung hat sich die Ineffizienz dieses Systems erwiesen[16]: Die Dominanz der Politik über Recht und Wirtschaft konnte und kann nicht zu einer adäquaten Achtung vermögensrechtlicher und wirtschaftlich relevanter Interessen des Einzelnen beitragen[17]. Was man mit Sicherheit prognostizieren kann -und was man teilweise auch heute schon miterlebt- ist die Tatsache, dass sich die konkrete Umsetzung von liberalem, marktwirtschaftlich orientiertem Gedankengut in der Gesellschaft als mühsame und arbeitsintensive Aufgabe erweist. Der Transitionsweg beinhaltet die -auch von der Internationalen Staatengemeinschaft eingeforderte- Implementierung von Privateigentum und Marktwirtschaft und orientiert sich an der Verwirklichung der Eigentumsfreiheit nach dem Modell westeuropäischer, kapitalistischer Staaten.

Die Studie soll aufzeigen, inwiefern sich Transitionsstaaten bei diesem Unterfangen an der Rechtslage und Rechtsprechung "kapitalistischer"[18] Staaten und an den vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Jahrzehnten an Fallrecht erarbeiteten Grundwerten der westeuropäischen Staatengemeinschaft orientieren, und ob diese Werte gleichsam im "Schnellverfahren" 1:1 in den Transitionsstaaten umgesetzt werden sollen.

Besonders berücksichtigungswürdig erscheint der Fall Serbiens insofern zu sein, als sich hier nach praktischer Erfahrung die Bürger nur schwer an die Tatsache gewöhnen, dass sie seit der Oktober-Revolution des Jahres 2000 offiziell im "Kapitalismus" leben. Allerdings sollten die Begriffe Kapitalismus und Eigentum nicht gleich-gesetzt werden, wie dies häufig von den Bürgern der Transitionsstaaten gehandhabt wird. Tatsächlich ist jener Faktor, der den Kapitalismus definiert, das Eigentum. Das, was einst gesellschaftliches Eigentum war, wird jetzt zu Privateigentum. Nicht nur wegen der Privatisierung, sondern auch wegen der neuen Unternehmen, die gegründet werden, spricht heute niemand mehr davon, dass die Gesellschaft verwaltet werden müßte. Anderseits sollte man den Kapitalismus nicht zur Idealgesellschaft proklamieren, in der jegliche Probleme gelöst sind. Die meisten Transitionsstaaten sehen sich heute mit gravierenden wirtschaftlichen Problemen konfrontiert[19], was häufig dazu führt, dass der Kapitalismus in den Transitionsstaaten an Popularität verliert, sobald gewisse negative Eigenschaften, die der Reformprozess mit sich bringt, mit dem Kapitalismus gleichgesetzt werden: Armut, Ungleichheit bzw. ungleiche Startbedingungen bei der Akquirierung von Eigentum, Arbeitslosigkeit, etc. Aber auch diese erwähnten Faktoren sind "unangenehme" Begleiterscheinungen des Kapitalismus, die man in Kauf nehmen wird müssen, will man für den Einzelnen das Grundrecht auf Privateigentum effizient und durchsetzbar gestalten.

Wenn die vorliegende Studie dazu beiträgt, der Eigentumsfreiheit nicht nur einen besonderen Stellenwert in der Zivilgesellschaft zu attestieren, sondern Eigentum als "mit der Freiheit untrennbar verbundenes[20] Grundrecht“ und damit Privateigentum als "wichtige Institution einer offenen Gesellschaft freier Menschen"[21] anzuerkennen, so hat sie ihren Zweck erfüllt.

III. Thema und Leitgedanke.

Eigentum im Wandel – Praktische Relevanz und Ziele der vergleichenden Studie.

Die Verfassung eines Staates ist häufig entweder das Resultat der Rechtstradition, des ideologischen Erbes oder eines politischen Kompromisses. Diese Tatsache spiegelt sich gerade in der Verankerung der Eigentumsfreiheit, im Umgang mit Privateigentum von Seiten des Staates, und in der Handhabung des Eigentums durch den einzelnen Bürger wider. Die Fragen, die sich beim Studium der Rechtslage und Handhabung des Grundrechtes auf Eigentum in den Transitionsstaaten des Balkan primär stellen, lassen sich wie folgt vereinfacht formulieren:

- Darf der Staat in das Recht auf friedliche Nutzung des Eigentums eingreifen, und wenn ja, in welchem Ausmaß?
- Ist sich der Bürger der Reichweite des Grundrechtes auf Eigentum bewusst, will er - angesichts der über Jahrzehnte hindurch betriebenen Indoktrinierung der "Verabscheuungswürdigkeit von Privateigentum"[22] im sozialistischen bzw. vor-demokratischen Staat - dieses überhaupt durchsetzen?
- Glaubt er realistischerweise an die Durchsetzbarkeit seines Rechtes?

Diese Fragen sollen primär vom verfassungsrechtlichen Standpunkt aus beleuchtet werden, jedoch wird eine Thematisierung des gesellschaftlichen Rahmens, also die Wirksamkeit und Einflussnahme des verfassungsrechtlichen Gerüstes auf die Gesellschaft, nicht ausbleiben können, will man eine umfassende und objektive Analyse der gegenständlichen Problematik erreichen.

Der Reformprozess in den Transitionsstaaten des Balkan hat weitreichenden Einfluss nicht nur auf die jeweils benachbarten Balkanstaaten in Südosteuropa, sondern auch auf Europa allgemein, und zwar sowohl in wirtschaftlicher, als auch in politischer und rechtlicher Hinsicht. Obwohl die Reformen, die seit dem politischen Umbruch in den Balkanstaaten ab 1989 eingeleitet wurden, heute häufig mit negativen Begleit-erscheinungen assoziiert werden, so wird man doch geneigt sein, die Reformen in Richtung Demokratie und Rechtsstaat so rasch als möglich zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen. Als eine negative Begleiterscheinung des Transitionsprozesses in den Staaten Südosteuropas wird häufig das Phänomen der "Kolonialisierung" der Balkanstaaten[23] in der Verfolgung geo-strategischer Interessen genannt[24]. Tatsächlich sind in der Realität des Transitionsprozesses diverse negative Begleitumstände festzustellen, die nicht unerwähnt bleiben sollten und bei der Befassung mit dem vorliegenden Thema der Eigentumsfreiheit besondere Relevanz haben:

Parallel zur Transformation dominanter gesellschaftlicher Normen ist eine verfassungsrechtliche Betrachtungsweise auf die Prozesse, die sich heute in Süd-osteuropa abspielen, von enormer Bedeutung. Aus diesem Blickwinkel erscheinen viele Dinge, die sich im Rahmen des "unkonventionellen" Privatisierungs-prozesses bewegen, als unvereinbar mit der Verfassung der betroffenen Staaten. Diverse Gesetze, die u.a. die Eigentumsthematik betreffen, stellen zuweilen in Paragraphen gegossene Interessen hegemonistischer gesellschaftlicher Gruppierun-gen mit dem Zweck der Lösung eines gerade aktuellen politischen Problems dar. Es ist beispielsweise verwunderlich, dass in Serbien oder in Makedonien kaum jemand ein Problem darin zu sehen scheint, dass die realen Verhältnisse in einigen Bereichen nicht mit der geltenden Verfassung im Einklang stehen[25]. Die Bürger der Balkanstaaten gewinnen häufig den Eindruck, als hätte die Zersplitterung Jugoslawiens und das NATO-Bombardement auf Serbien und den Kosovo u.a. den Zweck verfolgt, den Prozess der "Zwangsprivatisierung" strategisch wichtiger Unternehmen voranzutreiben, und zwar zum Vorteil des transnationalen Finanzkapitals auf einem Terrain, in welchem das System der Selbstverwaltung tiefe Wurzeln hinterlassen hat. Natürliche Ressourcen, und durch die "gesellschaftliche Arbeit" geschaffene Ressourcen werden so praktisch der einheimischen Bevölkerung entzogen, wie dies vormals von den Kolonialmächten des 19. Jahrhunderts (und davor) in Gebieten außerhalb der Grenzen Europas praktiziert worden war. Tatsächlich drängen sich hier bei der Betrachtung realer Alltagsgeschehen in den Balkanstaaten Parallelen auf, sodass vielfach der Anschein einer "Kolonialisierung des Balkan[26] " entsteht. Andererseits werden zu dieser Methode real-politisch kaum gangbare Alternativen bestehen, sodass man die im Rahmen der Privatisierung gewählten Methoden in Kauf nehmen wird müssen, will man Kapital ins Land bringen.

Der Privatisierungsprozess stellt für potentielle Investoren wohl den höchsten Stellenwert dar, wenn es um die Frage der Rechtssicherheit und des Schutzes von Privateigentum bei der Platzierung von Kapital geht. Ein Investor wird nur dann geneigt sein, in ein Land zu investieren, wenn der Eigentumstitel sicher (im Sinn von gewährleistet / gesetzlich hinreichend geschützt) ist. Insofern kann diese Studie auch als Leitfaden, nicht nur über die legislative Verankerung des Grundrechtes auf Eigentum, sondern auch die Durchsetzbarkeit dieses Rechtes in der Praxis der Gerichte der beleuchteten Transitionsstaaten dienen.

Die Eigentumsproblematik wirft darüber hinaus Fragen im Bereich der Liegenschaftsregistrierung auf, die jedoch im Rahmen dieser verfassungsrechtlichen Analyse nicht im Detail erörtert werden sollen. In diesem Zusammenhang ist lediglich festzuhalten, dass etwa der Gedanke, die Grundbücher aufzugeben, in den sozialistischen Staaten (so auch im ehemaligen Jugoslawien) als natürliche Fortsetzung der Grundidee von der Abschaffung des Privateigentums und anderer Rechtsinstitute eines Systems entstand, wobei man Privateigentum, wie eingangs angedeutet, mit ausgesprochen negativem Beiklang als "Recht der Bourgeoisie" bezeichnete[27].

Die Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Europäische Menschenrechtskonvention – EMRK) vom 04.11.1950[28] "wird in allen Mitgliedstaaten des Europarates und damit weit über die derzeitige EU hinaus als zentraler Grundpfeiler der sich entwickelnden europäischen Verfassungsordnung und als deren menschenrechtlicher Kernbestand anerkannt, sie verkörpert unbestritten die grundlegenden menschenrechtlichen Wertvorstellungen und Verpflichtungen, die ihren […] Konventionsstaaten gemeinsam sind[29]."

Der Vergleich der Rechtslage vom Blickwinkel des Verfassungsrechts in jenen Staaten, die -häufig seit Jahrzehnten- in der Tradition der Europäischen Menschenrechts-konvention verwurzelt sind, mit jener von Transitionsstaaten soll sich nicht auf eine rein rechtsvergleichende Betrachtungsweise beschränken. Die Bearbeitung des Themas aus dem Blickwinkel der Rechtsvergleichung würde lediglich eine deskriptive Betrachtung ermöglichen. Es bliebe jedoch verwehrt, aus einer rein rechtsvergleichen-den Studie Schlüsse darüber zu ziehen, inwiefern der historische, politische und gesellschaftliche Rahmen auf die Erlassung bestimmter Rechtsnormen Einfluss hatte, bzw. inwieweit Recht (d.h. das Sollen) und Gesellschaft (d.h. das tatsächliche Sein) miteinander korrespondieren. Dies war der Anlass dafür, die verfassungsrechtliche Komponente mit einer rechtssoziologischen Komponente zu verbinden. Eine vergleichende Betrachtung der in den "EMRK-Staaten" einerseits, und in den Transitionsstaaten des Balkan andererseits praktizierten Gewährleistung des Privateigentums unter Berücksichtigung der gesellschaftlichen Gegebenheiten kann das Verständnis auch für die eigene Sichtweise in Bezug auf Eigentum vom Blickwinkel eines westlich orientierten Staates schärfen und der Eigentumsgarantie einen (noch) höheren Stellenwert einräumen.

IV. Allgemeine Begriffsbestimmungen.

4.1 Eigentum.

Die Verfassungen der europäischen Staaten eröffnen die vom Eigentum handelnden Normen meist mit dem Satz, dass "das Eigentum gewährleistet"[30] bzw. "geschützt" werde oder, dass "das Eigentum unverletzlich"[31] sei, ohne näher darauf einzugehen, was die jeweilige Verfassungsordnung unter "Eigentum" versteht. Der Begriff des Eigentums soll daher zunächst abgegrenzt werden.

Unter Eigentum versteht man zumeist das absolute dingliche Recht, über eine Sache -innerhalb der von der Rechtsordnung gezogenen Grenzen- frei zu verfügen. Das kroatische Gesetz über das Eigentum und andere dingliche Rechte[32] enthält in Art. 30 Abs. 1 eine Definition, die sowohl die mit dem Eigentumsrecht verbundenen Befugnisse, als auch die damit verbundenen Grenzen anspricht, wenn es heißt, dass das Eigentumsrecht ein "dingliches Recht an einer bestimmten Sache" ist, "das seinen Träger dazu berechtigt, mit dieser Sache und ihren Nutzungen nach Belieben zu verfahren und jeden anderen davon auszuschließen, wenn dies weder fremden Rechten noch gesetzlichen Beschränkungen widerspricht."

Das Eigentumsrecht gewährt eine umfassende Herrschaftsmacht und ermächtigt den Eigentümer zum Besitz (also zur tatsächlichen Sachherrschaft über die Sache), zu tatsächlichen Einwirkungen auf die Sache sowie zur - meist rechtsgeschäftlichen - Verfügung über sein Recht[33]. Zu dieser abstrakten Definition gelangt man u.a. auch bei Heranziehung der Umschreibung des grundrechtlichen Eigentumsschutzes, die das deutsche Bundesverfassungsgericht anwendet, wonach dem "grundrechtlichen Schutz […] das Recht" unterliegt, "den Eigentumsgegenstand selbst zu nutzen und Dritte von Besitz und Nutzung auszuschließen, ebenso wie die Freiheit, den Eigentumsgegen-stand zu veräußern und aus der vertraglichen Überlassung zur Nutzung durch andere den Ertrag zu ziehen, der zur finanziellen Grundlage für die eigene Lebensgestaltung beiträgt […]"[34].

Nach Milović[35]"bestimmt das Eigentum gesellschaftliche Beziehungen, zumal dieses die Grundbeziehung jeder Gesellschaftsordnung ist." Eigentum ist, so Milović, "der 'Kern' der Wirtschaft und des Rechtssystems jedes Staates". Privateigentum setzt notwendigerweise das einzelne Individuum und dessen persönliche Freiheiten in den Vordergrund, während es eine "Massengesellschaft" zurückdrängt. Das Recht auf Privateigentum trägt zur Entfaltung der individuellen Freiheit und Initiative bei, die wiederum die Ausübung anderer Menschenrechte und Grundfreiheiten fördern und bestärken[36] ; das Eigentumsrecht ist ein vielschichtiges Gebilde, das nicht nur rechtliche, sondern auch wirtschaftliche, soziologische und philosophische Fragestellungen tangiert.

Beim Eigentumsbegriff ist zunächst zwischen Eigentum im privatrechtlichen, und Eigentum im verfassungsrechtlichen Sinn zu unterscheiden.

4.1.1 Der privatrechtliche (bürgerlich-rechtliche) Eigentumsbegriff,

demnach Eigentum im Sinn der bürgerlichen Rechtsordnung, wird in der jeweiligen Rechtsordnung im Rahmen des Sachenrechtes geregelt. Mijatović definiert Privateigentum als "ein Konvolut an Rechten, welche die Gesellschaft, im Wege verschiedener gesetzlicher Sanktionen, dem Einzelnen überträgt."[37] Der Eigentümer hat das Recht, seine Sache zu nutzen, andere von deren Nutzung auszuschließen, den Nutzen aus der Sache für sich zu beanspruchen, Erscheinungsbild und Inhalt der Sache zu ändern, und diese an Dritte zu übertragen[38].

Für die österreichische Rechtsordnung definiert § 353 ABGB Eigentum im objektiven Sinn und meint damit die Sache selbst, wenn es heißt:

"Alles, was jemandem zugehört, alle seine körperlichen und unkörperlichen Sachen, heißen sein Eigentum."

Wenn Eigentum im Sinn von "Eigentumsrecht" gebraucht wird, so ist damit Eigentum im subjektiven Sinn gemeint. Eigentum wird als die weitreichendste rechtliche Befugnis über eine Sache (in den Schranken der jeweiligen Rechtsordnung) verstanden, welche das Recht umfasst, eine Sache zu besitzen, zu nutzen und über sie zu verfügen. Eine ähnliche Formulierung bzw. ein relativ einheitlicher Begriff des Eigentumsrechtes ist in allen kontinentaleuropäischen Zivilrechtskodifikationen zu finden[39].

Die Ermächtigung des Eigentümers, mit seinem Eigentum nach Willkür zu verfahren, es beliebig zu gebrauchen, zu zerstören, darüber rechtsgeschäftlich zu verfügen, etc., bezeichnet man als "positive Seite" des Eigentumsrechtes. Als "negative Seite" des Eigentumsrechtes wird jene Befugnis des Eigentümers verstanden, jeden anderen von seinem Eigentumsrecht auszuschließen. So betrachtet, ist das Eigentumsrecht ein absolutes, unbeschränktes, gegen jedermann geschütztes Herrschaftsrecht[40].

Allerdings werden, wie bereits oben erwähnt, der freien Verfügungsbefugnis über das Eigentum von der Rechtsordnung meist Grenzen gesetzt, die ihren Grund in der Berücksichtigung der Interessen der Allgemeinheit haben. Daraus resultieren Beschränkungen des Eigentumsrechtes, die sich insbesondere als Beschränkungen von Grundeigentum in der Form von Enteignungen darstellen. Der Eigentümer ist also - trotz seines prinzipiell geltenden, absoluten Herrschaftsrechtes - insofern in seiner Verfügungsbefugnis über sein Eigentum eingeschränkt, als er zum einen die Rechte Dritter (oftmals von Nachbarn) und damit gleichrangige Eigentumsrechte, und zum anderen die Interessen der Allgemeinheit berücksichtigen muss[41]. Sofern der Eigentümer im Interesse Dritter bzw. im Interesse der Allgemeinheit Beschränkungen unterworfen ist, so lebt sein unbelastetes Eigentumsrecht dennoch wieder auf, sobald diese Beschränkungen wegfallen. Dieses Prinzip spiegelt die Elastizität des Eigentums wider[42], was nichts anderes bedeutet, als dass nicht das Eigentumsrecht als solches durch etwaige Beschränkungen untergeht, sondern dass dieses bei Wegfall oder Reduktion der "höherrangigen" Interessen in vollem Umfang wieder auflebt.

Wenn Eigentum nicht einer Person alleine (Alleineigentum), sondern mehreren Personen gemeinschaftlich zusteht, so liegt Miteigentum vor, sofern jeder Miteigentümer einen Anteil (einen Bruchteil bzw. eine Quote) an der Sache hat, über den er frei verfügen kann. Quantitätseigentum als Unterfall des Miteigentums liegt vor, wenn an einem Gemenge vertretbarer Sachen Eigentum an einem bestimmten Quantum der Gesamtsache besteht. Gesamthandeigentum liegt vor, wenn -im Unterschied zum schlichten Miteigentum- keiner der Gesamthandeigentümer über seinen Anteil alleine verfügen kann, sondern alle Gesamthandeigentümer nur gemeinschaftlich über die Sache verfügen können. Praktisch kommt die letztgenannte Eigentumsform beim Eigentum an Handelsgesellschaften vor, einigen Lehrmeinungen zufolge liegt Gesamthandeigentum auch beim Ehegatten-Wohnungseigentum vor[43].

Wird jemandes Eigentum (also die Sache selbst) oder dessen Eigentumsrecht durch einen Dritten oder den "Staat" (also die öffentliche Gewalt) verletzt, so stehen dem Eigentümer Abwehrrechte oder (zumindest) Ausgleichsrechte zur Verfügung.

4.1.2 Der verfassungsrechtliche Eigentumsbegriff

geht über den privatrechtlichen hinaus und umfasst alle vermögenswerten Privatrechte[44]. Eigentum als einer der höchsten Grundwerte und ein Merkmal zur Verwirklichung einer freiheitlichen, demokratischen Gesellschaft wird in der Form der "Eigentumsgarantie" von allen demokratischen Rechtsstaaten als verfassungsgesetz-lich gewährleistetes Recht im besonderen geschützt, wobei als Eigentumsgarantie die verfassungsrechtliche Gewährleistung des einer Privatperson konkret gehörenden Eigentums und des Eigentums als Institut der Rechtsordnung gemeint ist.

Das deutsche Bundesverfassungsgericht[45] hat Eigentum als "elementares Grundrecht" definiert, "das in einem inneren Zusammenhang mit der Garantie der persönlichen Freiheit steht. Ihm kommt im Gesamtgefüge der Grundrechte die Aufgabe zu, dem Träger des Grundrechts einen Freiheitsraum im vermögensrechtlichen Bereich sicherzustellen und ihm damit eine eigenverantwortliche Gestaltung des Lebens zu ermöglichen".

Art. 1 des 1. Zusatzprotokolls zur Europäischen Menschenrechtskonvention statuiert:

"Jede natürliche oder juristische Person hat ein Recht auf Achtung ihres Eigentums. Niemandem darf sein Eigentum entzogen werden, es sei denn, dass das öffentliche Interesse es verlangt, und nur unter den durch Gesetz und durch die allgemeinen Grundsätze des Völkerrechts vorgesehenen Bedingungen.

Die vorstehenden Bestimmungen beeinträchtigen jedoch in keiner Weise das Recht des Staates, diejenigen Gesetze anzuwenden, die er für die Regelung der Benutzung des Eigentums in Übereinstimmung mit dem Allgemeininteresse oder zur Sicherung der Zahlung der Steuern, sonstiger Abgaben oder von Geldstrafen für erforderlich hält."

In der österreichischen Verfassungsordnung ist die Eigentumsgarantie sowohl im Staatsgrundgesetz vom 21. Dezember 1867 über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger[46] (Art. 5 StGG), als auch -als unmittelbar anwendbare Norm im Verfassungsrang- in der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten[47] bzw. im Ersten Zusatzprotokoll zur EMRK (Art. 1, 1. ZPzEMRK) verankert; Art. 5 StGG wurde durch die EMRK-Bestimmung materiell derogiert[48].

Art. 5 StGG statuiert:

"Das Eigentum ist unverletzlich. Eine Enteignung gegen den Willen des Eigentümers kann nur in den Fällen und in der Art eintreten, welche das Gesetz bestimmt."

Eigentum wird im österreichischen Recht ohne weitere "Bedingungen" gewährleistet und unterliegt nicht etwa, im Gegensatz zum deutschen Recht, einer expliziten Sozialpflichtigkeit bzw. Sozialbindung. Dies bedeutet allerdings nicht, dass Eigentum nach österreichischem Verständnis oder nach dem Verständnis jener Rechts-ordnungen, die keinerlei Sozialbindung des Eigentums positivrechtlich verankert haben, vom Eigentümer "rücksichtslos" ausgeübt werden darf, vielmehr unterliegt es ja den Beschränkungsmöglichkeiten, die bereits erwähnt wurden. Ein ausdrückliches Postulat wie im Deutschen Recht, wonach "Eigentum verpflichtet", kennt die österreichische (Verfassungs-) Ordnung allerdings nicht.

Art. 14 des Deutschen Grundgesetzes statuiert, unter dem Titel

"Eigentum, Erbrecht und Enteignung:

(1) Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt.
(2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich zum Wohle der Allgemeinheit dienen.
(3) Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen. Wegen der Höhe der Entschädigung steht im Streitfalle der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten offen."

Der deutsche Gesetzgeber hat mit Art. 14 Abs. 2 eine Sozialbindung des Eigentums statuiert, wobei die Sozialpflichtigkeit des Eigentums ihre Bedeutung insbesondere hinsichtlich des Eigentums an Grund und Boden entfaltet, wie das Deutsche Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 12.12.1967 betont hat[49]: "Die Tatsache, dass der Grund und Boden unvermehrbar und unentbehrlich ist, verbietet es, seinen Nutzen dem unübersehbaren Spiel der freien Kräfte und dem Belieben des Einzelnen vollständig zu überlassen; eine gerechte Rechts- und Gesellschaftsordnung zwingt vielmehr dazu, die Interessen der Allgemeinheit beim Boden in weit stärkerem Maße zur Geltung zu bringen als bei anderen Vermögensgütern. Der Grund und Boden ist weder volkswirtschaftlich noch in seiner sozialen Bedeutung mit anderen Vermögenswerten ohne weiteres gleichzustellen; er kann im Rechtsverkehr nicht wie eine mobile Ware behandelt werden."

