Psychoakustik und Sound-Engineering

Der neue Stellenwert des Hörens in der Corporate Identity


Magisterarbeit, 2001

108 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einführung

2. Corporate Identity
2.1 Unternehmen im Wandel
2.2 Struktur der Corporate Identity
2.2.2 Unternehmens-Verhalten (Corporate Behavior)
2.2.3 Unternehmens-Kommunikation (Corporate Communication)
2.2.4 Unternehmens-Erscheinungsbild (Corporate Design)
2.2.5 Corporate Sound Design: eine neue Komponente in der C.I.
2.3 Zusammenfassung

3. Das Ohr
3.1 Die Evolution des Ohres
3.2 Der Aufbau des Ohres
3.3 Hören und Fühlen
3.4 Die Entwicklung des Ohres beim Menschen
3.5 Zusammenfassung

4. Funktionen des Hörens
4.1 Warnfunktion/ Alarmfunktion
4.2 Orientierung im Raum
4.3 Orientierung in der Zeit
4.4 Zusammenfassung

5. Wirkungen des Schalls auf den Organismus
5.1 Begriffsdefinition Lärm
5.2 Grundbegriffe der Akustik
5.3 Die Wirkung von Lärm
5.3.1 Medizinische Auswirkung von Lärm
5.3.2 Psychologische Auswirkungen von Lärm
5.3.3 Soziale Folgen von Lärm
5.3.4 Ökonomische Folgen von Lärm
5.4 Zusammenfassung

6. Klanglandschaft
6.1 Wandel der Klanglandschaft
6.2 Die akustische Glocke
6.3 Zusammenfassung

7. Akustik, Psychoakustik und Sound-Engineering
7.1 Psychoakustik
7.1.2 Geschichte der Akustikforschung (Antike bis Neuzeit)
7.1.3 Geschichte der Akustikforschung (19. und 20. Jahrhundert)
7.2 Wichtige Ergebnisse der Psychoakustik
7.2.1 Binaurales Hören
7.2.2 Hörfläche
7.2.3 Lautheit/Lautstärke
7.2.4 Maskierung (Verdeckung)
7.2.5 Schärfe, Rauhigkeit, Lästigkeit und Wohlklang
7.2.6 Forschungsgegenstände
7.3 Zusammenfassung Psychoakustik
7.4 Soundengineering
7.4.1 Anwendungsbeispiel: Das Psycho-Akustische Test- und Analyse-System® PATS
7.5 Einsatzgebiete des Soundengineering
7.5.1 Vorläufer des Sound-Engineering
7.5.2 Die Vorreiter: Soundengineering in der Automobilindustrie
7.5.3 Sounddesign in der Lebensmittelindustrie
7.5.4 Rundfunkwerbung
7.6 Ziel-Klänge: Entwicklungen beim Sound-Engineering
7.7 Zusammenfassung Sound-Engineering

8. Perspektiven
8.1 Natürliche Geräusche – künstliche Geräusche
8.2 Unbekannte Stille
8.3 Lösungswege
8.3.1 Politik & Gesetzgebung
8.3.2 Wirtschaft
8.3.3 Privatpersonen
8.3.4 Akustische Ökologie und die Schule des Hörens
8.4 Fazit

9. Abbildungsverzeichnis

10. Literaturverzeichnis

1. Einführung

Wir, als Angehörige der westlichen Industrienationen, leben in einer Zeit, in der Schall als Abfallprodukt einer (post-) industriellen und mobilen Gesellschaft toleriert wird. Die Klanglandschaft, die uns heute umgibt, ist siebenmal lauter als die vor hundert Jahren (vgl. Ait Ichou 1999, 33) und damit die lauteste, die es jemals auf diesem Planeten gegeben hat – mit steigender Tendenz.

Privatsphäre wird durch zahlreiche Schallereignisse aufgehoben, die Menschen rund um die Uhr belästigen. Liedtke prägte den Begriff der „akustischen Glocke“, unter der man lebt und leidet. Unausweichlich tönt es auf uns ein und macht ein Leben immer unmenschlicher (vgl. Liedtke 1996, 119). Gleichzeitig werden die natürlichen Umgebungsgeräusche seltener: circa 70 Prozent der heutigen Klanglandschaft sind künstlich erzeugt.

Die Wirtschaft hat inzwischen damit begonnen, ihren Produkten mit Hilfe des Sound-Engineering gezielt ein akustisches Design zu verleihen. Ausgangspunkt hierfür war (und ist) die in den letzten Jahren schwieriger gewordene Situation der Unternehmen: Wettbewerbsbedingungen unterliegen einem permanenten Wandel, das Güterangebot wächst stetig und auf Seite der Konsumenten ist längst ein hoher Grad der Sättigung entstanden (vgl. Bruhn 1992, 2).

Zudem werden Produkte in punkto Aussehen, Funktionalität und Qualität immer austauschbarer und die Öffentlichkeit kritischer. Für viele Unternehmen ist es daher lebensnotwendig geworden, ihren Kunden, Lieferanten, Finanzgebern und auch Mitarbeitern durch eine einzigartige, unverwechselbare Identität Orientierung und Sicherheit zu bieten und sich von anderen Unternehmen abzuheben.

Das Konzept der Corporate Identity gibt Organisationen Mittel dazu an die Hand und ist seit Jahrzehnten bei (multi-)nationalen Konzernen üblich.

Corporate Identity beinhaltet u.a. das Corporate Design. Während seit den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts das visuelle Design allein im Vordergrund stand, ist in neuester Zeit der Klang von Kommunikationsmaßnahmen und Produkten immer wichtiger geworden. Klänge formen Produkte, geben ihnen Persönlichkeit und sind schon jetzt, neben der Funktionalität und dem erwähnten visuellen Design, der dritte wichtige Entscheidungsfaktor beim Kauf geworden. Diese Tatsache muss im C.I.-Konzept Berücksichtigung finden.

Die vorliegende Arbeit geht der zentralen Frage nach, was Unternehmen tun, um Menschen über das Hören in ihrem Sinne zu beeinflussen. Dazu werden die wichtigsten Ergebnisse der relativ jungen Disziplin der Psychoakustik kurz vorgestellt. Im Anschluss daran wird gezeigt, in welchem Maße Sound-Engineering diese Ergebnisse anwendet. Fragen, die diese Arbeit aufwirft, aber nicht beantworten kann, stehen in engem Zusammenhang mit der zukünftigen Entwicklung der Klanglandschaft: leitet sich mit dem Sound-Engineering eine Trend- Wende ein? Werden die Klangdesigner den Lärm um uns herum mindern und eine humanere Klangwelt erzeugen, wie sie selber behaupten? Dies wird erst die Zukunft zeigen.