Wie noch näher ausgeführt werden soll, steht dem Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der Nutzungsregelung von Eigentum ein weiter Ermessensspielraum zu, sodass sich Einschränkungen des Rechts auf Privateigentum zum Wohl der Allgemeinheit legitimerweise ergeben können, ohne dass eine Enteignung vorläge. Solcherart hinzunehmende Verfügungsbeschränkungen können etwa aufgrund des über-geordneten Interesses des Umweltschutzes oder anderer bedeutender gesellschaftlich gerechtfertigter Faktoren (Besteuerung, Erbrecht, berufsrechtliche oder mietrechtliche Bestimmungen, etc.) resultieren. Wie das deutsche Bundesverwaltungsgericht in einer Entscheidung aus dem Jahr 2000 festgehalten hat, lasse sich aus der verfassungs-rechtlichen Garantie des Grundeigentums kein Anspruch auf Einräumung solcher Nutzungsmöglichkeiten herleiten, die dem Eigentümer den größtmöglichen wirtschaft-lichen Vorteil versprächen[50]. Das verfassungsgesetzlich garantierte Recht auf Eigentum verschafft also keine Basis für einen Anspruch auf eine wirtschaftlich größtmögliche "Ausbeute", die der Eigentümer aus seinem Eigentumsobjekt im günstigsten Fall lukrieren könnte[51].

Als Folge dieses Verständnisses von der Eigentumsgarantie resultiert, dass beispielsweise preisrechtliche Vorschriften, die sozialpolitische Ziele verfolgen, verfassungsrechtlich nicht ausgeschlossen sind. Wie das deutsche Bundes-verfassungsgericht in einer Entscheidung aus 1999 ausgeführt hat, gewährleistet "die Eigentumsgarantie nicht die einträglichste Nutzung des Eigentums. Dies gilt insbesondere für Grundstücke, die nicht vermehrbar sind, eine große soziale Bedeutung haben und bei denen es deshalb notwendig sein kann, die Interessen der Allgemeinheit durch gesetzliche Regelungen zur Geltung zu bringen und die Nutzung nicht völlig dem freien Spiel der Kräfte und dem Belieben des Einzelnen zu überlassen."[52]

Eine äußerst weit gefasste Sozialpflichtigkeit des Eigentums normiert die Verfassung der Republik Kroatien, die sich offenbar an der deutschen Verfassung orientiert hat und eingangs normiert, dass Eigentum und Erbrecht gewährleistet werden, jedoch gleichzeitig festlegt, dass Eigentum verpflichtet, und fordert, dass "der Träger eines Eigentumsrechtes und deren Nutzer verpflichtet sind, zum allgemeinen Besten beizutragen"[53].

Die Möglichkeit der Enteignung ist, bei Vorliegen gewisser Bedingungen und, sofern diese restriktiv gehandhabt wird, wohl in jeder europäischen Rechtsordnung ein "logisches Institut"; allerdings ist zu betonen, dass gerade dieses Institut für die Eigentumsgarantie eine Bedrohung darstellen kann, sofern die jeweilige Verfassung und das Gesetz der Enteignung zu weiträumige Grenzen setzen.

Der EGMR hat, im Sinne einer Kontrolle von staatlichen Maßnahmen bei der Beschränkung von Eigentum, einen klaren Standpunkt bezogen und die drei kumulativen Erfordernisse bzw. Normen für eine Beschränkung von Eigentum in diversen Entscheidungen[54] (beginnend mit Sporrong und Lönnroth gegen Schweden im Jahr 1982) bereits mehrfach erläutert; auf der Ebene der EMRK-Staaten herrscht insofern Klarheit darüber, unter welchen Bedingungen eine Beschränkung des Grundrechtes auf Eigentum legitim sein kann (s. dazu ausführlich ad 5.2.3.). An dieser Stelle ist vorweg lediglich festzuhalten, dass der EGMR sich unmissverständlich dahingehend geäußert hat, dass die Notwendigkeit eines gerechten Ausgleichs (fair balance) zwischen dem Individualinteresse des Einzelnen auf sein Grundrecht auf Eigentum und die Interessen der Allgemeinheit nur dann erfüllt ist, sofern die ergriffene Maßnahme (gegen das Eigentum) das "Legalitätsprinzip berücksichtigt hat und nicht willkürlich erfolgt"[55] ist. Der Gerichtshof stellt demnach das Prinzip der rule of law (Legalitätsprinzip bzw. rechtsstaatliche Grundsätze) über das Verhältnismäßigkeits-prinzip, was bedeutet, dass das Verhältnismäßigkeitsprinzip subsidiär ist im Verhältnis zur rule of law.

Obwohl einige europäische Rechtsordnungen eine Sozialpflichtigkeit des Eigentums nicht statuiert haben, so unterliegt Eigentum an Immobilien auch hier naturgemäß bzw. seinem Wesen nach gewissen stärkeren, sozialen Bindungen als Eigentum an beweglichen Sachen. Der Grundeigentümer kann sein Eigentum an Grund und Boden niemals völlig schrankenlos genießen, er hat in der Ausübung seines Eigentums-rechtes vielmehr Normen zu beachten, die beispielsweise Nachbarrechte, das Baurecht oder Aspekte der Raumordnung betreffen. Bei allen Bindungen, denen der Grundeigentümer unterliegt, und obwohl der Gesetzgeber Eigentumsbeschränkungen vorsehen kann, darf letzterer jedoch keinesfalls den Wesensgehalt des Grundrechtes auf Eigentum verletzten oder auf andere Weise "gegen einen auch ihn bindenden Verfassungsgrundsatz" verstoßen[56].

Alle Verfassungen der Staaten der Europäischen Union kennen das Recht auf Privateigentum. Allerdings erkennt man an der jeweiligen Ausgestaltung des Rechtes auf Privateigentum sowie an den Einschränkungsmöglichkeiten, inwieweit die jeweilige Verfassung der konservativ-liberalen Tradition verbunden ist oder sich aufgrund sozialer Entwicklungspotentiale gewandelt hat. Von den Mitgliedstaaten der EU hat Schweden wohl die weitreichendste Eigentumsgarantie in Art. 18 der Schwedischen Verfassung verankert, zumal nicht nur die Art des Eigentumsschutzes, sondern auch die Entschädigungspflicht näher definiert werden[57]. Darüber hinaus wird im Falle von Enteignungen nicht nur das Vorliegen eines öffentlichen Interesses, sondern sogar eines dringenden öffentlichen Interesses[58] gefordert:

"Das Eigentum jedes Bürgers ist dergestalt geschützt, dass niemand gezwungen werden kann, mittels Enteignung oder im Wege solcherart anderer Verfügung, sein Eigentum an die staatliche Verwaltung oder an eine Privat-person auszuhändigen, oder Beschränkungen der Nutzung des Eigentums an Grundstücken oder Gebäuden durch die staatliche Verwaltung zu dulden, ausgenommen bei Bestehen einer Notwendigkeit, um dringende öffentliche Interessen zu erfüllen.

Jeder Person, die durch Enteignung oder solcherart Verfügung gezwungen ist, ihr Eigentum aufzugeben, steht eine Entschädigung für ihren Verlust zu. Eine Entschädigung ist desgleichen an eine Person zu leisten, deren Nutzung von Grundstücken oder Gebäuden dergestalt durch die öffentliche Verwaltung beschränkt wird, dass eine andauernde Nutzung von Grundstücken oder Gebäuden in Bezug auf den betroffenen Eigentumsteil durch die staatliche Verwaltung wesentlich beeinträchtigt wird, oder wenn hieraus eine Verletzung resultiert, die im Verhältnis zum Wert des betroffenen Eigentumsteils bedeutend ist. Die Entschädigung wird gemäß den im Gesetz niedergelegten Grundsätzen bestimmt."[59]

4.1.3 Ein Rückblick auf die historische Entwicklung des Eigentums

erweitert das Verständnis für die Handhabung des Rechtes auf Privateigentum nicht nur in der "westlichen, entwickelten Welt", sondern insbesondere in den post-kommunistischen Balkanstaaten. Berücksichtigt man die historische Entwicklung sowie die ursprüngliche Bedeutung des Eigentums, so lässt sich leicht erklären, weshalb sich bereits seit den Anfängen der Menschheit mehrere Eigentumsformen heraus-kristallisieren konnten. Eine besondere Bedeutung hat die Spaltung des Eigentums in jenen Staaten des Balkan erlangt, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg am sowjetischen Eigentumsmodell orientiert haben und somit Privateigentum, staatliches Eigentum und gesellschaftliches [=vergesellschaftetes] Eigentum als Eigentumsformen entwickelt und praktiziert haben.

Im mitteleuropäischen Raum (neben Österreich insbesondere Deutschland, Schweiz und Frankreich) wurde die juristische Eigentumsordnung primär von zwei Traditionen beherrscht: Von der römisch-rechtlichen (romanischen) und von der deutsch-rechtlichen (germanischen) Tradition. Neben diesen beiden Traditionen war für Österreich die naturrechtliche Eigentumstheorie der Aufklärung von Bedeutung. Das österreichische Recht ist ein Ausdruck dieser drei Einflüsse, wobei zum Teil sowohl die Eigentumsauffassung des älteren germanischen und deutschen Rechtes, als auch die römisch-rechtliche Eigentumslehre, und nicht zuletzt die naturrechtliche Eigentumstheorie der Aufklärung eine wesentliche Rolle bei der Ausarbeitung des endgültigen (und noch heute angewandten) Eigentumsbegriffs gespielt haben[60].

Das materielle Sachenrecht der Balkanstaaten (v.a. die Staaten, die aus der SFRJ hervorgegangen sind) hat seinen Ursprung im kontinentaleuropäischen Sachenrecht. Positivrechtliche Bestimmungen sind unter dem Einfluss jener Länder entstanden, die dem germanischen und romanischen Rechtskreis angehören, wobei das Vertragsrecht im wesentlichen dem romanischen Recht entspricht (beeinflusst durch französisches, schweizerisches und italienisches Recht), während das Sachenrecht primär dem germanischen (österreichischen und deutschen) Recht entspricht[61]. Heute gibt es -entgegen der Empfehlung des Lehrkörpers diverser juridischer Fakultäten in den Balkanstaaten- eine Tendenz zum anglo-amerikanischen Rechtskreis (insbesondere im Bereich Finanzrecht, Aktienwesen, einheitlicher Liegenschaftsregister u.a.). Im positiven Recht der Balkanstaaten, insbesondere in Serbien, Bosnien und Herzegowina, Makedonien und Bulgarien, sind heute noch vereinzelt Gesetze in Kraft, die sich als Relikte des alten (sozialistischen) Systems gehalten haben, andererseits werden (v.a. seit 2000) verstärkt Gesetze erlassen, die mit EU-Recht kompatibel sind[62].

Das als dominium oder proprietas bezeichnete Eigentum des römischen Rechtes war ein dingliches Vollrecht und demnach absolut, frei und allumfassend. Als iura in re aliena galten dingliche Teilrechte (bzw. Teilbefugnisse) als Teilhabe an einer fremden Sache. Eigentum war entweder in der Form des dominium directum (Vollrecht) oder des dominium utile (Nutzungsrecht) denkbar. Mithilfe einer actio utilis konnte der in seinen iura in re aliena Geschädigte seine Rechte einklagen, wohingegen dem Eigentümer einer Sache eine actio directa auf Herausgabe der Sache zustand.

Nach deutsch-rechtlicher Tradition gab es keinen allgemeinen Eigentumsbegriff[63]. Als bedeutendster Begriff hat sich jedoch die sogenannte gewere herausgebildet, die allerdings nicht das Recht, sondern lediglich ein faktisches Verhältnis zur Sache umschrieb und heute daher üblicherweise mit dem Ausdruck "Besitz" übersetzt wird[64]. Im Zuge der Rezeption des römischen Rechtes bürgerte sich der Begriff possessio ein, wenn man das Rechtsinstitut des Besitzes meinte. Erst allmählich entwickelte sich der "eigen"-Begriff als Oberbegriff für allod (Voll-Eigentum) sowie für Nutzungs- und Leiherechte. Die Unterscheidung zwischen Eigengut, das sich nicht von einem höheren Recht eines anderen ableitete, und Lehensgut, das auf dem höheren Recht eines anderen beruhte, blieb im Lehensrecht bestehen. Vom Eigentum wurden nicht nur bewegliche und unbewegliche Sachen, sondern auch sogenannte gerechtsame umfasst, also zB Gerichtsherrlichkeit oder Regalien. Die Rezeption des römischen Rechtes brachte schließlich eine Unterscheidung zwischen öffentlichem Recht (imperium) und Privatrecht (dominium). Eigentum wurde dem Bereich der Privatrechtsordnung zugeschrieben, an der jedoch der Staat (Fiskus) teilhaben konnte.

Die liberale Eigentumstheorie, die sich gegen den absolutistischen Eigentums-begriff[65] durchsetzte, spiegelt sich in § 362 des österreichischen ABGB wider, wenn klargestellt wird, dass Eigentum das Recht ist, "… die Sache nach Willkür zu benutzen …" Eine ähnliche Definition von Eigentum finden wir schon in Bd. 2, Kap. 2, § 1 des Codex Maximilianeus Bavaricus civilis aus dem Jahr 1756. Diesem "schranken-losen" Eigentumsbegriff steht erstmals der französische Code Civil von 1804 entgegen, wenn er in Art. 544 leg. cit. normiert, dass "Eigentum …das Recht [ist], eine Sache völlig unbeschränkt zu benutzen und über sie zu verfügen, soweit dies nicht gesetzlich verboten ist."

Diese Norm warf die Frage auf, ob der Staat Einfluss nehmen bzw. Zugriff haben sollte auf das Privateigentum, und falls ja, in welcher Rechtsform. Dies führte schließlich zur Entwicklung der Lehre vom Rechtsstaat (s.u. ad 4.3.), die sich in der Mitte des 19. Jahrhunderts zu entfalten begann[66]. Neben dem österreichischen ABGB galt als weitere große Kodifikation des Zeitalters der Aufklärung ("Vernunftrechtszeitalter") das Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten (ALR) von 1794, das in Deutschland bis zum Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) im Jahre 1900 in den altpreußischen Gebietsteilen Deutschlands Gültigkeit hatte[67]. Das ALR statuierte in § 75 der Einleitung bereits den allgemeinen Grundsatz der Entschädigung für Rechtsverluste zugunsten des Gemeinwohles. Die Weimarer Reichsverfassung von 1919 sah bereits sowohl die Möglichkeit der Eigentumsbeschränkung, das Prinzip der Entschädigungspflicht und die Sozialpflichtigkeit des Eigentums vor:

Art. 153 Weimarer Reichsverfassung

"Das Eigentum wird von der Verfassung gewährleistet. Sein Inhalt und seine Schranken ergeben sich aus den Gesetzen. Eine Enteignung kann nur zum Wohle der Allgemeinheit und auf gesetzlicher Grundlage vorgenommen werden. Sie erfolgt gegen angemessene Entschädigung, soweit nicht ein Reichsgesetz etwas anderes bestimmt…Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich Dienst sein für das Gemeine Beste."

In der Vergangenheit haben sich im wesentlichen zwei Eigentumstheorien entwickelt, die jeweils von verschiedenen Ansätzen ausgehen. Von Bedeutung ist zum einen die

4.1.4 vom Individuum ausgehende Eigentumstheorie,

die dem Einzelnen "um seiner Personenwürde willen ein subjektives Recht auf Eigentum"[68] zuspricht. Besonders das Zeitalter der Aufklärung, und hier insbesondere John Locke, propagierte die individuelle Komponente des Eigentums und betrachtete letzteres als unverletzliches subjektives Recht[69]. Zwecks Begründung dieses Ansatzes bediente man sich verschiedener Begründungslinien[70]. Der englische Philosoph und Begründer des Empirismus und der Erkenntniskritik der Aufklärung, John Locke (1632 – 1704) erklärte in seinem Werk "Two treaties on Government"[71] von 1690 Gleichheit, Freiheit und das Recht auf Unverletzlichkeit von Person und Eigentum zu obersten Rechtsgütern, wobei er das Eigentumsrecht als Naturrecht betrachtete. Locke vertrat die Ansicht, dass das Naturrecht beim Eigentumsrecht seine Wurzeln habe bzw. bei diesem beginne. Jeder Mensch habe ein natürliches Recht auf Privateigentum. Politische Gewalt sei das Recht, zur Regelung und Erhaltung des Eigentums Gesetze zu schaffen, Zweck einer Rechtsordnung sei demnach, das Eigentum -als ultima ratio auch gegen den Willen der Regierenden- zu schützen. Das Eigentumsrecht als Naturrecht des Menschen begründe unveräußerliche bzw. unverfügbare Rechte des Einzelnen. Locke vertrat im Sinne der sogenannten "Arbeitsheorie" die Auffassung, dass die Arbeit des Menschen dessen Eigentumsanspruch - naturrechtlich - begründe und überhaupt die Grundlage des Wertes von Waren und des Bodens bilde.

Die individualistische Eigentumstheorie des klassischen Liberalismus gründet ihre Berechtigung in der Aufklärung. Als Grundgesetze einer "natürlichen Ordnung" galten

- die Eigentumsfreiheit,
- die Vertragsfreiheit sowie
- die Wettbewerbsfreiheit.

Diese Begründung des Eigentumsrechtes vom Blickwinkel des Liberalismus wird im Neoliberalismus nach dem Zweiten Weltkrieg dergestalt eingeschränkt, als der Staat nunmehr für Rahmenbedingungen zu sorgen hat und auf eine breitere Streuung des Eigentums Bedacht genommen wird, ohne den Grundsatz aus den Augen zu verlieren, dass Privateigentum Voraussetzung für die persönliche Freiheit des Menschen ist. Das "laissez faire" wird im Neoliberalismus abgelehnt, zugleich werden aber gleiche Startbedingungen für den Wettbewerb gefordert[72].

Im Gegensatz zu den individualistischen Eigentumstheorien stehen

4.1.5 Kollektivistische Eigentumstheorien,

die auch als sozialistische und/oder kommunistische Eigentumstheorien bezeichnet werden können. Für das Verständnis dieser Theorien ist wiederum ein kurzer Rückblick auf historische Geschehnisse unerlässlich:

Die Entwicklung der handwerklichen Produktion, die schließlich in die Industrialisierung mündete, war eng mit dem Privateigentum an Produktionsmitteln verbunden. Dies führte v.a. im 19. Jahrhundert zu einer zunehmenden Ungleichheit in der Verteilung des Eigentums, und damit in den Lebensbedingungen der Menschen. Diese ungleichen Lebensbedingungen und das krasse Missverhältnis zwischen Unter- und Oberschichte endeten schließlich in der sozialkritischen Forderung nach Abschaffung des Privateigentums.

Karl Marx und Friedrich Engels griffen diese Ideen bzw. Forderungen -als ein Teil der Lehre des Marxismus- auf und machten es sich zum Ziel, die Wirtschaft mit dem "Volks-Eigentum" [= gesellschaftlichen Eigentum ] an Produktionsmitteln aufzubauen. Grundlegend ist hier die Unterscheidung zwischen Volks-Eigentum an Produktionsmitteln (Produktionsgütern), und persönlichem Eigentum [= Privateigentum] an Konsum- bzw. Gebrauchsgütern. Zumindest die Produktionsmittel sollten der privaten Verfügungsgewalt des Einzelnen entzogen und dergestalt "vergesellschaftet" werden, dass letztere in die gemeinsame Verwaltung "des Kollektivs" fielen. Kapitalistisches Eigentum wurde als Quelle der Ausbeutung und der Entfremdung (sogenannte "Selbstentfremdung") der Arbeiter angesehen. Marx ging davon aus, dass die Macht, die vom Privateigentum ausging, letztendlich nicht zur Freiheit aller, sondern durch einen fortschreitenden Prozess der Kapitalakkumulation vielmehr zur Herrschaft der Reichen über die Armen, zur Ausbeutung und Unterdrückung der Armen und damit zur Spaltung der Gesellschaft in Klassen führen müsse. Der einfachste, bzw. für Marxisten der einzige Zugang zur Macht ist das Eigentum ("Vermögen")[73]. Rehbinder nennt neben Persönlichkeit und Organisation als dritten Faktor, auf welchem sich Macht gründet, das Eigentum[74]. Das wichtigste Mittel der Machtausübung sei heute die Organisation, auch wenn deren Macht mitbestimmt werde durch die Persönlichkeiten, die sie vertreten, und das Eigentum, das diese repräsentieren[75].

Der Kommunismus als eine der beiden Hauptrichtungen des Sozialismus vertrat den Klassenkampf und zeichnete sich durch eine strenge Eigentumsfeindlichkeit aus. Die kommunistische Doktrin ging folglich von der Prämisse aus, dass der Privateigentümer zwangsläufig andere ausbeute, weshalb man eine neue, sozialistische Gesellschaftsordnung errichten müsse. Die Marxistische Ansicht, dass die Privateigentumsordnung die Menschen voneinander trenne, sie egoistisch[76], habgierig und unsozial werden lasse, sollte, wie diese Studie aufzeigen wird, in den Balkanstaaten bis zum heutigen Tag einen tiefen Eindruck hinterlassen und einen Hauptgrund dafür bilden, dass Privateigentum - im Gegensatz zum gesellschaftlichen Eigentum - als etwas "Fremdes, Entartetes, das aus der Welt des Kapitalismus herrührt" betrachtet wird. Eine Folge dieser Haltung gegenüber Privateigentum ist die schleppende und problematische Bewältigung der Privatisierung in den Staaten Südosteuropas.

Faktisch erwies sich jedoch gerade die sozialistische Gesellschaftsordnung als ein System neuer Klassen, neuer Ausbeutung und neuer Unfreiheiten.[77] Die Utopie einer Rechtsordnung, in welcher alle wesentlichen Güter gemeinsames Eigentum sind, konnte nie verwirklicht werden.

4.1.6 Das sogenannte "gesellschaftliche" oder "vergesellschaftete Eigentum",

vielfach auch als "Volkseigentum" oder "Staatseigentum" bezeichnet, und das sich als Resultat sozialistischer bzw. kommunistischer[78] Anschauungsweisen in vielen Balkanstaaten bis zum heutigen Tag beharrlich gehalten hat und nunmehr im Wege mühsamer Reform- und Privatisierungsprozesse aus dem Rechtsbestand der Transitionsstaaten eliminiert werden soll, galt während des kommunistischen Regimes als "Patentrezept" zur Überwindung der "Entfremdung" der Arbeiter. Darüber hinaus sollte diese Entfremdung der Arbeiter mithilfe der Arbeiter-Selbstverwaltung verhindert werden.

Ähnlich wie die tschechoslowakischen Beneš -Dekrete, wurde die "Entprivatisierungs-welle" mit dem Ziel der Vergesellschaftung von Eigentum in Jugoslawien im Wege von Dekreten eingeläutet, die der "Antifaschistische Rat der Volksbefreiung Jugoslawiens (AVNOJ)[79] " 1944 erlassen hatte (sogenannte "AVNOJ-Dekrete"). Erwähnenswert ist hier v.a. der "AVNOJ-Beschluss vom 21.11.1944 über den Übergang feindlichen Vermögens in staatliches Eigentum, über die staatliche Verwaltung von Vermögen abwesender Personen und über die Sequestration von Vermögen, das die okkupatorischen Mächte zwangsweise veräußert haben"[80].

Konfiskationen hatten im Nachkriegs-Jugoslawien einen spezifischen Charakter, zumal diese nicht nur als begleitende Strafsanktion für verübte Straftaten, sondern auch als eigenständige Strafe gegen bestimmte, nach Kategorien "klassifizierte" Personen (-gruppen) ausgesprochen wurde, wobei es eines vorherigen Strafverfahrens nicht bedurfte, wie dies beispielsweise mit Personen geschehen ist, auf die der AVNOJ-Beschluss vom 21.11.1944 abzielt. In diesem Fall ging das Eigentum bzw. das gesamte Vermögen der in Jugoslawien lebenden Minderheit deutscher Nationalität[81] am 06.02.1945, d.h. dem Tag des Inkrafttretens des AVNOJ-Beschlusses vom 21.11.1944, ex lege in Staatseigentum über[82]. Im Übrigen wurden Entscheide über Eigentumskonfiskationen nicht nur von Gerichten, sondern auch von Verwaltungs-organen erlassen. Das zuvor genannte Dekret ist nur eine von insgesamt 37 gesetzlichen Grundlagen (Gesetzen, Verordnungen, Erlässen, Dekreten), die entweder primär oder als Begleitmaßnahme die Vergesellschaftung von Eigentum ermöglicht hatten. Auch die jugoslawische Königsfamilie Karađorđević fiel der Konfiskation von Eigentum durch den Staat zum Opfer, was mithilfe eines gesonderten Gesetzes im Jahr 1947[83] positiviert wurde. Als weitere Norm, die eine Entprivatisierung von vormals privaten Gütern vorantrieb, ist das "Gesetz über den Übergang feindlichen Vermögens in Staatseigentum und über die Sequestration von Eigentum abwesender Personen"[84] aus 1946 zu nennen.

Wenn die Titel dieser Gesetze einen Übergang von Privateigentum in Staats-eigentum suggerieren, so ist diese Formulierung zum Teil irreführend, da es sich in Wahrheit zumeist um den Übergang in allgemeines "Volks-Eigentum" (d.h. Gesellschaftseigentum im Gemeineigentum des gesamten Volkes) handelte, wie etwa aus Art. 1 des Gesetzes über den Übergang feindlichen Vermögens in Staatseigentum und über die Sequestration von Eigentum abwesender Personen hervorgeht[85]. Auch wenn das zuvor entzogene Privateigentum zunächst in Staatseigentum überging, so wurde dieses später, getragen vom Gedanken der Vergesellschaftung[86], "in die höhere Form des sozialistischen Eigentums"[87] umgewandelt.

Der vormals riesige Pool an Gütern in Gesellschaftseigentum, der praktisch alle Vermögenswerte mit Ausnahme von persönlichem Eigentum umfasste, fand schließlich seinen bestimmten Eigentümer in der Republik Serbien[88] bzw. Jugoslawien. Diese Umwandlung von gesellschaftlichem zu staatlichem Eigentum wurde in Serbien etwa mithilfe der Verabschiedung des "Gesetzes über die Güter im Eigentum der Republik Serbien" aus 1995[89] bewerkstelligt. Dieses Gesetz normiert, dass ein Großteil an Gütern in das Eigentum der Republik Serbien fällt, und zwar Natur- und Bodenschätze (Land, Wälder, Gewässer, Erze, Naturparks, etc.), Güter in Gemeingebrauch (öffentliche Straßen, Parks, Plätze und andere Güter in Gemeingebrauch), sowie weitere Güter von Allgemeininteresse, die in Staatseigentum stehen sollen. Der Staat kann laut diesem Gesetz jedoch Konzessionen oder ein Nutzungsrecht an den genannten Gütern in Staatseigentum erteilen. Auf der Grundlage desselben Gesetzes kann eine "derelinquierte" bzw. verlassene Liegenschaft nicht in niemandes Eigentum (d.h. res nullius) sein, sondern gehört dem Staat Serbien, der in der Erbfolge desgleichen als letzter Erbe auftritt, sofern kein testamentarisch eingesetzter bzw. gesetzlicher Erbe existiert[90]. Darüber hinaus fand in Jugoslawien 1995 eine "Neuauflage der Nationalisierung" von zuvor bereits nationalisiertem Eigentum statt, und zwar im Wege der Umwandlung von gesellschaftlichem Eigentum in staatliches Eigentum an inner-städtischem Bauland[91].

Das Rechtsinstitut des gesellschaftlichen Eigentums (Gesellschaftseigentums), wie es v.a. im Jugoslawien nach 1945 praktiziert wurde, wirft allerdings nicht unerhebliche Schwierigkeiten auf. Das Belgrader Wörterbuch juristischer Fachausdrücke und Termini[92] definiert gesellschaftliches Eigentum, in weitestem Sinn, als "Eigentum der gesamten Gesellschaft". Erklärt wird diese vage Definition so, dass Sachen, die als Objekte in gesellschaftlichem Eigentum stehen, jedem Subjekt der jeweiligen Gesellschaft zugänglich sein müssen, bzw. jedes Subjekt einer Gesellschaft (Bürger oder juristische Personen) kann Objekte in gesellschaftlichem Eigentum unter denselben Bedingungen nutzen und über diese verfügen. Interessanterweise führt das genannte Wörterbuch bei der Erläuterung zum Begriff des gesellschaftlichen Eigentums an, dass "es diverse Güter gibt, die vom Blickwinkel der Nutzung allen zugänglich sind, und die alle Gesellschaften als Güter in Gemeingebrauch (res communes omnium) kennen, und welche staatlichem Regime unterworfen sind". Diese Definition scheint die Grenzen zwischen Objekten in gesellschaftlichem Eigentum und Objekten in Gemeingebrauch zu verwischen. Tatsächlich war Gesellschaftseigentum in "jedermanns und zugleich niemandes Eigentum", hatte aber tatsächlich "offiziell" keinen Titular.

Laut Krbek begann sich in Jugoslawien ab 1950 das sogenannte "Gesellschafts-eigentum herauszubilden, das nicht nur dem Staatseigentum, sondern dem Eigentumsinstitut überhaupt entgegensteht."[93] Zum Gesellschaftseigentum (im Sinn der Verfassung der SFRJ von 1963) gehörten i.d.R. die Bodenschätze und die sonstigen Naturreichtürmer, wobei das Verfügungsrecht über die sich in Gesellschafts-besitz befindlichen Gegenstände und alle sonstigen Rechte hinsichtlich dieser Mittel nach Maßgabe ihrer Natur und ihres Bestimmungszwecks durch Gesetz festgelegt wurden. Obwohl das bürgerliche Eigentumsrecht (i.S.d. Instituts des Privateigentums) beibehalten wurde, unterlag es Sonderbestimmungen. Den Bürgern wurde das Eigentumsrecht auf Gegenstände verbürgt, die zum persönlichen Verbrauch, Gebrauch oder zur Befriedigung persönlicher Bedürfnisse dienten (so Art. 23 Abs. 1 der Verfassung der SFRJ von 1963). Einer besonderen Normung unterlag das Eigentumsrecht auf Wohngebäude und Wohnungen. Sonderregelungen galten desgleichen für das Eigentumsrecht der gesellschaftspolitischen Organisationen und Bürgervereinigungen[94].

Neben einer Nationalisierung von landwirtschaftlich genutztem Grund und Boden, der gemäß einer Reihe von Gesetzen zwischen 1945 und 1958[95] in Gesellschaftseigentum überging, hat man im Wege des "Gesetzes über die Nationalisierung von Mietshäusern und von städtischem Bauland"[96] (Nationalisierungsgesetz) vom 28.12.1958 in der SFRJ auch den Übergang des gesamten Grund und Bodens innerhalb städtischer Gebiete in gesellschaftliches Eigentum ermöglicht und forciert. Mit Inkrafttreten dieses Gesetzes wurden Mietshäuser (die Wohnzwecken dienten) und Geschäftsgebäude im Privateigentum von Bürgern, (zivilrechtlicher) juristischer Personen, gesellschaftlicher Organisationen und anderer Vereine bzw. Vereinigungen von Bürgern nationalisiert, soweit das gesetzlich festgesetzte Maximum an Eigentum überschritten war.

Darüber hinaus wurde, auf der Grundlage des "Gesetzes über städtisches Bauland"[97] auch jener Grund und Boden in gesellschaftliches Eigentum umgewandelt, der im Zuge der Erstellung eines detaillierten Flächenwidmungsplans als städtisches Bauland ausgewiesen wurde. Das novellierte "Gesetz über städtisches Bauland"[98] normierte demgegenüber, dass Grund und Boden innerhalb urbaner Gebiete ausschließlich in staatlichem Eigentum stehen konnte. Hiber nennt die Umwandlung des zuvor bereits nationalisierten urbanen Bodens eine "zweite Nationalisierung von inner-städtischem Bauland"[99]. Die heute geltende Rechtslage in Serbien sieht für inner-städtisches Bauland auf der Grundlage des Planungs- und Baugesetzes aus 2003 eine andere Lösung vor, auf die in 7.1.5. näher einzugehen sein wird.

Die Tendenz, Privateigentum aus dem Rechtsleben zu verbannen und an seine Stelle Formen kollektiven Eigentums zu setzen, wurde nicht nur in den Balkanstaaten, sondern überhaupt in den Staaten mit sozialistischem politischem System gehandhabt, so auch in der ehemaligen DDR. Grund und Boden waren im Dienste der sozialistischen Gesellschaftsordnung einer gesellschaftlichen Nutzung zuzuführen. Privateigentum an unbeweglichen Sachen war grundsätzlich nur in dem Ausmaß erlaubt, als es der persönliche Bedarf erforderte. Neben solcherart beschränktem Privateigentum gab es genossenschaftliches Eigentum, Volkseigentum, sogenanntes Eigentum gesellschaftlicher Organisationen, und schließlich das Eigentum sozialistischer Parteien und das Eigentum der an die jeweilige Partei angegliederten Unternehmungen, das insgesamt als "sozialistisches Eigen-tum" bezeichnet wurde. Betrieben und Unternehmen, die dem Volk gehörten, wie auch staatlichen Institutionen war es gestattet, Volkseigentum an unbeweglichem Gut für Zwecke der Erfüllung ihnen übertragener Aufgaben zu nutzen, was als "Rechtsträgerschaft" bezeichnet wurde[100]. Gesamtgesellschaftliches Volkseigentum konnte grundsätzlich weder übertragen noch (hypothekarisch) belastet werden[101].

Konfisziertes Eigentum und Eigentum, welches aufgegeben worden war, aber auch Eigentum, an welchem der Staat sein Vorkaufsrecht ausgeübt hat, wurde in Volkseigentum umgewandelt. Laut Boesebeck und Barz handelte es sich in solcherart Fällen, in denen der Staat bei jedem angebotenen Verkauf ein Vorkaufsrecht ausüben konnte, praktisch um eine Form der Enteignung, zumal als Gegenleistung nur eine symbolische Entschädigung gezahlt wurde[102].

Was die deutsche Rechtslage von jener der Balkanstaaten deutlich abgrenzt, ist die Tatsache, dass Volkseigentum -im Wege eines einzigen legistischen Aktes, nämlich des Einigungsvertrages[103] - beseitigt wurde. Zugleich wurde in mehreren legistischen Akten eine Lösung für den Verbleib und die Handhabung vormals kollektivistischen Eigentums normiert, wodurch negative Begleiterscheinungen der schwierigen Umwandlung kollektiven Eigentums in andere Eigentumsformen weitgehend vermieden wurden[104].

Wesentliches Manko des gesellschaftlichen Eigentums ist zum einen, dass sein Inhalt im Sozialismus bzw. Kommunismus unklar ist. Zum anderen sind bei Anwendung des Rechtsinstitutes des gesellschaftlichen Eigentums Konflikte vorprogrammiert. Dies insofern, als den in einem Unternehmen Tätigen zwar die Nutzung und Verwaltung der Produktionsmittel während der Dauer ihrer Betriebszugehörigkeit erlaubt ist, die Gesellschaft aber als ganzes als "kollektiver Eigentümer" auftritt, was bedeutet, dass sich die (nur) Nutzungsberechtigten bzw. Verwalter gegenüber dem Gemeineigentümer bald übervorteilt fühlen werden[105]. Zudem ist es wahrscheinlich, dass die nutzungsberechtigten Verwalter (Arbeiter) Einnahmenüberschüsse, die nach Abgeltung von Vorleistungen anfallen, als eine Art "Einkommen" an sich selbst auszahlen werden, da ja nach kommunistischer Doktrin der Arbeitslohn idealtypischerweise wegfällt. Auf diese Weise werden sowohl die Substanz, als auch das Wachstum des Betriebes gefährdet, obwohl die Kollektiveigentümer am Wachstum des Betriebes interessiert sein müssten[106].

Szydlik[107] geht aus soziologischer Sicht u.a. auf die Thematik des Eigentums unter sozialistischen Rahmenbedingungen ein und zeigt auf, dass sozialistische Regimes zum einen nicht an der Zulassung von Privateigentum interessiert waren, und andererseits, dass sich ein potentieller Hauseigentümer darüber hinaus mit ganz banalen praktischen Problemen auseinandersetzen musste, wollte er zu Eigentum gelangen: So war es beispielsweise für den Einzelnen relativ schwierig, zu Baumaterial zu gelangen und geeignete Handwerker zwecks Errichtung des Gebäudes zu finden[108]. Diese praktischen Hindernisse haben ihre Ursache wohl nicht nur in der desolaten Wirtschaftslage des Realsozialismus, den chronischen Versorgungsengpässen oder dem niedrigen Lebensstandard[109], sondern auch in der Struktur des sozialistisch regierten Staates an sich, der die Landwirtschaft bevorzugte, und in dem jedes "Ausscheren aus dem kollektivistischen System" mit dem Ziel der Schaffung von Eigentum zum ausschließlichen Eigennutz als unerwünscht gegolten hatte.

Auf das Wesen des Gesellschaftseigentums soll noch einmal zurückgekehrt werden: Oben wurde festgestellt, dass dieses Rechtsinstitut faktisch keinen Titular hatte[110]. Hierbei erhebt sich die Frage, wie in der Praxis mit gesellschaftlichem Eigentum umgegangen wurde bzw. wer nun die faktische "Herrschaft" über Güter in gesellschaftlichem Eigentum innehatte. Eine Antwort auf diese Frage findet man bei Vratuša-Žunjić, die auf die Rolle der "Bourgeoisie" in den sogenannten sozialistischen Ländern und v.a. im ehemaligen Jugoslawien aus soziologischer Sicht eingeht[111]. Tatsächlicher und faktischer Titular sei nach der Nationalisierung eines Großteils von Produktionsgütern die Bürokratie geworden, und zwar sowohl "an staatlichem, angeblich in allgemeinem Volkseigentum oder in Gesellschaftseigentum" stehenden Gütern[112]. Die produzierenden Klassen seien in Wahrheit in sämtlichen sozialistischen Gesellschaften in Bezug auf Gebrauchsgüter auch weiterhin lediglich in einem Miet- bzw. Pachtverhältnis gestanden, nicht aber in einem Verhältnis, wie es das Modell des klassischen Privateigentums vorgibt[113]. Tatsächlich kristallisierte sich zunächst die Herrschaft der Bürokratie im Einparteiensystem heraus, sowie die Ausbildung eines Staatskapitalismus, der die Macht der Bürokratie ins Unermessliche steigen ließ[114], bevor es in Jugoslawien zur sozialistischen Selbstverwaltungsdemokratie als "höhere" Phase der Diktatur des Proletariats und "neue Qualität" des Sozialismus kam[115].

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass sich gesellschaftliches Eigentum als Fehlkonstruktion erwiesen hat, da zwar rein formell, d.h. "auf dem Papier", die Arbeiter Eigentümer waren, die wahren Verfügungsberechtigten, die über dieses Eigentum bzw. die Produktion wachten, hingegen die etatistischen Machtzentren waren. In den Staaten des sogenannten Realsozialismus kam es Ende der 1980-er Jahre schließlich, begünstigt durch die weltweite Rezession, zum faktischen Kollaps des destimulierenden Systems der Interrelation zwischen Produktion und Verteilung[116]. Die Krise in der Zentralverwaltungswirtschaft manifestierte sich schließlich in einer für den Massenkonsum unzureichenden Produktion von Gütern[117]. In den vom Bolschewismus beherrschten Ländern haben gesellschaftliches Eigentum sowie die Verwirklichung des Kollektivs (bzw. dessen Versuch) letzen Endes zum Staatskapitalismus geführt[118].

Im speziellen: Begriff und Bedeutung des Eigentums im sozialistischen Jugoslawien und deren Nachfolgestaaten von 1945 bis heute.

Der unter Josip Broz – Tito geführte sozialistische Vielvölkerstaat Jugoslawien, der sich aus sechs Teilrepubliken (Bosnien-Herzegowina, Kroatien, Makedonien, Montenegro, Serbien, Slowenien) sowie aus zwei Autonomen Provinzen (Kosovo und Vojvodina) zusammensetzte, machte es sich zur Aufgabe, Eigentum nach sowjetischem Muster zu "vergesellschaften". Wie bereits oben erwähnt, hat dieses Verständnis von gesellschaftlichem Eigentum bis zum heutigen Tag nicht nur in Serbien, sondern in den meisten Nachfolgestaaten Jugoslawiens deutliche Spuren hinterlassen und soll nun schrittweise aus den Rechtsordnungen der - nunmehr selbständigen - Einzelstaaten eliminiert werden. Aufgrund der Tatsache, dass das Rechtsinstitut des gesellschaft-lichen Eigentums in westeuropäischen Rechtsordnungen zu keiner Zeit Einzug gefunden hat und Sinn und Bedeutung dieser Eigentumsform in unseren Breiten daher vielfach unbekannt sind, soll es im folgenden anhand des Beispiels Jugoslawien näher erläutert werden.

Der Fall Jugoslawiens ist insofern von besonderer Bedeutung, als sich die Kommunisten nur in der Republik Serbien auch nach dem Umbruch zur Demokratie gehalten haben; Serbiens Kommunisten zeigten sich, so Libal, "aufgeschlossen und mutierten zur Sozialistischen Partei Serbiens" (SPS)[119]. Die BRJ, seit 1992 der Nachfolgestaat der SFRJ, wurde zum einzigen Staat, in welchem eine sozialistische Partei nach dem historischen Wendepunkt des Falls der Berliner Mauer an die Macht kam[120]. Es behielt das aus der Selbstverwaltungsära ererbte Gesellschaftseigentum als verfassungsrechtliche Kategorie bei und stellte dieses auf dieselbe Stufe mit privatem, staatlichem und mit anderen Formen von kollektivem Eigentum.

Das sozialistische Jugoslawien hat -als Paradebeispiel mit der am weitesten durchdachten Arbeiterselbstverwaltung- gezeigt, dass es infolge wirtschaftlicher Fehldispositionen bzw. zu hoher Ausschüttungen zum Substanzverzehr vieler Unternehmen gekommen ist, wobei nach kommunistischem System "die Gesellschaft" die Verluste getragen hat. Dieses System schafft keinerlei Anreize für den einzelnen Arbeiter (Nutzer / Verwalter des Betriebes), einen höher als unbedingt notwendigen Arbeitseinsatz zu leisten[121]. Die Lösung würde anders ausfallen, sofern der Gemeineigentümer die Übernahme des Verlustrisikos verweigern würde, d.h. wenn aufgrund wirtschaftlicher Fehldispositionen des Kollektivs (bzw. der Arbeiterkollektive) der Untergang des Betriebes sowie die Arbeitslosigkeit des einzelnen Arbeiters in Aussicht gestellt würde. Ferner besteht die Möglichkeit, dass Privateigentum und damit private Eigentumsrechte zwar nicht offiziell, sehr wohl aber inoffiziell "angehäuft" werden, etwa dadurch, dass von den in das Unternehmen neu eintretenden Arbeitern ein Entgelt für die akkumulierten Fonds verlangt wird[122].

In der bürgerlichen Gesellschaft Jugoslawiens, insbesondere aber in Gesetzestexten, hat der Begriff Eigentum lange Zeit überhaupt nicht existiert. Eigentum als ein Grundelement der bürgerlichen Gesellschaft fand zwar Einzug in die Lehrbücher des bürgerlichen Rechts[123], dieses wurde jedoch in denselben Lehrbüchern und zuvor bereits in der Gesetzgebung einer (vielfach verwirrenden) Teilung unterzogen, woraus sich letztendlich folgende Eigentumsbegriffe herauskristallisiert haben:

Zum einen gab es das gesellschaftliche bzw. vergesellschaftete Eigentum, das zwar als faktische Gegebenheit, aber als juristisch nicht fassbares Rechtsinstitut -nur im ehemaligen Jugoslawien- existierte und als Spezifikum auch das genossenschaftliche Eigentum umfasste. Das klassische Staatseigentum hat in Jugoslawien mit der Einführung und Entwicklung des sogenannten Selbstverwaltungssystems als gesellschaftliches Eigentum, sohin als Korpus existiert, der -entsprechend den unterschiedlichen Modalitäten- in anderen sozialistischen Ländern auch als sozialistisches Eigentum[124], und in der Lehre auch als kollektives Eigentum[125] bezeichnet wurde. Gesellschaftliches Eigentum hatte de facto keinen Titular und ist somit als "eigentümerloses Eigentum[126] " einzustufen, Grund und Boden gehörte zugleich jedem und niemandem[127]. Das Konzept des Gesellschaftseigentums bedeutet theoretisch, dass ein Objekt bzw. Grund und Boden einer abstrakten juristischen Person "gehört", während natürliche und juristische Personen lediglich Nutzer dieser Liegenschaften sein können[128]. In der Praxis wurde öffentlicher Grund und Boden, der sich in Gesellschaftseigentum befand, vielfach als staatseigener Grund und Boden betrachtet. Liegenschaften in Gesellschaftseigentum wurden bzw. werden häufig von Gemeinden oder Unternehmen in Gesellschaftseigentum verwaltet, die nach außen als Besitzer auftreten[129].

Sozialistisches Eigentum erscheint auch in der Form des genossenschaftlichen Gemeineigentums werktätiger Kollektive und als Eigentum gesellschaftlicher Organisationen der Bürger[130]. Als besondere Form der Arbeitsorganisation hebt die jugoslawische Verfassung von 1963 die Genossenschaften hervor, deren Hauptzweck es war, die mit eigenen Arbeitsmitteln arbeitenden Werktätigen an die gesellschaftliche Wirtschaft anzuschließen[131].

Wie bereits zuvor angedeutet (4.1.6.), war ein "Ausscheren aus dem kollektivistischen System" mit dem Ziel der Schaffung von Eigentum zum ausschließlichen Eigennutz unerwünscht. So trugen im ehemaligen Jugoslawien nach 1945 etwa die Jugendbrigaden unter der Parole "bratstvo – jedinstvo" ("Brüderlichkeit und Einheit") mit Hingabe zum Wiederaufbau des Landes bei, ohne auch nur einen Dinar an Gegenleistung für die meist zwei Monate durchgehende Schwerstarbeit in drei Schichten (zum Zweck des Schienen- und Straßenbaus etc.) zu erhalten. Die Arbeitsleistung wurde ausschließlich zum kollektiven Nutzen des Staates bzw. der sozialistischen Gesellschaft unter Tito erbracht, wobei auch nur die Hoffnung auf eine irgendwie geartete, vermögenswerte Gegenleistung verpönt gewesen wäre. Im Gegensatz zur Verarmung und zur Wirtschaftskrise im Jugoslawien nach 1948 genoss Tito"den großartigen Luxus, von dem er umgeben war, ohne dass Kritik daran geübt worden wäre"[132].

Zum anderen gab es jenes Rechtsinstitut, das als persönliches Eigentum und somit als Privateigentum hätte konstituiert werden sollen, jedoch innerhalb des Rahmens des gesellschaftlichen Eigentums, und immer unter der Prämisse der Dominanz gesellschaftlichen Eigentums, wobei es, wenn man persönliches Eigentum meinte, ebenfalls verschiedene Varianten an Bezeichnungen für diese Eigentumsform gab. So waren für das persönliche Eigentum (Privateigentum) die Ausdrücke "bürgerliches Eigentum[133] ", "eine Sache (bzw. ein Mittel) im Eigentum der Bürger[134] ", und in der letzten Phase auch schlicht die Bezeichnung "Eigentumsrecht[135] " in Umlauf.

Diese unterschiedliche Terminologie führte letztendlich zur Entwicklung zweier Eigentums-"Formen", die wiederum zu Spekulationen Anlass gab, welche dieser beiden Eigentumsformen nun wichtiger, gewünschter oder geschützter sei als die andere. Diese Zweiteilung des Eigentums fand schließlich ihren Ausdruck im Verfassungsrecht, und zwar in der Gestalt, dass einzelne Güter ausschließlich für die Nutzung in der Form "sozialistischen" Eigentums reserviert wurden, und dass dem Einzelnen die zweite, anders bezeichnete Eigentumsform lediglich in einem gesetzlich bestimmten Maximum offenstand, über das er als Privateigentümer verfügen durfte.

Wie bereits oben erwähnt, war das gesellschaftliche Eigentum die dominante Eigentumsform und genoss als solche besonderen Schutz. Dieser Schutz des gesellschaftlichen Eigentums war zum einen durch die Gesetzgebung des Strafrechtes sowie des Zivilrechtes, und zum anderen als Schutz sui generis gewährleistet, dies insofern, als der Staat eine Art "gesellschaftlichen Schutz des gesellschaftlichen Eigentums"[136] praktizierte. Auf diese Weise existierten zwei Eigentumsformen nebeneinander, allerdings wiesen diese zwar formale Ähnlichkeiten, aber inhaltliche (Bedeutungs-)Unterschiede auf. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass in den juristischen Lehrbüchern jüngeren Datums[137] das Thema "gesellschaftliches Eigentum" überhaupt keine Erwähnung findet[138]. In anderen Lehrbüchern des Sachenrechtes findet man die Qualifikation gesellschaftlichen Eigentums als ein "neues Recht", und nicht mehr als subjektives Eigentumsrecht[139].

Natürlich hat es in Jugoslawien neben dem gesellschaftlichen und staatlichen Eigentum immer auch das öffentliche Eigentum (öffentliche Güter) gegeben, auf welches der Staat bzw. ein staatlicher Sektor oder der Sektor eines anderen Kollektivs ein Monopol hatte. Zum öffentlichen Eigentum gehörte an erster Stelle das Eigentum an öffentlichen Gütern[140], also an res communes omnium, die von der Allgemeinheit oder gemeinschaftlich genutzt wurden bzw. werden.

Das Problem der Spaltung zwischen gesellschaftlichem und privatem Eigentum ist besonders im Falle Jugoslawiens im Vergleich zu anderen Transitionsstaaten spezifisch und kann keinesfalls mit dem Verhältnis zwischen öffentlichem (staatlichem) Eigentum und Privateigentum in Staaten, die seit dem Wiederaufbau nach 1945 eine Marktwirtschaft betreiben, verglichen werden. Dies zum einen deshalb, weil gesellschaftliches Eigentum -wie bereits erwähnt- in Jugoslawien die eindeutig -sowohl mengenmäßig, als auch qualitativ- dominante Rolle im Vergleich zum Privateigentum eingenommen hatte, und zum anderen deshalb, weil gerade diese mengenmäßige und qualitative Dominanz gesellschaftlichem Eigentum eine weitaus geschütztere Position im Rechtssystem verschafft hatte. Der Auffassung Hiber ´s zufolge[141] hat dieser privilegierte Sektor des sozialistischen Eigentums den "Verfall" der bis zur Einführung des gesellschaftlichen Eigentums geltenden eigentumsrechtlichen Grundlagen initiiert, wobei man begann, Eigentum im Sinne eines subjektiven, jedem Bürger zustehenden Rechtes überhaupt zu leugnen, verbunden mit der Tendenz, dem Eigentum auch für die Zukunft dessen imminente Eigenschaften abzuerkennen. Als dem Eigentum imminente und grundlegende Eigenschaften nennt Hiber

- die Absolutheit
- die Unbeschränktheit und
- v.a. die Unverletzlichkeit des Eigentums[142].