Zum Abschluss soll es um Verantwortung gehen. Grundlegend ist dabei die Frage, wer die Verantwortlichen für die „akustischen Müllhalden“ (ebenfalls ein Begriff von Rüdiger Liedtke) sind und was getan werden kann, um zukünftige Entwicklungen zu steuern. Was kann die Wirtschaft, was kann Politik, was kann jeder Einzelne leisten, damit unsere Lautsphäre ein menschenwürdiges, gesundes Leben ermöglicht. Dabei soll die Aufmerksamkeit auf eine neue Disziplin gelenkt werden: die „Akustische Ökologie“.

2. Corporate Identity

2.1 Unternehmen im Wandel

Begriffe wie Identitätskrise oder Identitätsverlust gehören inzwischen zum alltäglichen Wortschatz. Eine eigenständige Literaturgattung befasst sich mit Problemen der Identitätssuche und ist deutliches Zeichen für die Nachfrage der Menschen nach Lösungen des Problems. Aus dem wissenschaftlichem Diskurs der Ich-Identität der Psychoanalyse und Individualpsychologie entwickelte sich einerseits die Diskussion um die Gruppen-Identität von Organisationen, welches Gegenstand der Organisationssoziologie und der Politologie ist, andererseits entwickelte sich innerhalb der Wirtschaftswissenschaften der Begriff der Unternehmens-Identität.

Um zu erklären, warum Identität für Unternehmen zum Problem wurde, müssen zwei Schlüsselbegriffe Max Webers genannt werden: Traditionalität und der Prozess der Rationalisierung.

Unternehmen nehmen Teil an der generellen Entwicklung der Gesellschaft. Traditionalität meint in diesem Zusammenhang ein Eingebettetsein des Individuums, „ein Selbstverständnis des sozialen Subjekts in seinem je eigenem sozialen Zusammenhang“ (Birkigt/Stadler 1992, 15). Verhalten wird in diesem Sinne traditionsgeleitet gesteuert, soziale Rollen stehen fest und bestätigen sich immer wieder aufs Neue: „[...] kraft Glaubens an die Heiligkeit der von jeher vorhandenen Ord- nungen und Herrengewalten.“ (Weber 1964, 295). Unternehmen der traditionalen Stufe erhalten ihre Identität durch die Inhaber- bzw. Managerpersönlichkeit (z.B. Krupp, Siemens, Grundig, Burda, Opel oder Ford). Die Organisationsstruktur wird in diesen Fällen als „gewachsen“ und gegeben angesehen und ist personenbezogen mit stark patriarchalischen Zügen.

Den wachsenden und sich weiterentwickelnden Unternehmen bieten sich

Chancen, neue Märkte zu erschließen oder in neue Betätigungsfelder

einzutreten. Umgekehrt ist Wachstum erst möglich, wenn neues Terrain erschlossen wird. Neue Technologien und sich wandelnde Branchen bringen Konzerne dazu, die Grenzen ihres bisherigen Know-Hows zu überschreiten und das bisherige Selbstverständnis aufzugeben.

Die traditionale Maxime wird in diesem Fall ersetzt durch ein rationales Operieren in einer sich verändernden Umwelt: Zweckrationalität bestimmt das Handeln. Je mehr sich ein Unternehmen neuen „unternehmens- fremden“ Chancen zuwendet, umso mehr ist es von rationalen Entscheidungen abhängig. Erst an zweiter Stelle treten traditional- unternehmensphilosophische Überlegungen.

Heute expandieren Unternehmen durch die Eroberung von „Neuland“. Dies hat nicht nur starkes Wachstum, sondern auch die Zersplitterung der Organisation oder die Bildung von Konglomeraten (wie z.B. bei Stinnes, Thyssen-Krupp, AEG) zur Folge. Es kommt zu Konflikten verschiedener Teilziele, das Unternehmen benötigt neue Orientierungshilfen.

Werden neue Märkte erschlossen, müssen neue Strategien gegen ebenfalls neue Konkurrenten entwickelt werden. Eventuell sagt das bisherige Firmen-Image den Kunden nichts oder etwas Falsches, und wenn z.B. bestehende logistische Abläufe nicht mehr ausreichen, muss sich das Unternehmensverhalten gegenüber Partnern ändern.

Zudem sehen sich Unternehmen häufiger mit einer entscheidenden Anforderung konfrontiert: sie müssen sich von ihren Wettbewerbern deutlich unterscheiden. Je ausgeprägter und zahlreicher die Unterschiede (im positiven Sinne) sind, desto grösser die Erfolgschancen eines Unternehmens. Wenn schon vorhandene technologische oder ökonomische Vorteile einen Vorsprung garantieren, können diese Erfolgsfaktoren ausgespielt werden. Die dann trotz Verdrängungsstrategien und Konzentrationseffekten verbleibenden Konkurrenten verfügen alle über eine ähnliche Preis-, Anwendungs- und Qualitäts-Struktur. M.a.W.: die Produkte, die auf dem Markt sind, ähneln sich stärker als zuvor. Eine rein produktbezogene Kommunikation bringt den Kunden keine neuen Erkenntnisse und läuft ins Leere. Deshalb müssen Informationen vermittelt werden, die über Produktaussagen

hinausgehen und vielmehr das Unternehmen selbst betreffen: seine Ziele, Pläne und Philosophie.

Das Konzept der Corporate Identity soll Unternehmen helfen, sich aus der Masse der Wettbewerber abzuheben und ihre eigene Identität zu stärken. Sie definiert die Unternehmensvision, -Ziele und –Kompetenzen und wirkt richtungsweisend. Dabei soll in der Öffentlichkeit ein Image gebildet werden, das der Vorstellung des Absenders entspricht.

2.2 Struktur der Corporate Identity

Identität <lat.> : a) vollkommene Gleichheit od. Übereinstimmung (in Bezug auf Dinge od. Personen); Wesensgleichheit; das Existieren von jmdm., etw. als ein Bestimmtes, Individuelles, Unverwechselbares; b) die als Selbst erlebte innere Einheit der Person (Psychol.).“ (Duden 1990: Band 5, Fremdwörterbuch)

Identität [...] Gefühl andauernden Einsseins der Person mit den eigenen Vorstellungen, die als beständig erlebte Kontinuität u. Gleichheit des Ich; [...]“(Brockhaus Wahrig 1981: Deutsches Wörterbuch)

Die Corporate Identity wird in Parallele zur Ich-Identität gesehen: als schlüssiger Zusammenhang von Erscheinung, Worten und Taten eines Unternehmens mit seinem „Wesen“, seiner Persönlichkeit[1]. Die grundlegende Frage, ob es generell zulässig ist, Kollektiven Eigenschaften zuzuschreiben, die nur Individuen aufweisen, beantwortet Achterhold. Sie sieht in der Kulturanthropologie viele Beispiele dafür, dass Menschen eine starke Neigung dazu haben, Vorgänge ihrer Lebenswelt auf andere Bereiche zu übertragen und so die Welt zu deuten (z.B. in der

Mythologie). Dazu gehört auch, dass Kollektiven Eigenschaften zugeschrieben werden wie z.B. Ziele, Motive, Absichten und Identität.

„So ist es zutreffend, daß Kollektive keine Individualeigenschaften haben können, ebenso richtig ist es aber auch, daß Menschen Kollektiven Individualeigenschaften zuschreiben. Damit stellt diese Behauptung eine – wenn auch nirgends ausdrücklich genannte – Basisannahme der Theorie der Corporate Identity dar, die die Übertragung des Identitätskonzeptes auf Unternehmen erklärt und rechtfertigt.“ (Achterhold 1988, 32).

Wenn diese Annahme zulässig ist, ist es auch der Begriff der „Unternehmens-Identität“ bzw. „Corporate Identity“.

Zu Beginn der wissenschaftlichen Diskussion zum Thema wurden die Begriffe „Corporate Identity“ und „Image“ nicht immer klar voneinander getrennt. Die Sachverhalte waren noch nicht präzise unterschieden, doch inzwischen wird als „Corporate Identity“ das Selbst bild des Unternehmens bezeichnet, das Fremd bild als „Corporate Image“. Image stellt also die Projektion der Identity im sozialen Feld dar (vgl. Birkigt/Stadler 1992, 22), oder m.a.W. das Bild, welches in den Köpfen der Öffentlichkeit besteht[2]. Ziel ist es, eine Harmonie von Fremd- und Eigenbild zu schaffen.

„In der wirtschaftlichen Praxis ist demnach Corporate Identity die strategisch geplante und operativ eingesetzte Selbstdarstellung und Verhaltensweise eines Unternehmens nach innen und außen auf Basis einer festgelegten Unternehmensphilosophie, einer langfristigen Unternehmenszielsetzung und eines definierten (Soll-)Images - mit dem Willen, alle Handlungsinstrumente des Unternehmens in einheitlichem Rahmen nach innen und außen zur Darstellung zu bringen.“ (Birkigt/Stadler 1998, 18).

Das Konzept der Corporate Identity beruht auf einer zentralen Unternehmens-Persönlichkeit. Auf sie bauen die einzelnen Elemente Unternehmens-Verhalten, - Kommunikation und – Erscheinungsbild auf. Alle Elemente bedingen sich wechselseitig und wirken sowohl nach aussen als auch nach innen.

Die folgende Grafik stellt die Struktur der CI, auch Identitäts-Mix genannt, schematisch dar:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Der Zusammenhang der C.I.-Elemente drückt sich für den Designer Wally Olins wie folgt aus:

„Alles, was eine Organisation tut, muss ihre Identität bekräftigen. Die Produkte, die das Unternehmen herstellt oder verkauft, müssen seine Normen und Werte vermitteln. Die Gebäude, in denen es Leistungen erbringt und anbietet, seine Büros, Werke und Ausstellungsstücke, ihr Standort, wie sie möbliert und instandgehalten werden, sind allesamt Ausdruck der Identität. Das Kommunikationsmaterial der Firma, von der Werbung bis zu Bedienungsanleitungen, muß von einheitlicher Qualität

sein, und in seinem Charakter die gesamte Organisation mit ihren Zielen genau und eindeutig widerspiegeln.“ (Olins 1995, 7).

Corporate Identity ist die zentrale Strategie zur Ausrichtung aller Aktivitäten, die Einstellungs- und Verhaltensänderungen innerhalb und ausserhalb des Unternehmens bewirken. Sie ist Ziel und Instrument zugleich, oder, wie Achterhold es ausdrückt: Corporate Identity führt zur Corporate Identity (vgl. Achterhold 1988, 34).

2.2.2 Unternehmens-Verhalten (Corporate Behavior)

Ein wichtiges und wirksames Instrument der CI ist das schlüssige Verhalten des Unternehmens. Jede Organisation stellt sich nicht nur durch ihr Erscheinungsbild nach aussen dar, sondern auch durch ihre Taten. In ihrem Verhalten (z.B. Angebots-, Preis-, Finanzierungs-, Kommunikations- oder Sozialverhalten) spiegeln sich die Zwecke wieder, denen sie dient und die Ziele, die sie verfolgt.

„Es ist klar, dass auch die Verfolgung eines Zweckes unvermeidlich etwas über den aussagt, der den Zweck verfolgt, seine Identität also mitbestimmt.“ (Birkigt/Stadler 1992, 20).

Schlüssiges Handeln konstituiert Identität. Auch die weiteren Faktoren des Identitäts-Mix, die visuelle Erscheinung und die Unternehmenskommuni- kation, gehören in diesem Sinne zum Unternehmens-Verhalten, denn sie beruhen auf Entscheidungen der Führungsebene, nicht auf Zufall.

Die Organisation muss eine allgemeine Grundhaltung festlegen in Bezug auf ihr Moral-, Sozial-, ökonomisches und politisches Verhalten sowie zum Umgang mit Information, Ökologie und Qualität. Es reicht anschliessend nicht aus, diese Haltung nur zu kommunizieren – sie muss auch gelebt werden. Hier gilt nicht nur der Sinnspruch: „Tue Gutes und rede darüber.“, sondern vielmehr „Sage, was Du tust und tue, was Du sagst.“.

Nur ein konsistentes Verhalten kann als „Investition“ in Vertrauen verstanden werden. Ein Mangel an Konsistenz zerstört die Glaubwürdigkeit des Unternehmens und erzeugt bei Außenstehenden ein Gefühl der Unzuverlässigkeit. Laut Niklas Luhmann ist Vertrauen nicht grundsätzlich vorhanden, sondern wird erlernt und muss erst aufgebaut werden. Dieses Vertrauen ist nötig, wenn eine Entscheidung zwischen Alternativen zu treffen ist, sich aber erst in der Zukunft herausstellt, ob die Wahl die richtige war. Vertrauen überbrückt diese Zeitspanne und mindert das Risiko.