Die Existenz gesellschaftlichen Eigentums, das weder Staatseigentum noch Privateigentum war, hatte auf das gesamte Rechtssystem Jugoslawiens Einfluss und lenkte dieses in bestimmte Bahnen. Die jugoslawische Rechtsordnung hatte eine eigenständige, "hybride" Form der Wirtschaft, nämlich die "Arbeiterselbstverwaltungs-wirtschaft" als Sonderform zwischen Plan- und Marktwirtschaft verfolgt, die unter der einzigartigen Struktur des Gesellschaftseigentums betrieben wurde[143]. Insbesondere die Verfassung der SFRJ von 1974 räumte dem gesellschaftlichen Eigentum eine besondere Bedeutung ein. Dies ist zum einen daraus ersichtlich, dass diese Verfassung zahlreiche „Interrelationen“ in Bezug auf die Zugehörigkeit von Sachen regelte, die weit über den sachenrechtlichen Begriff hinausgingen und auch jene Materien ansprach, die der Ordnung des Sachenrechts nicht unterworfen sind und dieser auch gar nicht unterworfen werden können (zB Meere und Küsten, Flüsse, etc.). Diese Sachen galten sämtlich als in gesellschaftlichem Eigentum stehend, ohne hinreichende Abgrenzung zu anderen Sachen, die ebenfalls in gesellschaftlichem Eigentum standen[144]. Da die Zahl der in gesellschaftlichem Eigentum stehenden Sachen nahezu unermesslich war, kann das Terrain, auf welchem diese Normen mit Bezug zum gesellschaftlichen Eigentum Wirkung entfalteten, desgleichen als äußerst weitreichend bezeichnet werden[145].

Die Spaltung des Eigentums in gesellschaftliches Eigentum und Privateigentum kann wohl nicht nur als bewusste Vernichtung einer Vielzahl bestimmter konkreter subjektiver Eigentumsrechte betrachtet werden, darüber hinaus stellt die "kommentarlose" Einführung dieser Eigentumsform einen Angriff auf das Legalitätsprinzip dar[146]. Im Übrigen hat Eigentum durch dessen Spaltung ein gänzlich anderes Erscheinungsbild erhalten, was sich letzten Endes auch auf das verfassungsrechtliche Verständnis über den erforderlichen Schutz des Privateigentums ausgewirkt hat.

In seinem Werk "Der Weg zur Knechtschaft" hat Friedrich A. Hayek bereits im Jahr 1944 die Bedeutung des Privateigentums betont, und erst jetzt, mehr als ein halbes Jahrhundert nach den Erkenntnissen Hayek s, ändert sich nun auch in jenen Staaten das Verständnis von Eigentum, die dieses offensichtlich -mehr oder weniger bewusst- "vergessen" haben, nämlich die sogenannten Transitionsstaaten des Balkan. In den Staaten, die sich heute im Wandel (bzw. in Transition) befinden, kehrt man nunmehr zum Privateigentum zurück, wobei die Privatisierung eine zentrale Rolle einnimmt. Im folgenden soll aufgezeigt werden, inwieweit eine Rückkehr zum Prinzip der Unverletzlichkeit des Eigentums als Grundrecht (Menschenrecht) in der Form der ungestörten Nutzung des Eigentums in den Balkanstaaten überhaupt möglich ist, inwieweit dieses Prinzip wieder reanimiert wurde, und welche Hürden es auf dem Weg zur Wiedereinsetzung des Grundsatzes der Unverletzlichkeit des Eigentums zu bewältigen gilt.

4.2. Terminologischer Exkurs: Transition und Transitionsstaat.

Der Begriff "Transition" bezeichnet im allgemeinen Wandel, Übergang oder Übertritt[147]. Im Zusammenhang mit dem vorliegenden Themenkomplex ist Transition als Wandel des gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, politischen und rechtlichen Regimes post-kommunistischer bzw. postsozialistischer Gesellschaften zu verstehen, mit dem Ziel, einen Rechtsstaat und damit das Legalitätsprinzip als wesentliches Element des rechtsstaatlichen Prinzips einzuführen. Petrović und Tiosavljević[148] definieren den Begriff "Transition" als "nicht-evolutiven Übergang vom Sozialismus in den Kapitalismus", wobei sie als Ziel der Transition die Schaffung einer effizienten Marktwirtschaft sehen, was den Übergang zu Privateigentum voraussetzt.

Ein Transitionsstaat wird üblicherweise als Staat definiert, der sich in einem Übergangsstadium von einer auf zentraler Planung beruhenden Wirtschaftsform in eine marktwirtschaftlich organisierte Gesellschaftsordnung befindet. Ein Transitionsstaat bzw. Transformationsland versucht demnach, sich von der Zentralverwaltungs-wirtschaft loszulösen und in einen von der Marktwirtschaft beherrschten Staat, der als essentielle Voraussetzung Privateigentum garantiert, umzuwandeln.

Diese primär auf ökonomische Charakteristika abstellende Definition scheint aber zu eng gezogen zu sein. Ein Transitionsstaat verfolgt gerade nicht nur das Ziel der Einführung der Marktwirtschaft, sondern sieht seine Hauptaufgaben darüber hinaus in der Demokratisierung der Gesellschaft, in der Einführung funktionieren-der Mechanismen, welche die Achtung von Menschenrechten und Grund-freiheiten gewährleisten sollen, und letztendlich in der Implementierung des Legalitätsprinzips. Die Forderung nach einer Marktwirtschaft kann desgleichen nicht undifferenziert übernommen werden. - Will man eine lebendige Demokratie und v.a. auch eine funktionierende Marktwirtschaft aufbauen, so bedarf es einer Umstrukturierung der gesamten Rechtsordung und einer wirksamen Umsetzung der neuen Vorschriften[149].

Bulgarien bescheinigt beispielsweise bereits der EU-Fortschrittsbericht aus dem Jahr 2002, eine funktionierende Marktwirtschaft zu sein. Trotzdem wird man nicht behaupten können, dass Bulgarien alleine aufgrund des Bekenntnisses zur Marktwirtschaft den Status eines Transitionsstaates abgelegt hätte. - Im Gegenteil, hat man vor Augen, dass in Bulgarien die organisierte Kriminalität, die Korruption im Bereich von Justiz und Verwaltung, die komplizierten administrativen Prozeduren für Unternehmensgründungen und die Benachteiligung ausländischer Investoren bei öffentlichen Aufträgen, und viele andere negative Aspekte fortbestehen. Berücksichtigt man diese Rahmenbedingungen, wird man unausweichlich weitere Voraussetzungen fordern, um einem Transitionsstaat bei erfolgreichem Abschluss der Reformen die Bezeichnung "Rechtsstaat" verleihen zu können.

Ausgehend vom wirtschaftlichen Ansatz führt Mijatović[150] fünf elementare Ziele der Transition an:

- die Verankerung universeller, persönlicher Eigentumsrechte und deren Schutz
- die Einführung eines Marktes, und damit die Einführung eines Kapitalmarktes
- die Erhöhung der wirtschaftlichen Kapazität bzw. Leistungsfähigkeit
- die Maximierung von Staatseinnahmen und Minimierung von Staatsausgaben
- die Erweiterung individueller Freiheiten und der Demokratie.

Im Rahmen des sozio-politischen Transitionsbegriffs werden die rein wirtschaftlichen Kriterien durch bedeutende Maßnahmen, die der gesellschaftlichen Veränderung von Transitionsstaaten Rechnung tragen sollen, erweitert. Neben rein wirtschaftlichen Aspekten werden hierbei folgende Maßnahmen im speziellen angeführt, um vom Stadium des Transitionsstaates in einen Rechtsstaat übergehen zu können[151]:

1. Die Veränderung des politischen Systems und der Staatsorganisation, Parlamentarismus und Mehrparteiensystem;
2. Verankerung und Achtung von Menschenrechten und Grundfreiheiten und deren umfassender Schutz, der auch völkerrechtliche Schutzmechanismen beinhaltet;
3. Veränderungen von Rechtssystem und Justiz, sowie die Verankerung des Legalitätsprinzips;
4. Internationale Öffnung und internationale Zusammenschlüsse, worunter auch der Beitritt zu Internationalen Organisationen (Europarat, EU, NATO etc.) zu verstehen ist;
5. Schaffung eines "Informationsmarktes" und Medienfreiheit;
6. Kulturelle Veränderungen und Veränderungen der individuellen und kollektiven Lebensorganisation mit dem Ziel der Hebung des Lebensstandards;
7. Die Abwendung bzw. Hintanhaltung negativer Folgen, die das frühere (kommunistische / sozialistische / vor-demokratische) Regime hervorgerufen bzw. ausgelöst haben könnte.

Die angeführten Kriterien zeigen deutlich, dass ein Transitionsstaat nicht nur rein wirtschaftliche, sondern ebenso rechtliche, wie auch gesellschafts-politische Ziele verfolgt. Das Legalitätsprinzip, d.h. dass das Gesetz über den Regierenden zu stehen hat, ist ein Schlüsselpostulat einer demokratischen Gesellschaft. Das Legalitätsprinzip bewirkt die Verhinderung uneingeschränkter Macht des Staates bzw. uneingeschränkter Macht im Namen des Staates, und es führt dazu, dass der einzelne Bürger nicht mehr Untergebener, sondern eine mit Rechten und Pflichten ausgestattete, mündige Persönlichkeit ist[152]. Ein Staat, der sich dem Legalitätsprinzip verpflichtet fühlt, wird Grundrechte nicht nur achten (im Sinn von "anerkennen"), sondern dem Schutz der Grundrechte eine zentrale Rolle einräumen. Schließlich fordert die erfolgreiche Einführung des Legalitätsprinzips zugleich die Aufteilung und gegenseitige Kontrolle (Beschränkung) der Gewalten, basierend sowohl auf der strengen Unabhängigkeit der Justiz, als auch auf den internationalen Garantien zur Gewährleistung von Menschenrechten. Der juristische Transitions-begriff ist in diesem Sinne als Übergang zu einem Rechtssystem zu verstehen, das sich dem Legalitätsprinzip unterwirft und die Befugnisse des Staates auf ein notwendiges Maß beschränkt, wobei sich die einzelnen Gewalten im Staat gegenseitig "kontrollieren", und eine strenge Unabhängigkeit der Justiz mit einer Garantie zur Verwirklichung von Menschenrechten gegeben ist[153].

Der Zusammenbruch kommunistischer Regimes in Südost- und Osteuropa hat gezeigt, dass selbst das jugoslawische Konzept eines "Sozialismus mit humanen Zügen" (als Versuch, einen "anderen" Sozialismus zu verwirklichen, einen offeneren als das stalinistische Modell[154] ) gesellschaftlich nicht haltbar war. Transition (d.h. der Wandel i.w.S.) verlangt Änderungen, neue Vorschläge und sozial tragbare Lösungen im Sinn einer sozial verträglichen Rechtsangleichung[155], begleitet vom sozialen Wandel[156]. Dies impliziert einerseits die Rückkehr zu jenen Traditionen, die vor der Verwirklichung sozialistischer Konzepte in den Balkanstaaten geherrscht haben, und darüber hinaus eine (kritische) Übernahme westlich gewachsener Standards. Rechtssetzung soll bewusste politische Entscheidung unter Bedachtnahme auf soziale Strukturen sein, die soziale Wandlungsbedürfnisse berücksichtigt und zugleich auf rechtskulturelle Werte Bedacht nimmt[157]. Um dieses Ziel zu erreichen, ist primär zunächst die Verfassung des betreffenden Staates mit diesen Vorgaben in Einklang zu bringen, was v.a. im Fall der Nachfolgestaaten Jugoslawiens in der Praxis erhebliche Schwierigkeiten mit sich gebracht hat; die Gründe für diese Schwierigkeiten lagen bzw. liegen darin, dass nach Formulierungen "gerungen" wird, um etwa vormals gebräuchliche, und in der Rechtsordnung verankerte Termini wie zB "die Macht des arbeitenden Volkes", "die sozialistische Selbstverwaltung", "gesellschaftliches Eigentum", oder überhaupt Formulierungen, die der AVNOJ-Tradition entsprochen hatten, zu ersetzen.

Resultat und Ziel des Transitionsprozesses soll die Zivilgesellschaft bzw. die Schaffung von juristischen, politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen sein, die in einer Zivilgesellschaft üblicherweise herrschen, sowie die Verankerung von praktikablen (Schutz-)Mechanismen, die eine Rechtsdurchsetzung für den einzelnen Bürger erlauben.

Der Begriff Zivilgesellschaft (oder bürgerliche Gesellschaft) soll als Äquivalent zum Terminus der "civil society" verstanden werden, der im anglo-amerikanischen Bereich gebräuchlich geworden ist. Unter dem Begriff der Zivilgesellschaft versteht man üblicherweise eine "Gesellschaft, deren Mitglieder neben der Verfolgung ihrer privaten -durch Grundrechte vor staatlichen Eingriffen geschützten- Interessen bereit sind, sich aktiv für öffentliche Angelegenheiten zu engagieren"[158]. Dieser Theorie zufolge haben etwa Grundrechte, die eine größere Zahl von Personen betreffen und diese etwa im Bereich der Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, Versammlungsfreiheit etc. schützen sollen, Vorrang vor jenen Grundrechten, die ausschließlich private Interessen schützen[159]. Diese Anschauung würde zwar die Bedeutung der Eigentumsgarantie an sich schmälern, allerdings muss die Zivilgesellschaft als Ziel des Transitionsprozesses der Eigentumsgarantie nicht unbedingt entgegenstehen. - Schließlich geht es nicht um eine schrankenlose Ausübung der Eigentumsgarantie, sondern -verwiesen sei hier auf das in der Einleitung bereits angedeutete Postulat- um einen sozial nützlichen Gebrauch von Eigentum[160].

4.3. Rechtsstaat versus Transitionsstaat.

Um beurteilen zu können, wann ein Staat das Durchgangsstadium der Transition überwunden hat und zu einem Rechtsstaat geworden ist, muss zunächst geklärt werden, was einen Rechtsstaat ausmacht, d.h. welche Kriterien ein Staat erfüllen muss, um nicht mehr als Transitionsstaat, sondern als Rechtsstaat anerkannt zu werden. Die Rechtsstaatlichkeit lässt sich in drei Elementen erfassen. Verfassungs-staat, Gesetzesstaat und Rechtsschutzstaat[161].

Starck betont in seinem Bericht "Der Rechtsstaat und die Aufarbeitung der vor-rechtsstaatlichen Vergangenheit"[162], dass ein Staat nur dann ein Rechtsstaat ist, "wenn er bestimmte Rechtsgrundsätze anerkennt und seine Rechtsordnung mit diesen in Einklang hält", wobei die "Garantie der Rechte und die Trennung der Gewalten gesichert sein müssen, d.h. heute insbesondere Gesetzesherrschaft und Unabhängig-keit der Gerichte sowie Parteienpluralismus als Voraussetzung für effektive Sicherung der Grundrechte und für Vertrauensschutz".

Art. 1 des österreichischen Bundes-Verfassungsgesetzes besagt, dass das Recht vom Volke ausgeht. Das rechtsstaatliche Grundprinzip der österreichischen Verfassungs-ordnung ergibt sich allerdings nicht nur aus diesem Bekenntnis zur Demokratie, sondern vielmehr aus dem Gesamtaufbau des B-VG[163]. Die österreichische Bundesverfassung versteht Demokratie als rechtsstaatliche Demokratie, wobei sich ein Rechtsstaat hauptsächlich durch die Achtung des Legalitätsprinzips ausweist: Art. 18 Abs. 1 B-VG besagt, dass die gesamte staatliche Verwaltung nur aufgrund der Gesetze ausgeübt werden darf. Unter "staatlicher Verwaltung" ist hier nicht nur die Verwaltung an sich, sondern die gesamte Vollziehung, also Verwaltung sowie Gerichtsbarkeit, zu verstehen[164].

Während das Legalitätsprinzip von der älteren Lehre mit dem Rechtsstaatsprinzip noch gleichgesetzt und überwiegend als bloß formeller Rechtsstaatsbegriff betrachtet wurde[165], so tendiert man heute zu einem Verständnis in Richtung "Rechtsschutzstaat“. Während der materielle Rechtsstaat von Wert und Würde des einzelnen Menschen und von seinem Recht auf Entfaltung in Freiheit ausgeht, garantiert der formelle Rechtsstaat durch Organisation und Verfahren die Realisierung dieser Rechte[166]. Dementsprechend sorgt er für Gerechtigkeit und für Rechtssicherheit[167].

Als umfassende Definition, die auch für die Transitionsstaaten als Beurteilungs-maßstab dienen kann, bietet sich die Formulierung nach Rill und Schäffer an, wonach den Rechtsstaat "eine Rechtsordnung" auszeichnet, "welche Rechtssicherheit gewähr-leistet und in welcher die Rechtsunterworfenen dem Staat als Subjekte und nicht als Objekte gegenüberstehen"[168]. Dieses Grundanliegen drückte Merkl bereits 1927 mit den Worten aus: "Rechtsstaat ist der Staat mit einer dem Justizrecht ebenbürtig entwickelten Verwaltungsrechtsordnung."[169] In jedem Fall sind der Schutz und die Sicherung des Eigentums ein unverzichtbarer Bestandteil des Rechtsstaates[170].

Die Kontrolle der Verwaltung durch den VwGH und den VfGH, sowie die Bindung der Gesetzgebung an höherrangiges Recht und deren Sicherung durch die Verfassungs-gerichtsbarkeit werden heute ebenfalls als ein Bestandteil der Rechtsstaatlichkeit gewertet[171]. Ein Rechtsstaat hat geeignete Einrichtungen bereitzustellen, die sicher-stellen sollen, dass gesetzwidrige Verwaltungsakte nach Möglichkeit erst gar nicht gesetzt werden, falls sie aber dennoch gesetzt werden, dass diese aus dem Bestand der Rechtsordnung wieder entfernt werden können[172]. Dies bedeutet, dass es dem Betroffenen freisteht, den gesetzlich vorgesehenen Instanzenzug zu beschreiten und Rechtsmittel zu ergreifen, womit garantiert wird, dass die höhere Behörde etwaige Fehler der Unterinstanz beseitigen kann. Ein weiteres Element, das einen Rechtsstaat auszeichnet, ist die Existenz unabhängiger Gerichte, wobei die Richter ihre Funktion weisungsfrei, unabsetzbar und unversetzbar ausüben.

In der Rechtsprechung des EGMR wurde erstmals im Fall Golder gegen Vereinigtes Königreich auf das Rechtsstaatsprinzip Bezug genommen. Der Gerichtshof folgt damit der Interpretation der Kommission, dass Art. 6 Nr. 1 EMRK (Recht auf ein faires Verfahren) das Recht auf Zugang zu den Gerichten beinhalte[173]. Der Gerichtshof zog die Schlussfolgerung, es sei an der Zeit für eine evolutive Interpretation, weil der Zugang zu den Gerichten zum Rechtsstaatsprinzip gehöre[174].

Nach dem Gesagten erhebt sich die Frage, ab wann ein Staat nicht mehr Transitionsstaat, sondern Rechtsstaat sein soll, wann somit das Stadium der Transition endet und der Aufbau eines freiheitlichen Verfassungs- und Rechtsstaates als erfolgreich abgeschlossen gelten soll. Frühe Lösungsvarianten stellen bei der Lösung der Frage, was als Kriterium von der Transition hin zur Demokratie gelten soll, auf Wahlen und verwandte Prozeduren ab. Als Argumentationsvariante würde sich anbieten, dass der Prozess der Transition dann endet, wenn alle politisch bedeutsamen Gruppierungen das Legalitätsprinzip akzeptieren. Teitel kommt jedoch zum Schluss, dass diese Lösungsvarianten einen zu teleologischen Standpunkt von Demokratie verbreiten und schlägt vor, den Begriff "Transition" heute als Wandel in Richtung Liberalisierung zu interpretieren[175]. Dies würde die Akzeptanz von liberaler Demokratie und des Legalitätsprinzips umfassen.

Die Entwicklung hin zur Etablierung eines freiheitlich-demokratischen Verfassungs- und Rechtsstaates wird wohl nur "über die Gewährleistung echter politischer Pluralität" mit einem Mehrparteiensystem und Parteigründungsfreiheit, "der Medienfreiheit und -vielfalt sowie über die freie Ausübung politischer Grundrechte"[176] zu bewerkstelligen sein. "Auf der andere Seite bedarf es staatsrechtlicher Institutionen, die das Funktionieren des Staatsapparates nach rechts- und verfassungsstaatlichen Kriterien garantieren"[177], an oberster Stelle eines Verfassungsgerichtshofs. Bei der Auflistung von Charakteristika, mit welchen ein Rechtsstaat üblicherweise in Verbindung gebracht wird, ist allerdings nicht zu vergessen, dass ein Rechtsstaat nur dann und nur so gut funktionieren kann, wie die Bürger im Bewusstsein ihrer Rechte diese auch auszuüben geneigt sind[178]. Zu den demokratischen Tugenden gehört also auch die Rechts-gesinnung der Bürger[179], auf die u.a. in Abschnitt 7.3. noch näher eingegangen werden soll.

Als vorläufiges Resümee ist festzuhalten, dass das Verständnis vom Transitions-prozess im modernen Sinn neben den wirtschaftlichen Prämissen darüber hinaus auch die folgenden Kriterien voraussetzt, nämlich die

- Demokratisierung,
- die Achtung von Grundrechten und das
- Legalitätsprinzip,

die als essentielle Voraussetzungen auf dem Weg zum Rechtsstaat miteinzubeziehen sind.

Für das Grundrecht auf Eigentum ist allerdings die Tatsache von besonderer Bedeutung, dass dieses -v.a. mit dem Ziel der Erhaltung einer tragfähigen und funktionalen Zivilgesellschaft mit Berücksichtigung des Wohlergehens der Gesellschaft als solcher- selbst in einem liberalen Rechtsstaat nicht uneingeschränkt gewährleistet werden kann. Die Tatsache, dass die Eigentumsgarantie nicht uneingeschränkt gewährt werden kann, setzt aber in jedem Fall eine "sichere Rechtsordnung" voraus, welche den Rahmen dafür zu ziehen hat, wann und unter welchen Bedingungen die Eigentumsfreiheit beschnitten werden kann, um für den Einzelnen eine vorhersehbare, und damit gesicherte Rechtslage zu schaffen. Die nationalen Bestimmungen, die einen Eigentumseingriff von Seiten des Staates legitimieren können, müssen also jedenfalls hinreichend zugänglich, präzise und vorhersehbar sein[180].

Bei der Verwendung des Begriffs Demokratie bzw. Demokratisierung von ehemals sozialistischen Staaten ist Vorsicht insofern geboten, als man unter dem Begriff sehr Gegensätzliches verstehen kann. Schließlich war auch die Diktatur des Proletariats als eine Demokratie, also Volksherrschaft, gedacht: Herrschaft der Mehrheit über die Minderheit. Aus diesem Grund ist zwischen zwei vollkommen gegensätzlichen Typen deutlich zu differenzieren, und zwar zwischen einer rechts-staatlichen, liberalen Demokratie westlichen Typs, und einer Demokratie volksdemo-kratischen Musters mit einer Organisation, welche die Macht zentralisiert in ihren Händen hält[181].

Wie bereits angedeutet (s. ad 3.2.), ist eine demokratische Gesellschaft westlichen Typs, wie sie von den Transitionsstaaten im Zuge deren Demokratisierung angestrebt wird, eine Gesellschaft, in welcher die Grundrechte nicht nur geachtet und geschützt werden, eine demokratische Gesellschaft muss vielmehr die Gewährleistung von Grundrechten als Hauptattribut gewählt haben. Erwähnenswert sind in diesem Zusammenhang die von Schwan genannten Ausführungen zum Thema Demokratie[182], die als Kernpunkt der Unterscheidung zwischen Sozialdemokratie und Kommunismus das politische System sieht, die Existenz eines Rechtsstaates, der auf Gewaltenteilung basiert. Hier sind als typische Charakteristika einer liberalen, rechtsstaatlichen Demokratie westlichen Typs ferner die Freiheit der Medien, der Zugang zu objektiven Informationen ohne vorherige Zensur von Seiten des Staates, und die freie öffentliche Meinungsbildung[183] zu nennen.

Insofern kann die Transition in hohem Maß als Prozess der Sicherstellung und Wahrung von Grundrechten und Grundfreiheiten betrachtet werden. Die gesetzliche Verankerung von Grundrechten und ein programmatisches Bekenntnis zu diesen in der Verfassung eines Staates werden allerdings nicht ausreichen, um einen effektiven Schutz der Grundrechte, insbesondere der Eigentumsfreiheit, sicherzustellen. Wenn, wie beispielsweise in Serbien, der serbische Verfassungsgerichtshof über 16 Monate aufgrund der Tatsache, dass fehlende Richter nicht ernannt werden, nicht in Funktion ist, so erhebt sich die Frage, wie effektiv der Grundrechtsschutz ohne eine funktionierende Verfassungsgerichtsbarkeit sein kann[184]. Ein Staat, der sich als demokratisch im Sinn der aufgezeigten westlich-liberalen Demokratie präsentiert und die Postulate eines Rechtsstaates erfüllen möchte, wird auch für die praktische Durchsetzung und Durchsetzbarkeit von Grundrechten -auch im Wege der Einsetzung der dazu erforderlichen Organe und Gerichte- zu sorgen haben.