„Grundlage allen Vertrauens ist die Darstellung des eigenen Selbst [...] als einer sozialen, sich in Interaktionen aufbauenden, mit der Umwelt korrespondierenden Identität“ (N. Luhmann, zit. n. Achterhold 1988, 21). Konsistentes Verhalten setzt voraus, dass man sich über vergangene, gegenwärtige und zukünftige Ziele im Klaren ist und dies glaubhaft mitteilen kann.

2.2.3 Unternehmens-Kommunikation (Corporate Communication)

Im Mittelpunkt der Unternehmens-Kommunikation steht die Verzahnung aller Kommunikationsmaßnahmen. Sie ist das flexibelste Instrument der CI. Langfristig angelegte Strategien sind mit ihr genauso möglich wie schnelle, taktische Einsätze. Laut Birkigt/Stadler (1992) liegt hier eine Gefahr für das Konzept der Corporate Identity: während Identitäts- Maßnahmen langwierigen Prozessen ausgesetzt sind und auf höchster Ebene entschieden werden, können Ad-hoc-Maßnahmen nach rein taktischen Gesichtspunkten diese Bemühungen wieder zerstören. Gibt der kurzfristige Erfolg den Kommunikations-Maßnahmen recht, kann dies zu einer „Schizophrenie im Kommunikations-Verhalten“ (vgl. Birkigt/Stadler 1992, 22) des Unternehmens führen.

Sämtliche Kommunikationsmittel eines Unternehmens müssen deshalb permanent in Hinblick auf die Zielsetzung überprüft werden. Jeder

einzelne Auftritt nach außen und innen[3] (z.B. Pressemitteilungen, Geschäftsdrucksachen, Handbücher, Stellenanzeigen, Werbung, Messestände, Hausmitteilungen etc.) muss den vereinbarten Richtlinien entsprechen – nicht nur den gestalterischen.

„Corporate Communication wird so zur ‚Zentrale’ der kommunikativen Arbeitsfelder und garantiert durch interdisziplinäres Vorgehen einen wichtigen Teil der Umsetzung des Identitätsgedankens.“ (Achterhold 1988, 45).

Zu den wichtigsten Aufgaben der Unternehmenskommunikation zählt die Informationsfunktion. Der Imageforscher R. Worcester prägte den Satz: „Companies are usually most highly regarded by those who know them best.“ (vgl. Achterhold 1988, 19). Er fand heraus, dass zwischen dem Grad des Informationsniveaus und der Einstellung zum Unternehmen eine positive Korrelation besteht. Ob diese kausale Interpretation valide ist, bleibt strittig, es kann aber die Hypothese gebildet werden, dass informationsbereite Unternehmen eher positiven Einfluss auf die öffentliche Meinung haben.

Die Corporate Communication bietet aber nicht nur die Möglichkeit, die Öffentlichkeit zu informieren, sondern auch, sich vor ihr darzustellen (Darstellungsfunktion).

Die wichtige Funktion, die Unternehmen heute in der Gesellschaft ausüben, macht sie zum Teil des öffentlichen Interesses. Als Wirtschaftsfaktor werden Organisationen mit Situationen konfrontiert, die nur indirekt etwas mit ihrem eigentlichen Zweck, der Produktion von Waren oder Bereitstellung von Dienstleistungen, zu tun haben

Unternehmen müssen sich darstellen, ihr Verhalten begründen oder rechtfertigen, und zu sozialen oder politischen Fragen Stellung beziehen. Wenn Unternehmen soziale Verantwortung übernehmen, bietet sich ihnen die Chance, sich verschiedenen Gruppen zu präsentieren. Tun sie dies glaubwürdig, hat dies positive Effekte auf das Image in der Öffentlichkeit.

Einhergehend mit dem Wandel der Wettbewerbsbedingungen verschärfte sich auch die Situation der Kommunikationspolitik von Unternehmen. Auf Verbraucherseite besteht häufig eine Informationsüberlastung, auf Unternehmensseite eine zunehmende Kommunikationsvielfalt bzw. Defizite im Austausch zwischen Handelspartnern oder Netzwerken (vgl. Bruhn 1992, 2).

Rückblickend betrachtet zeigt sich, dass der Unternehmens- Kommunikation seit den 50er Jahren bis heute ein stetig steigender Stellenwert beigemessen wird. Ging es nach Ende des Zweiten Weltkrieges noch relativ unsystematisch darum, durch einfache werbliche Mittel an bestehende Marken zu erinnern, tauchten in den 70er Jahren Schlagworte wie „Zielgruppe“ und „Markt-Fragmentierung“ auf. Kommunikationsinstrumente wurden zielgruppenspezifisch eingesetzt und Markt- und Medienforschung durchgeführt.

In den 80er Jahren strebten Unternehmen den Ausbau von Wettbewerbsvorteilen an. Erstmals standen Kommunikationsinstrumente untereinander in Wettbewerb. Dies hatte u.a. das Auftreten neuer Formen von Unternehmens-Kommunikation zur Folge: das Direkt-Marketing, Sponsoring und Event-Marketing.

Seit den 90er Jahren bemühen sich Unternehmen zunehmend darum, die zahlreichen Formen der Kommunikation so abzustimmen, dass bei allen Empfängern (nicht nur bei der Zielgruppe der Konsumenten) ein glaubwürdiges und widerspruchsfreies Image entsteht. Bruhn sieht in dieser Integration aller Kommunikationsinstrumente in ein einheitliches Konzept die Herausforderung der 90er Jahre (vgl. Bruhn 1992. 5).

Wie schon erwähnt ähneln sich Produkte zunehmend und der Markt ist durch das wachsende Güterangebot gesättigt, so dass neben dem klassischen Produktwettbewerb auch ein Kommunikationswettbewerb geführt wird. Bei potenziellen Kunden sollen Aufmerksamkeit und Präferenzen erzeugt werden. Auf Konsumentenseite ist aber ein sinkendes Interesse an klassischer Unternehmenskommunikation zu erkennen. Das Phänomen des „Zappings“ als eine bewusst eingenommene Verweigerungshaltung gegenüber dieser Kommunikation ist schon allgemein bekannt. Der empfundene Werbedruck ist (in Deutschland) kaum noch steigerbar[4] und wird zunehmend als lästig empfunden. Unternehmen sind somit gezwungen, neue Formen der Kommunikation zu suchen, um ihre Zielgruppen anzusprechen. Die Menge der (Werbe-) Botschaften zu steigern, ist nicht weiter möglich, da ein „Sättigungsgrad“ erreicht ist und sich ihr Ziel ins Gegenteil kehren könnte.

2.2.4 Unternehmens-Erscheinungsbild (Corporate Design)

Das Corporate Design soll die Unternehmenspersönlichkeit darstellen. Hierzu zählen das Marken-Design, Grafik-Design und Architektur-Design. Es umfasst alle visuellen Zeichen und Erscheinungsformen, über die eine Institution verfügt, sowie die Grundsätze, nach denen diese optischen Signale eingesetzt werden. Der Einsatzbereich des Corporate Design ist äusserst vielschichtig. Zu ihm zählen Firmenzeichen, -Symbole, Schriftzug und Farbe(n), Mitarbeiterkleidung, Gestaltung von Firmenfahrzeugen, grafische Gestaltungselemente für Werbung, Drucksachen und Informationsmaterial, sowie Fassadenbeschriftungen und neuerdings auch Internetauftritte.

Alle sichtbaren Elemente einer Organisation sollen das gleiche Gesamtbild und die gleiche Persönlichkeit wiedergeben. Logos, Symbole, Schriften und Farben werden in Gestaltungsvorschriften genau definiert und bis ins Detail vorgeschrieben. Größenverhältnisse der Elemente untereinander und Gestaltungsraster gehören genauso dazu wie typische Sprachmittel oder ein unverwechselbarer Sprachstil.

Ein in der Praxis oft auftauchendes Problem ist, dass das visuelle Erscheinungsbild das Einzige ist, was von der intendierten Unternehmens- Identität umgesetzt wird. Wenn das Corporate Design als Darstellungsweise definiert ist, aber die Tatsache vernachlässigt wird, dass sich das Unternehmen weiterentwickelt, kann ein aufrechterhaltenes Erscheinungsbild die Unternehmensidentität in die „Schizophrenie“ (vgl. Birkigt/Stadler 1992, 21) führen.

Das Erscheinungsbild benötigt Kontinuität, um sich zu etablieren, es muss sich aber auch mit der wandelnden Identität synchron entwickeln.

2.2.5 Corporate Sound Design: eine neue Komponente in der C.I.

Beschäftigt man sich mit Literatur zum Thema Corporate Identity bzw. Corporate Design, entsteht der Eindruck, das Erscheinungsbild von Unternehmen stelle sich rein visuell dar und sei Aufgabe von Grafikabteilungen: Design ist etwas, was man sehen (und evtl. anfassen) kann.

Meiner Meinung nach ist das Konzept des Corporate Design unvollständig. Autoren, die sich zum Thema Corporate Identity geäußert haben, vernachlässigten eine Entwicklung, die Konzerne in der Realität schon längst eingeschlagen haben. Einige Beispiele sollen dies verdeutlichen:

1) Millionen von DM werden in Sound-Labore investiert, um den Klang der Produkte an Kundenpräferenzen auszurichten oder Produkte klanglich unverwechselbar zu machen. Geräte werden durch akustische Feedback

Signale einfacher bedienbar gemacht. Durch einen akustischen „Hausklang“ können Produkte einem Unternehmen leichter zugeordnet werden.

2) In den audio-visuellen Medien hat es schon seit ihren Anfängen Beispiele dafür gegeben, wie Unternehmens-Identitäten akustisch umgesetzt werden. Werbung als Teil der Unternehmenskommunikation stellt den Absender nicht nur rein visuell dar. Sogar TV-Spots werden häufig so gestaltet, dass ihre Botschaften transportiert werden, ohne dass Rezipienten hinsehen müssen[5].

3) Seit Jahren richten Unternehmen Call-Center ein, um mit Kunden per Service-Telefon in Kontakt zu treten und Fragen, Wünsche und Bestellungen entgegenzunehmen.

Das letzte Beispiel verrät nicht auf den ersten Blick, wo die Verbindung zum Erscheinungsbild des Unternehmens besteht. Deshalb soll es hier kurz erläutert werden.

Der Betrieb eines Call-Centers kann als Service-Leistung einerseits dem CI-Faktor „Unternehmens-Verhalten“ zugerechnet werden. Als Schnittstelle zum Kunden partizipiert es an der „Unternehmens- Kommunikation“, während der Interaktion wird es aber Teil des „Erscheinungsbildes“. Kunden geraten evtl. zunächst in eine Warteschleife, verbringen dort einige Zeit und sammeln erste Eindrücke, bevor sie weiterverbunden werden. Der Mitarbeiter am Service-Telefon wird in diesem Augenblick zum Repräsentanten des gesamten Unternehmens und macht seine Qualitäten hörbar – das Telefonat wird zum „Moment of Truth“ (vgl. Töpfer/Greff 1995, 27).

Die Seminare, in denen Mitarbeiter geschult werden, beschäftigen sich nicht nur mit Gesprächsführung und Verhandlungsstrategien, sondern auch mit dem Klang der Stimme, mit Sprechtempo, Intonation und der Wirkung auf den Gesprächspartner (vgl. Töpfer/Greff 1995, S.150ff, Kap.5.5.: „Die Stimme und Sprechweise als Erfolgsvoraussetzung in der Telefonkommunikation“).

Schon früher haben Unternehmen durch Mitarbeiter per Telefon mit Außenstehenden kommuniziert, doch erst seit der Professionalisierung (und oftmals auch dem Outsourcing) der Telefon-Zentralen kann davon gesprochen werden, dass eine geplante akustische Darstellung von Unternehmen (mit entsprechenden Schulungen) in diesem Bereich stattfindet.

Betrachtet man diese Entwicklung zusammen mit den anderen genannten Beispielen (auf die an anderer Stelle näher eingegangen wird), so lässt sich feststellen, dass Unternehmen in zunehmendem Maße den Design- Faktor „Klang“ für sich entdecken. Die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten von Akustik-Design sind mehr als nur Instrumente der Unternehmens- Kommunikation. Durch Klänge lassen sich Unternehmens-Identitäten vermitteln, Qualitäten hörbar machen und Produkte unverwechselbarer gestalten.

Das Konzept der Corporate Identity muss deshalb m.E. um eine neue Komponente erweitert werden: das Corporate Sound-Design bzw. das akustische Unternehmens-Erscheinungsbild[6].

Der modifizierte Identitäts-Mix stellt sich grafisch wie folgt dar:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Corporate Sound-Design gestaltet den gesamten akustischen Auftritt eines Unternehmens und vereinheitlicht ihn in den verschiedenen Kontaktpunkten zu den Kunden, Partnern und Mitarbeitern. Zu den möglichen Anwendungsgebieten zählen Werbung, AV-Produktionen, Multimedia-Anwendungen, Präsentationen, Internet-Auftritte, die gesamte Telekommunikation, Auftritt am Point of Sale und auf Messen und Events, sowie beim Produkt-Design selbst.