Hierbei ist immer zu bedenken, dass die EMRK, deren Standards die Transitionsstaaten in ihren Rechtsordnungen nunmehr übernehmen, eine Kodifikation der Grundwerte der westeuropäischen Staatengemeinschaft ist. Diese grundlegenden gemeinsamen Wertentscheidungen für den Menschenrechtsschutz sind nach dem Wortlaut der Konvention ausdrücklich auf den Standard der Erfordernisse der Demokratien bezogen, worunter die westlichen Demokratien gemeint waren[185]. In diesem Sinn respektiert der EGMR die Beurteilung darüber, welche Maßnahmen zum Eigentumseingriff in öffentlichem Interesse stehen, durch einen demokratisch gewählten Gesetzgeber grundsätzlich ohne Einmischung, sofern es dieser Beurteilung nicht offensichtlich an einer vernünftigen Grundlage mangelt[186].

Das Framework Document for Judicial Reform in South Eastern Europe vom 23.01.2002, das im Rahmen der Initiative Stabilitätspakt für Südosteuropa / Justizreform erarbeitet wurde[187], spricht die Aufgaben an, die in den nächsten Jahren bzw. Jahrzehnten in Südosteuropa und somit auch in den Balkanstaaten zu bewerkstelligen sein werden. Beim Studium des Dokumentes fällt auf, dass die oben erwähnten drei Kriterien der Demokratisierung, Achtung von Grundrechten und die Verwirklichung des Legalitätsprinzips auch hier besonders betont werden, wenn festgestellt wird:

"Richterliche Unabhängigkeit, fachliche Qualifikation und Effizienz sind Grundpfeiler der Grundfreiheiten, wie sie die EMRK vorgibt. Für die Stabilität in Südosteuropa ist entscheidend, dass nationale Justizsysteme im Einklang mit diesen Prinzipien funktionieren, und dass die Justizreform als ein Mittel vollzogen wird, um die Achtung des Gesetzes zu erreichen, nicht aber, um politische Macht zu stärken."[188]

Die Bemühungen der ehemals sozialistischen Staaten Südosteuropas zwecks Demokratisierung und wirtschaftlicher Neuordnung werden zwar auch von internationalen Organisationen anerkannt, jedoch werden als Hürden beim Reformprozess folgende Fakten zusammengefasst:

"Das reibungslose Funktionieren der Gerichte sowie funktionierende Mechanismen zur Rechtsdurchsetzung sind essentiell für die wirtschaftliche Entwicklung dieser Länder. Viele Bemühungen wurden von den Staaten Südosteuropas unternommen, um die vormaligen kommunistischen Rechtssysteme zu reformieren; nichtsdestotrotz behindern das Fehlen der rule of law und die Mängel bei der Rechtsdurchsetzung noch immer die demokratische und wirtschaftliche Entwicklung, und sie beschädigen das öffentliche Vertrauen."[189]

Im Memorandum of Understanding, das als Resumee zum Framework Document erstellt wurde, heißt es weiter:

"Die Teilnehmer sind sich darin einig, dass eine notwendige Voraussetzung für Frieden, Stabilität und Harmonisierung der Staaten Südosteuropas ein effizientes und fundiertes Funktionieren von deren Rechtssystemen ist. Sie unterstreichen die Bedeutung bestehender internationaler Standards in Bezug auf die rule of law, die u.a. im Rahmendokument des Europarates festgelegt wurden, und im speziellen die Standards der EMRK und deren Fallrecht."[190]

Wenn man die Verwirklichung des Legalitätsprinzips, und als essentiellen Bestandteil einer demokratischen Gesellschaft auch die Gewährleistung von Grundrechten propagiert, so wird man im Zuge der Beurteilung von Transitionsstaaten auf ein spezifisches Problem stoßen. Dieses spezifische Problem betrifft, wie es Teitel im oben zitierten Werk ausdrückt, die "reparatory justice"[191], sohin die Frage, wie ein Staat, der sich nach oft mehrere Dekaden andauerndem kommunistischen bzw. sozialistischen politischen System, oder nach durchlebter Diktatur damit konfrontiert sieht, in diesem vormaligen Regime begangene Fehler "auszumerzen". Beispielsweise die Problematik der Denationalisierung bietet hier hinreichend Anlass für verschiedene Auslegungs-varianten, wie Unrecht aus vor-rechtsstaatlichen Regimes begegnet werden soll. Als einen Schritt, um begangene Fehler des vormaligen Regimes wiedergutzumachen, sieht Teitel den gleichen Schutz individueller Rechte als essentielle Voraussetzung für einen liberalen Staat an[192].

Das Legalitätsprinzip wirft die Frage auf, ob sich die ausführenden Organe des Staates an jede gesetzliche Norm zu halten haben, und sei diese Norm nun von einem bereits abgesetzten, nunmehr verpönten Regime (NAZI-Regime, Milošević -Regime etc.) gesetzt worden. Soll der Nachfolgestaat Straftaten, die nach der Rechtsordnung des vormals herrschenden Regimes völlig gesetzmäßig waren, ahnden, und wenn ja, auf welche Art und Weise? Die Nachfolgeregimes werden unausweichlich mit diesem Dilemma konfrontiert, eine Lösung für die Frage des Legalitätsprinzips zu finden. - Sofern sie dies während des Transitionsstadiums verabsäumen, wird auch das neue, demokratische Regime nicht als "gesetzmäßig" eingesetzte, legitime Regierung akzeptiert werden. Im Fall, dass solcherart Gesetze nicht rechtzeitig reformiert werden, besteht die Gefahr, dass diese Vorschriften in der jeweiligen Rechtsordnung zwar noch als geltendes Recht existieren, aber nicht angewendet werden und somit totes Recht darstellen.

Eine bewusste Nichtanwendung solcher Gesetze wird immer dann in Frage kommen, wenn die getreue Anwendung der darin enthaltenen normativen Bestimmungen so weit entfernt von der Realität wäre, sodass deren Anwendung in der Gesellschaft gravierende "Erschütterungen" auslösen würde. Ein Untätigbleiben des Gesetzgebers im Sinn einer mangelnden Reformbereitschaft "überholter" gesetzlicher Bestimmungen würde in jedem Fall eine Lücke zwischen normativem und tatsächlichem Status und damit zu einer Verminderung der Effektivität des Rechts führen[193]. Dies wiederum wird unausweichlich dazu führen, dass sich der Bürger mit einer Rechtsunsicherheit konfrontiert sieht, was zur Schlussfolgerung einer generell nicht funktionierenden Rechtsordnung verleiten[194] und Skepsis gegenüber den neu gebildeten, demo-kratischen Regierungen hervorrufen kann. Um diese und ähnliche negative Begleiterscheinungen zu verhindern und grundrechtlich geschützte Besitzstände in neues, rechtsstaatskonformes Recht "überzuleiten", wird man sich geeigneter Überleitungsregelungen bedienen müssen[195], oder zumindest für Mechanismen des Vertrauensschutzes (bloß) tatsächlich existierender -wenn auch rechtsgrundlos erlangter Positionen- zu sorgen haben.

Das ungarische Verfassungsgericht hat in einem Erkenntnis vom 05.03.1992[196] ausgesprochen, das Legalitätsprinzip bedeute "Voraussehbarkeit und Vorhersehbarkeit". Der ungarische Verfassungsgerichtshof betont im Rahmen des Legalitätsprinzips den Aspekt der Sicherheit bzw. genauer gesagt, der Rechts-sicherheit, wenn er ausführt, dass "Rechtssicherheit … den Schutz zuvor verliehener Rechte erfordert"[197]. In diesem Kontext kann die Definition des Rechtsstaatsbegriffs nach Walter und Mayer wertvolle Hinweise geben, insbesondere was die Vorhersehbarkeit der Rechte und Pflichten des Einzelnen anlangt: „Unter einem Rechtsstaat im […] formellen Sinn […] ist ein Staat zu verstehen, dessen Rechtsordnung inhaltlich relativ bestimmt ist und der entsprechende Einrichtungen zur Sicherung der Einhaltung der Rechtsvorschriften vorsieht. Insbesondere müssen die Rechte und Pflichten des Einzelnen gesetzlich relativ präzise festgelegt und deren Durchsetzung durch entsprechende Institutionen garantiert sein“[198]. Der Rechtsstaat ist somit durch die Vorausbestimmtheit der Rechte und Pflichten des Einzelnen durch Gesetz gekennzeichnet, er ist "berechenbar"[199].

Die postsozialistischen Staaten des Balkan befinden sich in einer Phase der simultan ablaufenden wirtschaftlichen, politischen und rechtlichen Transformation. Letztendlich kommt in dieser schwierigen Phase den neu eingesetzten Verfassungsgerichtshöfen die Aufgabe zu, die "institutionelle Last zu tragen, ein neues Verständnis über das Legalitätsprinzip zu begründen"[200].

Reformen, sofern diese den Zweck erfüllen sollen, einen Transitionsstaat in einen Rechtsstaat umzuformen, bedürfen essentieller Grundvoraussetzungen gesellschaftlicher, politischer wie auch rechtlicher Natur, um überhaupt gelingen zu können. Zu den gesellschaftlichen Grundvoraussetzungen zählen m.E. zum einen die

- vorbehaltlose Akzeptanz des gewaltenteilenden Systems, und zum anderen
- eine generell positive, reformwillige Haltung, die den Bürger nicht (oder nicht nur) als Weisungsempfänger gegenüber der staatlichen Obrigkeit, sondern als mündiges, mit Rechten -und natürlich auch Pflichten- behaftetes Subjekt betrachtet.

Zu den politischen Grundvoraussetzungen, damit der Reformprozess in den Balkanstaaten funktionieren kann, gehören vorab und primär

- eine stabile politische Macht, die das Vertrauen der Mehrheit der Bürger genießt,
- der Wille der Regierenden zu Reformmaßnahmen sowie
- damit im Zusammenhang die vorrangige Behandlung von Reformen, die zum Rechtsstaat führen sollen. Um eine unabhängige Justiz hervorbringen zu können, werden sich die Transitionsstaaten des Balkan vorrangig der
- Bekämpfung der Korruption innerhalb der Vollziehung

widmen müssen. Dies wird wiederum die Schaffung von Maßnahmen erforderlich machen, um den einzelnen Richter bzw. das einzelne Verwaltungsorgan gegen Korruption so weit als möglich zu "immunisieren", sei dies durch Anhebung der Gehälter, oder im Wege der Androhung und tatsächlichen Anhebung des Strafmaßes für diverse Delikte wie Amtsmissbrauch etc.

Was die rechtlichen Grundvoraussetzungen für ein Gelingen der Reformen anlangt, so sind insbesondere die

- Erlassung von Grundsatzgesetzen im Bereich von Organisation und Verfahren,
- ein rechtlicher Rahmen in der Form einer bestmöglich formulierten Verfassung (auf welcher die Unabhängigkeit von Justiz und Richtern basieren soll), und
- eine tatsächliche (d.h. nicht nur formelle) Beachtung internationaler Konventionen vonnöten.

4.3.1 Exkurs: Zum aktuellen Status der Reformen in Richtung Rechtsstaat in der Staatengemeinschaft Serbien und Montenegro.

Die Staatengemeinschaft Serbien und Montenegro hat die oben angeführten Kriterien -ungeachtet der Reformen, die zweifelsohne als positive Tendenz anerkannt werden müssen- teilweise noch nicht erfüllt. Zur Begründung dieser Meinung soll -in Anbetracht der verfassungsrechtlichen Aufgabenstellung dieser Arbeit- die geltende Verfassungscharta der Staatengemeinschaft Serbien und Montenegro vom 04.02.2003 näher beleuchtet werden:

Die Verfassungscharta der Staatengemeinschaft Serbien und Montenegro wurde mit erheblicher Verzögerung, erst neun Monate nach Unterzeichnung des "Belgrader Abkommens" vom 14.03.2002 am 06.12.2002 von der Verfassungskommission in Belgrad als Entwurf verabschiedet. Erst nach "Einschreiten" der EU und des Europarates konnten die unterschiedlichen Standpunkte in der Verfassungscharta auf einen Nenner gebracht werden. Die (erforderliche dreifache) Verabschiedung der Verfassungscharta hat am 27.01.2003 im serbischen Landesparlament, am 29.01.2003 im montenegrinischen Landesparlament, und schließlich am 04.02.2003 in beiden Kammern des Bundesparlamentes stattgefunden[201].

Die Verfassungscharta ist der höchste Rechtsakt der Staatengemeinschaft, wobei die beiden Gliedstaaten Serbien und Montenegro darin verpflichtet werden, ihre Verfassungen der Verfassungscharta anzupassen bzw. diese mit der Charta in Einklang zu bringen. Mit der Verfassungscharta müssen sohin sämtliche Rechtsakte sowohl der Staatengemeinschaft, als auch der beiden Gliedstaaten übereinstimmen (s. Art. 12 Abs. 1, Art. 20. S 1 bis 3 und Art. 23 S 5 leg. cit.). Völkerrechtssubjektivität kommt nur der Staatengemeinschaft, nicht aber dem einzelnen Gliedstaat zu. Art. 12 Abs. 3 S 3 bis 7 VC legt die Grundzüge der Gemeinschaftsparlamentswahlen fest und bestimmt, dass die Wahlen nur in den ersten zwei Jahren nach Verabschiedung der Charta mittelbar durch die Landesparlamente, und danach unmittelbar durch die Bevölkerung von Serbien und Montenegro zu erfolgen haben.

Dem Gerichtshof von Serbien und Montenegro obliegt laut Verfassungscharta die Zuständigkeit in folgenden Angelegenheiten:

1. gem. Art. 19 Abs. 2 Nr. 2 leg. cit. die Entscheidung über Streitigkeiten zwischen der Staatengemeinschaft und einem Gliedstaat oder den beiden Gliedstaaten, oder zwischen den beiden Gliedstaaten über Kompetenzkonflikte;
2. gem. Art. 19 Abs. 2 Nr. 4 leg. cit. die Prüfung der Übereinstimmung einer Gliedstaaten-Verfassung mit der Verfassungscharta sowie
3. gem. Art. 19 Abs. 2 Nr. 6 leg. cit. die Prüfung der Übereinstimmung eines Gliedstaaten-Gesetzes mit einem Gesetz der Staatengemeinschaft.

Die Kompetenzen der Staatengemeinschaft erstrecken sich auf folgende Materien: Flagge, Hymne und Wappen der Staatengemeinschaft (Art. 4, Art. 12 Abs. 1 Nr. 13 leg. cit.), Grenzänderung (Art. 5 S 1 und 2, Art. 12 Abs. 1 Nr. 6 leg.cit.), Staatsangehörigkeit auf der Ebene der Staatengemeinschaft (Art. 8 S 1 und 2 leg. cit.), Ausrufung und Aufhebung des Kriegszustandes (Art. 12 Abs. 1 Nr. 3 leg. cit.), Standardisierung, geistiges Eigentum, Maße, Edelmetalle, Statistik (Art. 12 Abs. 1 Nr. 7 leg. cit.), Einwanderung, Asyl, System der Visa-Erteilung, integrierte Verwaltung der Grenz-angelegenheiten (Art. 12 Abs. 1 Nr. 8 leg. cit.). Trotz dieser Föderalisierung der Staatengemeinschaft existieren zahlreiche konföderale Elemente, wie zB die Zulässigkeit der Teilnahme der Gliedstaaten am völkerrechtlichen Verkehr (Art. 10 S 3 und 4 leg. cit.), die Beschlussfassung im Parlament der Staatengemeinschaft nur mit qualifizierter Mehrheit gemäß der Gliedstaatszugehörigkeit der Abgeordneten (Art. 12 Abs. 3 S 1 leg. cit.), die Zusammensetzung des Gerichtshofes der Staatengemein-schaft entsprechend der Gliedstaatszugehörigkeit der Richter (Art. 19 Abs. 1 S 1 leg. cit.), die Mitwirkung von Richtern der Landesverfassungsgerichte an bestimmten Entscheidungen des Gerichtshofs der Staatengemeinschaft (Art. 20 S 2 und 3 leg. cit.), oder das Vetorecht eines Gliedstaatsparlamentes bei der Transformation von Gesetzen der ehemaligen BRJ in Landesrecht (Art. 23 S 4 leg. cit.), u.a.

Eckhardt meint in seinem Beitrag in "Osteuropa Recht" vom April 2003, die Staatengemeinschaft Serbien und Montenegro habe de facto die äußere Form eines umstrukturierten Bundesstaates, d.h. einer modifizierten Föderation mit konföderalen Elementen angenommen[202]. Hierzu sollte man zunächst festhalten, welche Folgen die Verfassungscharta der Staatengemeinschaft Serbien und Montenegro überhaupt ausgelöst hat. Mit Verabschiedung der Verfassungscharta wurde der Bundesstaat (d.h. die Bundesrepublik Jugoslawien) nicht umstrukturiert oder umgestaltet, dieser wurde vielmehr ausgelöscht.

Serbien und Montenegro sind von Mitgliedsrepubliken einer Föderation zu Mitgliedstaaten in einer Realunion geworden. Solch radikale Veränderungen werden, so erwartet man üblicherweise - im Zuge außerordentlicher Umstände, nach Kriegen oder auf Friedenskonferenzen realisiert, im Rahmen "regulärer Umstände" jedoch erfolgt die Auslöschung eines Bundesstaates und Zersplitterung auf zwei Gliedstaaten üblicherweise im Wege eines vorhergehenden Referendums bzw. auf der Grundlage von Entscheidungen des verfassunggebenden Parlaments, zumal hierdurch ja die Verfassungsmäßigkeit des neuen Staates begründet wird. Trotz ihrer historischen Konsequenzen wurde die Verfassungscharta nach dem Verfahren für die Annahme (bloß) einfacher Gesetze angenommen, was zur Frage führt, welche Bedeutung diesem formal höchsten Rechtsakt der Realunion beigemessen wird, und ob es sich bei der "Verfassungscharta" überhaupt um eine Verfassung in klassischem Sinn handelt[203]. Die Entstehungsgeschichte der Verfassungscharta deutet auf einen politischen Pakt hin, obgleich die staatliche Umsetzung allein durch die Verabschiedung dieses Aktes freilich noch nicht gelöst wurde.

Zur Entstehungsgeschichte der Verfassungscharta ist festzuhalten, dass diese nach vorhergehender politischer Einigung von Seiten zweier Vertreter des Bundesstaates (damaliger Präsident der BRJ Vojislav Koštunica und Vizepremierminister) sowie Montenegros (Präsident Milo Đukanović und Premierminister), wie auch der Teilrepubliken sowie eines Vertreters von Serbien (Premierminister) als Teilrepublik zustandegekommen ist. Eine plausible Begründung, weshalb nur der Bundesstaat nicht vom Premierminister, und weshalb nur Serbien nicht vom Präsidenten der Republik, sondern von nur einem Repräsentanten vertreten wurde, konnte bis dato nicht gegeben werden. Die Vereinbarung wurde im Beisein eines ausländischen Vertreters, nämlich des Hochkommissärs für Außen- und Sicherheitspolitik der EU (Javier Solana) getroffen, ungeachtet dessen, dass kein ausländischer Vertreter ein Mandat für eine solche Vereinbarung erhalten hätte; abgesehen davon sieht keine der damals geltenden drei Verfassungen einen EU-Vertreter als Träger verfassung-gebender Gewalt vor. Hätte man eine Unterbrechung der verfassungsrechtlichen und politischen Kontinuität angestrebt, so hätte man m.E. den einzigen demokratischen Weg, nämlich eine verfassunggebende Versammlung nach vorhergehendem Referendum, wählen müssen. - Statt dessen hat über die wichtigste politische und rechtliche Frage eines Staates, nämlich über die Verfassung, lediglich ein kleiner Kreis von fünf politischen Funktionären entschieden.

In der breiten Öffentlichkeit wird insbesondere beanstandet, dass die Verfassungs-charta bei ihrem Erlass im Jahr 2003 nicht Gegenstand einer Volksabstimmung gewesen sei und diese deshalb an einem Mangel an demokratischer Legitimation leide[204]. Dem ist entgegenzuhalten, dass eine Verfassung nicht nur dann "wirklich demokratisch" ist, wenn sich das Volk zu ihr in einer Volksabstimmung entsprechend äußern oder diese zuvor bejahen durfte, da das, was demokratisch ist, sich rechtlich nur aus einer demokratischen Verfassung ergeben kann. Das Wort "demokratisch" kann sich nur auf eine bereits geltende Verfassung beziehen, nicht aber auf den Prozess der Verfassunggebung; letzterer ist ein "vor-rechtliches Politikum, an das rechtliche Anforderungen nicht gestellt werden können"[205]. Insofern war ein Referendum zwar rechtlich nicht zwingend geboten, wäre aber wohl für die Akzeptanz und die Qualität der von ihr geschaffenen politischen Ordnung von Relevanz gewesen.

Diese (politische) Vereinbarung weniger Politiker, um zur Entstehungsgeschichte der Verfassungscharta zurückzukehren, wurde hernach mit einfacher Mehrheit in ordentlichen gesetzgebenden Versammlungen in den Parlamenten der BRJ, der Republik Serbien und der Republik Montenegro angenommen, und zwar ohne Möglichkeit, diese Vereinbarung durch etwaige Zusätze oder Änderungen der Vertreter der einzelnen Parlamente zu modifizieren. Dieser Vorgang hat nicht zur demokratischen Legitimität der Verfassungscharta, die man von einer Verfassung üblicherweise erwarten darf, beigetragen. Durch Annahme der Verfassungscharta wurde die Verfassung der BRJ[206], aber auch die Verfassung Montenegros[207] verletzt, die ausdrücklich statuiert, dass über die Änderung des staatlichen Status "nicht ohne vorhergehendes Referendum durch die Bürger entschieden" werd en darf. Hier geht es aber exakt um eine grundlegende Veränderung des staatlichen Status, denn Montenegro ist, genauso wie Serbien, von einer Teilrepublik als Mitglied der Föderation zu einem Mitgliedstaat der Union geworden.

Entgegen der Verfassung der BRJ wurde eine Verfassungskommission aus Vertretern dreier Parlamente mit der Aufgabe betraut, einen Entwurf für eine Verfassungscharta auszuarbeiten. Auch an dieser Vorgangsweise erkennt man, dass es sich bei der Charta nicht um den Akt eines Subjektes, sondern um einen gemeinschaftlichen Akt, um eine Vereinbarung zweier Subjekte handelt, die im Wege eines statuierten Verfahrens wieder aufgelöst werden kann[208]. Dieser Entwurf der Verfassungscharta wurde in den Parlamenten von Serbien und Montenegro angenommen und hernach zwecks Annahme und Verlautbarung an das Bundesparlament lediglich zugestellt. Weder in der Vereinbarung, noch in der Charta ist vorgesehen, dass diese Annahme mit qualifizierter Mehrheit zu erfolgen hat, was bedeutet, dass der höchste Rechtsakt der Staatengemeinschaft mit einfacher Mehrheit beschlossen wurde.

Der Verfassungsjurist Prof. Ratko Marković[209] bezeichnet den Text der Verfassungs-charta als leer und politisierend, der keine präzisen juristischen Normen beinhalte, sondern lediglich den Charakter einer feierlichen politischen Erklärung habe. Den Inhalt der Charta könne man in einem einzigen Satz zusammenfassen: Mit der Verfassungscharta würden sich zwei Staaten zu einer Union mit einigen gemeinsamen Institutionen zusammenschließen, aus welcher sie auf Wunsch nach drei Jahren wieder austreten könnten, wobei die Union Völkerrechtssubjekt mit gemeinsamer Streitkraft und gemeinsamem Markt sei und die Staatsbürger eines Gliedstaates die gleichen Rechte wie die Staatsbürger des anderen Gliedstaates in diesem Staat, ausgenommen das Wahlrecht, hätten.

Die Staatengemeinschaft ist am ehesten als Realunion, nicht jedoch als einziger Staat, zu charakterisieren. In der Staatengemeinschaft behält jeder Gliedstaat seine voll-kommene und unabhängige staatliche Organisation, und nur die Union hat Völkerrechtssubjektivität. Diese Subjektivität wird -entgegen ihres eigentlichen Sinngehaltes als Repräsentationsrecht (ius legationis) - im konkreten Fall allerdings zwischen zwei Gliedstaaten aufgeteilt, was insbesondere beim Studium zweier Normen der Verfassungscharta evident wird: Art. 14 Abs. 1 S 5 VC lautet: "In den Vertretungen von Serbien und Montenegro in den internationalen Organisationen UNO, OSZE, EU und Europarat sind die Gliedstaaten auf paritätischer Grundlage im Wege der Rotation vertreten." Art. 14 Abs. 1 S 7 leg. cit. statuiert: "Die Vertretung der Gliedstaaten in den diplomatisch-konsularischen Vertretungen von Serbien und Montenegro bestimmt der Ministerrat mit Zustimmung der zuständigen Institutionen der Gliedstaaten."