2.3 Zusammenfassung

Unternehmen benötigen mehr denn je eine intakte Identität, um am Markt bestehen zu können. Veränderte Geschäftsfelder, starkes Wachstum und neue Märkte stellen hohe Anforderungen an Firmen. Oft hat dies die Zersplitterung der Organisation oder die Bildung von Konglomeraten zur Folge. Der daraus entstehende Verlust der Identität hat eine Verunsicherung der Mitarbeiter und Kunden zur Folge.

Das Konzept der Corporate Identity soll Unternehmen helfen, ihre eigene Identität zu stärken, indem es die Unternehmensvision definiert sowie deren Ziele und Kompetenzen beschreibt. Dabei orientiert es sich an der Firmenhistorie und geschäftspolitischen Grundsätzen. Das Selbstver-ständnis der Organisation bildet die Unternehmens-Persönlichkeit.

In der Öffentlichkeit und bei den Mitarbeitern soll ein positives Image entstehen, welches sich mit dem Selbstbild des Unternehmens deckt und das sich von denen der Mitbewerber unterscheidet.

Die Corporate Identity wird gebildet von den Bereichen Unternehmens- Verhalten, -Kommunikation und – (visuellem) Erscheinungsbild. Sämtliche Elemente des Identitäts-Mix bedingen sich gegenseitig und beeinflussen die Unternehmens-Identität.

Die Errichtung und Aufrechterhaltung einer CI bedarf strategischer Planung, auf deren einzelne Arbeitsschritte in dieser Arbeit nicht näher eingegangen werden soll. Sie wird zur zentralen Kommunikationsstrategie, die sowohl nach innen (auf Mitarbeiter) als nach außen (Kunden, Handelspartner, Filialen, Öffentlichkeit) wirkt. CI umfasst ein komplexes Netz von Managementaufgaben, wie zum Beispiel Unternehmensverhalten, Marketing, Kommunikation, Forschung und fast immer auch Design in seinen verschiedenen Formen. In diesem Zusammenhang steht das Design freilich nicht unbedingt im Mittelpunkt, aber es bildet das maßgebliche Mittel zur Präsentation der (neuen) Positionierung. Aus diesem Grund ist Design ein wichtiges Instrument der CI (vgl. Olins 1995, 8).

Die Entdeckung des Design-Faktors „Klang“ hat sich bis dato noch nicht auf das Konzept der C.I. ausgewirkt. Aufgrund der wachsenden Bedeutung des akustischen Erscheinungsbildes von Unternehmen wird mit dieser Arbeit eine neue Komponente empfohlen: das „Corporate Sound-Design“ oder auch „akustische Unternehmens-Erscheinungsbild“. Es soll Klarheit, Ordnung und Charakter auf allen hörbaren Plattformen der Unternehmenswelt schaffen.

3. Das Ohr

Bevor die Frage beantwortet werden kann, wie Unternehmen mit Hilfe des Sound-Engineering Menschen über den Hörsinn beeinflussen können, muss man sich mit dem Aufbau und den Funktionen des Gehörs befassen. Dabei erfährt man an vielen Stellen Erstaunliches. Im Ohr lassen sich nicht nur die kleinsten Knochen des Körpers finden, sondern auch der kleinste Muskel, das härteste Knochenmaterial und die meisten Nervenendungen. Auch die äußerst schnelle Verarbeitungsgeschwindig- keit bzw. Reaktionszeit machen das Ohr zu einem faszinierendem Thema. Nach einem kurzen Abriss der Evolution des Hörsinns, des allgemeinen Aufbaus und der Entwicklung des Ohrs beim Menschen soll näher auf die Grundfunktionen des Hörens eingegangen werden. Die gewonnenen Ergebnisse sollen in den folgenden Kapiteln Anwendung finden.

3.1 Die Evolution des Ohres

In der Archäologie gilt der Fund von Gehörknöchelchen (Hammer, Amboss, Steigbügel) als Beweis dafür, dass es sich um die Überreste eines Säugetiers handelt. Während der Mensch seit 6 Millionen Jahren auf der Erde lebt, existiert das „Prinzip Ohr“ schon seit über 500 Millionen Jahren. Damals gab es im Wasser lebende Urwirbeltiere mit einem einfachen, nach außen geöffneten Ohr. Das umgebende Meerwasser füllte es aus und ließ kleine Kügelchen in ihm schwimmen. Außer hören konnte das Tier sich damit orientieren und seine Lage feststellen. Zudem war der Gleichgewichtssinn Voraussetzung dafür, ein Leben an Land zu führen (und den aufrechten Gang zu entwickeln).

Der Übergang von im Wasser zu an Land lebenden Tieren stellte ein Problem dar: das Ohr war nun nicht mehr von Wasser, sondern von Luft umgeben, so dass die Flüssigkeit vom Körper selbst stammen und auch in ihm verbleiben musste. Die Lebewesen entwickelten ein Innenohr, das

durch eine Membran tief im Inneren des Schädelknochens abgeschlossen und so vor dem Austrocknen und vor Angreifern geschützt war[7].

Da sich Luftwellen weniger stark bewegen als Wasserwellen, Schall sich also durch leichtere Luft mit weniger Kraft bewegt als durch Flüssigkeit, musste die Natur einen „Druckverstärker“ entwickeln. Es dauerte ungefähr 150 Millionen Jahre, bis aus Teilen des Kiefergelenkes das Mittelohr wurde, geprägt durch seine Gehörknöchelchen Hammer, Amboss und Steigbügel.

Lebewesen mit einem derart erweiterten Mittelohr nennt man Säugetiere. Sie haben sich dahin entwickelt, Leises besser wahrzunehmen und das Gehör zu schützen.

3.2 Der Aufbau des Ohres

Das Außenohr (auris externa) fungiert u.a. als Schalltrichter, indem es frontal auftreffenden Schall direkt in das Ohr leitet. Signale, die hinter dem Hörer entstehen, können aufgrund der Gehörgangsabschirmung der Ohrmuscheln nur dumpf wahrgenommen werden. So ist es durch Lernprozesse im Gehirn möglich, Geräusche im dreidimensionalem Raum ziemlich genau zu orten (vgl. Kap. 4.2.: Orientierung im Raum). Aber nicht nur das Frequenzspektrum hilft bei der Orientierung mit, sondern auch der Lautstärkeunterschied und die Zeitdifferenz des Eintreffens des Signals am linken und rechten Ohr. Ein von rechts kommender Reiz benötigt für die Strecke zwischem rechtem und linkem Ohr ca. 450 µs. Der Schall ist also Sekundenbruchteile später am linken Ohr, hat etwas an Intensität verloren und ist durch die Brechung am Schädel und an der Ohrmuschel dumpfer geworden. Da sich die Ohrmuscheln von Mensch zu Mensch unterscheiden, gibt es auch individuelle Unterschiede bei der Klangwahrnehmung.