Die Staatengemeinschaft Serbien und Montenegro (SMN) ist ein vertraglich verein-bartes, auf drei Jahre befristetes Gebilde, wobei jeder Gliedstaat nach Ablauf dieser Frist ein Verfahren zur Veränderung des staatlichen Status anstrengen bzw. einen Austritt aus der Staatengemeinschaft fordern kann. Die Entscheidung, aus Serbien und Montenegro auszutreten, wird laut Art. 25 S 2 der Charta "nach einem Referendum getroffen". Es mutet verwunderlich an, dass das Staatsvolk zwar nicht befragt wurde, als es um das Zustandekommen der Staatengemeinschaft ging, geht es aber um die Auflösung eben dieser Staatengemeinschaft, so soll es befragt werden.

Der Ministerrat (s. Art. 14 leg. cit.) ist eine Versammlung, die aus fünf Ministern besteht, eine Regierung, die folgende Besonderheiten aufweist: Die Minister des Ministerrates sind nicht mit den Funktionen ausgestattet, die man üblicherweise von Ministern erwartet, sie koordinieren lediglich die Arbeit der jeweiligen Ministerien der beiden Gliedstaaten.

Probleme treten im Hinblick auf den Gerichtshof von Serbien und Montenegro (s. Art. 19 leg. cit.) auf, wenn man dessen Zusammensetzung und Funktionen näher beleuchtet: dieser Gerichtshof[210] setzt sich paritätisch zusammen, allerdings werden die Richter -entgegen dem Prinzip der Unabhängigkeit der Justiz- auf Vorschlag des Ministerrates vom Parlament für die Dauer von sechs Jahren gewählt (s. Art. 19 Abs. 1 S 2 leg. cit.). Dieser Gerichtshof ist sowohl Verfassungsgericht als auch Verwaltungsgericht, wobei ihm auch die Entscheidung über Kompetenzkonflikte zusteht. In der Funktion als Verfassungsgericht und Kompetenzgericht nehmen an dessen Arbeit und Entscheidungen, je nach Art der Verwaltungsstreitigkeit, entweder beide oder nur ein Verfassungsgericht eines Gliedstaates teil, was zum Resultat führt, dass diesfalls die Zusammensetzung des gemeinsamen Gerichtshofes der Staatengemeinschaft eine größere Zahl an Richtern der Verfassungsgerichte der einzelnen Gliedstaaten als des gemeinsamen Gerichtshofes aufweisen wird. Welche Kriterien sollen in diesem Fall die Bezeichnung als "gemeinsamer Gerichtshof der Staatengemeinschaft Serbien und Montenegro" rechtfertigen?

Bedenkt man, dass die gesamte Materie in der Verfassungscharta ohne materiell-rechtliche Normen "geregelt" wird, ist nicht erkennbar, auf welcher Grundlage der gemeinsame Gerichtshof die Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen der Staatengemein-schaft, aber vor allem von Gesetzen der einzelnen Gliedstaaten, beurteilen wird. Da es sich beim gemeinsamen Gerichtshof jedoch nicht um ein Instanzengericht handelt, wird sich dessen verwaltungsgerichtliche Funktion wohl eher auf die Überprüfung der Gesetzmäßigkeit von Verwaltungsakten von fünf Ministerien beschränken.

Marković[211] behauptet, die Verfassungscharta von Serbien und Montenegro habe eine ungewünschte Union herbeigeführt, da Serbien entweder für einen gemeinsamen Staat mit Montenegro ohne föderale Einheiten, oder aber für einen selbständigen Staat Serbien plädiert habe. Auch Montenegro hätte die aktuelle Konstellation einer losen Staatengemeinschaft nicht gewollt und bereite sich in den nächsten drei Jahren auf die Selbständigkeit, und damit auf den Austritt aus der Staatengemeinschaft SMN vor.

Was nun die Grundrechte im Rahmen der neu gegründeten Staatengemeinschaft anlangt, so normiert die Verfassungscharta in Art. 3 die Ziele der Union äußerst generell, wenn sie in S 1 "die Achtung der Menschenrechte aller Personen innerhalb ihrer Zuständigkeit", und in S 2 die "Wahrung und Förderung der Menschenwürde, der Gleichberechtigung und der Herrschaft des Rechts" vorsieht. Mit der Bezeichnung "Herrschaft des Rechts" ist wohl die im anglo-amerikanischen Rechtssystem genannte "rule of law" bzw. das in der österreichischen Rechtsordnung zu eng formulierte "Legalitätsprinzip" gemeint[212]. Dieser programmatischen Erklärung in der Verfassungscharta hätte es m.E. nicht bedurft, da zum einen die Gliedstaaten in deren Verfassungen bereits umfassende Grundrechte gewährleisten, und zum anderen sowohl internationale Konventionen und Abkommen, als auch die Grundrechtscharta von SMN (dazu im Detail s.u.) einen darüber hinausgehenden Grundrechtsschutz gewährleisten. Der EGMR hat bei der Beurteilung des Falles Brumarescu gegen Rumänien (1999) zur Bedeutung der rule of law wie folgt festgehalten: "The Preamble of the Convention […] declares, among other things, the rule of law to be part of the common heritage of the Contracting States. One of the fundamental aspects of the rule of law is the principle of legal certainty […]"[213]. Eine zusätzliche Betonung des Bekenntnisses zur "Herrschaft des Rechts" wäre demnach nicht notwendig gewesen.

Beim Studium der Verfassungscharta drängt sich folglich die Vermutung auf, als wollte man das ohnehin dürftige Volumen des Textes durch die Beigabe programmatischer Erklärungen maximieren, welche die Achtung der Menschenrechte und das Anstreben eines Rechtsstaates -insbesondere für die Internationale Staatengemeinschaft und EU mit dem Ziel einer rascheren Eingliederung in europäische Standards- betonen sollen. Art. 9 leg. cit. sieht weiters die Erlassung einer gesonderten Charta über Menschen- und Minderheitenrechte und bürgerliche Freiheiten vor. Diese Charta, die integrierter Bestandteil der Verfassungscharta ist, stellt den bis dato höchsten Standard an Grundrechten in Serbien und Montenegro dar, allerdings erhebt sich die Frage, welche praktische Relevanz sie erlangen wird, zumal beide Gliedstaaten dieselbe Materie im Rahmen ihrer eigenen Verfassungen explizit und ausführlicher behandeln werden und -im Gegensatz zur Staatengemeinschaft SMN- über entwickelte Institutionengarantien, v.a. ein umfassendes Netz an Gerichten für die Durchsetzung der in den Verfassungen proklamierten Rechte und Freiheiten verfügen.

Bei allen "Unzulänglichkeiten" der Verfassungscharta von Serbien und Montenegro sollte man jedoch das dahinter stehende Motiv nicht aus den Augen verlieren, weshalb sich Serbien und Montenegro doch für diese Lösung entschieden haben. Die Charta war eine Bedingung der EU und anderer Internationaler Organisationen für die Aufnahme Serbiens und Montenegros in die europäische Integration, zu Beginn konkret in den Europarat. Nichtsdestotrotz wird die Charta von einem Großteil der Bevölkerung weder Serbiens noch Montenegros akzeptiert und vielmehr als "Schein-konstruktion", v.a. was die Institutionen anlangt, betrachtet. Das Zustandekommen sowie essentielle Bestandteile der Verfassungscharta haben das dringend geforderte Vertrauen der Bevölkerung in die aktuelle Regierung nicht erhöht oder zumindest konsolidiert, sondern -im Gegenteil- eher erschüttert.

Die Privatisierung tritt als ein Ziel des Transitionsprozesses in allen Balkanstaaten auf. Kern der Privatisierung als Schlüsselsegment der Transition bzw. des Transitions-prozesses ist die Trennung von imperium und dominium, wobei imperium die öffentliche, politische Staatsmacht, und dominium das Eigentum als juristische Hand-habe zur legitimen "Ausbeutung" von Sachen bzw. Rechten zu verstehen ist[214]. Die vormals kommunistisch regierten Regierungen der Balkanstaaten haben diese beiden Arten von Macht in der Hand des Staates zum einen durch das gesellschaftliche Eigentum, und zum anderen durch das sogenannte Selbstverwaltungssystem vereint, was dazu geführt hat, dass sich die Macht des Staates multipliziert hat. Parallel dazu haben die Regierungsmethoden an Transparenz verloren.

Die Transitionsstaaten kehren nunmehr zum Privateigentum zurück. Hierbei nimmt die Privatisierung eine zentrale Rolle ein, zumal Privatisierungsmethoden in den einzelnen Transitionsstaaten ein aussagekräftiger Indikator dafür sind, ob und inwieweit der betreffende Staat Privateigentum achtet bzw. schützt. Auf die Probleme, die im Zuge des Privatisierungsprozesses auftreten und für die Eigentumsproblematik von Relevanz sind, soll später (8.1. bis 8.3.) ausführlicher eingegangen werden.

V. Der Konnex zwischen Eigentum und Demokratisierung in den Transitionsstaaten, mit besonderer Berücksichtigung der Rechts-lage in der Republik Serbien.

5.1 Eigentumsschutz als Grundwert einer demokratischen Gesellschaft: Privateigentum als essentielle Voraussetzung für die Schaffung eines liberalen Rechtsstaates.

Basis jeder marktwirtschaftlich orientierten (und somit kapitalistischen) Wirtschafts-ordnung in einer Rechtsordnung, die rechtsstaatlich funktioniert, ist ein hinreichend geschütztes Privateigentum. Zu Beginn dieses Abschnittes ist vorweg festzuhalten, dass sämtliche Teilrepubliken der damaligen SFRJ -Serbien, Kroatien, Slowenien, Makedonien, Bosnien und Herzegowina sowie Montenegro- ab 1945 kontinuierlich aus dem Kreis der kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen abgewandert, und in den Kreis der sozialistischen Rechtsordnungen eingetreten sind. Die gesamte Rechtsordnung war vom Leitgedanken getragen, eine sogenannte sozialistische Gesellschaft zu begründen und auszubauen, in welcher sich der Einzelne nur in geringem Ausmaß als Individuum, viel stärker aber als Mitglied eines Kollektivs artikulieren konnte. Diese Kollektive nahmen verschiedenste Formen an, wie zB als Einheiten kollektiver Arbeit und Arbeitsgemeinschaften, territoriale Einheiten, gesellschaftlich-politische Organisationen, u.ä. Diese Tatsache ist im Auge zu behalten, zumal sie dazu beigetragen hat, die vormals auch am Balkan herrschende individualistische Rechtsordnung mit liberalem Charakter in eine kollektivistische Rechtsordnung umzuformen, was sich auch heute noch negativ auf die Verankerung westeuropäischer Standards auswirkt[215].

Das natürliche Recht auf Privateigentum wird in Art. 17 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen vom 10.12.1948 anerkannt. Die Verfassungen der Balkanstaaten sehen durchwegs das Recht auf Eigentum vor. Selbst in den Verfassungen der Bundesrepublik Jugoslawien und der Teilrepublik Serbien unter der Führung von Slobodan Milošević war das Recht auf Eigentum verankert. Nach internationalen Konventionen und den entsprechenden Verfassungsbestimmungen der einzelnen Staaten kann von diesem Prinzip nur abgegangen werden, sofern dies gesetzlich vorgesehen ist und das öffentliche Interesse einen Eingriff rechtfertigt, jedoch nur gegen Leistung einer Entschädigung, die den Marktwert grundsätzlich nicht unterschreiten sollte.

[...]


[1] Neben Verfassungsrecht auch Verwaltungsrecht, Völkerrecht, Europarecht und Strafrecht.

[2] Locke, John, Zwei Abhandlungen über die Regierung, herausgegeben und eingeleitet von Euchner, W., Frankfurt 1967 (Textausgabe), Buch II, § 142.

[3] BGHZ 6, 270, 276.

[4] Penner, J.,"Bundle of Rights Picture of Property" 43 UCLA Law Review 711, in Çoban, A. R., Protection of Property Rights within the European Convention on Human Rights [2004], 18.

[5] Attentat vom 12.03.2003 in Belgrad, Serbien.

[6] Hösch, Edgar, Geschichte des Balkans, [2004], 7.

[7] Ibidem.

[8] Lexika zählen zum politisch-historischen Begriff des Balkan im allgemeinen die bis 1878 unter osmanischer Herrschaft stehenden Territorien, i.e. Serbien, Bosnien-Herzegowina, Montenegro, Albanien, Makedonien, Bulgarien, Griechenland und die "Europäsche Türkei", wobei letzteres im 19. Jhdt. der Großraumbegriff für die gesamte südosteuropäische Region war (vgl. dazu näher Hösch, E., Geschichte des Balkans [2004], 8). Die Bezeichnung Balkan ist die Kurzbezeichnung für Balkanhalbinsel und stammt ursprünglich vom Balkan-Gebirge in Bulgarien ab; die genaue geographische Eingrenzung des Gebietes, das heute als Balkan bezeichnet wird, ist schwierig und umstritten (vgl. Hösch, E., a.a.O.).

[9] So auch Hasslacher, Peter, in Discover Europe, International Business Guide der Wirtschaftskammer Österreich 2004/2005, 22, der über die Wirtschaftsbedingungen in Kroatien spricht und beim Aufbau von Wirtschaftsbeziehungen zu Kroatien nicht nur zur Vermeidung des Begriffs Balkan rät, sondern auch "den Einsatz slowenischer und serbischer Mitarbeiter für die Bearbeitung des kroatischen Marktes […]" für "nicht vorteilhaft" hält.

[10] Vgl. Ortner, Hermann, in Discover Europe, International Business Guide der Wirtschaftskammer Österreich 2004/2005, 15, über die Wirtschaftsbedingungen in Bulgarien; vgl. weiters Hösch, E., a.a.O., 7.

[11] Balkan Airlines, Balkantourist, Balkanska Banka, etc.

[12] Gemeint sind Korruption und Korrumpierbarkeit von staatlicher Verwaltung und Justiz, welche im Rahmen der Justizreform in den Staaten Südosteuropas mit dem Ziel der Einführung einer unabhängigen und unparteiischen Justiz eingedämmt werden sollen (vgl. in diesem Zusammenhang die Bemühungen im Rahmen des Stabilitätspaktes für Südosteuropa, www.stabilitypact.org, 23.01.2002).

[13] Noch im Jahr 2000 schreibt Stojadinović über Serbien: "Serbien ist der einzige Staat Europas, der die postkommunistische Transition noch nicht eingeleitet hat. In Isolation und Armut, das ist der letzte, aber der ideale Platz für einen Staat nach Maß", womit er die Möglichkeiten anspricht, die sich dadurch für den damaligen Präsidenten auftaten.- Stojadinović, Ljubodrag,"Život posle kraja" [Leben nach dem Ende], EVRO [2000], 63.

[14] Hösch, E., Geschichte des Balkans [2004], 93.

[15] Ibidem.

[16] Tomuschat spricht von einem "Mangel an ökonomischer Effizienz"; Tomuschat, Christian, Eigentum im Zeichen von Demokratie und Marktwirtschaft, in Tomuschat, C. (Hrsg.), Eigentum im Umbruch: Restitution, Privatisierung und Nutzungskonflikte im Europa der Gegenwart [1996], 5.

[17] Vgl. zu dieser Problematik aus wirtschaftlicher Sicht Petrović, Tanja / Tiosavljević, Ivana,"Problemi privatizacije društvenog kapitala u Republici Srbiji" [Probleme bei der Privatisierung von gesellschaftlichem Kapital in der Republik Serbien] in "Aktuelna pitanja savremenog zakonodavstva" [Aktuelle Fragen der modernen Gesetzgebung], Sammlung von Beiträgen im Rahmen der Juristentagung vom 31.05.-04.06.2004 in Budva, Montenegro, 163.

[18] Die Begriffe kapitalistisch bzw. Kapitalismus werden in der vorliegenden Arbeit keineswegs in negativem Sinn gebraucht und meinen demnach nicht die ausbeutende Klasse nach Marx. Der Begriff des Kapitalismus soll im Sinn einer marktwirtschaftlichen, den Wettbewerbsregeln unterliegenden Wirtschaftsform verstanden werden. In der Republik Serbien wird seit Beginn des Jahres 2003 von Seiten der Politik verstärkt der Begriff des Kapitalismus in die Gesellschaft "verstreut". Die Gesellschaft soll sich, so scheint es, an diesen Begriff gewöhnen und von den negativ behafteten Wesensmerkmalen zu einem positiv behafteten Begriffsinhalt geführt werden, der jedoch nicht die Risken des freien Wettbewerbs beschönigen soll.

[19] In Serbien und Montenegro lag die Arbeitslosenquote im Jahr 2002 (laut AWO Länderprofil, Stand April 2002) bei 28% und im Jahr 2003 bei 28,1%; die Inflationsrate lag 2002 bei 20%, und im Jahr 2003 bei 9,0% (AWO Länderprofil, Stand Dezember 2003); in Bulgarien lag die Arbeitslosenquote mit Stand 2004 immer noch bei 14% (AWO Länderprofil, Stand Jänner 2004).

[20] Cranston, Maurice, in Donnelly, Jack, Universal Human Rights in Theory and Practice [2], USA [2003], 31: "... property is inseparable from liberty".

[21] Schwarz, G. in Hayek, F. A. v., Der Weg zur Knechtschaft (Vorwort zur Neuauflage 2003), 4.

[22] Dragor Hiber beschreibt die "Diskriminierung" von Privateigentum, die intentionale Belegung dieser Eigentumsform mit negativen Eigenschaften, und im Gegensatz dazu den besonderen rechtlichen Schutz des gesellschaftlichen Eigentums im sozialistischen Jugoslawien in seinem Werk "Svojina u tranziciji" [Eigentum im Wandel] aus dem Jahr 1998. Die Befassung mit der Problematik des Grundrechtes auf Eigentum hat in den Balkanstaaten zu unterschiedlichen Zeitpunkten begonnen, parallel zum politischen Umbruch und Implementierung demokratischer Regierungsformen. In Serbien hat die Befassung mit der Eigentumsproblematik erst spät eingesetzt, wobei Prof. Ljubomir Madzar diese Thematik erstmals 1995 in seinem Werk "Svojina i reforma" [Eigentum und Reform] aufgreift. In seinem Werk untersucht er die Rolle des Eigentums im Sozialismus und seine Unzulänglichkeiten, indem er für eine umfassende Eigentumsreform und Privatisierung plädiert. Er betont v.a. die Bedeutung der Eigentumsrechte für das Endergebnis des Transitionsprozesses in Jugoslawien. Erst nach 1998 erscheinen in der BRJ weitere Publikationen, die sich mit der Eigentumsproblematik im Transitionsprozess im Rahmen des Projektes "Die Umgestaltung Serbiens hin zum Rechtsstaat" befassen, wovon als eines der bedeutendsten Werke wohl "Eigentum im Wandel" von Prof. Dragor Hiber zu nennen ist. Dies ist deshalb relevant und erwähnenswert, da sich die juristischen Lehrbücher der BRJ bis dato kaum mit der Eigentumsfrage befassen und diese sogar insofern umgehen, als diese die bis zum Jahr 2000 dominante Eigentumsform des gesellschaftlichen Eigentums nur marginal thematisieren, oder lediglich vom "Eigentumsrecht" sprechen. Vgl. Stanković, O. / Orlić, M.,"Stvarno pravo" [Das Sachenrecht], 60.

[23] Hofbauer, Hannes, Balkankrieg. Zehn Jahre Zerstörung Jugoslawiens, 153 ff.

[24] Vratuša-Žunjić, Vera,"Globalization of Democratic Participation and Self-Governance versus Globalization of Oligopolistic Markets and Totalitarism", in "Sociologija" [Die Soziologie], Nr. 4/2002, Belgrad, Oktober-Dezember 2004, 294 ff.

[25] Hier ist beispielsweise an die Unvereinbarkeit des PBG der Republik Serbien ["Zakon o planiranju i izgradnji"] aus 2003 mit der Verfassung der Republik Serbien aus 1990 zu denken: gem. Art. 60 der serbischen Verfassung ist nämlich städtisches Bauland vom Privateigentum ausgenommen und ausschließlich staatlichem Eigentum vorbehalten, während das (einfach-gesetzliche) PBG durchaus Privateigentum auch an städtischem Bauland zulässt. Ausführlicher zu dieser Problematik s. ad 7.3.

[26] So Hofbauer, H., a.a.O., 153 ff.

[27] Ausführlich zum Thema Liegenschaftsregistrierung in SMN s. Orlić, Miodrag, "Einführung und Erneuerung von Grundbüchern" in Grundbücher und einheitliche Liegenschaftsevidenz, Beiträge und Gesetzestexte, Annalen der Juridischen Fakultät Belgrad [2003], 52.

[28] BGBl. 1958/210, Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, am 04.11.1950 in Rom unterzeichnet, nach Ratifizierung durch die erforderlichen zehn Staaten am 03.09.1953 in Kraft getreten.

[29] Pache, Eckhard, Die Europäische Menschenrechtskonvention und die deutsche Rechts-ordnung, in EuR, Heft 3, [2004], 395.

[30] Vgl. Art. 14 Abs. 1 des deutschen Grundgesetzes; Art. 1 S 1 der Schwedischen Verfassung; Art. 62 Abs. 1 der portugiesischen Verfassung; Art. 33 der slowenischen Verfassung.

[31] So etwa Art. 5 des österreichischen StGG; Art. 16 S 1 der Verfassung der Republik Montenegro normiert, dass "die [in der Verfassung verankerten] Freiheiten und Rechte unverletzlich" sind.

[32] "Zakon o vlasništvu i drugim stvarnim pravima", Abl. der Republik Kroatien Nr. 91/96, 68/98, 137/99, 22/00, 73/00, 114/01.

[33] Vgl. Pejovich, S., The Economics of Property Rights: Towards a Theory of Comparative Systems, Kluwer Academic Publishers, Dordrecht, (1990), zitiert in Mijatović, B.,"Mogućnost privatizacije" [Die Möglichkeiten der Privatisierung] in Sociologija [Die Soziologie], Vol. 35, Nr. 1, Januar-März 1993, 23. Vgl. ferner die elf Komponenten des Eigentums (eleven incidents of ownership) nach Honoré, A.M., zitiert in Çoban, Ali Rıza, a.a.O., , 16: "[…] eleven incidents of ownership which include the right to possess, to use, to manage, to the income of the thing, to capital, to security, the rights of incidents of transmissibility and absence of term, the prohibition of harmful use, liability to execution, and […] residuary character".

[34] BVerfG, 1 BvR 995/95 vom 14.7.1999, C-113.

[35] Milović, Rajko M., "Savremeni modeli preduzetničke djelatnosti u svijetu" [Moderne Modelle unternehmerischer Tätigkeit weltweit], in "Das Igalo Symposium" GTZ [2004], 96.

[36] Vgl. Lawson, Edward, Encyclopedia of Human Rights [1996], 1209.

[37] Mijatović, B.,"Mogućnost privatizacije" [Die Möglichkeiten der Privatisierung] in Sociologija [Die Soziologie], Vol. 35, Nr. 1, Januar-März 1993, 23.

[38] Ähnlich Pejovich, S., The Economics of Property Rights: Towards a Theory of Comparative Systems, Kluwer Academic Publishers, Dordrecht, (1990), zitiert in Mijatović, B.,"Mogućnost privatizacije" [Die Möglichkeiten der Privatisierung] in Sociologija [Die Soziologie], Vol. 35, Nr. 1, Januar-März 1993, 23.

[39] ZB § 354 des österreichischen ABGB; § 544 des französischen Code Civil; § 832 des italienischen ZGB; § 903 des deutschen BGB.

[40] Vgl. Koziol, H. / Welser, R., Bürgerliches Recht II [8], 38.

[41] Über das Spannungsverhältnis der Eigentumsfreiheit des Einzelnen und des Umweltschutzes als entgegengesetzte Interessen s. Backes, C., Der grundrechtliche Eigentumsschutz in den Niederlanden, in Tomuschat, C., Eigentum im Umbruch, (1996), 195 ff.

[42] Vgl. Koziol, H. / Welser, R., Bürgerliches Recht II [8], 38.

[43] Koziol, H. / Welser, R., a.a.O., 47ff

[44] Vgl. Öhlinger, Theo, Verfassungsrecht [5], 375; Ermacora, Felix, Handbuch der Grundfreiheit und der Menschenrechte, 135; Mayer, H., B-VG [2], 480 f.

[45] BverfGE 24, 367, 389.

[46] Staatsgrundgesetz [StGG] von 1867, verlautbart unter dem Titel "Staatsgrundgesetz vom 21. December 1867, über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger für die im Reichsrathe vertrete-nen Königreiche und Länder".

[47] "Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 04. November 1950" [EMRK] sowie "Zusatzprotokoll zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten". In Österreich wurden die EMRK sowie das 1. ZPzEMRK durch BVG 04.03.1964, BGBl. 59 mit Verfassungsrang ausgestattet.

[48] Öhlinger, T., Verfassungsrecht [5], Rz 867.

[49] BVerfGE 21,73; 52,1.

[50] BVerwG Beschluss vom 17.01.2000, in NVwZ-RR 2000, 339.

[51] Vgl. auch den Standpunkt des EGMR in der E Mellacher u.a. gegen Österreich, Urt. v. 19.12.1989, Beschwerden Nr. 10522/83, 11011/84, 11070/84.

[52] BVerfG, 1 BvR 995/95 vom 14.7.1999, C-178.

[53] Art. 48 der Verfassung der Republik Kroatien.

[54] Vgl. EGMR, Sporrong und Lönnroth gegen Schweden, Urt. v. 23.09.1982, Rz 61.

[55] EGMR, Iatridis gegen GR, Urt. v. 25.03.1999, Rz 58. Die Willkürkontrolle hebt auch Merten hervor, indem er als kleinsten gemeinsamen Nenner von Rechtsstaatlichkeit bzw. rule of law auf internationaler Ebene folgende Elemente nennt:
- Bindung an Verfassung und Gesetz (Willkürkontrolle);
- effektiver Rechtsschutz durch unabhängige und unparteiliche Gerichte und
- das Recht auf ein faires Verfahren.
Merten, Detlef, Rule of law am Scheideweg von der nationalen zur internationalen Ebene, ZÖR, Bd 58, Nr. 1 [2003], 17.

[56] Vgl. Adamovich, L. / Funk, B.C. / Holzinger, G., Österreichisches Staatsrecht, Bd 3, Grundrechte, 42; VfSlg 4486/1963, 5208/1966, 6316/1970, 6780/1972, 7306/1974, 8195/1977, 8212/1977, 8981/1980, 9189/1981, VfGH 16.12.1983, G 46/82.

[57] Vgl. Manthorpe, J., Study on Key Aspects of Land Registration and Cadastral Legislation (UNECE WPLA), 9.

[58] Die kroatische Verfassung fordert im Gegensatz dazu (und im Gegensatz zu den meisten Enteignungsregelungen) für die Rechtmäßigkeit von Enteignungen nicht etwa das Vorliegen eines Allgemein- bzw. öffentlichen Interesses, sondern das Vorliegen von Interessen der Republik Kroatien.- Vgl. Art. 50 der Verfassung der Republik Kroatien, sowie § 33 des kroatischen Enteignungsgesetzes (Abl. der Republik Kroatien Nr. 9/94 und 114/01).

[59] Englische Übersetzung des schwedischen Originaltextes in Manthorpe, J., Study on Key Aspects of Land Registration and Cadastral Legislation (UNECE WPLA), 9: "The property of every citizen is protected in such a way that no-one may be compelled, by means of expropriation or any other such disposition, to surrender his property to the public administration or to any private person, or to tolerate restriction by the public administration of the use of land or buildings, other than when necessary to satisfy urgent public interests.

Any person who is compelled to surrender property by means of expropriation or other such disposition shall also be guaranteed compensation for his loss. Such compensation shall also be guaranteed to any person whose use of land or buildings is restricted by the public administration in such a way that ongoing land use in the affected part of the property is substantially impaired or injury results which is significant in relation to the value of that part of the property concerned. Compensation shall be determined according to principles laid down in law."

[60] Vgl. Sacco, R., Einführung in die Rechtsvergleichung, 109 ff. Im Mittelalter hatte der einzelne Bürger zwar durchaus "Besitztümer", allerdings war das System des absoluten Eigentums äußerst beschränkt. Grund und Boden, die zentrale Produktionsressource der mittelalterlichen Gesellschaft, war nur selten in Privateigentum, nicht einmal im Eigentum von Fürsten bzw. Adeligen. Besitztümer waren ferner i.d.R. nicht uneingeschränkt veräußerbar, was in klarem Kontrast zum modernen Verständnis vom Eigentumsrecht steht.- Vgl. dazu Donnelly, J., a.a.O., 77, FN 9.

[61] Vgl. auch Zweigert, Konrad / Kötz, Hein, Einführung in die Rechtsvergleichung [3], [1996], 154.

[62] Dazu ausführlicher Slijepčević, R. / Babić, I., Real Property Rights in Serbia [Immobiliarsachenrecht in Serbien], CLC, [2005] 40, 47.

[63] Vgl. Staatslexikon Recht · Wirtschaft · Gesellschaft [7], 162.

[64] Allerdings kann die Tatsache, dass der im germanischen Sachenrecht gebräuchliche Begriff der gewere nicht nur die tatsächliche, sondern auch die rechtlich geschützte Sachherrschaft (v.a. bei Grundstücken) meint, gewere auch als eigentumsnahes Institut verstanden werden, zumal dieses eine scharfe Trennung zwischen Besitz und Eigentum nicht zieht.

[65] Der absolutistische Eigentumsbegriff legte den dominium – Begriff so aus, dass dem Fürsten das Primäreigentum über alles Individualeigentum zukam, vgl. Staatslexikon Recht · Wirtschaft · Gesellschaft [7], 162.

[66] Staatslexikon Recht · Wirtschaft · Gesellschaft [7], 163.

[67] Der französische Code civil blieb jedoch im Rheinland in Kraft; vgl. dazu ausführlicher Sacco, R., Einführung in die Rechtsvergleichung, 225, sowie Zweigert, K. / Kötz, H., Einführung in die Rechtsvergleichung [3], 135.

[68] Staatslexikon Recht · Wirtschaft · Gesellschaft [7], 167.

[69] Hierbei ist allerdings zu bedenken, dass Locke die universelle Sprache der "Naturrechte" nutzte, um eine politische Theorie zu kreieren, die vorwiegend darauf abzielte, besitzende, männliche, christliche Europäer zu schützen. Frauen, "Unfreie", Sklaven, ebenso wie Lohnarbeiter, hatte Locke als Träger von Naturrechten nie auch nur in Betracht gezogen. Die universell anmutende Formulierung "life, liberty and estates" erfährt damit eine drastische Einschränkung. Vgl. dazu näher Donnelly, J., Universal Human Rights in Theory and Practice, a.a.O., 31, 60, 227.

[70] Eigentum als unverletzliches subjektives Recht wurde mithilfe verschiedener Theorien begründet. Als Theorien sind zu nennen: Okkupationstheorie, Arbeitstheorie, Freiheitstheorie.

[71] „Zwei Abhandlungen über die Regierung“.

[72] Staatslexikon Recht · Wirtschaft · Gesellschaft [6], 1067.

[73] Rehbinder, Manfred, Rechtssoziologie [5], 244, Rz 193.

[74] Ibidem.

[75] Ibidem.

[76] Auf eine ideologisch behaftete und von der sozialistischen Gesellschaftsordnung noch immer inspirierte Terminologie stößt man etwa in einer Entscheidung des polnischen Verfassungsgerichtes aus dem Jahr 2000, wenn es um die Frage der sozialen Pflichten des Eigentümers geht: "Das Verständnis des Eigentumsrechts als ein absolut geschütztes Recht könnte sich […] wieder gegen den Eigentümer selbst wenden, denn die uneingeschränkte Nutzung von Sachen könnte zur Verletzung der Interessen anderer Eigentümer und damit letztlich zu Konflikten führen, die den sozialen Frieden nicht gerade fördern. Ein derartiges Verständnis des Eigentums könnte zur Grundlage eines übermäßigen Individualismus und Egoismus werden [sic!] und die Selbstvernichtung dieses Instituts bewirken." (Verfassungs-gericht Polen, zitiert in Jarosz-Żukowska, Sylwia, Das Eigentumsrecht in der Verfassung der Republik Polen, in Osteuropa Recht, 51. Jg., 08/2005, Nr. 4/05, 323).

[77] Staatslexikon Recht · Wirtschaft · Gesellschaft [6], 1067.

[78] Obwohl die FVRJ, und später die SFRJ offiziell als "sozialistischer Staat" galt, wird in dieser Studie auch der Begriff "kommunistischer Staat" bzw. "kommunistisches Regime" verwendet, im Hinblick auf die drei Stützen des ehemaligen Staates Jugoslawien: diese waren 1. die Armee, 2. die kommunistische Partei, und 3. Tito. Wie Jean-Arnault Dérens in der Schweizer Wochenzeitung WoZ vom 20.02.2003 in seinem Artikel "Jugoslawien ist tot – ein Nachruf" richtig feststellt, wurde "das politische Leben im sozialistischen Jugoslawien […] vom Gegeneinander der verschiedenen kommunistischen Bürokratien in jeder Teilrepublik geprägt."

[79] Der AVNOJ gilt als die Grundlage des "neuen Jugoslawien". Tito berief während des vier Monate dauernden Aufenthaltes in der bosnischen Stadt Bihać am 26.11.1942 eine Versammlung aller an der Volksbefreiungsfront beteiligten Gruppen ein. Es kamen 54 Delegierte aus allen Teilen des Landes. Auf dieser Versammlung konstituierte sich der AVNOJ. In der Zweiten AVNOJ-Tagung in der bosnischen Stadt Jajce wird Tito Präsident des Nationalkomitees und mit dem Titel Marschall Jugoslawiens ausgezeichnet. In der AVNOJ-Tagung vom 29.11.1945 wird die Monarchie (das Königreich Jugoslawien) aufgelöst, Jugoslawien wird eine föderative Volksrepublik, bestehend aus sechs Republiken und zwei Autonomen Provinzen. Vgl. dazu ausführlich Mønnesland, Svein, Land ohne Wiederkehr. Ex-Jugoslawien: die Wurzeln des Krieges, 252, 496. Für die Eigentumsproblematik sind v.a. die AVNOJ-Beschlüsse vom 21.11.1944 von Relevanz, anlässlich welcher eine Reihe von Dekreten mit dem Ziel der Konfiskation, Sequestration und Enteignung von Eigentum gewisser Personen bzw. Personengruppen erlassen wurde. Vgl. dazu ausführlich Slijepčević, R. / Babić, I., Real Property Rights in Serbia, CLC [2005], 53.

[80] "Odluka AVNOJ-a o prelazu u državnu svojinu neprijateljske imovine, o državnoj upravi nad imovinom neprisutnih lica i o sekvestru nad imovinom koju su okupatorske vlasti prisilno otudjile", Abl. DFJ, Nr. 2/1945.

[81] Auf der Basis des AVNOJ-Beschlusses vom 21.11.1944 über den Übergang feindlichen Vermögens in staatliches Eigentum […] wurde u.a. das gesamte Vermögen von Personen deutscher Nationalität enteignet, ausgenommen jener, die sich vom Faschismus distanziert, oder sich auf die Seite des herrschenden jugoslawischen Regimes geschlagen hatten. Konfisziert wurde das Vermögen all jener jugoslawischer Staatsbürger deutscher Nationalität, die sich unter der Okkupation als Deutsche deklariert hatten, oder die als Deutsche galten, ohne Rücksicht darauf, ob diese vor dem Krieg als solche aufgetreten waren, oder ob sie als assimilierte Kroaten, Slowenen oder Serben galten. So hatte man das konfiszierte Gut nicht dahingehend überprüft, ob es tatsächlich aus "deutscher Nationalität" entstammte, sondern diese Eigenschaft wurde anhand des Familiennamens der betroffenen Person attestiert. Dies führte dazu, dass häufig nicht Deutsche, sondern Ungarn, Tschechen und andere Opfer der Konfiskationen wurden, denen aber gegen die fälschliche Annahme einer deutschen Nationalität juristisch keine Handhabe gegeben war. Vgl. dazu ausführlich Matić, Milan, "Povraćaj imovine licima nemačke narodnosti" [Die Restitution von Eigentum an Personen deutscher Nationalität] in Zeitschrift "Pravni život" [Rechtsleben], Pravo i demokratska kultura [Recht und demokratische Kultur], Juristenvereinigung Serbiens, Nr. 10, Belgrad, 2003, Bd. II, 365 f.

[82] Matić, M., "Povraćaj imovine licima nemačke narodnosti" [Die Restitution von Eigentum an Personen deutscher Nationalität], a.a.O., 365.

[83] "Ukaz o oduzimanju državljanstva i konfiskaciji celokupne imovine članova porodice Karađorđević" [Erlass über den Entzug der Staatsbürgerschaft und die Konfiskation des gesamten Vermögens der Mitglieder der Familie Karađorđević ] vom 08.03.1947.

[84] "Zakon o prelazu u državnu svojinu neprijateljske imovine i sekvestraciji nad imovinom odsutnih lica", Abl. der FVRJ Nr. 63/1946.

[85] Diese Norm bestimmt wie folgt: "In das Eigentum der FVRJ geht über und wird zu allgemeinem Volks-Eigentum (2) das gesamte Vermögen von Personen deutscher Nationalität ungeachtet ihrer Staatsbürgerschaft. Hierunter sind insbesondere all jene Personen zu verstehen, die sich während der Dauer der Okkupation als Personen deutscher Nationalität bekannt haben, ohne Rücksicht darauf, ob diese vor dem Krieg als solche aufgetreten sind oder als assimilierte Kroaten, Slowenen oder Serben gegolten haben."

[86] Diese Grundhaltung wird v.a. anhand des Gesetzes über die Verwaltung von Betrieben aus dem Jahr 1950 deutlich, vgl. Krbek, Ivo, Die Verfassung der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien vom 7.4.1963, in JöR, Bd 13 [1964], 244.

[87] Krbek, Ivo, Die Verfassung der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien vom 7.4.1963", in JöR, Bd 13 [1964], 245.

[88] Parivodić, Milan, An Outline of Yugoslav Civil Law, Juridische Fakultät Belgrad [2002], 11. Die ursprüngliche Fassung von Art. 46 Abs. 3 des Gesetzes über die Grundlagen eigentums-rechtlicher Verhältnisse sah für herrenlose Grundstücke den Übergang des Eigentums in gesellschaftliches Eigentum vor. Nach der nunmehr geltenden Fassung dieser Vorschrift geht das Eigentum des aufgegebenen Grundstücks in Staatseigentum über. Somit kann es kein herrenloses Grundstück geben. Vgl. von Schuckmann, Hans-Joachim, Gutachten zur Ergänzung des Gutachtens zu den landregisterrechtlichen Regelungen im geltenden Kataster-gesetz der Republik Serbien vom Oktober 2003, GTZ [08/2004], 13.

[89] "Zakon o sredstvima u svojini Republike Srbije", Abl. der RS Nr. 53/95, 3/96, 54/96, 32/97, 44/99.

[90] Parivodić, Milan, An Outline of Yugoslav Civil Law, Juridische Fakultät Belgrad [2002], 11.

[91] Vgl. Art. 7 Abs. 2 des Gesetzes über städtisches Bauland ["Zakon o građevinskom zemljištu"], Abl. der RS Nr. 44/95, 16/97, 23/01 und Abl. der BRJ Nr. 16/01.

[92] Bogdanović, Rusidor,"Rečnik pravnih reči i izraza" [Wörterbuch juristischer Fachausdrücke und Termini], NOMOS (Hrsg.), Belgrad, (2000), 38.

[93] Krbek, I., Die Verfassung der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien vom 7.4.1963, a.a.O., 245.

[94] Vgl. Krbek, I., a.a.O., 251.

[95] Als bedeutendste Gesetze sind hier zu nennen: "Zakon o agrarnoj reformi i kolonizaciji" [Gesetz über die Bodenreform und Kolonisierung], Abl. DFJ Nr. br.64/1945, Abl. der FVRJ Nr. 24/1946, 101/1947, 105/1948, 21/1956, 55/1957, 10/1965); "Zakon o agrarnoj reformi i unutrašnjoj kolonizaciji" [Gesetz über die Bodenreform und innere Kolonisierung], Abl. der VRS Nr. 39/1945, 4/1946, inkl. die novellierte Fassung dieses Gesetzes, Abl. der VRS Nr. 5/1948, 1/1949 und 34/1956; "Zakon o poljoprivrednom zemljišnom fondu društvene svojine i dodeljivanju zemlje poljoprivrednim organizacijama" [Gesetz über den landwirtschaftlichen Fonds in Gesellschaftseigentum und über die Zuteilung von Land an landwirtschaftliche Organisationen], Abl. der FVRJ Nr. 23/1953; "Osnovni zakon o zadrugama" [Allgemeines Gesetz über Genossenschaften], Abl. der FVRJ Nr. 59/1946, u.a.

[96] "Zakon o nacionalizaciji najamnih zgrada i građevinskog zemljišta", Abl. der SFRJ Nr. 52/58, 03/59.

[97] Art. 12 Abs. 1-3 des Gesetzes über städtisches Bauland ["Zakon o građevinskom zemljištu"], Abl. der SRS Nr. 23/1990.

[98] Art. 7 des Gesetzes über städtisches Bauland ["Zakon o građevinskom zemljištu"], Abl. der RS Nr. 44/95, 16/97, 23/01; Abl. der BRJ Nr. 16/01.

[99] Hiber, Dragor, Svojina u tranziciji [Eigentum im Wandel], Juridische Fakultät Belgrad [1998], 163, FN 404.

[100] Boesebeck, Barz u.a., Real Property in Former GDR, Germany Law Digest Reviser, in Martindale – Hubbell International Law Digest / Selected International Conventions [1994], 126th year, USA, GER-16.

[101] Vgl. BVerfG, 1 BvR 995/95 vom 14.7.1999, A-2.

[102] Boesebeck, Barz u.a., a.a.O., GER-16.

[103] BGBl. 1990 II S. 889.

[104] So hat man Eigentum an unbeweglichen Sachen per Gesetz an die vormaligen "Rechtsträger" übertragen, i.e. Bund, Länder, Landkreise und Kommunen. Für zweifelhafte Fälle normierte das "Vermögenszuordnungsgesetz" aus 1991 eine bindende Zuweisung von Eigentum durch die zuständige Behörde. Parteieigentum fiel unter treuhänderische Kontrolle unabhängiger Kommissionen, die mit der Zuordnung von Eigentum der Massenorganisationen nach dem Parteiengesetz der DDR (1990) betraut wurden. Nach der Wiedervereinigung wurde diese Kontrolle auf die Treuhandanstalt übertragen, die auch für die Bearbeitung von Restitutionsfällen betreffend Parteieigentum zuständig war. Vgl. dazu ausführlich Boesebeck, Barz u.a., a.a.O., GER-16.

[105] Staatslexikon Recht · Wirtschaft · Gesellschaft [7], 176; ähnlich Subotić, Milan, Sricanje slobode [Das Buchstabieren von Freiheit], Studien über die Anfänge des liberalen politischen Gedankengutes in Serbien des 19. Jahrhunderts, Universität Niš, Institut für Philosophie und Gesellschaftstheorie, Gradina – Niš, 1992, 71.

[106] Staatslexikon Recht · Wirtschaft · Gesellschaft [7], 176.

[107] Szydlik, Marc,"Inheritance and Inequality: Theoretical Reasoning and Empirical Evidence", in European Sociological Review, Vol. 20, No. 1, Feb. 2004, 31-45.

[108] Szydlik, M., a.a.O., 35.

[109] Hösch, E., a.a.O., 90.

[110] Vgl. die Aussage des serbischen Ministers für Bauwesen anlässlich eines Interviews in der serbischen Tageszeitung DANAS vom 29.11.2002, Pravo plus, S. IV: "Unternehmen, die jetzt privatisiert werden, sind ein gutes Beispiel für den negativen Einfluss, den 50 Jahre Kommunismus und gesellschaftliches Eigentum, das meist 'jedermann und niemandem' gehört hat, hinterlassen haben. Damals hat man sämtliche Angelegenheiten im Wege privater Telefonate und über Beziehungen erledigt […]." (Übersetzung aus dem Serbischen).

[111] Vratuša-Žunjić, V.,"Protagonisti svojinske transformacije u društvenim sistemima istočne, centralne i jugoistočne Evrope s posebnim osvrtom na slučaj Jugoslavije" [Die Protagonisten der Eigentumsumwandlung in den Gesellschaftssystemen Ost-, Mittel- und Südosteuropas, mit besonderer Berücksichtigung des Falles Jugoslawien], in Sociologija [Die Soziologie], Vol. 35, Nr. 1, Januar-März 1993, Belgrad, 54.

[112] Ibidem.

[113] Ibidem.

[114] Vgl. Krbek, I., a.a.O., 245.

[115] Vuković, I. / Marković, R., Samoupravni sistem [Das Selbstverwaltungssystem], 320, 342 f, 353 und Ratković, R., Ideologija i politika [Ideologie und Politik], 3.A. Beograd 1976, 236, beide zitiert in Marko, J. / Borić, T., Slowenien-Kroatien-Serbien, Die neuen Verfassungen, Marko, J., Die neuen Verfassungen: Slowenien-Kroatien-Serbien, Ein Vergleich, 15.

[116] Vratuša-Žunjić, V."Globalization of Democratic Participation and Self-Governance versus Globalization of Oligopolistic Markets and Totalitarianism", in Sociologija [Die Soziologie], Vol. XLIV, Nr. 4, Oktober-Dezember 2002, Belgrad, 299.

[117] Ibidem.

[118] Staatslexikon Recht · Wirtschaft · Gesellschaft [6], 1068.

[119] Libal, Das Ende Jugoslawiens, 144, zitiert in Marko, J. / Borić, T., Slowenien-Kroatien-Serbien. Die neuen Verfassungen, Borić, Tomislav, Perspektiven eines zukünftigen Jugo-slawien, 71, FN 54.

[120] Vratuša-Žunjić, V.,"Globalization of Democratic Participation and Self-Governance versus Globalization of Oligopolistic Markets and Totalitarianism", a.a.O., 305.

[121] Die Grundstimmung der Werktätigen in der sozialistischen Gesellschaft, die sich v.a. Ende der 1980-er Jahre manifestiert hat, umschreibt Vratuša-Žunjić treffend mit dem Slogan "You cannot pay me as little as little I can work".- Vratuša-Žunjić, V.,"Globalization of Democratic Participation and Self-Governance versus Globalization of Oligopolistic Markets and Totalitarianism", a.a.O., 299.

[122] Ibidem.

[123] Vgl. zB Gams, A., Einführung in das bürgerliche Recht, AT, 3; der Autor verlässt die Terminologie des Einführungstextes unter dem Titel "Grundlegende Bestandteile und System unseres bürgerlichen Rechtes" (Seiten 47-48) und spricht von bürgerlichrechtlichem Eigentum.

[124] Vgl. zB Stojanović, D., Sachenrecht, 250.

[125] Vgl. zB Gams, A., Grundlagen des Sachenrechtes, 40ff.

[126] Das sog. Volkseigentum, das in der Rechtsordnung der DDR existiert hatte, bezeichnet Berg als "eigentümerloses Eigentum", s. Berg, Wilfried, in Starck, C. / Berg, W. / Pieroth, B., Der Rechtsstaat und die Aufarbeitung der vor-rechtsstaatlichen Vergangenheit, VVDStRL, Bd 51, 52.

[127] Vgl. Eidenstedt, Leif, Legal Aspects on the Creation of a Modern Cadastre in Kosovo, FIG XXII International Congress, Washington D.C., USA [2002], 1.

[128] Eidenstedt, L., Legal Aspects on the Creation of a Modern Cadastre in Kosovo, a.a.O., 5.

[129] Ibidem.

[130] Für die Parallelentwicklung des Kollektiveigentums in der DDR s. Berg, Wilfried, in Starck, C. / Berg, W. / Pieroth, B., Der Rechtsstaat und die Aufarbeitung der vor-rechtsstaatlichen Vergangenheit, VVDStRL, Bd 51, 53.

[131] Krbek, I., a.a.O., 253.

[132] Mønnesland, Svein, Land ohne Wiederkehr. Ex-Jugoslawien: die Wurzeln des Krieges, 284.

[133] Vgl. zu den Unterschieden in den Bezeichnungen "Privateigentum" und "Eigentumsrecht"Gams, A., Grundlagen des Sachenrechtes, 67.

[134] So zB Art. 66 der Verfassung der SFRJ von 1974.

[135] S. dazu, gegen das gesellschaftliche Eigentum als dominante Eigentumsform Stanković, O. / Orlić, M., Sachenrecht [3], 99f; vgl. auch die Terminologie des Gesetzes über die Grundlagen eigentumsrechtlicher Beziehungen, Abl. der SFRJ, Nr. 6/1980.

[136] Stanković, O. / Orlić, M., Sachenrecht [3], 99 f.

[137] Seit ca. 1980. Das jugoslawische Lehrbuch "Stvarno pravo" [Sachenrecht] von Obren Stanković und Miodrag Orlić erwähnt in seiner 9. Auflage aus 1999 gesellschaftliches Eigentum im Kapitel "Das Eigentumsrecht in Jugoslawien" zwar noch einleitend und kursorisch, geht aber in der weiteren Darstellung über den Eigentumserwerb, Erwerb vom Nicht-Eigentümer, etc., nicht mehr auf gesellschaftliches Eigentum ein und stellt dieses als nicht mehr zeitgemäßes Rechtsinstitut dar: "In der Zeit nach dem 2. WK war das Eigentumsrecht der Bürger und juristischer Personen an bestimmten Gütern und in bestimmtem Ausmaß stets in der Verfassung garantiert, jedoch stellte das gesellschaftliche Eigentum die dominante und elemantare Erscheinungsform von Eigentum dar. […] Mit Proklamation des sog. Pluralismus eigentumsrechtlicher Verhältnisse (der seine rechtliche Begründung auch in der Verfassung der RS aus 1990 und in der Verfassung der BRJ aus 1992 findet), wurde die Gleichwertigkeit der verschiedenen Formen von Eigentum verankert, und, in Entsprechung dazu, sind die vormals geltenden Höchstgrenzen für Privateigentum (ausgenommen an Wäldern und Waldliegen-schaften) weggefallen, und geblieben sind lediglich die Beschränkungen des Inhalts des Eigentumsrechts, wie auch Beschränkungen für ausländische physische und juristische Personen". (Stanković, O. / Orlić, M., Sachenrecht [9], Rz 198; Übersetzung des serbischen Originaltextes).