Das Mittelohr (auris media) ist ein von Knochen umgrenztes, luftgefülltes Hohlraumsystem. In ihr liegen die miteinander verbundenen Gehörknöchelchen Hammer, Amboss und Steigbügel. Mit einem Gesamtgewicht von 0.5 Gramm sind sie die kleinsten Knochen des Skeletts. Nach außen hin (zum Außenohr) ist das Mittelohr durch das Trommelfell, einer schwingbaren Membran, abgegrenzt. Die Gehörknöchelchen verbinden das Trommelfell mit einer kleineren Membran, die das Mittelohr vom Innenohr trennt: dem ovalen Fenster. Unterhalb des ovalen Fensters liegt noch eine weitere Membran, das runde Fenster. Die Funktion dieser Membranen wird etwas weiter unten deutlich werden.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Im Innenohr (auris interna) befindet sich das eigentliche Hörorgan, die Cochlea, auch Hörschnecke genannt. Die Cochlea ist ein mit lymphähnlicher Flüssigkeit gefülltes schlauchförmiges Organ von 2-3 cm Länge, das in zweieinhalb Windungen aufgerollt ist. Sie besteht aus drei übereinanderliegenden Kanälen (Skalen), die durch Membranen getrennt sind.

Wird nun das Ohr beschallt, gerät zuerst das Trommelfell in Schwingungen. Diese Schwingungen werden über Hammer, Amboss und Steigbügel auf das ovale Fenster übertragen. Dabei geschieht die oben angesprochene Druckverstärkung: zum einen wird dies durch die Hebelwirkung der Gehörknöchelchen bewirkt, zum anderen durch die Tatsache, dass das Trommelfell eine 25 mal so große Fläche besitzt wie das ovale Fenster. Da Druck = Kraft/Fläche, kommt der Reiz um ein Vielfaches verstärkt beim Innenohr an.

Das Mittelohr kann aber nicht nur Signale verstärken, es kann sie auchdämpfen. Am Trommelfell sitzt der sogenannte Trommelfellspanner (musculus denso tympani), ein kleiner Muskel, der bei Lautstärke- Angriffen das Trommelfell dazu bringt, sich spontan zu straffen, um zu starke Schwingungen abzufangen. Nach längerer Dauerlärmbelastung gerät dieser Muskel aber selber in Schwingungen, erschlafft und die Schutzfunktion setzt aus.

Der eigentliche Vorgang des Hörens geschieht wie schon erwähnt in der Hörschnecke. Das ovale Fenster wird in Schwingungen versetzt und wölbt sich dabei nach innen und aussen. Die Flüssigkeit des Innenohrs ist inkompressibel und wird verdrängt. Dabei drückt sie die Membranen der Cochlea nach unten, wodurch die Flüssigkeit in der unteren Skala verdrängt wird. Sie strömt so dem runden Fenster entgegen, welches sich in Richtung Mittelohr wölben kann. Dies ist die Funktion des runden Fensters: der verdrängten Flüssigkeit eine Ausweichmöglichkeit zu bieten, damit die Hörschnecke arbeiten kann ohne verletzt zu werden.

Zwischen den Membranen befinden sich die Hörsinneszellen, auch Haarzellen genannt. Sie besitzen an ihrem oberen Ende jeweils bis zu 100 haarähnliche, submikroskopische Fortsätze, die Sinneshärchen oder Stereozilien. Betrachtet man diese durch ein Elektronenrastermikroskop, erblickt man Erstaunliches: die insgesamt ca. 30.000 Haarzellen stehen „aufgereiht wie die Tonfiguren-Armee der chinesischen Kaiser in Tonkin“ (Berendt 1996, 76) in etwa 100 Viererreihen.

Werden diese durch die Membranbewegung deflektiert, d.h. bewegt oder umgebogen, ändert sich die Zellspannung. Diese Änderung heißt Rezeptorpotenzial und stellt das körpereigene elektrische Signal dar. Auf diese Weise wird die im Schallreiz enthaltene Information in Nervenaktionspotenziale gewandelt und kann so vom Hörnerv ins Gehirn transportiert werden[8]. Aus Schallwellen werden elektrische Spannungen.

Die Haarzellen enthalten Eiweißelemente, die auch im Muskelgewebe vorkommen. Sie sind zu Kontraktionen fähig, bewegen sich also aktiv. Es wurde beobachtet, dass sich die Haarzellen aufrichten, wenn ein Ton erklingt. Dies geschieht aber nicht gemeinsam oder unsystematisch, vielmehr reagieren bestimmte Gruppen von Zellen auf bestimmte Frequenzen.

„So wie beim Klavier durch jede Taste ein Ort festgelegt ist, der für eine bestimmte Tonhöhe zuständig ist, so ist jeder Ort entlang der Trennwand in der Hörschnecke für eine charakteristische Tonhöhe zuständig. Doch anders als die recht beschränkte Zahl an Klaviertasten kann die Cochlea rund 7000 Tonhöhen auseinanderhalten und dies zudem noch auf geringstem Raum.“(vgl. Zenner 1996, 119).

Das (noch) Erstaunliche(re) hierbei: gelangt ein Ton ins Ohr, richten sich nicht nur die „zuständigen“ Stereozilien auf, sondern auch immer die der nächstverwandten Obertöne – Quarten, Quinten, Oktaven – auch wenn er gar nicht erklingt.

„Es sieht so aus, als >>warteten<< sie [die Zilien; Anm. d. Verf.] darauf, auch jeweils die harmonisch verwandten Töne zu empfangen – hören zu können. Wie Menschen, die sich aufrichten, um irgend etwas, das sie gern hören möchten [...] besser hören zu können.“ (Berendt 1996, 76).

Das Bedürfnis nach Harmonie scheint also biologisch angelegt zu sein.

Die Haarzellen sind sehr fragile Gebilde. Ähnlich wie Gehirnzellen sind sie, einmal beschädigt, nicht wieder reparabel. Nach Lautstärkeangriffen können sie abbrechen oder verschmelzen. Der Blick durch ein Mikroskop erinnert dann an ein Weizenfeld nach einem Sturm: Stereozilien liegen herum, können sich nicht mehr aufrichten und sterben ab.