[138] Vgl. zB Stanković, O. / Orlić, M., Sachenrecht [3].

[139] Vgl. zB Stojanović, D., Sachenrecht, 275.

[140] Vgl. zum Begriff der "öffentlichen Güter"Gams, Andrija, "Javna dobra" [Öffentliche Güter] in Pravni život [Rechtsleben], Nr. 3/1953.

[141] Hiber, D., Eigentum im Wandel, 9.

[142] Ibidem.

[143] Vratuša-Žunjić, V.,"Globalization of Democratic Participation and Self-Governance versus Globalization of Oligopolistic Markets and Totalitarianism", a.a.O., 302.

[144] Gavella, Nikola, Novo hrvatsko stvarno pravo u funkciji prilagodbe pravnog poretka Republike Hrvatske europskome“ [Das neue Sachenrecht der Republik Kroatien als wichtiger Schritt einer Anpassung des kroatischen Rechtssystems an europäische Standards], in Das Budapester Symposium, GTZ [2003], 21 inkl. FN 4.

[145] Ibidem.

[146] Vgl. dazu Hayek, F. A. v., Der Weg zur Knechtschaft, 101 ff.

[147] Vom lateinischen Verb transire, hinübergehen, übergehen, überschreiten, vergehen.

[148] Petrović, T. / Tiosavljević, I.,"Problemi privatizacije društvenog kapitala u Republici Srbiji" [Probleme bei der Privatisierung von gesellschaftlichem Kapital in der Republik Serbien] in "Aktuelna pitanja savremenog zakonodavstva" [Aktuelle Fragen der modernen Gesetzgebung], Sammlung von Beiträgen im Rahmen der Juristentagung vom 31.05.-04.06.2004 in Budva, Montenegro, 164.

[149] Schäffer, Heinz, Sozialer Wandel und Rechtskultur, in Bratislava, Rechtswissenschaftliche Fakultät, 10. Oktober 2001, Symposion aus Anlass des 80jährigen Bestandes zum Thema "Legal Culture and the Importance of Legal Education today", Bratislava [2002], 19.

[150] Mijatović, B., Privatisierung, 18, und Mijatović, B., in "Ekonomsko uređenje, socijalna prava i novi ustav" [Wirtschaftsordnung, soziale Rechte und die neue Verfassung], Prizma [Prisma], Nr. 39, Juni 2004, 20.

[151] Vgl. Hiber, D., Eigentum im Wandel, 21.

[152] Vgl. Hiber, D., Eigentum im Wandel, 22.

[153] Ähnlich Hiber, D., Eigentum im Wandel, 23.

[154] Dérens, Jean-Arnault, in WoZ (Schweizer Wochenzeitung) vom 20.02.2003, Artikel "Jugoslawien ist tot - ein Nachruf"; vgl. zum jugoslawischen Modell des Realsozialismus und seinen Besonderheiten Vratuša-Žunjić, Vera,"Protagonisti svojinske transformacije u društvenim sistemima istočne, centralne i jugoistočne Evrope s posebnim osvrtom na slučaj Jugoslavije" [Die Protagonisten der Eigentumsumwandlung in den Gesellschaftssystemen Ost-, Mittel- und Südosteuropas, mit besonderer Berücksichtigung des Falles Jugoslawien], Sociologija [Die Soziologie], Vol. 35, Nr. 1, Januar-März 1993, Belgrad, 53 ff.

[155] So betont etwa das deutsche BVerfG in einer Entscheidung aus 1999 das "Interesse der gebotenen sozialverträglichen Rechtsangleichung" von vormals in der DDR geltenden Gesetzen mit jenen der BRD.- BVerfG, 1 BvR 995/95 vom 14.7.1999, Rz 179.

[156] Schäffer, H., Sozialer Wandel und Rechtskultur, a.a.O., 19.

[157] Schäffer, H., Sozialer Wandel und Rechtskultur, a.a.O., 17.

[158] Öhlinger, T., Verfassungsrecht [5], Rz 701a.

[159] Der Auflösung eines Medienmonopols könnte demnach nicht das Grundrecht auf Eigentum erfolgreich entgegengehalten werden; Protestversammlungen gegen ein bestimmtes privates Projekt sind auch auf privatem Grund und Boden zu tolerieren,- Öhlinger, T., a.a.O., Rz 701a.

[160] Hiber definiert eine demokratische bürgerliche Gesellschaft als "Gesellschaft, welche die Menschenrechte respektiert, und mehr noch, deren Hauptattribut die Garantie von Menschen-rechten ist". Insofern ist der Transitionsprozess an sich primär ein Prozess der Verwirklichung von Menschenrechten und Grundfreiheiten. - Hiber, D., Eigentum im Wandel, 28.

[161] Rill, Heinz Peter / Schäffer, Heinz, Bundesverfassungsrecht, Kommentar [2001], zu Art. 44 (3) B-VG, Rz 29.

[162] Starck, Christian, in Starck, C. / Berg, W. / Pieroth, B., Der Rechtsstaat und die Aufarbeitung der vor-rechtsstaatlichen Vergangenheit, VVDStRL [1992], Bd 51, 14 f – "überstaatliche Rechtsgrundsätze".

[163] Öhlinger, T., Verfassungsrecht [5], Rz 73.

[164] Walter, Robert / Mayer, Heinz, Bundesverfassungsrecht [9], [2000], 252, Rz 569: „[…] ist als wesentliches Element des rechtsstaatlichen Prinzips – die Bindung der gesamten Vollziehung (Verwaltung und Gerichtsbarkeit) an das Gesetz angeordnet (Legalitätsprinzip)“; vgl. auch Mayer, Heinz, B-VG, Bundesverfassungsrecht, Kurzkommentar [3], [2002], zu Art. 18 (1) B-VG, 118, Rz I.2.

[165] Dieser betont das Legalitätsprinzip, den Ausbau des individuellen Rechtsschutzes und der Kontrolle. Die materielle Rechtsstaatlichkeit betont hingegen den Gedanken des Schutzes der Freiheit des Einzelnen, der demokratischen Mitbestimmung, die Verantwortlichkeit des Staates für die Erfüllung seiner verfassungsrechtlich festgelegten Aufgaben und die Vermeidung von Willkür. Insofern bedeutet "Rechtsstaat in formellem Sinn ein Staatswesen mit einer inhaltlich differenzierten und funktionstüchtigen (effektiven) positivrechtlichen Ordnung. […] Der Begriff des Rechtsstaats im materiellen Sinn geht hingegen von bestimmten Wertvorstellungen aus, an denen die positivrechtliche Ordnung gemessen und als 'gerecht oder ungerecht' qualifiziert wird".- Adamovich, L. / Funk, B.C. / Holzinger, C., Österreichisches Verfassungsrecht, 127. S. jedoch im Gegensatz zum Standpunkt rein formeller Rechtsstaatlichkeit die differenzierte Auffassung von Adolf Merkl bereits um 1930 s.u.

[166] Berg, Wilfried, in Starck, C. / Berg, W. / Pieroth, B., Der Rechtsstaat und die Aufarbeitung der vor-rechtsstaatlichen Vergangenheit, VVDStRL [1992], a.a.O., 47.

[167] Ibidem.

[168] Rill, Heinz Peter / Schäffer, Heinz, Bundesverfassungsrecht, Kommentar [2001], zu Art. 44 (3) B-VG, Rz 29.

[169] Merkl, Adolf, Allgemeines Verwaltungsrecht [1927], 77, zitiert in Rill, Heinz Peter / Schäffer, Heinz, Bundesverfassungsrecht, Kommentar [2001], zu Art. 44 (3) B-VG, Rz 29, FN 129.

[170] Badura, Peter, Eigentumsschutz, Sozialbindung und Enteignung, in Starck, C. / Berg, W. / Pieroth, B. u.a., Der Rechtsstaat und die Aufarbeitung der vor-rechtsstaatlichen Vergangenheit / Eigentumsschutz, Sozialbindung und Enteignung bei der Nutzung von Boden und Umwelt, VVDStRL, Bd 51 [1992], 289.

[171] Öhlinger, T., Verfassungsrecht [5], Rz 74.

[172] So auch Maultaschl, F. / Schuppich, W. / Stagel, F., Rechtslexikon, Handbuch des österreichischen Rechts für die Praxis 1971, "Rechtsstaat".

[173] Merten, D., Rule of law am Scheideweg von der nationalen zur internationalen Ebene, a.a.O., 14.

[174] Ibidem.

[175] Teitel, Ruti, Transitional Justice, 5.

[176] Schäffer, Heinz, Rechtsüberleitung und Rechtsübergang, in Slawinski, I. / Geistlinger, M. (Hrsg.), Probleme der Rechtsüberleitung in der Tschechischen Republik, Ungarn, Polen und der Slowakischen Republik, Österreichisches Ost- und Südosteuropa-Institut [1997], 46.

[177] Ibidem.

[178] Schäffer, H., Sozialer Wandel und Rechtskultur, a.a.O., 22.

[179] Ibidem.

[180] So auch der EGMR in James u.a. gegen VK, Rz 67; Lithgow u.a. gegen VK, Rz 110; Hentrich gegen Frankreich, Rz 42.

[181] Schwan, Gesine, in "CONTUREN", Probleme von heute aus Wirtschaft, Politik und Kultur. Zeitschrift für die Erörterung von wesentlichen Fragen der Gegenwart; Institut für Wirtschaft und Politik (IWIP), 6. Jg., Nr. 18 A [1985], 19.

[182] Schwan, G., a.a.O., 17.

[183] Im Gegensatz dazu verfügen totalitäre Systeme über ein "Medienmonopol, das für jeden freien Informationsfluss undurchlässig ist." - Vgl. Topitsch, Ernst, "Es gibt keine Krise der Parteien und der Demokratie", in "CONTUREN", 6. Jg., Nr. 18 A / Feber 1985, 41.

[184] S. die Kritik von Slobodan Vučetić, Präsident des serbischen Verfassungsgerichtshofs, im Radio-Interview des Senders B92 vom 18.06.2002: "Das Verfassungsgericht […] ist nicht in Funktion, da die erforderliche Anzahl an Richtern nicht gewählt wurde. Von neun Richtern, die der VfGH Serbiens laut Verfassung hat, sind beim Gericht nur drei Richter; damit das Gericht Sitzungen abhalten und Entscheidungen fällen kann, so die Verfassung, bedarf es der Anwesenheit von mindestens fünf Richtern und mindestens fünf Stimmen, die absolute Mehrheit, fünf Stimmen der Richter für die Fällung von gerichtlichen Entscheidungen. Aufgrund dessen […] arbeitet der VfGH nicht, weil die erforderlichen Richter nicht ernannt wurden." Verwiesen sei in diesem Zusammenhang auf die Ähnlichkeiten mit der Situation in Österreich im Jahr 1934, als der österreichische VfGH unter Engelbert Dollfuß „ausgeschaltet“ wurde, indem Mitglieder des VfGH zum Rücktritt „veranlasst“ wurden und dies einen Verfassungsbruch zur Folge hatte.

[185] Schäffer, Heinz, Rechtsüberleitung und Rechtsübergang, in Slawinski, I. / Geistlinger, M. (Hrsg.), Probleme der Rechtsüberleitung in der Tschechischen Republik, Ungarn, Polen und der Slowakischen Republik, Österreichisches Ost- und Südosteuropa-Institut [1997], 57.

[186] Çoban, Ali Rıza, Protection of Property Rights within the European Convention on Human Rights [2004], 239.

[187] Nachzulesen unter www.stabilitypact.org.

[188] "Judicial independence, professionalism and efficiency are keystones of the fundamental freedoms set out in the European Convention on Human Rights. It is crucial to stability in South Eastern Europe that national justice systems operate according to these principles and that judicial reforms are implemented as a tool to guarantee the respect of the law and not as a tool to strenghthen political power."

[189] "The smooth functioning of the courts and efficient law enforcement mechanisms are essential for the economic development of these countries. Many efforts were undertaken by the countries in South Eastern Europe in reforming the former communist legal system, however the lack of rule of law and the deficiencies in law enforcement still hamper democratic and economic development and hinder public trust."

[190] "The participants recognise that a necessary condition for the peace, stability and reconciliation of the countries of South Eastern Europe is the efficient and fair functioning of their legal systems. They underline the importance of the existing international standards concerning the Rule of Law, prepared, inter alia, in the framework of the Council of Europe, in particular the standards of the European Convention on Human Rights and its case law."

[191] Teitel, R., Transitional Justice, 8.

[192] Ibidem.

[193] Vgl. Nikolić, D.,"Harmonizacija stvarnog prava na prostoru Jugoistočne Evrope" [Die Harmonisierung des Sachenrechts auf dem Gebiet Südosteuropas] a.a.O., 212.

[194] Die entscheidende Frage ist hier, weshalb der Einzelne einer Rechtsordnung sein Vertrauen schenken sollte, in welcher gewisse gesetzliche Bestimmungen entweder nur selektiv zur Anwendung kommen, in der einzelne Bestimmungen generell nicht zur Anwendung kommen, wobei die Gründe für eine Nichtanwendung im Einzelfall nur einem juristisch gebildeten Bürger zugänglich wären, oder aber in der einzelne Bestimmungen als in dem Umfang überholt gelten, dass heute niemand mehr deren Anwendung ernsthaft erwägen würde (auch wenn diese formell noch in Geltung wären).

[195] Eine "radikale Lösung", wie man etwa die Konfiskationen, die man im sozialistischen Regime vollzogen hatte, obwohl -vom heutigen Rechtsverständnis ausgehend- kein strafrechtlicher Grund für einen Eigentumsentzug vorlag, oder wie man die entschädigungslosen Enteignungen "wiedergutmachen" oder zumindest einen Ausgleich hierfür schaffen könnte, brachte man in Jugoslawien zB bereits 1992 vor: im Wege einer formellen Nichtigerklärung der AVNOJ-Dekrete sowie sämtlicher gesetzlicher Bestimmungen, die zu Zeiten des DFJ und der FVRJ erlassen worden waren, wollte man die generelle rechtliche Basis für die erfolgten Eigentumseingriffe revidieren. (Dies war ein Vorschlag des Justizministeriums der BRJ). Die Erlassung eines Gesetzes über die Ungültigkeit der genannten Bestimmungen würde jedoch auf eine Abrogation (Annullierung) des Rechtssystems hinauslaufen und letzten Endes bedeuten, dass jeder zuvor gesetzte Deprivatisierungsakt (d.h. Einzelakt des Eigentumsentzugs) als nichtig erklärt werden könnte, und zwar ex tunc, was wiederum gravierende Probleme bei der Rückstellung vormals entzogenen Eigentums nach sich ziehen würde. Vormalige Eigentümer hätten auf diese Weise "ihr" Eigentum in jedem Fall zurückfordern können, ohne Rücksicht darauf, in wessen Besitz sich die Sache heute befände, und ohne Berücksichtigung zwischenzeitig erworbener Rechte von Seiten Dritter. S. dazu ausführlich Hiber, D., Eigentum im Wandel, 106.

[196] Magyar Kozlony Nr. 23/1992, zitiert in Journal of Constitutional Law in Eastern and Central Europe I (1994), 136.

[197] Journal of Constitutional Law in Eastern and Central Europe I (1994), 142. Dieser Auffassung steht ein deutsches Beispiel gegenüber: Sollen gezielte Erschießungen von Bürgern, welche über die Berliner Mauer nach Westdeutschland flüchten wollten, gerichtlich geahndet werden, und wenn ja, wie? Sollen sich die damals an der Berliner Mauer postierten Grenzwachebeamten zu ihrer Verteidigung auf das vormals geltende DDR-Recht berufen können? Wenn dem so wäre, so würde man einen Rechtsstaat in rein formellem Sinn befürworten und dem Rechtspositivismus uneingeschränkt beipflichten. Das zuständige Gericht in Berlin fasste das Dilemma als Spannungsverhältnis zwischen formellem Recht und Gerechtigkeit auf und lehnte die Anwendung des vormals geltenden DDR-Rechtes ab, obwohl dieses auf Tatbestände vor Inkrafttreten des deutschen Unionsvertrages anwendbar gewesen wäre. Das Gericht sprach in seinem Urteil aus, dass "nicht alles richtig" sei, "was formell richtig" sei. Vor allem dann, wenn es gilt, diesem Dilemma im Fall von Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit auszuweichen, bedient man sich gerne des internationalen Rechtes bzw. der allgemeinen Grundsätze des Völkerrechts, beispielsweise der Genfer Konvention von 1949[197], die nationales Recht verdrängt. Im oben zitierten Fall der deutschen Grenzwacheorgane berief sich das Gericht ausdrücklich auf das internationale Recht (Völkerrecht). Der BGH berief sich in seinem Urteil zB ausdrücklich auf den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 19.12.1966.

[198] Walter, Robert / Mayer, Heinz, Bundesverfassungsrecht [9], [2000], 82, Rz 165.

[199] Ibidem.

[200] Teitel, R., a.a.O., 22.

[201] Vgl. dazu näher Eckhardt, Reinald in "Osteuropa Recht", 49. Jg., April 2003, Nr. 2/03, Deutsche Gesellschaft für Osteuropakunde, BWV Berliner Wissenschaftsverlag, 165 ff.

[202] Eckhardt, R., a.a.O., 167.

[203] Nicht nur an der VC der Staatengemeinschaft SMN, sondern an der gesamten Konstruktion von Serbien und Montenegro als einer Staatengemeinschaft wird in Serbien heftige Kritik geübt. Namhafte Juristen sprechen öffentlich die Meinung aus, die in der breiten Bevölkerung ebenfalls vertreten wird, vgl. Prof. Dr. Ratko Marković, anlässlich einer Diskussion zur VC in Belgrad, Medija center, 12.12.2002: "Mit der Verfassungscharta wird ein ungewünschtes, ungebetenes Bündnis erschaffen. Serbien hat dieser Charta gegen ihren Willen zugestimmt, denn wir waren entweder für einen gemeinsamen Staat mit Montenegro, der nicht in föderale Einheiten aufgeteilt ist, oder für einen selbständigen Staat Serbien. Auch Montenegro wurde dieser Staat aufgezwungen….Der vorgeschlagene Text der Verfassungscharta … ist leer und als politische Erklärung aufzufassen".

[204] S. o., Marković, R., anlässlich einer Diskussion zur anstehenden Verabschiedung der VC von SMN im "Medija center" in Belgrad am 12.12.2002; vgl. auch Simić, A., in NIN vom 24.03.2005, 24.

[205] Heintzen, Markus, Staats- und Verfassungstheorie, Freie Universität Berlin, Arbeitsunter-lagen vom 16.01.2003, abrufbar unter www.fu-berlin.de/jura/Staatstheorie_Heintzen /160103_Die_ Verfassungsbegriffe.pdf (login am 07.03.05).

[206] Diese sieht nämlich ein solches Verfahren zur Änderung der Staatsform nicht vor.

[207] In Art. 2 letzter Satz der Verfassung von MN aus 1992 (unter dem Titel Allgemeine Bestimmungen - Souveränität) heißt es ausdrücklich: "Über die Änderung des Status des Staates, über die Regierungsform sowie über Grenzänderungen kann nicht ohne zuvor erfolgtes Referendum durch die Bürger entschieden werden" (Übersetzung des Originaltextes).

[208] S. das Recht jedes Gliedstaates, nach Ablauf von drei Jahren den "Austritt" aus der Staatengemeinschaft zu fordern, Art. 25 VC von SMN.

[209] Marković, Ratko, anlässlich einer Diskussion zur anstehenden Verabschiedung der VC von SMN im "Medija center" in Belgrad am 12.12.2002.

[210] Das Verwaltungszentrum von SMN ist laut Art. 7 S 1 der VC Belgrad, die Hauptstadt Serbiens, wo sich auch das gemeinsame Parlament von SMN und der Ministerrat befinden. Der Gerichtshof von SMN hingegen hat seinen Sitz nicht in Belgrad, sondern in Podgorica (vormals Titograd), der Hauptstadt von Montenegro, s. Art. 7 S 2 der VC.

[211] Marković, R., anlässlich einer Diskussion zur anstehenden Verabschiedung der VC von SMN im "Medija center" in Belgrad am 12.12.2002.

[212] Rule of law meint wohl nicht nur das Legalitätsprinzip bzw. die Rechtsstaatlichkeit an sich, sondern wohl eher den umfassenderen Begriff der rechtsstaatlichen Grundsätze. Laut Merten dient der Rechtsstaatsbegriff in allen Ländern, die ihn rezipiert haben, als integrierendes Prinzip, welches die klassischen freiheitssichernden institutionellen und prozeduralen Instrumente, insbesondere Gewaltenteilung, die Gesetzesbindung der Exekutive und die richterliche Kontrolle umfasst. Als seine entscheidende Zielsetzung wird nahezu einhellig der effektive Schutz der Menschenwürde und der individuellen Freiheit vor hoheitlichem Machtmissbrauch angesehen (Sommermann, Kommentierung von Art. 20 GG, in Starck (Hrsg.), Das Bonner Grundgesetz, Bd 2 [4] (2000), Art. 20 Abs. 3 Rn 217, zitiert in Merten, D., Rule of law am Scheideweg von der nationalen zur internationalen Ebene, a.a.O., 6), wobei allerdings zur Verfolgung dieses Ziels, so Merten, unterschiedliche Wege beschritten werden (Merten, D., a.a.O., 6).

[213] EGMR, Brumarescu gegen Rumänien, Beschwerde Nr. 28342/95, Urt. v. 28.10.1999, Rz 61. In der EMRK findet sich keine explizite normative Verankerung der rule of law, sondern nur eine Bezugnahme in der Präambel: "…and have a common heritage of political traditions, ideals, freedoms and the rule of law …". Trotz dieses spärlichen textlichen Befundes ist die rule of law immanenter Bestandteil der Konvention. So statuieren Art. 8 bis 11 EMRK den Gesetzesvor-behalt und Bestimmungen, die auf die Gesetzmäßigkeit des Eingriffs abstellen. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist ebenfalls der Konvention inhärent. - Merten, D., Rule of law am Scheideweg von der nationalen zur internationalen Ebene, a.a.O., 14.

[214] Vgl. Gams, Andrija, in "Država kao nosilac imperiuma i dominiuma u svojinskim odnosima" [Der Staat als Träger von imperium und dominium im Rahmen eigentumsrechtlicher Verhältnisse], Pravni život [Rechtsleben], Nr. 10/1995, 5 ff.

[215] Die negativen Auswirkungen des kollektivistischen Systems, basierend auf sozialistischem Gedankengut marxistisch-leninistischer Schriften, finden sich beispielsweise in diversen Gesetzen der Balkanstaaten, die noch nicht mit westeuropäischen Standards in Einklang gebracht wurden. So bestimmt die serbische Verfassung von 1990 etwa in Art. 58, dass "Eigentum und Arbeit [...] die Grundlage der Verwaltung und Mitwirkung an Entscheidungen [sind]. Im Einklang mit Gesetz und Kollektivverträgen verwalten die Beschäftigten die gesellschaftlichen Betriebe und wirken an der Verwaltung anderer Arten von Betrieben und Organisationen, in denen sie arbeiten bzw. in welche sie Mittel investieren, mit." Das Modell der Arbeiterselbstverwaltung scheint hier noch gebührend berücksichtigt worden zu sein. Ein weiteres Beispiel für das beharrliche Weiterwirken sozialistischen Gedankengutes findet sich in § 103 Zi 1 des Gesetzes über schuldrechtliche Verhältnisse der RepS ("Zakon o obligacionim odnosima Republike Srpske", Abl. der SFRJ Nr. 29/78, 39/85 und 57/98 - Bosnien und Herzegowina), wenn es heißt, dass "ein Vertrag, der den in der Verfassung verankerten Grundsätzen der gesellschaftlichen Ordnung, zwingenden Rechtsvorschriften oder der Moral der sozialistischen Selbstverwaltungsgesellschaft (sic!) widerspricht, nichtig [ist]...".

Ende der Leseprobe aus 321 Seiten

Details

Titel
Das Grundrecht auf Eigentum in den Transitionsstaaten des Balkan
Untertitel
Rechtslage und Spruchpraxis zur Eigentumsfreiheit in Serbien und Montenegro, Bosnien und Herzegowina, Kroatien und Bulgarien
Hochschule
Universität Salzburg  (Juridische Fakultät Salzburg, Institut für Öffentliches Recht)
Note
Sehr gut (1)
Autor
Jahr
2005
Seiten
321
Katalognummer
V54682
ISBN (eBook)
9783638498227
ISBN (Buch)
9783638000062
Dateigröße
2100 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Die Dissertation wurde am 27.12.2005 an der Juridischen Fakultät Salzburg eingereicht und am 07.04.2006 von beiden Begutachtern mit "Sehr gut" benotet.
Schlagworte
Begriff, Bedeutung, Handhabung, Grundrechtes, Eigentum, Transitionsstaaten, Balkan, Rechtslage, Spruchpraxis, Serbien, Montenegro, Bosnien, Herzegowina, Kroatien, Bulgarien
Arbeit zitieren
Dr. iur. Daniela Jetzinger (Autor:in), 2005, Das Grundrecht auf Eigentum in den Transitionsstaaten des Balkan, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/54682

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