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Abb.4: Haarzellen in der Cochlea (Maelicke 1990, 85)

3.3 Hören und Fühlen

„Hören ist eine Art Tasten aus der Ferne“ (Schafer 1988, 19)

Nicht wie weitläufig angenommen im primären Geschlechtsorgan, sondern im Innenohr lassen sich die meisten Nervenendungen des Körpers finden. Hier ist die Wahrnehmungsdichte so ausgeprägt, dass Berendt das Ohr als „Ort wahrer Lustfülle[9] “ bezeichnet. Das Innenohr ist damit nicht nur Sitz des Gleichgewichts-Sinns, sondern auch der Körperlichkeit.

Das Ohr ist über diese Nervenbahnen direkt mit allen zentralen Funktionen des Körpers verbunden, d.h. ein akustischer Reiz wirkt schnell und auf den gesamten Körper (s. Kapitel 4: Funktionen des Hörens).Das Gehörte gelangt über den Hörnerv ins Limbische System. Im auditorischen Cortex wird es mit Symbolen, Imaginationen und Assoziationen verknüpft und Klangbilder werden gespeichert.

Was die Leistungsfähigkeit des menschlichen Hörsinns angeht, ist es dem Auge weit überlegen. Es ist sensibler, genauer, schneller, leistungsfähiger und weniger täuschungsanfällig als das Auge. Das Ohr reagiert auf Veränderungen, die einem Millionstel des normalen Luftdrucks entsprechen. Der Wahrnehmungsspielraum (range) des menschlichen Auges umfasst den Bereich von 380 bis 760 Nanometer, also einer Oktave (eine Oktave entspricht der Verdoppelung der Wellenlänge). Hören können wir einen range von ca. zehn Oktaven, und das mit einer beachtlichen Schnelligkeit: das Ohr benötigt 3/1000 Sekunden, um zwei aufeinander folgende Reize zu unterscheiden, das Auge mit 20/1000 Sekunden siebenmal so lange. Wäre das Auge so schnell wie das Ohr, die Menschen müssten auf ihr Lieblingsmedium Fernsehen verzichten, da es sich nur als Punkte und Striche darstellen würde. Man würde es schlichtweg durch -schauen.

3.4 Die Entwicklung des Ohres beim Menschen

Schon wenige Tage nach der Befruchtung bilden Embryonen (zu diesem Zeitpunkt sind sie gerade mal 8 oder 9 mm groß) kleine Ansätze zur Bildung von Ohren. Diese werden aus dem selben Ektoderm gebildet, aus der sich auch die Haut entwickelt. Es existiert demnach eine direkte frühe Verbindung zwischen Fühlen und Hören. Nach einer rasanten Entwicklung von viereinhalb Monaten ist das Innenohr fertig ausgebildet und funktionsfähig. Es ist das einzige Organ des Körpers, welches sein ganze

Leben lang nicht mehr wächst. Noch einmal viereinhalb Monate verbringt das Kind im Mutterleib, aber hören kann es schon zu diesem Zeitpunkt. „Da ist also ein kleines Wesen, das hören will – mit einer Zielstrebigkeit, die die Wissenschaftler immer wieder verblüfft. In allem ist es von der Mutter abhängig – Atem, Blutkreislauf, Ernährung, Verdauungs- und Reinigungsfunktionen -, nur eines will es unbedingt selbst – so schnell wie möglich: hören!“ (Berendt 1996,70)

[...]


[1] Der Begriff „Person“ stammt vom lateinischen. „per sona“, welches „durch den Klang“

bedeutet.

[2] Selbstverständlich existiert ein Image auch von Unternehmen, die über kein CI-Konzept

verfügen. Dieses Image ist weder gesteuert noch geplant. Ein Identitätskonzept hat

immer auch die Aufgabe, diesen „Spielraum“ einzugrenzen und das gewünschte Image

zu erzeugen.

[3] An dieser Stelle soll auf die Wichtigkeit der internen Kommunikation hingewiesen

werden. Mitarbeiter stehen innerhalb eines Kommunikations-Netzes, aus dem sie sich

ihre Vorstellungen vom Unternehmen schaffen. Je klarer sich ein Unternehmen darstellt,

je begreifbarer seine Zwecke und Ziele werden, umso geringer wiegt der Druck der

Ungewissheit. Je besser Mitarbeiter wissen, worum es geht, umso mehr können sie sich

mit „ihrem“ Unternehmen identifizieren.

[4] Laut einer Untersuchung der GfK-Marktforschung lag 1998 der empfundene

Werbedruck der Konsumenten mit 98,7 % auf einem kaum steigerbaren Niveau (vgl

Media&Marketing 4/98, 51).

[5] Fernsehen und Radio sind mittlerweile zu Begleit-Medien bei anderen Tätigkeiten

geworden (vgl. Kap.7.5.4).

[6] Ein erster Schritt in diese Richtung wurde 1992 mit dem Projekt „CIT- Corporate Identity

am Telefon“ gemacht. Untersucht wurde das Telefonverhalten von 21 großen und

mittelständischen Unternehmen in Deutschland (vgl. Töpfer/Greff 1995, 29ff).

[7] Das Knochenmaterial, welches das Innenohr umgibt, ist von einer elfenbeinartigen

Widerstandsfähigkeit und somit das härteste Knochenmaterial des Skeletts (vgl. Berendt

1996, 77). Das Ohr ist damit noch stärker geschützt als das Gehirn.

[8] „Das Ohr energetisiert das Gehirn.“ (Berendt 1996, 86)

[9] Er sieht eine Verbindung der Wortstämme des englischen und deutschen „Lust“ und „to

listen“ (engl.) oder „losen“ (schwyzerdütsch, österreichisch) (vgl. Berendt 1996, 76).

Ende der Leseprobe aus 108 Seiten

Details

Titel
Psychoakustik und Sound-Engineering
Untertitel
Der neue Stellenwert des Hörens in der Corporate Identity
Hochschule
Universität Duisburg-Essen
Note
2,0
Autor
Jahr
2001
Seiten
108
Katalognummer
V123217
ISBN (eBook)
9783640280179
ISBN (Buch)
9783640283699
Dateigröße
1550 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Corporate Identity, Psychoakustik, Sound, Sound-Engineering, Lärm, Hören, Ohr, Corporate Communication, Corporate Design, Sound Design
Arbeit zitieren
M.A. Marcus Herrmann (Autor:in), 2001, Psychoakustik und Sound-Engineering, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/123217

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